Zusammenfassung
Das akute Leberversagen (ALV) ist eine seltene Erkrankung mit hoher Mortalität. Kennzeichnend sind die akute Entwicklung eines Ikterus, die Einschränkung der Lebersyntheseleistung (v.a. als Koagulopathie) sowie das Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie bei Patienten ohne eine vorbestehende Lebererkrankung. In Europa und Nordamerika spielen bei der Entstehung medikamentös-toxische Ursachen (hier v.a. Paracetamol) und Virushepatitiden eine übergeordnete Rolle. Die spezifischen Therapiemöglichkeiten bei einem akuten Leberversagen sind beschränkt und nur für wenige Auslöser verfügbar (z.B. durch Gabe von N-Acetylcystein bei Paracetamol-Intoxikation). Bei progredientem, nicht anders beherrschbarem Leberversagen bleibt die Lebertransplantation bei geeigneten Patienten die einzig mögliche Therapie. Um die Entwicklung des Leberversagens und die eventuelle Notwendigkeit einer Lebertransplantation abschätzen zu können, müssen eine rasche Diagnostik der potenziellen Ursache, eine frühzeitige Diagnose einer hepatischen Enzephalopathie sowie der Ausschluss einer zugrunde liegenden vorbestehenden Lebererkrankung erfolgen. Als Prognosekriterien für die Indikation zur Lebertransplantationslistung werden beim akuten Leberversagen die King’s-College-Kriterien (bei nicht viral induziertem, akutem Leberversagen) und die Clichy-Kriterien (bei viral induziertem Leberversagen) genutzt.
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primäre Formen des akuten Leberversagens [2]
- Medikamentös-toxische Ursachen
- Intrinsische Schädigung: Toxische Schädigung mit Dosis-/Wirkungsbeziehung, Auftreten akut nach der Einnahme
- Paracetamol-Intoxikation: Führende medikamentöse Ursache
- Knollenblätterpilzvergiftung (Amatoxine)
- Idiosynkratische Schädigung: Immunologisch bedingt , die Leberzellschädigung ist unabhängig von der Dosis, Einnahme kann lange zurückliegen (i.d.R. bis zu 6 Monate)
- Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon)
- Ecstasy
- Antibiotika
- NSAR
- Statine
- Carbamazepin
- Amiodaron
- Anabolika
- Halothan
- Chemotherapeutika und Zytostatika
- Phytopharmaka, komplementär- und alternativmedizinische Präparate bzw. Nahrungsergänzungsmittel
- Alkoholische Steatohepatitis
- Intrinsische Schädigung: Toxische Schädigung mit Dosis-/Wirkungsbeziehung, Auftreten akut nach der Einnahme
- Infektiös: Fulminant verlaufende Virushepatitiden
- Hepatitis B, insb. auch bei Reaktivierung
- Hepatitis A
- Hepatitis E, insb. bei schwangeren Patientinnen
- Weitere hepatotrope Viren (insb. HSV, CMV, EBV, VZV, Parvovirus B19)
- Intrahepatisch vaskuläre Ursachen
- Autoimmun
- Fulminanter Verlauf einer Autoimmunhepatitis
- Schwangerschaftsassoziiert
Die primären Formen des Leberversagens kommen für eine Behandlung mittels Notfalltransplantation infrage, sekundäre Formen mit Ausnahme des hepatozellulären Karzinoms dagegen nur selten!
Sekundäre Formen des Leberversagens
- Hypoperfusion mit Leberischämie: Insb. auf Resektionen der Leber folgend, z.B. nach Hemihepatektomie
- Schockzustände
- Systemische infektiöse oder metabolische Erkrankungen
- Metabolisches Syndrom
- Sepsis, schwere Verläufe systemischer Infektionen
- Hämophagozytose-Syndrom
- Onkologische Erkrankungen
- Infiltration im Rahmen von myeloproliferativen Neoplasien und Lymphomen
- Metastasenleber
- Graft-versus-Host-Disease
In etwa 20% der Fälle bleibt die Ursache eines akuten Leberversagens unklar (kryptogen)!
