Zusammenfassung
Eine Milzruptur wird meist durch ein stumpfes Abdominaltrauma verursacht. Selten kann es auch zu Spontanrupturen im Rahmen infektiöser, entzündlicher oder hämatologischer Erkrankungen kommen. Man unterscheidet die akute, einzeitige Ruptur von der zweizeitigen Ruptur, die nach einem symptomfreien Intervall von mehreren Tagen bis Wochen eintreten kann. Da eine Milzruptur zu massiven intraabdominellen Blutungen führen kann, gilt sie bis zur eindeutigen Abklärung des Verletzungsausmaßes stets als Notfall. Je nach Ausmaß der Schädigung, Begleitverletzungen und patientenabhängigen Faktoren kann unter engmaschiger Kontrolle eine stationäre konservative Therapie erfolgen, bspw. bei hämodynamischer Stabilität und fehlender aktiver Blutung. Oft ist jedoch ein operatives Vorgehen notwendig. In diesem Fall wird bevorzugt eine milzerhaltende Operation durchgeführt, bei ausgedehnten Verletzungen und Beteiligung des Milzhilus ist dagegen eine Splenektomie indiziert.
Epidemiologie
- Traumatische Milzruptur: Häufigste abdominelle Beteiligung bei Patienten mit Polytrauma [1]
- Davon ca. 5–6% zweizeitige Milzrupturen (bei Kindern geringer)
- Spontane Milzruptur: Vergleichsweise deutlich seltener [2]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Traumatische Milzruptur
- Stumpfes (geschlossenes) Bauchtrauma: Hauptursache Verkehrsunfälle
- Direktes (penetrierendes) Bauchtrauma, bspw. Messerstich, Schussverletzung
- Linksseitiges Thoraxtrauma
- Iatrogen, bspw. bei Operationen, Koloskopie
- Spontane Milzruptur: Splenomegalie, bspw. im Rahmen von
- Malaria
- Mononukleose
- Hämatologischen Erkrankungen
Jedes Trauma des Abdomens kann eine Milzruptur verursachen!
Klassifikation
Klassifikation der Milzverletzungen nach der American Association for the Surgery of Trauma (AAST) [1]
AAST-Grad | Verletzung | |
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Lazeration | Hämatom | |
I |
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II |
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III |
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IV |
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V |
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Klassifikation der Milzverletzungen nach der World Society of Emergency Surgery (WSES) (Stand 2019) [3]
WSES-Grad | AAST-Grad | Kreislaufverhältnisse | |
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Leicht |
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Mittel |
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Schwer |
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Klassifikation von Milzverletzungen nach Buntain und Gould [4]
Grad | Verletzung | Untergruppe A | Untergruppe B | Untergruppe C |
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I |
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II |
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III |
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IV |
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Pathophysiologie
Anatomische Grundlagen [4]
- Lage der Milz
- Intraperitoneal, im linken Oberbauch auf Höhe der 9.–11. Rippe
- Fixation in der Umgebung durch Lig. splenorenale, Lig. phrenicosplenicum und Lig. gastrosplenicum
- Enge topografische Beziehung zu : Zwerchfell, Magen (intraperitoneal), Colon (transversum: intraperitoneal, descendens: retroperitoneal), linker Niere sowie Pankreas (beide retroperitoneal), Nebenmilzen
- Durchblutung [1]
- Arterielle Gefäßversorgung v.a. aus dem Truncus coeliacus über die A. splenica, ca. 3–5% des Herzzeitvolumens
- Venöse Drainage über die V. splenica
Funktion der Milz
- Sekundär lymphatisches Organ
-
Blutzellmauserung: Abbau alter Erythrozyten und Thrombozyten
- Speichert bis zu 25% der im Kreislauf zirkulierenden Thrombozyten als Reserve [1]
- Splenektomie: Verlust dieser Speicherfunktion → Thrombozytose
Pathomechanismus [1]
- Traumatische Milzruptur
- Einzeitig: Verletzung der Milzkapsel und ggf. des Milzparenchyms → Akute intraabdominelle Blutung
- Zweizeitig: Verletzung des Milzparenchyms bei zunächst noch intakter Milzkapsel → Zentrales oder subkapsuläres Hämatom → Symptomfreies Intervall → Anschließend Ruptur der Kapsel mit intraabdomineller Blutung
- Bei Kindern: Geringerer Schutz durch die noch weichen Rippen und die schwächeren Bauchmuskeln
- Spontane (atraumatische) Milzruptur: Bei Erkrankungen mit Splenomegalie
Symptomatik
- Einzeitige Milzruptur: Klinische Symptomatik variabel (v.a. abhängig vom Blutverlust)
- Kreislauf: Stabil oder nicht stabil, bis zum hämorrhagischen Schock
- Diffuse leichte bis starke Schmerzen insb. im linken Oberbauch
- Ggf. Abwehrspannung (bis zum Oberbauchperitonismus)
- Ggf. Schmerzausstrahlung in die linke Schulter (Kehr-Zeichen) oder Druckschmerz an der linken Halsseite (Saegesser-Zeichen)
- Schmerzbedingte Schonatmung
- Ggf. Symptome begleitender Verletzungen
- Zweizeitige Milzruptur
- Direkt nach Trauma beschwerdefreies Intervall über Stunden bis Wochen
- Plötzlich einsetzende Schocksymptomatik, linksseitige Oberbauchschmerzen sowie weitere Symptome der einzeitigen Milzruptur
Bei zweizeitiger Ruptur ist eine verzögerte bzw. abgeschwächte Symptomatik typisch!
Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Zügig, fokussiert auf Unfallhergang bspw. nach SAMPLE-Schema
- Insb. achten auf
- Penetrierende Verletzung
- Prellmarken oder Hämatome
- Palpable Raumforderung im linken Oberbauch
- Druck- und Klopfschmerz im linken Oberbauch
- Abwehrspannung
- Bei Hochrasanztrauma: Polytrauma bzw. Begleitverletzungen ausschließen, siehe: Klinische Primärversorgung beim Polytrauma
Diagnostik
- Vitalparameter und Monitoring : Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz
- FAST (Sonografie): Goldstandard zur Diagnosesicherung, engmaschige Verlaufskontrollen obligat
- Labor
-
Blutbild: Engmaschige Verlaufskontrollen obligat
- Ggf. Hb-Abfall
- Nieren- und Leberwerte, Elektrolyte, Gerinnungsparameter
- Ggf. Kreuzblut und Bestimmung der Blutgruppe
- BGA (inkl. Lactat und Base Excess): Beurteilung der Schwere eines hämorrhagischen Schocks
- Urinstatus
- Frauen im gebärfähigen Alter: HCG (Schwangerschaftstest)
-
Blutbild: Engmaschige Verlaufskontrollen obligat
- Fakultative apparative Diagnostik
- CT Abdomen
- Indikation: Stabiler Patient mit Polytrauma, eingeschränkte Untersuchungsbedingungen, unklare Befunde
- Durchführung: Kontrastmittel i.v. und wenn möglich oral [1]
- Befund
- Scharfe Begrenzung der Milz aufgehoben
- Lazeration: Hypodenses oder inhomogenes Parenchym
- Ggf. Raumforderung im Sinne einer Blutung sichtbar
- Differenzialdiagnosen fokaler Läsionen bedenken
- CT-Angiografie
- Röntgen-Thorax: Ggf. Rippenserienfraktur
- Röntgen-Abdomen
- CT Abdomen
Der klinische V.a. eine Milzruptur ist ein Notfall! Im Vordergrund steht die Diagnosesicherung durch FAST, weiterführende Diagnostik sollte kritisch gegenüber dem Zeitverlust abgewogen werden!
Insb. bei konservativer Behandlung müssen engmaschige sonografische Verlaufsuntersuchungen durchgeführt werden!
Bei penetrierendem Trauma darf der Gegenstand nicht präoperativ entfernt werden, da sonst unkontrollierbare Blutungen drohen!
Bei instabilen Patienten mit Nachweis einer Milzruptur und/oder freier Flüssigkeit im Abdomen ist eine sofortige Notfalloperation indiziert!
Therapie
Therapeutisches Vorgehen [6][7]
AAST-Grad | Verletzungsmuster | Therapie | |
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Hämodynamisch stabil
| Hämodynamisch instabil / nicht stabilisierbar
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I |
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II |
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III |
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IV |
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V |
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Wenn der Kreislauf instabil ist oder unter Volumentherapie nicht stabilisiert werden kann, muss operiert werden!
