Zusammenfassung
Die disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) ist ein pathophysiologischer Prozess, in dessen Zentrum eine systemische Gerinnungsaktivierung steht. Durch diese Hyperkoagulabilität bilden sich vermehrt Mikrothromben im Gefäßsystem, was eine gegenregulatorische Fibrinolyse anstößt. Das Ausmaß der Fibrinolyse ist u.a. abhängig von der auslösenden Ursache und beeinflusst die klinische Präsentation. Häufige Auslöser einer DIC sind Sepsis, Trauma oder maligne Erkrankungen. Die Symptomatik umfasst bspw. Anzeichen für Mikrozirkulationsstörung und Organversagen sowie eine erhöhte Blutungsneigung bis hin zur Massivblutung. Durch den Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten kann im weiteren Verlauf eine Verbrauchskoagulopathie entstehen. Die Diagnose wird anhand der Konstellation verschiedener Laborparameter gestellt; typisch ist bspw. eine Thrombozytopenie mit vermindertem Quick-Wert sowie eine Erhöhung von aPTT und D-Dimeren. Im Vordergrund stehen die kausale Therapie der Grunderkrankung sowie eine supportive Behandlung, bspw. mittels Transfusionen. Seltener ist eine Gabe von Heparin zur Antikoagulation oder von Tranexamsäure zur Antifibrinolyse notwendig. Das Krankheitsbild erfordert eine sorgfältige Überwachung und interdisziplinäre Absprachen zur Berücksichtigung intensivmedizinischer und hämatologischer Aspekte.
Definition
Disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC)
- Definition gemäß ISTH : Erworbenes Syndrom mit systemischer intravaskulärer Aktivierung der Gerinnungskaskade aufgrund verschiedener Ursachen [1]
- Mikrozirkulationsstörungen können sowohl Ursache als auch Folge sein
- Infolge der Mikrozirkulationsstörungen können Organschäden entstehen
Unterscheidung nach Ausprägung der Symptomatik
- Latente Form (engl.: „non-overt DIC“)
- Synonyme: Asymptomatische DIC, kompensierte DIC, frühe DIC
- Symptome: Subklinisch bzw. klinisch stumm
- Symptomatische Form (engl.: „overt DIC“)
- Synonyme: Manifeste DIC, dekompensierte DIC (Maximalvariante: fulminante DIC)
- Symptome: Unterschiedlich (je nach Pathomechanismus)
Unterscheidung nach Verlauf [2]
- Akute Form
- Chronische Form
Unterscheidung nach Ursache
- Sepsisinduzierte Koagulopathie, SIK (engl.: „sepsis-induced coagulopathy“, SIC) [3]
- Koagulopathie nach Schädel-Hirn-Trauma (engl.: „traumatic brain injury-associated coagulopathy“, TBI-associated coagulopathy) [4]
Die DIC ist ein erworbenes Krankheitsbild, das durch Thrombosen, Blutungen und Organversagen gekennzeichnet ist!
Die traumainduzierte Koagulopathie (TIK) wird als eigenständiges, von der DIC abzugrenzendes Krankheitsbild betrachtet! [5][6]
Verbrauchskoagulopathie
- Definition: Hyperfibrinolyse (Folge: Gerinnungsstörung und Blutungen) plus Hyperkoagulabilität (Folge: Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren)
- Synonym: Im klinischen Alltag oft synonym verwendet zum Begriff DIC
Epidemiologie
- Inzidenz: Insg. sehr variabel
- Abhängig von der Vorerkrankung
- Außerklinischer Herzstillstand: 10–30%
- Schädel-Hirn-Trauma: 30–40%
- Sepsis: 30–60%
- Abhängig vom Setting
- Geburtshilfe: <0,5%
- Intensivmedizin: 10–30%
- Abhängig von der Vorerkrankung
- 30-Tage-Mortalität: 20–45% (je nach Grunderkrankung)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Infektionen/Sepsis
- Gewebetrauma
- Verbrennungen
- Polytrauma
- Schädel-Hirn-Trauma
- Fettembolie
- Operative Eingriffe
- Rhabdomyolyse
- Schwangerschaftskomplikationen
- Organversagen
- Maligne Erkrankungen
- Hämatologische Erkrankungen, bspw. AML
- Solide Tumoren (insb. Adenokarzinome)
- Immunologische Reaktionen
- Vaskuläre Anomalien
- Aortenaneurysma
- Kasabach-Merritt-Syndrom
- Vaskulitiden
- Verdünnung des Blutes
- Massivtransfusion
- Massivblutung
- Gabe großer Infusionsmengen (Hypervolämie)
- Nebenwirkungen von Medikamenten, bspw. [12]
- Fibrinolytika
- Aprotinin
- Cumarine
- Amphetamine
