Zusammenfassung
Als Trikuspidalklappeninsuffizienz (Syn.: Trikuspidalinsuffizienz, TI) wird ein unzureichender Verschluss der Trikuspidalklappe bezeichnet. Infolgedessen strömt während der Systole Blut aus dem rechten Ventrikel (RV) in den rechten Vorhof (RA). Leichte Formen kommen sehr häufig vor und sind bei normaler Klappenmorphologie meist physiologisch. Symptome treten insb. bei höhergradigen Insuffizienzen auf. Die Betroffenen klagen u.a. über unspezifische Beschwerden wie Leistungsminderung und Völlegefühl. Diagnostisch stehen die transthorakale und transösophageale Echokardiografie im Vordergrund. Neben symptomatisch-medikamentösen Therapieoptionen werden operative und zunehmend auch interventionelle Verfahren zur Behebung der Klappenundichtigkeit angewandt.
Epidemiologie
- Prävalenz [1][2]
- Allgemein: Ca. 75% der Bevölkerung
- Mind. mittelgradige TI: Ca. 0,6% der Bevölkerung
- Altersabhängige Zunahme
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primäre (organische) Trikuspidalklappeninsuffizienz (<10% der Fälle)
- Angeboren: Bspw. Ebstein-Anomalie, arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie, Trikuspidalatresie
- Erworben
- Rheumatisches Fieber
- Infektiöse Endokarditis
- Iatrogen [5]
- Traumatisch
- Klappenfibrose
Sekundäre (funktionelle) Trikuspidalklappeninsuffizienz (>90% der Fälle)
- Linksherzerkrankungen (häufigste Ursache)
- Linksseitige Vitien: Bspw. Aortenklappenstenose oder Mitralklappeninsuffizienz
- Linksventrikuläre Funktionsstörungen: Linksherzinsuffizienz (HFrEF, HFmrEF, HFpEF), Kardiomyopathien (bspw. ischämische oder dilatative Kardiomyopathie)
- Pulmonale Hypertonie anderer Genese: Bspw. bei Lungenerkrankungen, PAH oder CTEPH
- Rechtsventrikuläre Dysfunktion: Bspw. durch Ischämie, Infarkt , Lungenembolie oder Kardiomyopathien
Sonderform: Isolierte Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Vorhofflimmern: Mutmaßlich gegenseitige Verstärkung
- Atriumseptumdefekt (ASD)
- Andere Herzrhythmusstörungen, die mit einer RA-Dilatation einhergehen
Pathophysiologie
Primäre Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Bei normalen Druckverhältnissen im Lungenkreislauf: Keine Druck-, sondern reine Volumenbelastung von RA und RV
Sekundäre Trikuspidalklappeninsuffizienz (am Beispiel einer Linksherzerkrankung)
- Linksherzerkrankung (bspw. HFrEF oder HFpEF) → Linksventrikulärer enddiastolischer Füllungsdruck (LVEDP) ↑ → Linksatrialer (LA‑)Druck ↑ → Pulmonalvaskulärer Druck und pulmonaler Gefäßwiderstand ↑ → Druckbelastung des RV → Progrediente Schädigung des RV → Remodeling (Dilatation, Hypertrophie, Fibrosierung) und ggf. Dysfunktion des RV → Dilatation des Trikuspidalklappenanulus → Verschlussunfähigkeit der Trikuspidalklappe (durch schlechte Koaptation) → Systolischer Blutrückfluss (Regurgitation) aus dem RV in den RA → Pendelvolumen zwischen RA und RV → Zusätzliche Volumenbelastung von RA und RV → Dilatation des RA und zunehmendes Remodeling des RV (Circulus vitiosus)
Sonderform: Isolierte Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Vorhofflimmern → Dilatation von LA und RA → Dilatation des Trikuspidalklappenanulus → Verschlussunfähigkeit der Trikuspidalklappe (durch schlechte Koaptation) → Pendelvolumen zwischen RA und RV → Volumenbelastung von RA und RV → Weiter zunehmende Dilatation des RA sowie Remodeling (Dilatation, Hypertrophie, Fibrosierung) und ggf. Dysfunktion des RV (Circulus vitiosus)
