Zusammenfassung
Die Acetabulumfraktur gehört streng genommen zu den Beckenfrakturen, wird aber wegen Beteiligung des Hüftgelenks als eigenständige Entität behandelt. Meistens kommt es durch ein indirektes Trauma per Kraftüberleitung über das Femur zu einer Verletzung der Hüftpfanne, bei jungen Menschen v.a. im Rahmen eines Hochrasanztraumas (Dashboard-Injury) und bei geriatrischen Patienten beim Sturz aus niedriger Höhe. Abhängig von Gelenkstabilität und -kongruenz, Frakturdislokation und Knochenstruktur sowie Alter und Allgemeinzustand des Patienten wird über das weitere Therapievorgehen entschieden, in vielen Fällen ist jedoch eine operative Versorgung indiziert. Diese kann sowohl mittels offener Schrauben- und Plattenosteosynthese erfolgen, als auch einen endoprothetischen Gelenkersatz erfordern. Neben einem deutlich erhöhten Risiko einer tiefen Beckenvenenthrombose ist – je nach Verfahren – das Risiko von periartikulären Ossifikationen und einer posttraumatischen Koxarthrose sehr hoch.
Epidemiologie
- Altersverteilung: Zwei Häufigkeitsgipfel [1][2]
- Junge Patienten (<40 Jahre)
- Geriatrische Patienten: 60–70 Jahre (Stand 2005/2006) [2]
- Operativ zu versorgende Becken- und Acetabulumfrakturen/Jahr: Ca. 4.000 Fälle (Stand 2007) [3]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Häufig: Indirektes Trauma durch Kraftüberleitung über das Femur [2][4]
- Hochrasanztrauma bei jungen Menschen (bspw. Dashboard Injury) mit Verletzung der hinteren Acetabulumwand bzw. des hinteren Pfeilers
- Niedrigrasanztrauma bei älteren Menschen mit Verletzung des vorderen Pfeilers
- Selten: Direktes Trauma (bspw. Überrolltrauma)
Klassifikation
Klassifikation der Acetabulumfrakturen nach Letournel und Judet (1964) [5]
Diese heute noch klinisch gebräuchliche Klassifikation erfasst die wesentlichen Hauptfragmente einer acetabulären Verletzung und erleichtert so die Therapiewahl und die Entscheidung, welcher Zugang zur operativen Therapie verwendet werden soll.
- Einfache Frakturform
- Hinterer Pfannenrand
- Hinterer Pfeiler
- Vorderer Pfannenrand
- Vorderer Pfeiler
- Querfraktur
- Kombinierte Frakturformen
- Hinterer Pfeiler und hinterer Pfannenrand
- Querfraktur und hinterer Pfannenrand
- T-Fraktur
- Vorderer Pfeiler und Hemiquerfraktur
- Zwei-Pfeiler-Fraktur
AO-Klassifikation der Acetabulumfrakturen – Stand 2018 [6]
Die AO-Klassifikation der Acetabulumfrakturen (Stand 2018) basiert auf der Klassifikation der Acetabulumfrakturen nach Letournel und Judet, versucht jedoch zusätzlich prognostisch relevante Verletzungen zu berücksichtigen (bspw. eine komplette Gelenkbeteiligung).
Kodiert werden hier zunächst der betroffene Knochen (6: Becken) sowie die betroffene Knochenposition (2: Acetabulum), anschließend folgen Frakturtyp und Komplexität der Verletzung.
Frakturtyp (A–C): 62Xx | Komplexität (1–3): 62Xx |
---|---|
62Ax: Fraktur einer Wand bzw. eines Pfeilers mit partieller Gelenkbeteiligung | |
62Bx: Querfraktur mit partieller Gelenkbeteiligung |
|
62Cx: Fraktur beider Pfeiler mit vollständiger Gelenkbeteiligung |
Pathophysiologie
Grundlagen [2][4][7]
- Anatomie
- Acetabulum: Gelenkpfanne des Hüftgelenks
- Gebildet aus Os ilium, Os ischii und Os pubis
- „Extraanatomische“ Einteilung in zwei Pfeiler durch Letournel
- Vorderer Pfeiler: Von der Symphyse aus entlang der Linea terminalis bis hin zur Beckenschaufel
- Hinterer Pfeiler: Hinter dem vorderen Pfeiler
- Beide Pfeiler bilden zusammengesetzt ein umgedrehtes Y, wobei zwischen den beiden Schenkeln die Hüftpfanne liegt
- Funktion: Direkte Kraftübertragung von der Wirbelsäule auf die Beine
Relevante radiologische Kennlinien bei Acetabulumfraktur [4][7]
Bei einer Stufenbildung oder Kontinuitätsunterbrechung u.g. Strukturen kann so auf eine Verletzung der jeweiligen Region geschlossen werden.