Nicht-operative Therapie [6][7]
- Voraussetzungen
- Hämodynamisch stabile Patienten, isolierte stumpfe Milzverletzung
- Adäquate Versorgung und Überwachung möglich
- Vorteile
- Keine Laparotomie: Vermeidung damit verbundener Risiken, Vermeidung rein diagnostischer Eingriffe
- Niedrigere Mortalität
- Immunologische Funktion der Milz bleibt erhalten
- Vermeidung von OPSI
- Niedrigere systemische Infektionsraten
Konservativ [1]
- Indikation: Goldstandard bei AAST-Grad I
- Durchführung
- Stationäre, ggf. intensivmedizinische Überwachung
- Engmaschige Sonografie- und Laborkontrollen
Interventionell: Angiografie und Embolisation von Milzgefäßen
- Indikation
- Z.n. zahlreichen Voroperationen
- Leberzirrhose oder portale Hypertension mit schweren Umgehungskreisläufen
- Durchführung
- Angioembolisation mittels Schaum oder Coils
- Einsetzen von Metallstents
Operative Therapie [1][4][7]
- Indikation
- AAST-Grad >I
- Hämodynamisch instabiler Patient
- Gestörte Blutgerinnung
- Durchführung
- Mediane Laparotomie oder quere linksseitige Oberbauchlaparotomie
- Ggf. auch Rippenbogenrandschnitt links oder Laparoskopie
- Wahl des Verfahrens: Erfolgt intraoperativ
- Für allgemeine Hinweise zum perioperativen Management siehe
Milzerhaltende Verfahren [4]
- Indikation: Periphere Rupturen
- Splenorrhaphie: Blutstillung ohne Resektion
- Blutstillung mittels Infrarot-Koagulation, Laser, Ultraschalldissektor oder Klammernahtgerät
- Fibrinkleber
- Kollagenvlies-Einlage
- Ummantelung der Milz mit einem resorbierbaren Kunststoffnetz
- Übernähung (Parenchymnähte können allerdings zu weiteren Blutungen führen)
- Gefäßligatur
- Partielle Milzresektion
- Milzteilresektion von oberem/unterem Milzpol mit Laser, Ultraschall-Skalpell, Klammernahtgerät
- Subtotale Splenektomie: Resektion von 80–90% der Milz
- Near-total-Splenektomie: Resektion von bis zu 98% des Milzgewebes
Offene Splenektomie
- Indikation: Hilusrupturen oder vollständige Berstung
- Durchführung
- Mobilisation von dorsal
- Zügige Übersicht mit Blutungskontrolle
- Milz wird nach zentral luxiert, der Raum dorsal der Milz mit Bauchtüchern tamponiert
- Ggf. Reimplantation von Milzgewebe (Autotransplantation)
- Vorteile: Gute Sichtbarkeit, Verringerung der Blutung
- Nachteil: Höhere Rate an Pankreasfisteln
- Lebensgefährliche Komplikationen meist innerhalb der ersten 24 h
Nach Splenektomie kann das meist tödlich verlaufende OPSI-Syndrom auftreten!
Komplikationen
- Hämorrhagischer Schock
- Intraoperative Komplikationen
- Lebensbedrohliche Blutungen
- Verletzung von Pankreasschwanz, Magen, Kolon
- Postoperative Komplikationen
- Pulmonal: Basaler Pleuraerguss, Lungenatelektase links-basal, Pneumonie
- Im OP-Gebiet: Infektion des Milzbettes, Pseudozysten, Pseudoaneurysmen der Milzarterie, Pankreasfisteln, subphrenischer Abszess , Pankreatitis
- Immunologisch: Nach Splenektomie erhöhte Infektanfälligkeit, erhöhte Sepsisanfälligkeit, OPSI (siehe: Asplenie)
- Hämatologisch: Passagere Thrombozytose, thromboembolische Komplikationen (siehe: Asplenie)
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
Allgemeine Empfehlungen
- Sportkarenz für mind. 3–6 Wochen, je nach Sportart
- Weitere postoperative Empfehlungen siehe auch: Postoperatives Management auf der Station
Prophylaxe bei notfallmäßiger Splenektomie [4][5][8][9]
Prävention von Infektionen
- Antibiotikaprophylaxe
- Indikation: Kinder und Patienten mit hohem OPSI-Risiko
- Wirkstoffe
- Penicillin V
- Kinder <5 Jahre
- Kinder >5 Jahre
- Erwachsene
- Alternativ Amoxicillin
- Kinder
- Erwachsene
- Bei Penicillin-Allergie: Makrolide, z.B. Erythromycin oder Cephalosporine p.o.