Klassifikation
- Einteilung nach zeitlichem Verlauf: Entscheidend ist, wie viele Tage zwischen dem ersten Auftreten einer Gerinnungsstörung (INR >1,5) und einer hepatischen Enzephalopathie liegen [3][4]
- Hyperakutes Leberversagen: ≤7 Tage
- Akutes Leberversagen: 7–28 Tage
- Subakutes/protrahiertes Leberversagen: 4–24 Wochen
- Einteilung nach hepatischer Vorerkrankung
- Akut-auf-chronisches Leberversagen: Auf dem Boden einer chronischen Lebererkrankung
- Akut-auf-Zirrhose-Leberversagen: Bei vorbestehender Leberzirrhose auftretendes Leberversagen
Pathophysiologie
- Pathogenese: Abhängig von der Ursache
- Folgen
- Massive Nekrose und Apoptose von Hepatozyten
- Insb. periportaler Zelluntergang
- Zelltodmechanismus abhängig von der Ursache des ALV
- Organdysfunktion mit Zeichen der Leberinsuffizienz
- Koagulopathie
- Hepatische Entgiftung↓ (Ammoniak↑ und Bilirubin↑)
- Splanchnischer Druckgradient↑
- Hyperdyname Zirkulation
- Hypotension
- Massive Nekrose und Apoptose von Hepatozyten
Symptomatik
- Bewusstseinsstörung durch hepatische Enzephalopathie, Schweregradeinteilung nach West-Haven-Klassifikation
- Ikterus
- Gerinnungsstörung durch herabgesetzte Lebersyntheseleistung
- Foetor hepaticus
- Flapping Tremor
Diagnostik
Anamnese
- Ausführliche und präzise Fremd- und Eigenanamnese: Insb. bzgl. auslösender Faktoren, siehe hierzu auch: Ätiologie des akuten Leberversagens
- Alkohol-, Medikamenten- und Drogenanamnese sowie Suizidalität
- Explizite Frage nach Pilzen und frei verkäuflichen Präparaten, insb. Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsmitteln
- Zeitlicher Verlauf der Symptome
- Hinweise auf eine vorbestehende Lebererkrankung
- Reiseanamnese
- Ungeschützte sexuelle Risikokontakte
- Immunsuppressive Therapie
- Bekannte Vorerkrankungen
- Hinweise auf Sepsis, Ischämie oder Schock
Körperliche Untersuchung
- Eingehende körperliche Untersuchung
- Hinweise auf präexistente Lebererkrankung
- Hinweise auf höhergradige hepatische Enzephalopathie
Labordiagnostik
Basislaborwerte
- Transaminasen, γGT, AP↑
- Bilirubin↑
- LDH
- Ammoniak↑
- Quick, Fibrinogen
- Blutbild, Thrombozyten↓
- Kreatinin
- Natrium, Kalium
- CRP
Ergänzende Laboruntersuchungen bei V.a. ALV
Bildgebung
- Sonografie Abdomen: Bei jedem V.a. ein akutes Leberversagen so rasch wie möglich zur näheren Abschätzung etwaiger Ursachen
- Immer inkl. Duplexsonografie der Pfortader sowie der Lebervenen und der A. hepatica
- Ergänzende Bildgebung: Je nach Verdachtsdiagnose ergänzende Bildgebung der Leber erwägen (wie z.B. MRT oder CT)
- Kraniale Bildgebung: Bei somnolenten Patienten oder einer hochgradigen hepatischen Enzephalopathie (Stadium 3) kraniale Bildgebung zum Ausschluss hirnorganischer Störungen als Ursache der Vigilanzminderung erwägen
Leberbiopsie
- Indikation
- Akutes Leberversagen unklarer Genese
- Ausschluss und ggf. Staging einer etwaigen präexistenten Lebererkrankung
- Nicht notwendig: Bei akutem Leberversagen eindeutiger Genese (z.B. gesicherte Paracetamol-Intoxikation, akute virale Hepatitis)
Bei einer hochgradigen Gerinnungsstörung und/oder Aszites ist eine perkutane Leberbiopsie ungeeignet. Sinnvolle Alternative ist ggf. eine transjuguläre Leberbiopsie oder laparoskopische Gewinnung eines Leberstanzzylinders!