- Iliopektinale Linie: Kennlinie des vorderen Pfeilers
- Ilioischiale Linie: Kennlinie des hinteren Pfeilers
- Linie des vorderen Walls: Vordere acetabuläre Gelenklippe
- Linie des hinteren Walls: Hintere acetabuläre Gelenklippe
- Tränenfigur: Mediale und laterale Wand der Fossa acetabuli
- Acetabulärer Dom: Acetabuläre Hauptbelastungszone des Hüftgelenks
Verletzungsmuster nach Art der Krafteinwirkung
- Meist Folge einer punktuellen Kraftüberleitung über das Femur → Frakturlokalisation häufig in unmittelbarer Abhängigkeit zur Stellung des Femurkopfes
- Verletzung des Acetabulums
- Bei gestrecktem Hüftgelenk : Meist Verletzung des vorderen Pfeilers [2]
- Bei flektiertem Hüftgelenk Meist Verletzung der hinteren Wand bzw. des hinteren Pfeilers
Symptomatik
Die Acetabulumfraktur äußert sich klinisch mit einer sehr ähnlichen Symptomatik wie eine proximale Femurfraktur oder Beckenringfraktur. Eine spezifische Symptomatik gibt es nicht.
- Ruheschmerz der Hüfte, Leiste und/oder des Rückens
- Schmerzbedingte Bewegungseinschränkung bzw. Immobilisation
- Belastungsunfähigkeit des Beins auf der betroffenen Seite
- Bei Protrusion in das Becken bzw. Luxation: Beinlängenverkürzung im Seitenvergleich
- Selten: Sensomotorische Ausfälle des N. ischiadicus [8]
Präklinisches Management
Das präklinische Management richtet sich nach der Schwere und Komplexität des Traumas. Acetabulumfrakturen sind meist isolierte Verletzungen ohne vitale Gefährdung, im Gegensatz zu Beckenfrakturen. Dennoch muss immer je nach Unfallmechanismus ein Polytrauma und eine vitale Gefährdung ausgeschlossen werden!
- Ersteinschätzung: Sofortmaßnahmen notwendig? ABCDE-Schema anwenden!
- Bei Bedarf: Sichern der Vitalfunktionen
- Anamnese und körperliche Untersuchung
-
Trauma-Check mit Fokus Becken/Hüfte
- Stabilitätsbeurteilung: Siehe auch Beckenringfrakturen - Präklinisches Management
- pDMS der unteren Extremität
- Bei Hochrasanztrauma: Polytrauma bzw. Begleitverletzungen ausschließen!
-
Trauma-Check mit Fokus Becken/Hüfte
- Basis-Monitoring: Pulsoxymetrie, Blutdruck, EKG
- Venöser Zugang und schmerzadaptierte Analgesie
- Bei leichten Schmerzen : Bspw. Paracetamol oder Metamizol
- Bei starken Schmerzen : Bspw. Piritramid oder Morphin
- Weitere Maßnahmen
- Medikamentöse Maßnahmen zur Prophylaxe und Behandlung einer opioidinduzierten Übelkeit: Dimenhydrinat oder Ondansetron (Off-Label Use)
- Fremdanamnese und Dokumentation des Unfallgeschehens, der prätraumatischen Mobilität, des sozialen Umfeldes; Klärung einer möglichen Betreuung und einer Dauermedikation bspw. mit gerinnungshemmenden Substanzen
- Schonende Rettung unter Vermeidung sekundärer Schäden: Frühzeitiger Einsatz von Immobilisationsmaßnahmen (Vakuummatratze)
- Bei instabilem Becken und hämodynamischer Instabilität: Mechanische Notfallstabilisierung des Beckens (Beckengürtel, Tuchschlinge)
- Hüftluxation [8][9]
- Bei intakter pDMS und vertretbarer Transportzeit: Ggf. direkter Transport in Zielklinik ohne vorherigen Repositionsversuch
- Bei grober Fehlstellung, gestörter pDMS und eindeutiger Luxation: Vorsichtiger Repositionsversuch unter Längszug in Achsrichtung des Beins unter ausreichend Analgesie/Analgosedierung
- Lagerung und Transport in ein Traumazentrum
- Schonende Lagerung
- Falls möglich: Anmeldung in Zielklinik
Vorgehen in der Notaufnahme
- Ersteinschätzung der Situation: Sofortmaßnahmen notwendig? ABCDE-Schema anwenden!
