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Angioödem

Letzte Aktualisierung: 25.9.2024

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Das Angioödem (früher: „Quincke-Ödem“) ist eine akute Schwellung von Dermis, Subkutis und/oder Submukosa, die mehrere Stunden bis Tage anhalten kann. Klassischerweise sind Augenlider, Lippen und Zunge betroffen, es kann aber auch zu einem lebensgefährlichen Larynxödem kommen. Es wird zwischen Histamin- und Bradykinin-vermittelten Angioödemen unterschieden. Letztere können hereditär sein, durch Medikamente ausgelöst werden oder im Rahmen einer malignen oder autoimmunen Erkrankung auftreten.

Prophylaktisch steht beim allergischen Angioödem eine Expositionskarenz im Vordergrund. Im Akutfall kommen bei Histamin-vermittelten Angioödemen oder bei nicht klar zuzuordnender Genese Adrenalin, Glucocorticoide und Antihistaminika zum Einsatz. Beim hereditären Angioödem dagegen werden Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonisten und C1-Esterase-Inhibitor(C1-INH)-Konzentrate eingesetzt. Da bei medikamenteninduzierten Angioödemen und solchen im Rahmen einer Grunderkrankung keine kausale Therapie zugelassen ist, kann hier nur eine Off-Label-Therapie erfolgen, bspw. mit Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonisten.

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Definitiontoggle arrow icon

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Angioödeme zu kategorisieren. Wesentlich für das therapeutische Vorgehen ist die Differenzierung in Histamin- und Bradykinin-vermittelte Angioödeme. [1][2][3][4]

Histamin-vermittelte Angioödeme

Bradykinin-vermittelte Angioödeme

Einteilung der Bradykinin-vermittelten Angioödeme nach Ursache [6]
Funktioneller Mangel an C1-INH Kein funktioneller Mangel an C1-INH
Hereditäre Formen Erworben: Assoziiert mit maligner oder autoimmuner Grunderkrankung Hereditäre Formen Erworben
HAE Typ I: Konzentration und Aktivität von C1-INH AAE Typ I: Erhöhter Verbrauch von C1-INH HAE Typ III: Mutation von bspw. Faktor XII, Plasminogen Medikamenteninduziert
HAE Typ II: Aktivität von C1-INH↓, Konzentration normal oder ↑ AAE Typ II: Autoantikörper gegen C1-INH

Idiopathische Angioödeme [7]

  • Ausschlussdiagnose
  • Unbekannter Auslöser, nicht hereditär
  • Kein funktioneller Mangel an C1-INH
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Epidemiologietoggle arrow icon

Häufigkeit von Angioödemen in abnehmender Reihenfolge [2][7][8]

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

Angioödeme werden durch vasoaktive Botenstoffe verursacht (Histamin oder Bradykinin). Die dadurch vorübergehend erhöhte Gefäßpermeabilität verursacht eine Gewebeschwellung.

Histamin-vermittelte Angioödeme [2][8]

  • Mastzelldegranulation (IgE-vermittelt oder durch andere Reize ausgelöst) → Freisetzung von Mediatoren, insb. Histamin → Vasopermeabilität↑ → Einstrom von Flüssigkeit ins Gewebe → Attackenartige Schwellung, oft Juckreiz und Urtikaria

Bradykinin-vermittelte Angioödeme

  • Vermehrte Bildung oder verminderter Abbau von Bradykinin → Bradykininspiegel im Plasma↑ → Vasopermeabilität↑ → Einstrom von Flüssigkeit ins Gewebe → Attackenartige Schwellung, kein Juckreiz und Urtikaria

Hereditäres Angioödem (HAE)

Meistens treten die Ödemattacken spontan und ohne erkennbaren Auslöser auf!

