Zusammenfassung
Beim akut-auf-chronischen Leberversagen (ACLF) kommt es neben einer akuten Dekompensation einer bereits bestehenden chronischen Lebererkrankung zu einem zusätzlichen (Mehr‑)Organversagen. Das ACLF wurde erst innerhalb der letzten Jahre neben dem akuten Leberversagen und der dekompensierten Leberzirrhose als eigenes Erkrankungsbild anerkannt. Bislang gibt es über die Definition der Erkrankung zwischen den verschiedenen internationalen Fachgesellschaften (Nordamerika/Asien/Europa) keinen Konsens. In Europa orientiert sich die Diagnose an den Kriterien des EASL-CLIF Consortium (European Association for the Study of the Liver - Chronic Liver Failure Consortium).
Im Rahmen eines ACLF mit (Mehr‑)Organversagen kann es zu Nierenversagen, respiratorischem Versagen, hepatischer Enzephalopathie, Koagulopathie und/oder Kreislaufversagen kommen. Je nach Anzahl und Ausmaß der betroffenen Organsysteme wird das ACLF in drei Schweregrade eingeteilt (ACLF Grad 1–3). Die ACLF Grade 2 und 3 haben mit einer 30-Tages-Mortalität von bis zu 86,2% eine sehr schlechte Prognose. Das Nierenversagen gilt dabei prognostisch als besonders ungünstig.
Bakterielle Infekte oder auch Alkoholexzesse stellen die häufigsten Trigger eines ACLF dar. Aufgrund einer fehlregulierten überschießenden Immunantwort kommt es in der Folge zu einer systemischen Inflammation mit konsekutivem (Mehr‑)Organversagen. Die Therapie zielt auf die Beseitigung der auslösenden Ursache und supportive, ggf. intensivmedizinische Maßnahmen zur Beherrschung weiterer Funktionsausfälle durch das konsekutive (Mehr‑)Organversagen ab. Geeignete Patienten sollten eine Lebertransplantation erhalten.
Differenzialdiagnostisch ist eine dekompensierte Leberzirrhose abzugrenzen, die sich z.B. durch eine hepatische Enzephalopathie, Aszites, ein hepatorenales Syndrom, eine Varizenblutung oder Lebersynthesestörung äußert. Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose ist das akute Leberversagen, das auch zu einer akuten hepatischen Dekompensation führt, jedoch nicht auf dem Boden einer präexistenten Lebererkrankung.
Ätiologie
Dem ACLF geht in vielen Fällen ein Trigger voraus. In bis zu 45% der Fälle bleibt dieser jedoch unbekannt [1].
- Häufige Auslöser
- Bakterielle Infekte
- Aktiver Alkoholkonsum innerhalb der letzten 3 Monate
- Alkoholexzess
- Alkoholische Hepatitis
- Reaktivierung einer chronischen Hepatitis B
- Akute Hepatitiden
- Gastrointestinale Blutung
- Seltenere Auslöser
- Operationen
- TIPS-Anlage
- Großvolumige Aszites-Parazentese ohne adäquate Albumin-Substitution
Pathophysiologie
- Frühphase: Chronische Lebererkrankung + Trigger (bakterieller Infekt oder (exzessiver) Alkoholkonsum ) → Überschießende Immunantwort → Anstieg proinflammatorischer Moleküle (IL-6, IL-1β, IL-8) → Induktion einer systemischen inflammatorischen Antwort (SIRS)
- Spätphase: Kompensatorisches antiinflammatorisches Response-Syndrom (CARS) → Konsekutive Immunsuppression → Erhöhte Infektanfälligkeit
Symptomatik
- Symptome des Leberversagens
- Ikterus
- Hepatische Enzephalopathie
- Koagulopathie
- Symptome des (Mehr‑)Organversagens
- Nierenversagen
- Respiratorisches Versagen
- Kreislaufversagen
Stadien
ACLF-Schweregrade [2]
- Kein ACLF
- Kein Organversagen oder
- Isoliertes Organversagen (ausgenommen Nierenversagen: Serumkreatinin <1,5 mg/dL)
- ACLF Grad 1
- Isoliertes Nierenversagen oder
- Isolierte hepatische Enzephalopathie Grad 3–4 nach West-Haven oder
- Isoliertes Organversagen (ausgenommen Nierenversagen, aber Serumkreatinin 1,5–1,9 mg/dL)
- ACLF Grad 2: Versagen von 2 Organen
- ACLF Grad 3: Versagen von ≥3 Organen
CLIF-C-OF-Score: Kriterien eines Organversagens bei ACLF [1][2]
Anhand des CLIF-C-OF-Scores kann der Schweregrad eines Organversagens ermittelt werden. Definitionsgemäß besteht ein Organversagen bei ACLF, wenn ein CLIF-C-OF-Score 3 erreicht ist. Eine Ausnahme bildet hierbei die Niere: Hier wird bereits ein CLIF-C-OF-Score 2 (Serumkreatinin ≥2 mg/dL) als Nierenversagen im ACLF-Score gewertet.