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- Anamnese nach SAMPLE-Schema
- Unfallmechanismus und -zeitraum erfragen, ggf. durch Fremdanamnese präzisieren
- Vorerkrankungen und Dauermedikation abklären
- Ausführlicher Bodycheck am entkleideten Patienten
- Bei Hochrasanztrauma oder Dashboard Injury : Ganze Verletzungskette beachten!
- Stabilitätsbeurteilung: Siehe auch Beckenringfrakturen - Präklinisches Management
- pDMS der unteren Extremität
- Venöser Zugang und Blutentnahme
- Präoperative Routinediagnostik: Blutbild, Gerinnungsanalyse, ggf. klinische Chemie
- Kreuzblut zur Bestimmung der Blutgruppe und Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten
- Bestimmung von TSH und GFR bei möglicher Bildgebung mit Kontrastmittel
- Monitoring: Pulsoxymetrie, Blutdruck, EKG
- Schmerzadaptierte Analgesie: Unter Berücksichtigung bereits erhaltener Medikamente
- Bei starken Schmerzen : Piritramid
- Bei vorheriger Opioidgabe: Bspw. Paracetamol oder Metamizol
- Weitere medikamentöse Maßnahmen
- Behandlung und Prophylaxe einer opioidinduzierten Übelkeit: Bspw. Dimenhydrinat oder Ondansetron (Off-Label Use)
- Volumensubstitution mit kristalloider Lösung
- Bei reduziertem Allgemeinzustand: Ggf. Blutzucker und Elektrolyte anpassen
- Thromboseprophylaxe anordnen: Niedermolekulare Heparine (Enoxaparin oder Certoparin ) oder unfraktioniertes Heparin
- Bildgebung
- Nativ-Röntgen: Beckenübersicht a.p. und Ala- sowie Obturator-Aufnahme
- Anschließend CT: Zur präoperativen Planung, bei unsicherem Frakturausschluss oder schlechter Beurteilbarkeit des Nativ-Röntgens
- CT-Traumaspirale: Bei Polytrauma erwägen
- Bei Hüftluxation: Geschlossener Repositionsversuch in Zusammenarbeit mit der Anästhesie, siehe Analgosedierung für nicht-elektive Interventionen
- Weitere therapeutische Maßnahmen
- Generelle Maßnahmen: Patienten warm halten, Anlage eines Blasenkatheters bei Bedarf
- Bei Verdacht auf Demenz und eingeschränkte Einwilligungsfähigkeit: Betreuungsverhältnisse klären und Aufklärung über geplante operative Maßnahmen durchführen (siehe: Sozialrechtliche Fragen und Problemstellungen bei Demenz)
- Ggf. Perioperative Antibiotikaprophylaxe ansetzen, wenn zeitnahe OP geplant
Nach Abschluss der Diagnostik in der Notfallambulanz und gesicherter Acetabulumfraktur sollte aufgrund des hohen TVT-Risikos eine medikamentöse Thromboseprophylaxe angeordnet werden!
Verlaufs- und Sonderformen
Periprothetische Acetabulumfraktur [10]
Generelles
- Ätiologie
- Intra-/perioperative Frakturen
- Postoperative Frakturen
- Akut traumatisch
- Chronisch schleichend: Periprothetische Insuffizienzfrakturen
- Epidemiologie: Meist geriatrische Patienten mit osteoporotischen Knochen
- Diagnostik: Siehe auch Diagnostik - Acetabulumfraktur
Unified-Classification-System der periprothetischen Acetabulumfrakturen [11]
Das UCS ist ein Klassifikationssystem der AO Foundation für alle periprothetischen Frakturen und die gängigste Klassifikation für periprothetische Acetabulumfrakturen. Eine einheitliche Terminologie für diese seltene Verletzung ermöglicht die Erfassung und Weiterentwicklung zuverlässiger Therapiekonzepte.