Systemische Folgen der Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Systolischer Blutrückfluss von RV in RA → Druck in V. cava superior und inferior ↑ → Venöse Stauung der herznahen Venen (bspw. Pfortader und Halsvenen) → Flüssigkeitsaustritt in das Interstitium (Ödeme) und/oder Entwicklung stauungsbedingter Organschäden
- Chronische Volumen- und ggf. Druckbelastung des RV → Dilatation, Hypertrophie und Remodeling des rechtsventrikulären Myokards → Entwicklung einer Rechtsherzinsuffizienz mit Vorwärtsversagen und Rückwärtsversagen
Symptomatik
- Auftreten von Symptomen und klinischen Zeichen: I.d.R. erst bei höhergradiger TI
- Unspezifische Symptomatik
- Bei chronischer TI: Chronisch-progrediente Symptomatik
- Bei akuter TI: Akut einsetzende Symptomatik, ggf. kardiogener Schock (durch akutes Vorwärtsversagen des rechten Herzens)
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Inspektion und Palpation
- Hals: Gestaute Halsvenen, hepatojugulärer Reflux, ggf. tast- oder sichtbarer Venenpuls
-
Unterschenkel und Füße: Periphere Ödeme
- Rücken, dorsale Oberschenkel und -arme, ggf. Skrotum: Anasarka
- Abdomen: Hepatosplenomegalie, Aszites, ggf. tastbare systolische Pulsation der Leber
- Herzauskultation
- Holosystolikum
- Punctum maximum über dem 4. ICR rechts parasternal sowie epigastrisch
Echokardiografie
- Transthorakale Echokardiografie (TTE): Standardverfahren zur Diagnostik und Verlaufskontrolle, i.d.R. ausreichend zur Quantifizierung
- Quantifizierung der Insuffizienz: Untersuchung des Insuffizienzjets, Bestimmung von PISA-Radius, V. contracta, EROA und Regurgitationsvolumen
- Trikuspidalklappenmorphologie
- Morphologie und Funktion beider Herzhälften
- Linke Herzhälfte: LA- und LV-Volumen, systolische und diastolische LV-Funktion, Kinetik, Beurteilung von Mitral- und Aortenklappe
- Rechte Herzhälfte: RA- und RV-Volumen, RV-Funktion , geschätzter systolischer pulmonal-arterieller Druck (sPAP)
- Transösophageale Echokardiografie (TEE): Ggf. ergänzend zur weiterführenden Diagnostik
- Trikuspidalklappenmorphologie
- Charakterisierung zugrunde liegender Pathologien
- Planung geeigneter Therapieoptionen
Echokardiografische Quantifizierung der Trikuspidalklappeninsuffizienz
Differenzierte echokardiografische Quantifizierung der Trikuspidalklappeninsuffizienz [1] | ||||||
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Nach EACVI und ASE | Geringgradig (I) | Mittelgradig (II) | Hochgradig (III) | |||
Nach Hahn et al. [11] | Hochgradig (III) | Massiv (IV) | Sintflutartig (V) | |||
Klappenmorphologie (2D-Bild) | Normal/pathologisch | Pathologisch | ||||
Insuffizienzjet (CW-Doppler) | Flau, parabelförmig | Dicht, parabelförmig | Dicht, triangulär, Vmax <2 m/s | |||
Insuffizienzjet | Farb-Doppler | Klein | Intermediär | Großer zentraler Jet oder exzentrischer Jet | ||
CW-Doppler | Flau, parabelförmig | Dicht, parabelförmig | Dicht, triangulär, Vmax <2 m/s | |||
Trikuspidalklappeneinstrom (PW-Doppler) | A-Welle dominant | Intermediär | E-Welle dominant (Vmax >1 m/s) | |||
V. contracta (Farb-Doppler; biplan; mm) | <3 | 3–6 | 7–13 | 14–20 | ≥21 | |
PISA-Radius (Farb-Doppler, mm) | ≤5 | 6–9 | >9 | |||
Errechnete EROA (PISA-Methode, mm2) | <20 | 20–39 | 40–59 | 60–79 | ≥80 | |
Errechnetes Regurgitationsvolumen (mL/Schlag) | <30 | 30–44 | ≥45 | |||
Lebervenenfluss (PW-Doppler) | Systolisch dominant | Systolische Abschwächung | Systolische Flussumkehr |
Der pulmonal-arterielle Druck wird insb. bei hochgradiger Trikuspidalklappeninsuffizienz häufig unterschätzt oder kann gar nicht gemessen werden. Wenn keine valide Abschätzung möglich ist, sollte eine invasive Messung mittels Rechtsherzkatheter erwogen werden!