Erworbenes Angioödem

  • Auslöser: Gegen C1-INH gerichtete Antikörper (AAE Typ II) oder erhöhter Verbrauch von C1-INH (AAE Typ I), bspw. im Rahmen von
    • B-Zell-Lymphomen
    • Autoimmunen Grunderkrankungen
  • Pathomechanismus: C1-INH-Mangel → Bradykininsynthese↑

Medikamenteninduziertes Angioödem

  • Auslöser: ACE-Hemmer, seltener AT1-Blocker und rt-PA (Alteplase) [5]
    • Erstmanifestation auch nach jahrelanger Einnahme möglich
  • Pathomechanismus: Inhibition eines Bradykinin-Abbauenzyms → Bradykininspiegel↑
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Symptomatiktoggle arrow icon

Allgemein [1][2][8]

Histamin-vermittelte Angioödeme

  • Manifestation insb. im Kopf-Hals-Bereich
  • Häufig zusätzlich Urtikaria und/oder Juckreiz (akut oder anamnestisch)
  • Meist einmaliges Auftreten bei allergischer oder pseudoallergischer Reaktion

Die Schleimhaut von Pharynx, Larynx und Magen-Darm-Trakt ist bei Histamin-vermittelten Angioödemen seltener betroffen (ausgenommen anaphylaktische Reaktionen)! [1]

Bradykinin-vermittelte Angioödeme

Hereditäres Angioödem

  • Rezidivierende Schwellungen am gesamten Körper möglich
  • I.d.R. keine Urtikaria oder Juckreiz
  • Ödemdauer bis zu 7 Tage
  • Ggf. Prodromi: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Durstgefühl, depressive Stimmungslage, Aggressivität, Erythema marginatum
  • Rezidivierendes Auftreten alle paar Jahre bis mehrmals im Monat

Erworbenes Angioödem

ACE-Hemmer-induziertes Angioödem

  • Manifestation i.d.R. ausschließlich im Kopf-Hals-Bereich , seltener im Genitalbereich
  • Bei ca. 10% Obstruktion der oberen Atemwege
  • I.d.R. keine Urtikaria oder Juckreiz

Klinisch ähneln sich die verschiedenen Formen stark, das Vorliegen einer Urtikaria spricht jedoch gegen ein Bradykinin-vermitteltes Angioödem! [3]

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Diagnostiktoggle arrow icon

Anamnese [2][8]

  • Zeitpunkt und Dauer des Auftretens
  • Lokalisation und Veränderung des Ödems
  • Angioödem-Diagnose bekannt?
  • Begleitsymptome (Juckreiz, Urtikaria)
  • Familienanamnese
  • Zeitlicher Zusammenhang mit
    • Medikamenteneinnahme
    • Nahrungsaufnahme
    • Insektenstich
    • Kontakt zu Latex
    • Bestimmten Tätigkeiten
  • Erstmanifestationsalter
  • Erstmaliges oder wiederholtes Auftreten?
  • Ansprechen auf Antihistaminika oder Glucocorticoide?

Gegenüberstellung Histamin- und Bradykinin-vermittelter Angioödeme [1]

Histamin-vermittelte Angioödeme Bradykinin-vermittelt: Hereditäres Angioödem
Eigenanamnese
  • Wiederkehrende Attacken
  • Manifestation in Kindesalter/Jugend
  • Prodromalsymptome bei 50% vorhanden
  • Mögliche Assoziation mit Autoimmunerkrankung
  • Ggf. gastrointestinale Beschwerden
Familienanamnese
  • Negativ
  • Positiv
Auslöser
  • Oft unbekannt, ggf. Allergen eruierbar
  • Oft unbekannt, ggf. Stress, Trauma, körperliche Anstrengung
Symptome
Diagnostik
  • Keine spezifischen Laborbefunde
  • Spezifische Laborbefunde
    • C1-INH-Konzentration oder -Aktivität vermindert (außer beim HAE Typ III)
    • C4-Konzentration vermindert (≤50%)
Probatorische Therapie

Die Anamnese kann wichtige Hinweise zur Unterscheidung von Histamin- und Bradykinin-vermittelten Angioödemen geben!