Die Hüfte als betroffene Knochenregion wird mit „IV“ kodiert, das Acetabulum und Becken als Frakturort mit „IV.6“
Typ IV.6–Xx | Betroffener Knochen | |
---|---|---|
IV.6–A: | IV.6–A1: Abrissfraktur der |
|
IV.6–A2: Abrissfraktur des | ||
IV.6–B: Fraktur im Pfannenbett oder um das Pfannenimplantat herum | IV.6–B1: Stabile Prothese und gute Knochenqualität |
|
IV.6–B2: Prothesenlockerung bei guter Knochenqualität |
| |
IV.6–B3: Prothesenlockerung bei schlechter Knochenqualität oder Knochendefekt |
| |
IV.6–C: Fraktur ohne Prothesenbeteiligung bzw. neben der Prothese |
| |
| ||
IV.6–E: Beteiligung beider an der Prothese beteiligten Knochen, mehrfache periprothetische Fraktur |
| |
IV.6–F: Gelenkfraktur an nicht-endoprothetisch versorgten Gelenkpartnern |
|
Therapie
- Ziel: Prothesenerhalt, Wiederherstellung des anatomischen Rotationszentrums, anatomische Rekonstruktion
Therapie-Algorithmus nach Masri
Frakturform | Therapieempfehlung | |
---|---|---|
Stabile Pfanne | Nicht-dislozierte Fraktur |
|
Dislozierte Fraktur | ||
Instabile Pfanne | Kein Knochendefekt |
|
Knochendefekt oder Osteolysen |
|
Konservative Therapie
- Teilbelastung bis 20 kg für 6–8 Wochen und Hüftflexionslimitierung
- Röntgenverlaufskontrollen
Operative Therapie
- Osteosynthese: Plattenosteosynthese des hinteren oder beider Pfeiler, ggf. Pfannenabstützschalen , ggf. zusätzliche Verschraubung
- Revisionspfannen: Implantation einer tripolaren Pfanne als Luxationsschutz
- Bei Knochendefekten und Osteolysen: Ggf. zusätzlich Spongiosaplastik , Defektaugmentation
Diagnostik
Anamnese
- Aktuelle Anamnese
- Unfallmechanismus und -zeitpunkt, adäquates Trauma
- Bei Hochrasanztrauma: Polytrauma ausschließen bzw. Polytrauma-Management einleiten!
- Beschwerden: Lokalisation und Art der Schmerzen
- Vorgeschichte
- Mobilität vor dem Ereignis: Aktionsradius, Gehhilfe
- Sozialer Versorgungsstatus vor der Verletzung: (Unterstützende) Angehörige, Wohnverhältnisse, Pflegebedürftigkeit
- Vorbestehende Hüft- oder Kniegelenksbeschwerden: Bspw. Koxarthrose, Voroperationen
- Begleiterkrankungen: Bspw. Osteoporose, kardiale Vorerkrankungen , renale Vorerkrankungen und Alkoholabusus
Körperliche Untersuchung
Bei Verdacht auf eine Verletzung des Acetabulums sollten mögliche Begleitverletzungen ausgeschlossen werden. Hierfür sollte der Unfallmechanismus rekonstruiert und ggf. verletzte Körperteile mituntersucht werden.
Inspektion
Palpation
- Beckenkompressionsschmerz
- Druckschmerz über dem Trochanter major der betroffenen Seite und in der Leiste
- Ggf. federnde Fixierung im Hüftgelenk bei kombinierter Hüftgelenkluxation
Funktionsuntersuchung
- Aktiv und passiv schmerzbedingt deutlich eingeschränkte bzw. aufgehobene Beweglichkeit im Hüftgelenk
- Gang- und Standunfähigkeit
- Für weitere Informationen siehe: Orthopädische Untersuchung der Hüfte
Bildgebende Diagnostik
Röntgen [7][12][13]
- Indikation: Frakturverdacht, Z.n. Sturz
- Durchführung
- Beckenübersicht a.p.