- Weitere
- Toxine
- Insektenbisse/-stiche
- Schlangengift
Zu den häufigsten Ursachen einer DIC zählen Sepsis, maligne Erkrankungen, Trauma und geburtshilfliche Komplikationen! [9]
Pathophysiologie
Übersicht [8][9][10][15]
- Zentral ist immer eine systemische Gerinnungsaktivierung aufgrund einer Grunderkrankung bzw. eines Auslösers, einhergehend mit einer
- Aktivierung des extrinsischen Wegs der Gerinnung (Tissue Factor ↑)
- Exzessiven Bildung von Thrombin
- Thrombozytenaktivierung
- Folge der systemischen Gerinnungsaktivierung: Gestörte Antikoagulation
- Übermäßiger Verbrauch von Antithrombin und Protein C
- Dysfunktion des Tissue factor pathway inhibitor (TFPI)
- Zusätzlich abhängig von der Ursache: Gestörte Fibrinolyse
- Klinischer Phänotyp abhängig vom Zusammenspiel der Pathomechanismen
Die DIC kann als pathophysiologischer Prozess verstanden werden, in dessen Zentrum eine systemische Gerinnungsaktivierung steht!
Die Art der Aktivierung ist abhängig von der Grunderkrankung, die weiterhin das Ausmaß der Fibrinolyse und damit die klinische Präsentation beeinflusst!
Spezifische Pathomechanismen
- Prothrombotische Tendenz
- Gewebethromboplastin↑ → Aktivierung von Thrombin → Bildung von Fibrin → Mikrothromben
- Plättchenaktivierender Faktor (PAF) und Thrombin ↑ → Aktivierung und Aggregation von Thrombozyten → Thrombozytenpfropf
- Antithrombin↓ und Protein C ↓ → Gerinnungshemmung↓ → Hyperkoagulabilität
- PAI-1↑ → Hemmung der Fibrinolyse → Mikrothromben
- Fibrinolytische Tendenz
- PAI-1↓ → Steigerung der Fibrinolyse → Blutungen
- Folge: Verbrauch von Thrombozyten, Gerinnungsfaktoren und Fibrinogen → Schwere Blutungen (Verbrauchskoagulopathie)
Phänotypen
- Thrombotischer Phänotyp, bspw. bei Entzündung oder Sepsis
-
Lipopolysaccharide und Zytokine ↑
- Produktion von Gewebethromboplastin (über Monozyten, Makrophagen und Endothelzellen) → Aktivierung von Thrombin
- Reduktion von Thrombomodulin → Aktivierung bzw. Beschleunigung der Gerinnung
- Überexpression von PAI-1 → Inhibition der Fibrinolyse (Hypofibrinolyse)
- Multiple Mikrothromben bei reduzierter Fibrinolyse → Mikrozirkulation↓ → Organversagen
-
Lipopolysaccharide und Zytokine ↑
- Fibrinolytischer Phänotyp, bspw. bei hämatologischen Erkrankungen
- Aktivierung des extrinsischen Wegs der Gerinnung
- Bildung von Faktor Xa und IXa → Aktivierung von Thrombin
- Expression von PAI-1 normal oder ↓ → Fibrinolyse ausreichend bzw. Hyperfibrinolyse [16][17]
- Mikrothromben und hämostatische Thromben werden aufgelöst → Blutungen
- Aktivierung des extrinsischen Wegs der Gerinnung
- Balancierter Phänotyp, bspw. bei soliden Tumoren
- Gerinnungsaktivierung und Fibrinolyse ↑ → Klinisch meist asymptomatisch
- Bei Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren → Blutungen
- Verbrauchskoagulopathie
- Hyperkoagulabilität und Hyperfibrinolyse
- Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren → Hämorrhagische Diathese
Phänotypen der DIC [18] | |||
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Thrombotischer Phänotyp | Balancierter Phänotyp | Fibrinolytischer Phänotyp | |
Thrombozyten | ↓ | ↓ | ↓ |
D-Dimere | ↑ | ↑ | ↑ |
Quick-Wert | ↓ | ↓ | ↓ |
Fibrinogen | ↑ | ↓ | ↓ |
PAI-1 | ↑ | Normal | Normal oder ↓ |
Antithrombin-Aktivität | ↓ | Normal | Normal oder ↓ |
Einteilung anhand diagnostischer Kriterien
Einteilung der disseminierten intravasalen Koagulopathie | ||
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Typ | Beschreibung | Gerinnungsdiagnostik |
Typ 1 – DIC mit Blutung |
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Typ 2 – DIC mit Organversagen |
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Typ 3 – DIC mit massiver Blutung |
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Typ 4 – Asymptomatische DIC |
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Unabhängig von der Einteilung muss immer die Grunderkrankung bzw. der Auslöser behandelt werden!