Ergänzende Diagnostik
- Transthorakale Echokardiografie
- Zum Ausschluss einer zirkulatorischen Problematik mit akuter Rechtsherzbelastung
- Zur Diagnostik bei ischämischer Genese
- Zur Beurteilung der (rechts‑)kardialen Funktion auch hinsichtlich einer evtl. notwendigen Lebertransplantation
- CT-Abdomen mit Darstellung der Lebergefäße: Insb. bei V.a. vaskuläre Ursachen als Ergänzung zur Duplexsonografie
- Infektionsdiagnostik: Fokussuche bei V.a. Infektion als Auslöser
- Röntgen-Thorax, Urinstatus, ggf. Urinkultur und Blutkulturen
- Siehe auch: Diagnostik bei Sepsis
Ätiologische Einordnung
Diagnostische Hinweise auf mögliche Ätiologie
DD Akutes Leberversagen | Klinische Aspekte |
---|---|
Paracetamol |
|
Medikamentös-toxisch (nicht Paracetamol) |
|
Maligne Erkrankungen/Infiltration |
|
Akute Autoimmunhepatitis |
|
Morbus Wilson |
|
Knollenblätterpilzvergiftung |
|
Akute Ischämie |
|
Akutes Budd-Chiari-Syndrom |
|
Ätiologische Einordnung anhand der Basislabordiagnostik [5]
Einschätzung der Genese eines ALV anhand von Basislaborwerten | GOT | GPT | γGT | AP |
---|---|---|---|---|
Hepatozellulärer Schaden z.B. durch Virushepatitis, AIH | ↑↑ | ↑↑ | ↑ | (↑) |
Cholestase z.B. mechanisch bedingt | ↑ | ↑↑ | ↑↑ | ↑↑ |
Toxischer Schaden | ↑ | (↑) | ↑↑ | ↑ |
Quotientenbildung der Leberenzyme zur Abschätzung der Genese | Mögliche Genese |
---|---|
GOT/GPT |
|
GOT/γ-GT | |
(GOT+GPT)/LDH |
|
Spezifische ätiologische Labordiagnostik
- Serumparacetamolspiegel: Bei V.a. Paracetamol-Intoxikation
- Alkohol: Prüfung auf akute Intoxikation (Blutalkohol) und Hinweise auf eine Alkoholabhängigkeit (CDT, Ethylglucuronid im Urin)
- Toxikologisches Screening
- Virusdiagnostik
- Serologie bzgl. Hepatitis A, B, C und E
- Serologie hepatotroper Viren
- HIV-Suchtest
- Weitere virologische und ggf. parasitologische Diagnostik gemäß Reiseanamnese und Risikoprofil
- Autoantikörper und Immunologie
- Serumelektrophorese sowie IgG, IgM, IgA quantitativ
- ANA, ASMA, Anti-LKM1-AK, pANCA, SLA-AK: Zum Ausschluss einer Autoimmunhepatitis
- AMA, AMA-M2, ANA mit Fluoreszenzmuster gp210 sowie sp100: Zum Ausschluss einer PBC
- Ggf. ergänzende Antikörperdiagnostik bei V.a. andere Autoimmunerkrankung wie z.B. SLE
- Weitere ätiologisch wegweisende Parameter
- β-HCG
- Ferritin, Transferrin und Transferrin-Sättigung
- α1-Antitrypsin
- Coeruloplasmin im Serum, Kupfer-Ausscheidung im 24-h-Sammel-Urin
Prognostische Einschätzung und Verlegungskriterien
Prognoseeinschätzung und Verlegungskriterien
- Prognostische Einschätzung: Auf Grundlage 12- bis 24-stündlicher Reevaluation und Abgleich mit Scores
- Bei Paracetamol-Intoxikationen oder anderen nicht-viralen Ursachen: King's-College-Kriterien des ALV
- Bei viral induzierten Formen: Clichy-Kriterien des ALV
- Therapeutische Konsequenz: Bei Erfüllung dieser Kriterien sehr schlechte Prognose, umgehende Kontaktaufnahme und Rücksprache mit einem Transplantationszentrum
King's-College-Kriterien bei Paracetamol-induziertem ALV
- pH-Wert arteriell <7,3
- Oder Erfüllen der 3 folgenden Kriterien
- INR >6,5
- Serumkreatinin >3,4 mg/dL
- Hepatische Enzephalopathie Stadium 3–4
King's-College-Kriterien bei nicht durch Paracetamol induziertem ALV
- INR >6,5
- Oder Erfüllen von mind. 3 der 5 folgenden Kriterien
- Ätiologie unklar oder medikamentös-toxisch