- Ala-Aufnahme: Schrägaufnahme des Beckens bei Erhöhung der gegenüberliegenden Hüfte um 45°
- Obturator-Aufnahme: Schrägaufnahme des Beckens bei Erhöhung der zu untersuchenden Hüfte um 45°
- Befund
-
Beckenübersicht: Beurteilung relevanter radiologischer Strukturen bei Acetabulumfraktur zum Ausschluss einer Fraktur
- Gull-Sign: Impaktion des Hüftdachs mit Dislokation des Femurkopfes nach dorsal
- Spur-Sign: Kaudolateraler Anteil der Beckenschaufel, der abgetrennt vom Pfannendach in der Obturator-Aufnahme als herausragender Knochensporn sichtbar ist
- Pfannendachwinkel-Messung nach Matta
- Legen einer senkrechten Geraden durch das Hüftkopfzentrum in allen 3 konventionellen Röntgenaufnahmen
- Legen einer weiteren Geraden durch das Hüftkopfzentrum und die Frakturlinie
- Messung des Winkels zwischen den Geraden: Konservative Therapie möglich bei einem Winkel >45°
- Ala-Aufnahme: Weitestgehend freie Beurteilbarkeit der Darmbeinschaufel („Ala ossis ilii“), des dorsalen Pfeilers sowie des vorderen Pfannenrandes
- Obturator-Aufnahme: Gute Beurteilbarkeit des Foramen obturatorium, des ventralen Pfeilers und des dorsalen Pfannenrandes
-
Beckenübersicht: Beurteilung relevanter radiologischer Strukturen bei Acetabulumfraktur zum Ausschluss einer Fraktur
Beim Röntgen des kompletten Beckens ist die Ala-Aufnahme der verletzten Hüfte gleichzeitig eine Obturator-Aufnahme der Gegenseite, sowie die Obturator-Aufnahme der verletzten Hüfte eine Ala-Aufnahme der Gegenseite!
CT
- Indikation: Goldstandard präoperativ bei nachgewiesener Acetabulumfraktur
- Durchführung: Ggf. mit 3D-Rekonstruktion
- Befund
- Detektion von Impressionszonen
- Darstellung intraartikulärer Läsionen bzw. freier Fragmente
- Dreidimensionale Darstellung des Frakturverlaufs, der Dislokation und der Rotation von einzelnen Frakturfragmenten
Labordiagnostik
Therapie
Therapieziel
- Generell: Anatomische, stufenfreie Rekonstruktion des Hüftgelenks und Stabilisation der Gelenkflächen
- Junger Patient : Erhalt des Hüftgelenks mit osteosynthetischer Stabilisierung der Fraktur
- Geriatrischer Patient : Möglichst frühzeitige Mobilisierung, minimales OP-Trauma und kurze OP-Dauer
Allgemeine Therapieprinzipien
- Bei Luxation i.d.R. Reposition in Analgosedierung [7]
- Meist Operation indiziert, i.d.R. keine Notfallversorgung
- Operatives Vorgehen in Abhängigkeit von Frakturtyp (Lokalisation, Stabilität, Kopfüberdachung), Begleitverletzungen, Alter
- Bei älteren Menschen ggf. endoprothetische Versorgung
- Konservative Therapie nur bei nicht- oder minimal dislozierten Frakturen bzw. bei Kontraindikationen für eine Operation
- Medikamentöse Thromboseprophylaxe
Übersicht über die Therapieoptionen
Konservative Therapie
- Indikation
- Gelenkkongruenz
- Stabile, nicht-dislozierte Fraktur
- Allgemeine Kontraindikation zur operativen Versorgung
- Durchführung: Funktionelle Nachbehandlung mit frühzeitiger, schmerzadaptierter Mobilisation und Teilbelastung der verletzten Hüfte für 6 Wochen
Operative Therapie
- Indikation
- Gelenkinstabilität
- Frustrane Mobilisierung mit starken Schmerzen
- (Grober) Versatz und Stufenbildung
- Luxationsfraktur
- Durchführung
- Goldstandard: Offene Reposition und interne Fixierung mittels Plattenosteosynthese
- Bei geriatrischen Patienten: Ggf. primäre Osteosynthese zur Frakturkonsolidierung und anschließend endoprothetischer Gelenkersatz
Konservative Therapie der Acetabulumfraktur
Konservative Therapie der Acetabulumfraktur [4][14][15][16]
Indikation
Zur Indikationsstellung einer konservativen Therapie ist eine kongruente Gelenkstellung obligat.