Körperliche Untersuchung [1]

Bei schwerer abdominaler Krise

  • Sonografie und/oder CT des Abdomens zum Ausschluss anderer Ursachen

Im Notfall erfolgt die Diagnose ausschließlich anhand der klinischen Symptomatik und der Anamnese!

Weitere Diagnostik im Verlauf [2]

Die Diagnosestellung des HAE erfolgt nie anhand der Laborwerte allein, sondern in Zusammenschau mit Klinik und (Familien‑)Anamnese!

Bei HAE ist eine Familienuntersuchung sinnvoll, um Erstickungsfälle bei Nicht-Diagnostizierten zu vermeiden (insb. Komplementfaktor C4 sowie quantitative und qualitative Bestimmung von C1-INH)!

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Akuttherapie bei Angioödem [7]

Handlungsalgorithmus im Akutfall [2]

  1. Dringlichkeit einschätzen
    • Akut lebensbedrohliche Situation: Hochgradige Dyspnoe
    • Potenziell lebensbedrohliche Situation: Pharynx-, Larynx- und Zungenödeme
    • Nicht lebensbedrohliche Situation
      • Gesichts- oder Lippenschwellung
      • Ödeme im Bereich der Extremitäten
      • Schmerzhafte Abdominalattacken
  2. Differenzialdiagnose stellen
  3. Supportive Maßnahmen

Histamin-vermittelte Angioödeme machen ca. 80% der Fälle aus – unklare Fälle behandelt man deshalb probatorisch als Histamin-vermittelte Angioödeme!

Patienten mit Pharynx- oder Larynxödemen sind immer ein Notfall! Patienten mit Ödemen im Kopf-Hals-Bereich sollten immer stationär aufgenommen und überwacht werden!

Angioödeme im Kopf-Hals-Bereich [2]

Bei Angioödemen im Kopf-Hals-Bereich steht die Atemwegssicherung an erster Stelle!

Histamin-vermittelte Angioödeme

Stellt sich klinisch unter Glucocorticoiden bzw. Antihistaminika keine Besserung ein, muss immer an ein Bradykinin-vermitteltes Angioödem gedacht werden!

Bradykinin-vermittelte Angioödeme

Akuttherapie hereditärer Angioödeme (HAE Typ I und II) [7]

  • Meist nicht behandlungsbedürftig: Leichte Schwellungen der Hände und Füße
  • Abdominalattacken
  • Medikamentöse Therapie der Wahl: C1-INH-Konzentrat oder Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonist
  • C1-Esterase-Inhibitor(C1-INH)-Konzentrat i.v.: Frühzeitige i.v. Injektion empfohlen
    • Berinert® 500 IE Injektions- oder Infusionslösung
      • Zugelassen ab 15 kgKG
      • Dosierung für Kinder und Jugendliche ab 15 kgKG
      • Dosierung für Erwachsene
    • Cinryze® 500 IE Injektionslösung
      • Zugelassen ab 2 Jahren
      • Dosierung für Kinder 2–11 Jahre 10–25 kgKG
      • Dosierung für Kinder 2–11 Jahre >25 kgKG
      • Dosierung für Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene
    • Conestat alfa (Ruconest® 2.100 Einheiten Injektionslösung)
      • Zugelassen ab 13 Jahren
      • Dosierung für Jugendliche und Erwachsene bis 84 kgKG
      • Dosierung für Jugendliche und Erwachsene über 84 kgKG
  • Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonist (Icatibant) s.c.
    • Wirkprinzip: Antagonisierung der Bindung von Bradykinin an den Rezeptor aufgrund struktureller Ähnlichkeit zu Bradykinin
    • Zugelassen ab 2 Jahren
    • Dosierung für Kinder 12–25 kgKG
    • Dosierung für Kinder 26–40 kgKG
    • Dosierung für Kinder und Jugendliche 41–50 kgKG
    • Dosierung für Kinder und Jugendliche 51–65 kgKG
    • Dosierung für Kinder und Jugendliche >65 kgKG sowie für Erwachsene
  • FFP
    • Wirkprinzip: Enthält C1-INH
    • Nachteil: Enthält auch Enzyme des Kallikrein-Kinin-Systems
    • Wenn C1-INH-Konzentrat und Icatibant verfügbar sind, sollte auf eine Behandlung mit FFP verzichtet werden