Symptomatik
Die klinische Manifestation hängt vom Ausmaß der Hämostasestörung und der Grunderkrankung sowie deren Interaktion ab:
- Blutungen, bspw.
- Epistaxis, Hämoptysen
- Hämatemesis, Hämatochezie oder Meläna, Hämaturie
- Purpura, Ekchymosen, Petechien
- Postoperative Nachblutungen, Blutungen aus Wunden oder i.v. Zugängen
- Massivblutung mit Blutansammlung in Körperhöhlen
- Organversagen
- Akute Nierenschädigung: Oligurie
- Akutes Leberversagen: Ikterus
- ARDS: Dyspnoe, Zyanose, feinblasige Rasselgeräusche
- Lungenembolie: Dyspnoe, Tachypnoe, atemabhängige Thoraxschmerzen
- Tiefe Beinvenenthrombose: Schwellung der unteren Extremität, dumpfer Schmerz, Zyanose
- Neurologische Symptome: Bewusstseinsstörungen, Schlaganfall
- Purpura fulminans: Ausgedehnte, rasch fortschreitende Hautnekrosen
- Waterhouse-Friderichsen-Syndrom: Nebennierenrindeninsuffizienz
- Schock
- Nekrose der Akren
Die klinische Präsentation ist unspezifisch und abhängig vom zugrundeliegenden Krankheitsbild!
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Fokussierte Untersuchung je nach Grunderkrankung
- Vitalparameter
- Inkl. Körpertemperatur und Bewusstsein
- Anzeichen eines Schocks?
- Inspektion
- Anzeichen für hämorrhagische Diathese oder Blutung?
- Anzeichen für Thrombose? (siehe auch: Diagnostik der Phlebothrombose)
- Anzeichen für Mikrozirkulationsstörung?
- Auskultation/Perkussion: Hinweise auf Blutansammlung in Körperhöhlen?
- Siehe auch: Disseminierte intravasale Koagulopathie - Symptome/Klinik
Labordiagnostik [19][21][22]
Basisdiagnostik
- Gerinnungsparameter: Wiederholung der Laborkontrolle (bspw. alle 6–8 h, bis sich der klinische Zustand stabilisiert oder verbessert hat)
- aPTT↑, Quick-Wert↓
- Fibrinogen↓: Marker für Fibrinolyse
- D-Dimere↑ oder andere Fibrin(ogen)-Spaltprodukte (FSP)↑ [9]: Marker für Fibrinolyse
- Blutungszeit↑
- Blutbild und Blutausstrich
- Thrombozyten↓: Durch erhöhten Verbrauch und/oder Blutung
- Hämatokrit↓: Durch Blutung
- Schistozyten: Marker für eine mikroangiopathische hämolytische Anämie
- Weitere Tests zu Organfunktionen
- Bspw. Nieren- oder Leberwerte
- Abhängig von der Grunderkrankung und der klinischen Präsentation
- Zu beachten
- Ein einzelner diagnostischer Test kann eine DIC nicht zuverlässig ausschließen oder diagnostizieren
- Latente Form fällt lediglich durch laborchemische und Verlaufsveränderungen auf
- Zahlreiche ähnliche Differenzialdiagnosen sind zu berücksichtigen
- Häufig zum Zeitpunkt der Diagnose bereits irreversible Dekompensation vorhanden
Die Diagnose basiert nicht auf einzelnen Laborparametern. Wegweisend ist stattdessen die Kombination aus einer prädisponierenden Grunderkrankung, einer fortschreitenden Verminderung der Thrombozyten, des Quick-Wertes und des Fibrinogens sowie einer Erhöhung von D-Dimeren und aPTT!