Ein Rechner zur Bestimmung des Schweregrades eines ACLF findet sich hier: [3]
Organsystem | Variable | CLIF-C-OF-Score | ||
---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | ||
Leber | Bilirubin (mg/dL) | <6 | 6–12 | >12 |
Niere | Kreatinin (mg/dL) | <2 | 2–3,4 | ≥3,5 |
Gerinnung | INR | <2 | 2–2,4 | ≥2,5 |
Gehirn | Hepatische Enzephalopathie (Grad nach West-Haven) | 0 | 1–2 | 3–4 |
Atmung | SPO2/FIO2 | >357 | 357–215 | ≤214 |
PaO2/FiO2 | >300 | 300–201 | ≤200 | |
Kreislauf | MAP (mmHg) | ≥70 | <70 | Therapie mit Vasopressoren |
Diagnostik
Ziel der ausführlichen Anamnese, körperlichen Untersuchung und Labordiagnostik ist die frühzeitige Identifikation des Infektfokus bzw. des Auslösers des ACLF.
- Anamnese
- Körperliche Untersuchung
- Labordiagnostik (siehe auch: Diagnostik der Leberzirrhose): Inkl. AFP, CRP, Lactat, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff und ggf. BGA
- Blutkulturen
- Urinstatus, Urinkultur
- Ggf. Aszites-Punktion: Zum Ausschluss einer SBP
-
Sonografie des Abdomens
- Zum Ausschluss einer anderen Genese der Dekompensation
- Zur Detektion eines klinisch nicht zu detektierenden Aszites
- Röntgen-Thorax
- Bei Indikation weitere (apparative) Untersuchungen wie z.B. CT-Abdomen oder MRT der Leber
Die spontan bakterielle Peritonitis, bakterielle Pneumonien sowie Harnwegsinfekte sind häufige Auslöser und sollten bei V.a. ACLF möglichst rasch ausgeschlossen werden! Zur Resistenzbestimmung sollte eine mikrobiologische Aufbereitung von Aszites/Urin/Sputum veranlasst werden!
Therapie
- Beseitigung des auslösenden Triggers
- Supportive Therapie
- Optimierung der Ernährungssituation
- Ggf. Gabe von Vitamin K, PPSB, Fresh Frozen Plasma (FFP)
- Ggf. Albuminsubstitution
- Siehe auch: Albuminsubstitution bei Aszitespunktion
- Therapie der hepatischen Enzephalopathie
- Therapie des hepatorenalen Syndroms
- Ggf. intensivmedizinische Maßnahmen, inkl.
- Vasopressor-Therapie, siehe auch: Medikamentöse Kreislaufunterstützung - AMBOSS SOP
- Maschinelle Beatmung
- Dialyse
- Möglichst frühzeitige Lebertransplantation bei geeigneten Patienten
Patienten mit ACLF sollten nach Ausschluss absoluter Kontraindikationen möglichst rasch an ein Lebertransplantationszentrum überwiesen werden! (Siehe: Kontraindikationen für eine Organtransplantation)
Prognose
Mortalität (ohne LTX) [2] | 28-Tage-Mortalität | 90-Tage-Mortalität |
---|---|---|
Kein ACLF | 4,7% | 14% |
ACLF Grad 1 | 22,1% | 40,7% |
ACLF Grad 2 | 32.0% | 52,3% |
ACLF Grad 3 | 76,7% | 79,1% |
- Nach erfolgreicher Lebertransplantation: Gute Prognose [4]
Das Ausmaß der systemischen Infektion spielt prognostisch eine entscheidende Rolle. Daher müssen bakterielle Infektionen so gut wie möglich therapiert werden!
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 175-2021-3/3: Der Lockdown und die Leber
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