Nicht wirksam zur Therapie eines hereditären Angioödems: Corticosteroide, Antihistaminika und Adrenalin bzw. Adrenalinderivate! [9]

Therapie medikamenteninduzierter Angioödeme [10]

In Fallberichten und Studien konnte gezeigt werden, dass eine Akuttherapie mit Icatibant oder C1-INH-Konzentrat der Therapie mit Antihistaminika und Glucocorticoiden signifikant überlegen ist!

Es kann bis zu einem Jahr nach Absetzen des Medikaments noch zu einem erneuten Angioödem kommen!

Therapie erworbener Angioödeme

  • Allgemein: Therapie der zugrunde liegenden onkologischen oder autoimmunen Grunderkrankung
  • Akuttherapie: Icatibant s.c. (Off-Label)

Langzeittherapie [7]

Histamin-vermittelte Angioödeme

  • Auslöser meiden, Allergenkarenz

Bradykinin-vermittelte Angioödeme

Hereditäres Angioödem

  • Therapieziele: Symptome lindern, Erstickungstod verhindern (Prophylaxe von Ödemattacken)
  • Ausführliche Aufklärung von Patienten und Familienangehörigen über Erkrankung, Prodromi, Triggerfaktoren und Vorgehen bei Ödemattacken
  • Notfallausweis, Dosen von Icatibant oder C1-INH-Konzentrat zur Selbstmedikation mitführen
  • Absetzen von Medikamenten, die Attacken triggern können
  • Anbindung an ein HAE-Behandlungszentrum [11]

Prophylaxe vor Eingriffen

  • C1-INH-Konzentrat i.v.
    • Berinert® 500 IE Injektions- oder Infusionslösung
      • Zugelassen ab 15 kgKG
      • Dosierung für Kinder und Jugendliche ab 15 kgKG
      • Dosierung für Erwachsene
    • Cinryze® 500 IE Injektionslösung
      • Zugelassen ab 2 Jahren
      • Dosierung für Kinder 2–11 Jahre 10–25 kgKG
      • Dosierung für Kinder 2–11 Jahre >25 kgKG
      • Dosierung für Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene

Dauerprophylaxe

  • Indikation: Zu erwägen bei Patienten mit besonders schweren Verläufen (trotz optimierter Bedarfstherapie) und besonders schweren Verläufen
    • ≥12 schweren Attacken/Jahr oder
    • HAE-Symptomatik an ≥24 Tagen/Jahr
  • Medikamente
    • C1-INH-Konzentrat i.v. (Cinryze®)
      • Zugelassen ab 6 Jahren für die Dauertherapie
      • Dosierung für Kinder 6–11 Jahre
      • Dosierung für Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene
    • Androgenderivate, insb. Danazol, Stanozolol und Oxandrolon
      • Wirksam, aber nebenwirkungsreich
      • Sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung, regelmäßige Kontrolluntersuchungen nötig, Kontraindikationen beachten
    • Tranexamsäure: Weniger nebenwirkungsreich, aber auch weniger wirksam als Androgenderivate, Kontraindikationen beachten
    • Gestagenderivate (Off-Label): Ggf. bei Frauen sinnvoll, weniger wirksam als Androgenderivate oder C1-INH-Konzentrat
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Komplikationentoggle arrow icon

  • Larynxödem [2][8]
  • Gesichtsödem (kann in Larynxödem übergehen)
  • Schwere abdominale Krise mit Hypovolämie und Blutdruckabfall bis zum Schock

Bei Larynxbeteiligung besteht akute Erstickungsgefahr!

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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Prognosetoggle arrow icon

  • Todesfälle
    • Heutzutage selten, da adäquate diagnostische und therapeutische Möglichkeiten vorhanden sind
    • Fast immer infolge eines Larynxödems
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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