- Alter: <10 Jahren oder >40 Jahre
- Zeitraum zwischen Entstehung des Ikterus und hepatischer Enzephalopathie >7 Tage
- INR >3,5
- Serumbilirubin >17,4 mg/dL bzw. >300 mmol/L
Clichy-Kriterien bei viral induziertem ALV
- Vorliegen einer hepatischen Enzephalopathie Stadium 2–4 und
- Vorliegen einer hochgradigen Gerinnungsstörung
- Faktor V <30% bei Patienten >30 Jahre
- Faktor V <20% bei Patienten <30 Jahren
- Vorliegen einer hochgradigen Gerinnungsstörung
Therapie
Neben einer supportiven intensivmedizinischen Therapie, die bei allen Patienten mit einem akuten Leberversagen indiziert ist, sollte ggf. auch eine der untenstehenden spezifischen Therapieformen je nach Auslöser erfolgen.
Spezifische Therapieformen
- Therapie der Paracetamol-Intoxikation
- Therapie der Knollenblätterpilzvergiftung
- Therapie der alkoholischen Steatohepatitis (ASH)
- Therapie der Autoimmunhepatitis
- Anlage eines TIPS bei Budd-Chiari-Syndrom
- Bei schwangerschaftsassoziierter Ätiologie: Frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Perinatalzentrum der Maximalversorgung
Prinzipien der supportiven Therapie
- Management und Patientenführung
- Normalstation: Bei geringgradiger Gerinnungsstörung und fehlender oder minimaler hepatischer Enzephalopathie (Stadium 1) ist noch eine Betreuung auf Normalstation möglich
- Intensivstation: Ab einem INR >1,5 und dem Auftreten einer höhergradigen hepatischen Enzephalopathie (ab Stadium 2) Kontaktaufnahme mit Intensivstation
- Medikation: Nach Möglichkeit Absetzen aller potenziell hepatotoxischen Medikamente, insb. bei V.a. medikamentös-toxisches ALV
- Aszites: So rasch wie möglich Aszitespunktion anstreben, umgehend nach Punktion Beginn einer Albuminsubstitution bei Aszites
- Monitoring
- Engmaschige Kontrolle der Vitalparameter
- Blutdruck-Zielwert: MAP ≥65 mmHg
- Urinausscheidung: Prüfung auf Kriterien des hepatorenalen Syndroms
- Regelmäßige Evaluation einer hepatischen Enzephalopathie
- Regelmäßige Evaluation des neurologischen Befundes inkl. Pupillomotorik
- Regelmäßige Blutentnahmen inkl. aller für die Scoring-Systeme notwendigen Parameter sowie Transaminasen, Lactat, LDH, Entzündungsparameter, Blutbild, Elektrolyte
- Erfassung der Ernährungssituation
- Beginn einer Ernährungstherapie bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme
-
Blutzucker-Tagesprofil zur Detektion einer Hypoglykämie bei potenziell eingeschränkter Lebersynthese
- Zielwert: 140 mg/dL
- Engmaschige Kontrolle der Vitalparameter
- Hämodynamik
- Balancierter Volumen- und Elektrolytausgleich
- Ggf. Katecholamintherapie bei MAP <65 mmHg trotz adäquater Flüssigkeitssubstitution
- Infektion
- Engmaschige infektiologische Überwachung der Patienten inkl. sequenzieller Blutkulturen
- Wachsamkeit für invasive Aspergillosen: Ggf. Galactomannan-Bestimmung bei klinischem Verdacht
- Bei V.a. bakterielle Infektion: Rasche Abklärung und fokusgerechte Therapieeinleitung
- Engmaschige infektiologische Überwachung der Patienten inkl. sequenzieller Blutkulturen
- Gerinnungsmanagement
- Vitamin-K-Supplementierung für 4–7 Tage
- Eher zurückhaltende Indikationsstellung zur Substitution von Gerinnungsfaktoren, da Gefahr einer Hypervolämie
- Organersatzverfahren
- Dialyse bzw. Hämofiltration bei anurischem Nierenversagen
- Extrakorporale Leberunterstützungsverfahren (z.B. MARS, Prometheus) und Plasmaaustausch