- Kinder
- Erwachsene
- Penicillin V
- Dauer: Mind. 1–2 Jahre, nach subtotaler Splenektomie Dauer individuell anpassen
- Frühzeitige Antibiotika-Therapie bei fieberhaften Infekten
- Immunisierung innerhalb von ca. 2 Wochen nach dem Eingriff (nach Stabilisierung des Allgemeinzustandes)
- Jährliche Influenza-Impfung aufgrund des Risikos für bakterielle Superinfektionen (insb. Pneumokokken)
Prävention von Thrombosen nach Splenektomie
- Konsequente post- und perioperative Thromboseprophylaxe
- Dauer: Mind. 4 Wochen lang durchführen
- Wirkstoff und Dosierung: Mit NMH, siehe Thromboseprophylaxe - Operative Indikationen
- Verlaufskontrolle: Risikopatienten mittels Doppler-Ultraschall überwachen, ggf. D-Dimere bestimmen
- Behandlung mit ASS
- Umstritten, da es keine Evidenz für eine erhöhte Inzidenz von Thrombosen im arteriellen System gibt
- Einige Autoren empfehlen ASS zur Thrombozytenaggregationshemmung, insb. bei Thrombozytose >1.000.000/μL [4]
Prognose
- Letalität: 0–15% [10]
- Insb. abhängig von Begleitverletzungen (Multiorganverletzungen, Polytrauma)
- Bei isolierten Verletzungen der Milz: Prognose v.a. abhängig vom Alter des Patienten, Blutverlust
Besondere Patientengruppen
Milzruptur im Kindesalter [5]
- Ätiologie und Pathophysiologie
- 16–18 Jahre: Motorradunfälle
- 11–15 Jahre: Fahrradstürze
- 6–10 Jahre: Stürze aus größerer Höhe
- Allgemein: Verkehrsunfälle
- Meist im Rahmen von Polytraumen
- Bei Splenomegalie (z.B. bei Infektionen wie Pfeiffer-Drüsenfieber) auch Bagatelltrauma ausreichend
- Bei unplausiblem oder fehlendem Unfall: Kindesmisshandlung in Betracht ziehen
- Niedrigere Inzidenz der zweizeitigen Milzrupturen im Vergleich zu Erwachsenen
- Besonderheiten der Diagnostik
- Hämatokrit: Besser zur Beurteilung der Kreislaufsituation als der Schockindex
- Vitalparameter: Blutdruck niedrig, wenn <(70 + 2× Lebensalter) mmHg
- CT-Abdomen: Goldstandard
- Großzügige Indikation
- Keine Verlaufskontrolle
- Bei isolierter Milzverletzung und Kreislaufstabilität ggf. nicht notwendig
- MRT-Abdomen: Alternative bei hämodynamischer Stabilität
- Kontrastmittel-Sonografie
- Röntgen-Thorax
- Therapie
- In >90% konservative Therapie möglich
- Kontinuierliches Monitoring, intensivmedizinische Überwachung ab AAST-Grad III obligat für mind. 24 h
- Transfusion ab Hb <7–8 g/dL oder bei Hämatokritabfall unter 21%
- I.d.R. keine interventionelle Therapie
- OP-Indikation: Hämodynamische Instabilität mit erhöhtem Transfusionsbedarf (20–40 mL/kgKG über 24 h)
- Ziel der operativen Therapie: Milzerhalt
- Komplikationen: Auftreten meist innerhalb der ersten 24 h
- Ca. 10-fach erhöhtes OPSI-Risiko bei Säuglingen und Kleinkindern
- Nach konservativer Therapie: Bauchschmerzen >4 Wochen
- Thrombose
- Abszess
- Zweizeitige Ruptur
- Nachsorge
- Ggf. sonografische Verlaufskontrollen
- Nach Splenektomie: Siehe Prophylaxe bei notfallmäßiger Splenektomie
Bei unglaubwürdiger Anamnese sollte eine Plausibilitätsprüfung bei V.a. Kindesmisshandlung durchgeführt werden!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S36.-: Verletzung von intraabdominalen Organen
- S36.0-: Verletzung der Milz
- S36.00: Verletzung der Milz, nicht näher bezeichnet
- S36.01: Hämatom der Milz
- S36.02: Kapselriss der Milz, ohne größeren Einriss des Parenchyms
- S36.03: Rissverletzung der Milz mit Beteiligung des Parenchyms
- S36.04: Massive Parenchymruptur der Milz
- Abriss des Milzhilus
- Exklusive: Verletzung der A. lienalis (S35.2), Verletzung der V. lienalis (S35.3)
- Abriss des Milzhilus
- S36.08: Sonstige Verletzungen der Milz
- S36.0-: Verletzung der Milz
- D73.5: Infarzierung der Milz
- Milzruptur, nichttraumatisch Milztorsion
- Exklusive: Traumatische Milzruptur (S36.04)
- P15.1: Geburtsverletzung der Milz
- Milzruptur durch Geburtsverletzung
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.