Weitere Diagnostik
- EKG
- Rechtsherzbelastungszeichen (EKG)
- Ggf. Vorhofflimmern oder andere Herzrhythmusstörungen
- Labor: Insb. Leberwerte und Retentionsparameter , ggf. NT-proBNP↑ (unspezifisch)
- Kardio-MRT oder Kardio-CT: Ggf. ergänzend zur Echokardiografie (insb. bei schlechter Schallbarkeit)
- Herzkatheteruntersuchung: Insb. vor operativer oder interventioneller Therapie
- Rechtsherzkatheter: Insb. zur invasiven Messung des pulmonal-arteriellen Drucks
- Linksherzkatheter: Koronarangiografie (insb. zur Planung geeigneter Therapieoptionen)
Therapie
Allgemeines
- Rechtzeitige Anbindung an ein spezialisiertes Zentrum (vor irreversibler Schädigung des RV)
- Interdisziplinäre Entscheidungsfindung im Heart Team
- Primäre TI: Primär chirurgische Therapie (so früh wie möglich)
- Sekundäre TI: Primär kausale Therapie, ggf. interventionelle oder operative Versorgung
- Siehe auch: Indikationen zur chirurgischen oder interventionellen Versorgung bei Trikuspidalklappeninsuffizienz
Kausale Therapie
- Therapie der Grunderkrankung: Je nach Ursache, bspw.
- Herzinsuffizienz: Leitliniengerechte Herzinsuffizienztherapie (inkl. Diuretika)
- Pulmonale Hypertonie: Senkung des pulmonal-arteriellen Drucks
- Siehe auch: Pulmonale Hypertonie - Therapie
- Vorhofflimmern: Medikamentöse Rhythmuskontrolle, Elektrokardioversion oder Katheterablation [12]
- Siehe auch: Rhythmuskontrolle
- Endokarditis (primäre TI): Antibiotikatherapie, ggf. operative Behandlung
- Siehe auch: Endokarditis - Therapie
- Hochgradiges linksventrikuläres Vitium : Interventionelle oder operative Behandlung
Chirurgische und interventionelle Therapie
- Chirurgische oder interventionelle Behandlung i.d.R. bei (anhaltend) hochgradiger TI sinnvoll
- Planung und Umsetzung der Therapiestrategie: Individuell durch ein Heart Team und in einem erfahrenen Zentrum
Indikationen zur chirurgischen oder interventionellen Versorgung bei Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Primäre TI
- Als konkomitanter Eingriff bei Linksherzoperation
- Hochgradige TI
- Mittelgradige TI
- Als isolierter Eingriff
- Symptomatische hochgradige TI ohne relevante RV-Dysfunktion
- Asymptomatische hochgradige TI mit zunehmender RV-Dilatation oder abnehmender RV-Funktion
- Als konkomitanter Eingriff bei Linksherzoperation
- Sekundäre TI
- Als konkomitanter Eingriff bei Linksherzoperation
- Hochgradige TI
- Gering- oder mittelgradige TI mit Anulusdilatation
- Als isolierter Eingriff
- Hochgradige TI mit Symptomatik oder RV-Dilatation ohne schwere RV- oder LV-Dysfunktion und pulmonale Hypertonie
- Als konkomitanter Eingriff bei Linksherzoperation
Chirurgische Therapieverfahren
- Chirurgische Trikuspidalklappenrekonstruktion: Bevorzugtes Verfahren (insb. bei sekundärer Genese)
- Anuloplastie mit Ringimplantat
- Ggf. zusätzlich Segelaugmentation
- Chirurgischer Trikuspidalklappenersatz: Wenn eine Rekonstruktion anatomisch oder technisch nicht möglich oder sinnvoll ist
- Biologische oder mechanische Herzklappenprothese (individuelle Abwägung)
Interventionelle Therapieverfahren
- Transkutane Edge-to-Edge-Reparatur (TEER): Bspw. mittels TriClip® oder PASCAL®
- Interventionelle Anuloplastie: Bspw. mittels Cardioband®
- Voraussetzungen
- Gute individuelle Schallbarkeit in der TEE
- Keine beeinflussenden ICD- oder Schrittmachersonden, strukturell geschädigten Segel oder Verkalkungen des Trikuspidalklappenanulus
- Mind. 5 mm Abstand zwischen Segelansatz und A. coronaria dextra
- Voraussetzungen
- Kathetergestützter Trikuspidalklappenersatz: Aktuell (Stand: 2024) noch keine eindeutigen Empfehlungen [1]
Die rechtzeitige Behandlung einer Trikuspidalklappeninsuffizienz ist essenziell, um einer irreversiblen Schädigung des rechten Ventrikels und Organfolgeschäden vorzubeugen!