Indikation zur Lebertransplantation
- Engmaschige Reevaluation: 12- bis 24-stündliche Evaluation der Patienten nach den King's-College-Kriterien des ALV bzw. den Clichy-Kriterien bei viral induziertem ALV
- Rasche Anbindung an ein Transplantationszentrum bei potenzieller Lebertransplantation
- Ausschluss von Kontraindikationen einer Notfall-Lebertransplantation
- Florider Alkohol- oder Drogenabusus
- Mangelnde Compliance
- Unkontrolliertes Malignom
- Unkontrollierte Infektion
- Höheres Lebensalter
- Im Zweifelsfall: Stets Hinzuziehen eines erfahrenen Transplantationsmediziners zur Mitbeurteilung; ggf. zur Einschätzung von Suchterkrankung und Compliance auch Hinzuziehen eines in der Transplantationsmedizin erfahrenen Psychiaters oder Psychosomatikers
Paracetamol-Intoxikation
- Pathophysiologie
- Physiologisch: Toxischer Hauptmetabolit von Paracetamol (N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI)) wird über das hepatische Cytochrom-P450-System produziert → Glutathionvorräte in der Leber können NAPQI entgiften
- Pathologisch: Bei akuter Überdosierung von Paracetamol → Verminderung der Glutathionvorräte in der Leber → Akkumulation von NAPQI → Leberzellnekrosen
- Risikofaktoren der Paracetamol-Intoxikation
- Mangelernährung, Kachexie, Essstörung
- AIDS
- Alkoholabusus
- Langfristige Therapie mit Cytochrom-P450-induzierenden Medikamenten
- Toxische Dosen
- Toxizitätsschwelle ab ca. 125 mg/kgKG
- Ab 250 mg/kgKG: 50% schwere Leberschädigung
- Ab 350 mg/kg: Immer schwere Leberschädigung
- Klinik
- 0–24 h: Übelkeit, Erbrechen, Lethargie, Schwitzen
- Koma nur bei exzessiven Dosen (>800 mg/kgKG)
- 24–48 h: Anstieg der Transaminasen bei Wohlbefinden
- 48–96 h: Klinik des akuten Leberversagens
- 0–24 h: Übelkeit, Erbrechen, Lethargie, Schwitzen
Therapie der Paracetamol-Intoxikation
- Akutmaßnahmen bei Aufnahme: Bestimmung des Serumparacetamolspiegels
- Hochdosierte NAC-Therapie: Bis 16 h nach Einnahme ist die hochdosierte intravenöse Verabreichung von N-Acetylcystein sinnvoll [6]
- Giftelimination mit Aktivkohle: Begrenzt wirksam, wenn überhaupt nur bis 1 h nach Paracetamoleinnahme sinnvoll
- Weitere Maßnahmen
- Ggf. bei hohen Dosen Kontakt mit dem Dialysedienst sinnvoll
- Ggf. Kontakt mit der Giftnotrufzentrale, insb. bei Mischintoxikationen sinnvoll
- Spiegelbestimmung
- Regelmäßige Bestimmung des Serumparacetamolspiegels
- Auftragen der Spiegel auf das Nomogramm zur Therapie der Paracetamol-Intoxikation
- Monitoring: Klinische Überwachung auf Komplikationen wie
- Prognose
- Anhand des Nomogramms erfolgt die Abschätzung der Prognose
- Patienten auf der High-Risk-Treatment-Linie müssen an einem Transplantationszentrum vorgestellt werden
- Abschätzung der Prognose des akuten Leberversagens anhand der King's-College-Kriterien für die Paracetamol-Intoxikation
- Bei Erfüllen der Kriterien: Sofortige Überleitung des Patienten an ein Transplantationszentrum
- Je nach Dosierung und Einleitung der Therapie innerhalb des therapeutischen Fensters große prognostische Variabilität, von Restitutio ad integrum bis hin zum tödlichen Leberausfall
Die Paracetamol-Intoxikation ist ein Notfall. Das therapeutische Fenster für die Spülung und Gabe von N-Acetylcystein ist begrenzt, die Therapie muss sofort eingeleitet werden!