-
Gelenkkongruenz
- Bestimmung mittels Pfannendachwinkel-Messung nach Matta: Winkel >45° in allen drei Ebenen
- Nicht-dislozierte bzw. minimal-dislozierte Frakturen: Gelenkstufe <2 mm
- Frakturen des hinteren Walls mit <20% Wall-Beteiligung
- Keine intraartikulären Frakturfragmente oder subchondrale Impaktionszonen
- Zwei-Pfeiler-Fraktur mit sekundärer Gelenkkongruenz
- Kontraindikationen für operative Therapie oder schlechter Allgemeinzustand
Durchführung [16]
- Funktionelle Behandlung
- Bettruhe: Bis Beschwerden eine Mobilisation unter Entlastung des Gelenks zulassen
- Mobilisation
- Abrollbelastung (Teilbelastung bis 15 kg) für mind. 6 Wochen
- Im Anschluss Steigerung der Belastung, Vollbelastung nach etwa 12 Wochen
- Engmaschige Röntgenkontrollen nach 2, 6 und 12 Wochen
- Selten: Ruhigstellung mit Extensionstherapie für 4–6 Wochen
Die Indikation zur Fortführung einer konservativen Therapie ist nach Beginn der Mobilisation sowie im weiteren Heilungsverlauf engmaschig radiologisch zu überprüfen!
Operative Therapie der Acetabulumfraktur
Therapieziel
- Stufenfreie Gelenkrekonstruktion und bewegungsstabile Fixierung der Frakturfragmente
- Junger Patient: Erhalt des Hüftgelenks mit osteosynthetischer Stabilisierung der Fraktur
- Geriatrischer Patient: Einzeitige OP, entweder als Osteosynthese oder Endoprothese zur frühzeitigen Mobilisierung
Indikation zur operativen Versorgung [7]
- Gelenkinstabilität
- Frustrane Mobilisierung mit starken Schmerzen
- Grober Versatz, Stufenbildung >2 mm
- Dezentrierung des Femurkopfes unter Belastung
- Luxationsfraktur
- Subluxation des Femurkopfes
- Fragmentinterpositionen der Pfanne
- Selten: Notfallindikation bei offener Acetabulumfraktur, Repositionshindernis, instabile Hüfte mit (drohender) Nervenschädigung
Indikationen zum endoprothetischen Gelenkersatz
- Fortgeschrittene Koxarthrose
- Schlechte Knochenstruktur: Osteopenie, Osteoporose
- Gull-Sign beim älteren Patienten
- Trümmerfraktur
- Periprothetische Acetabulumfraktur
OP-Zeitpunkt
- Zeitnahe Versorgung innerhalb der 1. Woche empfohlen [3]
- Selten: Notfallindikation mit sofortiger operativer Versorgung innerhalb eines 6-h-Zeitfensters
OP-Vorbereitungen
- Aufklärung über Art des Eingriffs und Risiken, siehe auch: Komplikationen bei Acetabulumfraktur
- Labordiagnostik : Kleines Blutbild, Serologie, Gerinnung, Blutgruppe, Kreuzblut
- Präoperative Planung
- Cell Saver, siehe auch: Maschinelle Autotransfusion
- Carbontisch
- 3D-Bildwandler
- Sicherstellung einer postoperativen, intensivstationären Überwachung
- Anordnung einer TVT-Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin
- Siehe auch: Thromboseprophylaxe - Operative Eingriffe
- Unmittelbar präoperative Maßnahmen
- Anlage eines Blasenkatheters
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporin der 2. Generation, bspw. Cefuroxim [3]
- Für weitere Informationen siehe auch: Präoperative Diagnostik und Laboruntersuchungen
Durchführung der Operation
Zugang [17]
- Ilioinguinaler Zugang nach Letournel in Rückenlage
- Verläuft über den vorderen ⅔ der Beckenschaufeln von der Spina iliaca superior anterior bis zur Symphyse
- Anwendung bei Frakturen der vorderen Wand, des vorderen Pfeilers, Querfrakturen mit ventraler Dislokation und vielen kombinierten Frakturen beider Pfeiler
- Kocher-Langenbeck-Zugang in Bauch- oder Seitenlage
- Landmarken für die Inzision: Spina iliaca posterior superior , Trochanter major und Femurschaft
- Anwendung bei Frakturen von hinterer Wand, hinterem Pfeiler oder Querfrakturen
- Gut geeignet, falls eine intraoperative Luxation im Hüftgelenk überlegt wird
- Seltener
