Zusammenfassung
Supraventrikuläre Tachykardien sind die häufigsten symptomatischen Tachyarrhythmien im Kindes- und Jugendalter. Sie können asymptomatisch verlaufen oder zu unspezifischen Symptomen wie Unwohlsein oder Schwindel führen. Akute Beschwerden bis hin zur Herzinsuffizienz und selten einem plötzlichen Herztod sind jedoch ebenfalls möglich. Im Kindes- und Jugendalter kommen meist atrioventrikuläre Reentrytachykardien (AVRT) durch akzessorische Leitungsbahnen vor (bspw. Wolff-Parkinson-White-Syndrom). Die zweithäufigste Form ist die AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT). Zusammengefasst sind sie die Gruppe der paroxysmalen SVT, die sich durch einen abrupten Beginn und eine starre Herzfrequenz auszeichnen. Im EKG haben SVT mehrheitlich schmale QRS-Komplexe, die P-Wellen sind irregulär oder nicht identifizierbar. Akut kann der Reentrykreislauf durch Vagusreizung oder durch einen raschen Adenosin-Bolus über eine herznahe Vene unterbrochen werden. Bei hämodynamischer Instabilität sollte eine elektrische Kardioversion erfolgen. Die Dauerprophylaxe erneuter SVT erfolgt bei Neugeborenen und Säuglingen medikamentös, bspw. mit Flecainid. Dank der häufigen Spontanremission kann sie meist nach einem Jahr abgesetzt werden. Bei älteren Kindern mit rezidivierenden SVT wird großzügig die Indikation zur Katheterablation der akzessorischen Leitungsbahn gestellt.
Dieses Kapitel ist im Rahmen unserer Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. (DGPK) unter Mitautorenschaft von Prof. Dr. med. Robert Dalla Pozza entstanden.
Definition
- Tachykardie mit Ursprung und Aufrechterhaltung der Erregung proximal des His-Bündels
Epidemiologie
- Prävalenz: 2,25/1.000 Kinder und Jugendliche
- Inzidenz: Jährlich 13/100.000 Kinder und Jugendliche
- Formen
- Häufigste (90%): Atrioventrikuläre Reentrytachykardie (AVRT) durch akzessorische Leitungsbahnen
- Manifestationsalter: Neugeborenenalter, spätere Manifestation bis ins Erwachsenenalter möglich
- Assoziation mit angeborenen Herzfehlern (z.B. Ebstein-Anomalie, Trikuspidalatresie, TGA) möglich
- Siehe auch: Atrioventrikuläre Reentrytachykardie und Wolff-Parkinson-White-Syndrom
- Zweithäufigste: AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT) durch duale, dysfunktionale AV-Knoten-Leitungsbahnen
- Manifestationsalter: Jugend, selten Schulalter
- Siehe auch: AV-Knoten-Reentrytachykardie
- Häufigste (90%): Atrioventrikuläre Reentrytachykardie (AVRT) durch akzessorische Leitungsbahnen
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
- Atrioventrikuläre Reentrytachykardie (AVRT)
- Anatomie: Akzessorische atrioventrikuläre Leitungsbahn (ggf. mit Präexzitation)
- Kreisende Erregung: Zwischen Vorhof und Kammer
- Mögliche Komplikationen
- AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT)
- Anatomie: Zwei funktionell getrennte Leitungsbahnen im AV-Knoten
- Schnell leitende Bahn mit langer Refraktärzeit
- Langsam leitende Bahn mit kurzer Refraktärzeit
- Kreisende Erregung: Im AV-Knoten
- Bei normalem Sinusrhythmus: Erregungsweiterleitung über schnell leitende Bahn → Keine AVNRT
- Bei supraventrikulärer Extrasystole (SVES): Erregungsweiterleitung über langsam leitende Bahn und retrograde Reizleitung in der schnellen Leitungsbahn → AVNRT
- Anatomie: Zwei funktionell getrennte Leitungsbahnen im AV-Knoten
Bei einer AVNRT besteht im Gegensatz zu einer AVRT i.d.R. kein hohes Risiko für Kammerflimmern!
Je länger eine SVT (mit Kammerfrequenzen >220/min) anhält, desto höher ist das Risiko für eine eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion!