Knollenblätterpilzvergiftung
- Schädigungsmechanismus: Knollenblätterpilze enthalten Amatoxine, v.a. Amanitin → Amatoxine binden kovalent an die RNA-Polymerase II und verhindern die Transkription von DNA zu einer mRNA-Vorstufe → m-RNA wird verbraucht (ca. 1 h) → Zelltod
- Toxische Dosis: 0,1 mg/kgKG tödlich, d.h. ein Pilz genügt
- Diagnostik
- Toxikologie: α-Amanitin-Bestimmung im Urin
- Ergänzende Diagnostik: Begutachtung der Pilzreste durch einen Experten
- Ggf. Lignin-Test als orientierendes Testverfahren zum Nachweis von Amatoxinen (z.B. Amanitin) in Pilzen (hohe Sensitivität bei geringer Spezifität)
- Histologie: Die Histologie wird in unklaren Fällen durchgeführt
- Leitbefund: Periportale, entzündliche Infiltrate und zentrolobuläre Nekrosen
- Klinik
- 6–8 h: Erbrechen, wässriger Durchfall, Bauchschmerzen
- 8–24 h: Symptomarmes/-freies Intervall
- Ab 24 h: Klinik des akuten Leberversagens und der akuten Nierenschädigung
- Höhepunkt des Transaminasenanstiegs am 2.–4. Tag nach Einnahme
- Blutgerinnungsstörung meist 36–48 h nach Ingestion
- Hepatische Enzephalopathie: Ab dem 3.–4. Tag nach Einnahme
- Fulminantes Leberversagen und Tod bei schweren Vergiftungen ohne Lebertransplantation an den Tagen 6–10
- Schweregrade der Vergiftung
- Grad 1: Magen-Darm-Symptome ohne Leber- und Nierenschädigung
- Grad 2: Magen-Darm-Symptome mit leichter Leberschädigung (Transaminasenanstieg <500 U/L, keine Gerinnungsstörung)
- Grad 3: Wie Grad 2 mit hohem Transaminasenanstieg (>500 U/L, ggf. Bilirubinerhöhung) und Gerinnungsstörung
- Grad 4: Wie Grad 3 mit sehr raschem Transaminasen- und Bilirubinanstieg, fulminantem Einbruch der Gerinnung und rascher Verschlechterung der Nierenfunktion
Therapie der Knollenblätterpilzvergiftung
- Akutmaßnahmen
- Intensivstation: Jeder V.a. eine Knollenblätterpilzintoxikation muss möglichst rasch stationär im Krankenhaus mit Intensivtherapiemöglichkeit behandelt werden!
- Antidot: Silibinin so früh wie möglich
- Primäre Giftelimination: Magenspülung vor dem Einsetzen gastrointestinaler Symptome noch sinnvoll, danach Gabe von 50 g Aktivkohle und Lactulose
- Sekundäre Giftelimination: Ausreichende intravenöse Flüssigkeitszufuhr zur Verringerung von Nierenschäden und zur Erhöhung der Urinausscheidung
- Evtl. Hämodialyse in den ersten 2–5 h vor Einsetzen der ersten Symptome
- Supportive Therapie der Komplikationen des akuten Leberversagens
- Prognose
- Bei Patienten mit Vergiftungen der Schweregrade 1 und 2 verläuft die Vergiftung meist folgenlos
- Ab Schweregrad 3 rasche Überleitung des Patienten in ein Lebertransplantationszentrum
- Abschätzung der Prognose anhand der King's-College-Kriterien
Komplikationen
Hepatische Enzephalopathie
- Ursache: Mangelnde Entgiftungsfunktion der Leber im Rahmen des ALV mit erhöhtem Anfall neurotoxischer Stoffe
- Management siehe: Hepatische Enzephalopathie - Therapie
Erhöhter Hirndruck
- Ursache: Als Komplikation der hepatischen Enzephalopathie durch ein zerebrales Ödem
- Management
- Bei Gefahr der Hirnstammeinklemmung: Intensivmedizinische Überwachung!