Erweiterte Diagnostik
- Zur Einteilung der disseminierten intravasalen Koagulopathie
- Lösliches Fibrin (Thrombin-gespaltenes Fibrinogen bzw. Fibrinmonomere)
- Thrombin-Antithrombin-Komplex (TAT-Komplex)
- Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1)
- α2-Antiplasmin
- Weitere Gerinnungsfaktoren bzw. -inhibitoren, die verbraucht werden
- Gerinnungsfaktoren: Faktor V und Faktor VIII
- Gerinnungshemmer: Protein C und Antithrombin
- Laborchemische Marker je nach Subtyp [19]
- DIC mit Blutung: Fibrinogen, Fibrin-Spaltprodukte und α2-Antiplasmin
- DIC mit Organversagen: Quick-Wert, Thrombozyten, Antithrombin
- DIC mit massiver Blutung: Quick-Wert, Fibrinogen und Thrombozyten
- Asymptomatische DIC: Lösliches Fibrin, Thrombin-Antithrombin-Komplex
- Zur Therapieüberwachung und -steuerung
- Bei Anwendung von Heparin: Monitoring über Anti-Xa-Kontrollen
- Siehe auch: Therapeutische Antikoagulation mit NMH
- Zur Abschätzung der Prognose: Weitere Spezialtests [23]
- Viskoelastische Testverfahren
- Klinische Anwendung zur Diagnostik, Klassifikation und Überwachung einer DIC bei kritischer Erkrankung (bspw. septischer Schock)
- Zunehmende Anwendung als Point-of-Care-Test zur Therapiesteuerung von Transfusionen bei hohem Risiko für Massivblutung (bspw. Trauma, peripartale Blutungen)
- Häufig genutzte Tests: Thrombelastogramm, Rotationsthrombelastometrie (ROTEM)
DIC-Score der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) [1]
DIC-Score der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) | ||
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Parameter | Wert | Punkte |
Thrombozytenzahl (×104/μL) | >10 | 0 |
<10 | 1 | |
<5 | 2 | |
Quick-Wert (%) | >70 | 0 |
<70 | 1 | |
<50 | 2 | |
Kein Anstieg | 0 | |
Moderater Anstieg | 2 | |
Starker Anstieg | 3 | |
Fibrinogen (mg/dL) | >100 | 0 |
<100 | 1 | |
Interpretation DIC-Score ≥5 → Manifeste DIC wahrscheinlich, daher engmaschige Überwachung indiziert! DIC-Score <5 → Keine DIC oder latente DIC möglich, Kontrolle in 1–2 Tagen indiziert! |
Anhand des DIC-Scores der ISTH ist kein sicherer Ausschluss einer DIC möglich!
Vergleich von DIC-Scores [10][19]
Vergleich von DIC-Scores [10][19] | |||
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ISTH-Score | JMHLW-Score | JAAM-Score | |
Vorteile |
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|
|
Nachteile |
|
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Geeignet für | |||
Nicht geeignet für | |||
Kriterien | |||
Grunderkrankung |
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|
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Klinische Symptomatik | — |
|
|
Thrombozytenzahl (×104/μL) |
|
|
|
Fibrin-Marker |
|
| |
Fibrinogen (mg/dL) |
|
| — |
Gerinnungsparameter |
|
|
|
Grenzwert für Diagnose |
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Differenzialdiagnosen
- Verminderte Produktion von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren
- Chronische Lebererkrankung im fortgeschrittenen Stadium
- Vitamin-K-Mangel oder Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten
- Myelosuppression
- Hämophilie
- Schädigung von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren [24]
- Erhöhter Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren
- Tiefe Beinvenenthrombose / Lungenembolie
- Operationen
- Akute Infektionen
- Verlust von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren
- Verdünnungskoagulopathie, bspw. infolge einer Massivtransfusion
- Kapillarlecksyndrom
Differenzialdiagnosen nach Laborbefund [2]
Differenzialdiagnosen der disseminierten intravasalen Koagulopathie | ||||||
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Thrombozyten | Blutungszeit | Quick-Wert | aPTT | Fibrinogen | D-Dimere | |
DIC | ↓ | ↑ | ↓ | ↑ | Variabel (typischerweise ↓) | ↑ |
Thrombotische Mikroangiopathien | ↓↓ | ↑ | Normal | Normal | Normal | Normal oder ↑ |
Heparin-induzierte Thrombozytopenie | ↓ | ↑ | Normal oder ↓ | Normal oder ↑ | Normal | ↑ |
Immunthrombozytopenie | ↓ | ↑ | Normal | Normal | Normal | Normal oder ↑ |
Lebererkrankung | Normal oder ↓ | Normal oder ↑ | ↓ | ↑ | Normal oder ↓ | Normal oder ↑ |
Vitamin-K-Mangel oder Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten | Normal | Normal | ↓ | Normal oder ↑ | Normal | Normal |
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Generelle Prinzipien [28]
- Kausale Behandlung: Therapie der Grunderkrankung, bspw.