Symptomatik
- Plötzlicher Beginn (und plötzliches Ende)
- Blässe
- Schwäche, Lethargie
- Schwindel
- Dyspnoe
- Unwohlsein
- Palpitationen
- Selten pektanginöse Beschwerden
- Selten Synkope
- Ggf. Symptome einer Herzinsuffizienz
Diagnostik
Diagnostische Maßnahmen [1]
- Akutdiagnostik
- Körperliche Untersuchung (insb. Herzauskultation)
- 12-Kanal-EKG mit langem Rhythmusstreifen
- Blutdruck- und spO2-Messung
- Weiterführende Diagnostik
- Belastungs-EKG, Langzeit-EKG, ggf. Event-Recorder
- Echokardiografie
- Labordiagnostik (TSH, fT4)
- Elektrophysiologische Untersuchung (EPU)
- Ggf. Auswertung des internen Speichers eines Herzschrittmachers oder implantierbaren Cardioverter-Defibrillators (ICD)
Typische EKG-Befunde [1][2]
Typische EKG-Befunde der supraventrikulären Tachykardien im Kindes- und Jugendalter | ||
---|---|---|
Bei AVRT | Bei AVNRT | |
Beginn (und ggf. Ende) |
| |
Rhythmus |
| |
Herzfrequenz |
|
|
P-Welle |
|
|
QRS-Komplex |
|
|
Im Sinusrhythmus |
|
|
Bei Tachykardien mit verbreitertem QRS-Komplex muss vorerst von einer ventrikulären Tachykardie ausgegangen werden!
Die Deltawellen bei Präexzitationssyndrom sind nur außerhalb der Tachykardie im Sinusrhythmus zu sehen!
Differenzialdiagnosen
- Sinustachykardie
- Vorhofflimmern
- Intraatriale Reentry-Tachykardien inkl. Vorhofflattern
- Postoperative junktionale ektope Tachykardie
- Ektope atriale Tachykardie (auch fokale atriale Tachykardie genannt)
- Permanente junktionale Reentry-Tachykardie (PJRT)
- Siehe auch: Differenzialdiagnostik von Schmalkomplextachykardien
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Akuttherapie [1]
- Ziel: Unterbrechung der kreisenden Erregung durch Blockade der Überleitung im AV-Knoten
- Indikation [4]
- Starre Tachykardie: Neugeborene und Säuglinge >220/min, Kinder und Jugendliche >180/min und
- Schmale QRS-Komplexe <90 ms und
- Irreguläre oder nicht-identifizierbare P-Wellen
- Monitoring: Kontinuierliche EKG-Ableitung
- Bei Kreislaufstillstand siehe auch: Reanimation von Kindern - AMBOSS-SOP
Bei hämodynamischer Stabilität
Vagusreizung
- Ziel: Unterbrechung des Reentry-Kreislaufs mit möglichst geringem Zeitverlust
- Mögliche Manöver: Abhängig vom Alter
- Neugeborene und Säuglinge
- Mit einem Spatel Würgereiz auslösen
- Magensonde legen
- Eisbeutel auf das Gesicht legen
- Kinder und Jugendliche
- Valsalva-Pressversuch durchführen lassen
- Schnell eiskaltes Getränk trinken lassen
- Karotissinus massieren
- Gesicht in sehr kaltes Wasser tauchen
- Neugeborene und Säuglinge
- Erfolgsrate: 30–60%
Medikamentöse Akuttherapie
- Adenosin i.v. (erste Wahl)
- Alter <1 Monat
- Alter ≥1 Monat bis <18 Jahren
- Anwendungshinweise
- Rasch und über herznahe Vene applizieren und sofort mit 5 mL NaCl 0,9% nachspülen
- Bei Persistenz: Dosissteigerung
- Bei frühem Rezidiv: Wirkstoffwechsel
- Häufige Nebenwirkungen : Flush, Atemnot, Induktion ventrikulärer Arrhythmien
- Wichtige Kontraindikationen: AV-Block II° und III°, Vorhofflimmern/-flattern, Sick-Sinus-Syndrom, schweres Asthma bronchiale, verlängertes QT-Intervall, dekompensierte Herzinsuffizienz
- Alternative bei Kindern ≥6 Jahren: Verapamil (zugelassen ab 1 Jahr, Cave: bei Präexzitationssyndrom kontraindiziert)
- Bei frühem Rezidiv einer SVT: Antiarrhythmika der Klasse Ic oder Amiodaron unter Hinzuziehen der Kinderkardiologie/Intensivmedizin
- Flecainid i.v. (Off-Label Use <12 Jahren)
- Propafenon i.v. (Off-Label Use)
- Amiodaron i.v. (Off-Label Use)
Adenosin muss wegen der extrem kurzen HWZ von <10 s über eine herznahe Vene rasch appliziert werden! Anschließend sollte über einen 3-Wege-Hahn schnell mit 5 mL NaCl 0,9% nachgespült werden!