- Bei Beatmung: Möglichst niedriges CO2 bei möglichst niedrigem endexspiratorischem Druck (PEEP) anstreben
- Hirndrucksonde erwägen, um Hirndruck auf 25 mmHg einzustellen
- Siehe auch: Hirndrucksenkung
Hypoglykämie
- Ursache
- Hepatische Gluconeogenese eingeschränkt
- Katabole Stoffwechsellage
- Management
- Blutzuckertagesprofil
- Hochkalorische Ernährung anstreben, am besten enteral
- Adäquate Glucosezufuhr sicherstellen
- Bei rezidivierenden Hypoglykämien: Kontinuierliche Glucosezufuhr erwägen
Kreislaufdysregulation
- Ursache: Portalvenöser Druck↑ → Erweiterung der splanchnischen Gefäße → Venöser Rückfluss↓ → Kardiales Auswurfvolumen↓
- Management
- Volumenzufuhr steigern unter Beachtung des Natriumhaushalts
- Albuminsubstitution zur Plasmaexpansion erwägen, insb. bei wiederholter Messung von Serumalbumin <20 mg/dL
- Bei anhaltender Hypotension: Einleitung einer Vasopressortherapie (z.B. Noradrenalin) erwägen
- Bei zugleich bestehendem hepatorenalem Syndrom: Terlipressin-Gabe (beachte dazu: Rote-Hand-Brief zu Terlipressin)
Akute Nierenschädigung
- Ursache: Unterschiedliche Ursachen mit Überlappungsmöglichkeit wie etwa:
- Hepatorenales Syndrom
- Akute Tubulusnekrose durch Hypotension im Rahmen der Kreislaufdysregulation
- Direkte toxische Wirkung, z.B. durch Paracetamol, Amatoxin oder NSAR
- Management
- Engmaschige Kontrolle von Harnstoff, BGA, Elektrolyten
- Bilanzierung der Ein- und Ausfuhr
- Nach Möglichkeit Absetzen aller nephrotoxischen Medikamente
- Vermeiden einer Hypotension: Frühzeitiger Einsatz kristalloider Volumenersatzlösung und Vasopressortherapie, Ziel-MAP ≥65 mmHg
- Bei V.a. HRS: Absetzen aller Diuretika und Plasmaexpansion durch Albumin, ggf. Therapie mit Terlipressin
- Bei Indikation zur Dialyse: Kontinuierliches Verfahren bevorzugen
Infektionen
- Ursache
- Bei Leberversagen besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen
- Bakterielle und fungale Infektionen zählen zu den Hauptursachen für einen letalen Ausgang eines ALV
- Management
- Sorgfältiges klinisches und paraklinisches Infektions-Screening mit Entnahme von Blut- und Urinkulturen und ggf. Kulturen aus dem Aszites bei Hinweisen auf eine Infektion
- PCT bei Infektionsverdacht
- Im ALV niedrige Schwelle zur antibiotischen Therapie und ggf. Ergänzung um antifungale Medikation bei Anzeichen einer systemischen Mykose
Koagulopathie
- Ursache: Eingeschränkte Lebersyntheseleistung führt zur verminderten Produktion der hepatisch synthetisierten Gerinnungsfaktoren
- Management
- Zur Gerinnungskorrektur zunächst Vitamin-K-Substitution
- Substitution von Plasmakonzentraten (insb. auch PPSB) sind bei akuten Blutungsereignissen und bei zu erwartender Nachblutung (z.B. bei Leberpunktion, ZVK-Anlage) indiziert
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Prognose: Abhängig von der Schwere des Leberversagens und dem Maß der Zellschädigung
- Abschätzung der Prognose mittels der King's-College-Kriterien
- Mortalität: Ca. 30%
- Spontane Regeneration: Bei ca. 45% der Patienten mit ALV
- Lebertransplantation: Bei ca. 25% der Patienten
- Gesamtprognose: Ca. 85% 1-Jahres-Überlebensrate, ca. 80% 3-Jahres-Überlebensrate