- Gabe von Antibiotika und/oder chirurgische Infektsanierung, bspw. Anlage einer Drainage bei Infektion
- Operation und/oder Chemotherapie bei maligner Erkrankung
- Zügige Entbindung bzw. operative Geburtshilfe bei geburtshilflichen Komplikationen [7]
- Supportive Behandlung: Gerinnungstherapie
- Frühes Stadium bzw. thrombotischer Phänotyp
- Ziel: Unterbrechung der unspezifischen Gerinnungsaktivierung
- Durchführung: Gabe von Antikoagulanzien
- Spätes Stadium bzw. fibrinolytischer Phänotyp
- Ziel: Therapie oder Prophylaxe von Blutungen durch bedarfsgerechte Gabe von Blutprodukten
- Durchführung
- Gabe von Antikoagulanzien beenden
- Substitutionstherapie mit Thrombozytenkonzentraten, Faktorenkonzentraten oder ggf. therapeutischem Plasma
- Frühe Konsultation von spezialisiertem Fachpersonal
- Gabe von Vitamin K bei V.a. auf Vitamin-K-Mangel [25][29]
- Invasive Prozeduren möglichst vermeiden
- Frühes Stadium bzw. thrombotischer Phänotyp
- Überwachung: Regelmäßige klinische und Laborkontrollen zur Therapiesteuerung, bspw. alle 6–8 h
Übersicht zur Therapie der DIC [9][19] | |
---|---|
DIC mit (massiver) Blutung |
|
DIC mit Organversagen |
|
Asymptomatische DIC |
|
Die Basis bildet die Therapie der auslösenden Grunderkrankung! [27]
Bei einer DIC mit thrombotischem Phänotyp erfolgt initial die Gabe von Antikoagulanzien! Bei einem fibrinolytischen Phänotyp werden zunächst Thrombozytenkonzentrate, therapeutisches Plasma und Faktorenkonzentrate gegeben! [28]
Transfusionen und Blutprodukte [22][27][28]
Die Entscheidung für eine Transfusion wird bei Vorhandensein einer Blutung oder bei erhöhtem Blutungsrisiko getroffen. Laborparameter können zusammen mit der klinischen Situation zur Therapiesteuerung dienen. Eine interdisziplinäre Absprache mit spezialisiertem Fachpersonal ist obligat.
- Thrombozytenkonzentrate
- Indikationen [7][9]
- Aktive Blutung und Thrombozytenzahl <50.000/mm3
- Hohes Blutungsrisiko und Thrombozytenzahl <20.000/mm3
- Siehe auch: Indikationsstellung zur Transfusion von Thrombozytenkonzentraten
- Therapieziel: Thrombozytenzahl >30.000–50.000/mm3
- Anwendung: Siehe Transfusion von Thrombozytenkonzentraten - AMBOSS-SOP
- Indikationen [7][9]
- Therapeutisches Plasma [26]
- Indikationen [28]
- Aktive Blutung bzw. hohes Blutungsrisiko und >1,5-fach verlängerte aPTT oder Fibrinogen <150 mg/dL
- Keine prophylaktische Gabe
- Siehe auch: Indikationsstellung zur Transfusion von Plasmakonzentraten
- Therapieziele [25]
- Prothrombinzeit <3 s
- Fibrinogen >150 mg/dL
- Anwendung
- Initial bspw. Gabe von 10–15 mL/kgKG , um die Antithrombin-Aktivität auf 70% anzuheben [30]
- Siehe auch: Transfusion von Plasmakonzentraten - AMBOSS-SOP
- Indikationen [28]
- Prothrombinkonzentrat (PPSB)
- Indikationen
- Aktive Blutung und Mangel an Prothrombinkomplex-Faktoren
- Kontraindikation für therapeutisches Plasma (bspw. drohende Hypervolämie)
- Therapieziele [25]
- Prothrombinzeit <3 s [28]
- Fibrinogen >150 mg/dL
- Zu beachten
- Korrigiert die Koagulopathie nur unvollständig
- Kann die Balance hin zur Thrombose/Gerinnungsneigung verschieben
- Obligate Überwachung von Antithrombin und Protein-C