- Modifizierter Stoppa-Zugang in Rückenlage: Erweiterter Pfannenstielzugang mit Längsspaltung der Linea alba 2 Querfinger oberhalb der Symphyse
- Pararectus-Zugang: Landmarken für die Inzision sind der laterale Rand des M. rectus abdominis mit bogenförmiger Schnittführung über 8–10 cm nach lateralokranial bis auf Höhe des oberen Schambeinastes
- Erweiterte Zugänge
Verfahren
Goldstandard
- ORIF: Offene Frakturreposition und anschließende Osteosynthese mit Kleinfragment-Rekonstruktionsplatten (3,5 mm)
- Häufig zunächst Einbringen einer Schanz-Schraube mit in das proximale Femur zur manuellen Reposition
- Anschließend Fixierung der Reposition über Kirschner-Drähte oder Repositionszangen
- Ggf. Einbringen von Zugschrauben
- Platzierung, Anmodellierung und Verschraubung der Rekonstruktionsplatte mit Kortikalisschrauben
Seltenere Verfahren
- Perkutane Schraubenosteosynthese: Nur bei nicht oder minimal verschobenen Frakturen
- Endoprothetischer Gelenkersatz
- Einzeitig: Primärer Gelenkersatz ohne Zementierung der Hüftpfanne [1]
- Limitierte Indikation
- Ggf. plus Cerclage, Spongiosa-Anlagerung bzw. -Augmentation, Abstützpfanne
- Zweizeitig : Osteosynthese und früh-sekundärer endoprothetischer Gelenkersatz [1]
- Einzeitig: Primärer Gelenkersatz ohne Zementierung der Hüftpfanne [1]
- Bei Notfallindikation
- Stabile Kreislaufverhältnisse: Definitive operative Versorgung binnen 6 Stunden nach ausführlicher Diagnostik
- Instabile Kreislaufverhältnisse: Temporärer Fixateur externe bzw. Spickdraht-Osteosynthese vor ausführlicher Diagnostik
Postoperatives Prozedere [3]
- Fortführung der perioperativen Antibiotikagabe nach Krankenhausstandard und patientenabhängigen Faktoren [3][18][19]
- Frühzeitige Mobilisation unter physiotherapeutischer Anleitung und adäquater Schmerztherapie
- Bettruhe für 2 Tage
- Anschließend: Teilbelastung nach Maßgabe des Operateurs (meist 5–10 kg) für mind. 6 Wochen
- Röntgen-Kontrolluntersuchungen
- CT-Kontrolle am 1. postoperativen Tag
- Röntgenkontrollen alle 4 Wochen in den ersten 3 Monaten
- Medikamentöse Thromboseprophylaxe für ca. 6 Wochen [20]
- Wundversorgung
- Regelmäßige Wundkontrollen
- Fadenzug/Entfernung von Klammern nach 10–14 Tagen
- I.d.R. keine Entfernung von Implantaten (Schrauben/Platten)
- Postoperative Ossifikationsprophylaxe: Bspw. Indometacin
Komplikationen
Allgemeine Komplikationen [21]
Akutkomplikationen
- Tiefe Beckenvenenthrombose und konsekutive Lungenembolie [15]
- Infektionen des Respirations- und Urogenitaltrakts
Langzeitkomplikationen
- Sekundäre Frakturdislokation
- Pseudarthrose
- Posttraumatische Koxarthrose bei konservativer und femurkopferhaltender Therapie
- Beinlängenverkürzung
- Verminderte posttraumatische Mobilität und Funktionalität
Peri- und postoperative Komplikationen
- Verletzung benachbarter Strukturen
- Corona mortis: Bei Operation an der Innenseite des vorderen Beckenrings, insb. beim modifizierten Stoppa-Zugang
- Läsion des N. ischiadicus, des N. cutaneus femoris lateralis und des N. obturatorius bei Kocher-Langenbeck-Zugang
- N.-femoralis-Läsion bei ilioinguinalem Zugang nach Letournel
- Wundinfekt nach Frakturversorgung
- Implantatversagen oder -lockerung
- Bei konservativer bzw. femurkopferhaltender operativer Therapie
- Posttraumatische Koxarthrose
- Avaskuläre Femurkopfnekrose [1]
- Periartikuläre, heterotope Ossifikationen: Insb. bei
- Großem intraoperativem Weichteiltrauma
- Hinterem und lateralen OP-Zugang
- Weichteilnekrosen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
S32.4: Fraktur des Acetabulums
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.