Antikoagulation nach Trikuspidalklappeneingriff
- Mechanischer Klappenersatz: Dauerhafte Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten
- Biologischer Klappenersatz: Mind. 3-monatige Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten
- Interventionelle Eingriffe [13]
- TEER: Duale Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel für 1–3 Monate, dann dauerhaft ASS
- Cardioband®: Duale Plättchenhemmung für 6–12 Wochen
- Für Medikamentenauswahl, Dosierung und Praxishinweise siehe auch: Therapeutische Antikoagulation - Klinische Anwendung
Komplikationen
- Bei längerfristig unbehandelter höhergradiger TI
- Herzinsuffizienz
- Bei chronischer Stauungshepatopathie: Leberfunktionsstörungen, ggf. Cirrhose cardiaque
- Bei chronischer Stauungsnephropathie: Nierenfunktionseinschränkungen, ggf. kardiorenales Syndrom
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- I07.-: Rheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten
- Inklusive: Als rheumatisch bezeichnet, Ursache nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Als nichtrheumatisch bezeichnet (I36.‑)
- I07.1: Trikuspidalklappeninsuffizienz (rheumatisch)
- I07.2: Trikuspidalklappenstenose mit Insuffizienz
- I07.8: Sonstige Trikuspidalklappenkrankheiten
- I07.9: Trikuspidalklappenkrankheit, nicht näher bezeichnet
- I08.-: Krankheiten mehrerer Herzklappen
- Inklusive: Als rheumatisch bezeichnet, Ursache nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Endokarditis, Herzklappe nicht näher bezeichnet (I38), Erkrankungen mehrerer Herzklappen nichtrheumatischer Ursache (I34-I38, Q22-Q23, Q24.8), Rheumatische Krankheiten des Endokards, Herzklappe nicht näher bezeichnet (I09.1)
- I08.1: Krankheiten der Mitral- und Trikuspidalklappe, kombiniert
- I08.2: Krankheiten der Aorten- und Trikuspidalklappe, kombiniert
- I08.3: Krankheiten der Mitral-, Aorten- und Trikuspidalklappe, kombiniert
- I36.-: Nichtrheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten
- Exklusive: Als angeboren bezeichnet (Q22.4, Q22.8, Q22.9), als rheumatisch bezeichnet (I07.‑), nicht näher bezeichnete Ursache (I07.‑)
- I36.1: Nichtrheumatische Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Trikuspidalklappeninsuffizienz oder -regurgitation (näher bezeichnete Ursache, ausgenommen rheumatisch)
- I36.2: Nichtrheumatische Trikuspidalklappenstenose mit Insuffizienz
- Q22.-: Angeborene Fehlbildungen der Pulmonal- und der Trikuspidalklappe
- Q22.8: Sonstige angeborene Fehlbildungen der Trikuspidalklappe
- Q22.9: Angeborene Fehlbildung der Trikuspidalklappe, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.