- Indikationen
- Erythrozytenkonzentrate
- Indikationen
- Aktive Blutung
- Hb ≤7 g/dL
- Siehe auch: Indikationsstellung zur EK-Transfusion
- Anwendung: Siehe Transfusion von Erythrozytenkonzentraten - AMBOSS-SOP und Massivtransfusion - AMBOSS-SOP
- Indikationen
- Weitere Blutprodukte: Individuell abzuwägen
- Antithrombin-III-Konzentrat
- Indikation: Meist im Rahmen von klinischen Studien; folgende Voraussetzungen
- Vorhandensein einer Grunderkrankung für DIC
- Symptome von Organdysfunktionen
- Typische laborchemische Veränderungen
- Therapieziele: Antithrombin-Aktivität >70%
- Zu beachten
- Keine Gabe bei aktiver Blutung oder bei asymptomatischem Verlauf
- Studien zeigten eine signifikant reduzierte Krankheitsdauer und verbesserte Organfunktionen, jedoch ein unverändertes Mortalitätsrisiko
- Indikation: Meist im Rahmen von klinischen Studien; folgende Voraussetzungen
- Fibrinogenkonzentrat
- Indikation: Schwerer Fibrinogen-Mangel (<1 g/L)
- Zu beachten: Potenziell riskant, da die Substitution von Fibrinogen ein Organversagen fördern kann
- Protein-C-Konzentrat: Bei Purpura fulminans erwägen
- Kryopräzipitat: Bei DIC mit massiver Blutung (nicht in Europa, jedoch bspw. in den USA und UK) [31]
- Antithrombin-III-Konzentrat
Eine prophylaktische Gabe von therapeutischem Plasma ist nicht indiziert! [28]
Antikoagulanzien [32]
- Thromboseprophylaxe mit Heparin
- Indikation: Kritische Erkrankung ohne klinische Blutungszeichen
- Therapieziele: Prävention einer Thrombose
- Anwendung
- NMH oder UFH
- Siehe: Medikamentöse Thromboseprophylaxe
- Therapeutische Antikoagulation mit Heparin
- Indikation: Auftreten von Thrombosen (bspw. Phlebothrombose/Lungenembolie)
- Therapieziele: Therapie und Rezidivprophylaxe einer Thrombose
- Anwendung
- NMH: Ggf. bevorzugt anwenden
- UFH: Bevorzugt anwenden bei hohem Blutungsrisiko
- Siehe: Therapeutische Antikoagulation – klinische Anwendung
Die Gabe von Heparin ist gängige klinische Praxis bei Überwiegen der thrombotischen Komponente, trotz einer mangelhaften Studienlage! [26]
Antifibrinolytika
- Tranexamsäure
- Indikation
- Keine routinemäßige Anwendung
- Erwägen bei schwerer Blutung und ausgeprägter Hyperfibrinolyse
- Kontraindikationen
- Asymptomatische DIC
- DIC mit Organversagen
- Behandlung mit All-trans-Retinsäure
- Zu beachten: Anwendung frühzeitig erwägen
- Indikation
- Aminocapronsäure: Generell kontraindiziert bei DIC
Bei einer DIC sollte kein Vitamin-K-Antagonist gegeben und keine medikamentöse Fibrinolyse durchgeführt werden!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- D65.-: Disseminierte intravasale Gerinnung [Defibrinationssyndrom]
- Inklusive: Purpura fulminans
- Exklusive: Als Komplikation bei(m):
- Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O00-O07, O08.1)
- Neugeborenen (P60)
- Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett (O45.0, O46.0, O67.0, O72.3)
- D65.0: Erworbene Afibrinogenämie
- D65.1: Disseminierte intravasale Gerinnung [DIG, DIC]
- D65.2: Erworbene Fibrinolyseblutung
- Purpura fibrinolytica
- D65.9: Defibrinationssyndrom, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.