Bei hämodynamischer Instabilität
Elektrische Kardioversion [1]
- Durchführung
- In Sedierung (möglichst ohne Zeitverlust)
- R-Zacken-synchronisiert mit 1 J/kgKG
- Bei Erfolglosigkeit: Wiederholung mit 2 J/kgKG
Dauertherapie zur Rezidivprophylaxe
- Ziel: Erneute symptomatische und ggf. vital bedrohliche SVT verhindern
- Therapieform: Medikamentös oder katheterablativ (abhängig vom Lebensalter )
Medikamentöse Dauertherapie
- Indikationen [1]
- Rezidivierende, anhaltende (≥30 s) symptomatische SVT
- Beachte: Bei Neugeborenen und Säuglingen mit AVRT bereits nach dem ersten Ereignis [1]
- Rezidivierende SVT und Herzfehler
- Rezidivierende, anhaltende (≥30 s) symptomatische SVT
- Wirkstoffe und Dosierungen
- β-Blocker
- Antiarrhythmika der Klasse Ic
- Antiarrhythmika der Klasse III
- Alternativen bei Kindern ≥6 Jahre ohne Präexzitation : Verapamil oder Digoxin
Digoxin und Verapamil sind bei Präexzitationssyndrom in jedem Alter kontraindiziert, da sie bei Vorhofflattern und -flimmern zu einer vital bedrohlichen hochfrequenten Überleitung führen können!
Katheterablation
- Methode: EPU mit katheterinterventioneller Hochfrequenzablation (Hitze) oder Kryoablation (Kälte) arrhythmogener Strukturen
- Indikationen: Abhängig vom Körpergewicht
- Kinder ≥15 kgKG: Alternative zur medikamentösen Dauertherapie, insb. bei unzureichendem Ansprechen auf medikamentöse Dauertherapie
- Unabhängig vom Körpergewicht
- Wolff-Parkinson-White-Syndrom mit Z.n. Reanimation
- Hohes Risiko für plötzlichen Herztod
- Tachykardieinduzierte Kardiomyopathie mit eingeschränkter LVEF oder hämodynamischer Instabilität
- Anstehende Herz-OP mit erschwertem postoperativen Zugangsweg
- Ggf. Kinder >8 Jahre mit Persistenz einer Deltawelle im Belastungs-EKG
- Effizienz und Sicherheit
- Erfolgsrate: >95%
- Rezidivrate: 3–5%
- AV-Block-Risiko: <1%
Prognose
- AVNRT: Nahezu kein Risiko für einen plötzlichen Herztod
- AVRT (ohne Therapie)
- Spontanheilungsrate
- Säuglinge <1 Jahr: 85%
- Kinder ≥5 Jahre: 20%
- Risiko für einen plötzlichen Herztod
- Steigt mit Kürze der Refraktärzeit, kritisch ab <220 ms
- Hohes Risiko
- Z.n. Kreislaufbeeinträchtigung
- Permanente Präexzitation mit Persistenz unter körperlicher Belastung
- Vorhofflimmern mit kurzen QRS-Abständen <220 ms
- Spontanheilungsrate
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- I47.-: Paroxysmale Tachykardie
- Exkl.: Als Komplikation bei: Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O00-O07) (O08.8), Als Komplikation bei: geburtshilflichen Operationen und Maßnahmen (O75.4), Tachykardie sinuaurikulär (R00.0), Tachykardie Sinus- (R00.0), Tachykardie o.n.A. (R00.0)
- I47.1: Supraventrikuläre Tachykardie
- Inkl.: Tachykardie (paroxysmal): atrioventrikulär [AV-]: re-entry (nodal) [AVNRT] [AVRT], Tachykardie (paroxysmal): atrioventrikulär [AV-]: o.n.A., Tachykardie (paroxysmal): AV-junktional, Tachykardie (paroxysmal): Knoten, Tachykardie (paroxysmal): Vorhof
- I47.9: Paroxysmale Tachykardie, nicht näher bezeichnet
- Inkl.: Bouveret- (Hoffmann‑) Syndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.