Zusammenfassung
Bei der Fremdkörperaspiration gelangt durch Verschlucken bzw. Einatmen ein Fremdkörper ins Tracheobronchialsystem. Insb. sind Kinder im 2. und 3. Lebensjahr betroffen. Es kommt zu anfallsartigem Reizhusten, weiterhin können Stridor und Dyspnoe bestehen. Eine lebensbedrohliche Verlegung der Trachea führt zu massiver Luftnot, Zyanose und Asphyxie. Meist jedoch befinden sich die Gegenstände nach Aspiration in den Haupt- und Zwischenbronchien. Bei einem Teilverschluss kann eine sog. Ventilstenose mit distaler Überblähung entstehen, eine komplette Verlegung geht mit einer Atelektase (Minderbelüftung) einher. Radiologisch imponiert oft eine Seitendifferenz mit Zeichen der Überblähung oder Minderbelüftung. Eine zeitnahe Entfernung des Fremdkörpers durch eine Bronchoskopie ist indiziert. Chronischer Husten und rezidivierende pulmonale Infekte können Folge einer unerkannten Fremdkörperaspiration sein.
Epidemiologie
- Alter: Insb. Kinder zwischen 6. Lebensmonat und 5. Lebensjahr und geriatrische Pat. [1][2][3]
- Ca. 50% aller Fremdkörperaspirationen im 2. und 3. Lebensjahr!
- Geschlecht: ♂ > ♀ bei Kindern [1]
- Mortalität: Ca. 1–4% bei Kindern [1][4]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Affektive Reaktionen, während sich ein Fremdkörper im Mund befindet
- Typische Fremdkörper [1][5]
- Nahrungsmittel/-stücke (z.B. Erdnüsse)
- Kleinere Spielzeugteile
- Gebrauchsgegenstände (z.B. Nadeln, Schrauben, Nägel )
- Selten: Tabletten, Zähne, Zahnersatz oder zahnärztliche Materialien (z.B. Abdruckmaterial oder Instrumente)
- Risikofaktoren: Insb. bei erwachsenen Pat. relevant! [2][3]
- Dysphagie, insb.
- Altersbedingt/degenerativ („Presbydysphagie“)
- Neurologische Erkrankung (z.B. nach Schlaganfall)
- Neuromuskuläre Erkrankung
- Medikamentenassoziiert (z.B. durch sedierende Wirkung oder Reduktion des Speichelflusses) [6]
- Bewusstseinsstörungen bzw. Bewusstlosigkeit (auch z.B. während einer Narkose)
- Intoxikation, insb. Drogen- oder Alkoholintoxikation
- Kraniofaziales Trauma
- Iatrogen: Bspw. im Rahmen zahnmedizinischer Behandlungen, der Tracheostomapflege oder Zahntrauma beim Atemwegsmanagement
- Dysphagie, insb.
Pathophysiologie
- Fremdkörperlokalisation etwas häufiger rechts als links aufgrund des steileren Abgangs des rechten Hauptbronchus [1][2][3]
- Mechanismen der Obstruktion
- Ventilstenose bei partieller Verlegung: „Air trapping“ („Luftfalle“) mit konsekutiver Überblähung
- Atelektase bei kompletter Verlegung: Ausbleibende Belüftung mit Kollabieren des poststenotischen Lungenabschnitts
Symptomatik
Akute Fremdkörperaspiration
- Leitsymptom: Plötzlich auftretende, anfallsartige Reizhustenattacken
- Zeichen der Dyspnoe/Zyanose
- Stridor: Je nach Lokalisation des Fremdkörpers
- Extrathorakaler Fremdkörper: Inspiratorischer Stridor
- Intrathorakaler Fremdkörper (auch Bronchiolitis, Asthma): Exspiratorischer Stridor
- Ggf. Würgen (bei hoch liegendem Fremdkörper)
Subakute und chronische Fremdkörperaspiration [1][2][3][7]
- Initial: Keine oder nur sehr diskrete Symptomatik
- Sekundäre Symptome
- Treten im Verlauf auf (infolge von Granulombildung, Atelektasen und rezidivierenden pulmonalen Infekten mit sukzessiver Destruktion des betroffenen Lungenabschnitts)
- Ähneln akuten, rezidivierenden oder chronischen Atemwegsinfekten (z.B. Asthma, COPD oder Pneumonien anderer Ursache)
Je größer der Fremdkörper, desto akuter sind die Symptome!
Diagnostik
Anamnese [1][2]
- Situationsadaptierte, strukturierte Anamnese (z.B nach dem SAMPLE-Schema in Notfallsituationen)
- Je nach Alter nur Fremdanamnese durch Eltern, Erziehungsberechtigte bei Kindern oder Betreuungs-/Pflegepersonal bei älteren, geistig eingeschränkten Pat.
- Auslösendes Ereignis mit potenziellem Fremdkörper erfragen
Initiale Symptome einer Fremdkörperaspiration können auch sehr diskret sein! Bei entsprechender Symptomatik sollte gezielt nach einer möglichen Aspiration gefragt werden.
Körperliche Untersuchung
- Auskultation: Befund abhängig von Lokalisation
- Extrathorakale Trachea und höher: Inspiratorischer Stridor oder Atemstillstand
- Trachea: In- und exspiratorischer Stridor
- Bronchial: Exspiratorisches Giemen, abgeschwächtes Atemgeräusch auf der betroffenen Seite
- Perkussion: Befund abhängig von Pathomechanismus
- Hypersonorer Klopfschall auf der betroffenen Seite bei Ventilmechanismus
- Hyposonorer Klopfschall bei Atelektase
Apparative Diagnostik
Konventionelles Röntgen
- Indikation: Prinzipiell im Notfall verzichtbar (Bronchoskopie bei begründetem klinischen Verdacht auch ohne Röntgenbild) [1][2]
- Kinder: Sorgfältige Abwägung zwischen Nutzen und Strahlenbelastung
- Erwachsene: Großzügigere Indikation bei V.a. Fremdkörperaspiration
- Aufnahmetechnik: Röntgen-Thorax (p.a. und ggf. seitlich)
- Befund
- Direkter Fremdkörpernachweis: Meist nicht möglich [2][3]
- Bessere Beurteilung weiter kranial gelegener Fremdkörper im Seitbild
- Indirekte Zeichen
- Seitendifferenz: Seitenunterschiede erst ab bronchialer Lage!
- Ventilmechanismus mit Überblähung
- Betroffene Seite: Vermehrte Strahlentransparenz, Rarefizierung der Gefäßzeichnung, Zwerchfelltiefstand
- Mediastinalverlagerung zur Gegenseite
-
Atelektase
- Betroffene Seite: Transparenzminderung mit homogener Verschattung, verstärkter Gefäßzeichnung und Zwerchfellhochstand
- Mediastinalverlagerung zur betroffenen Seite
- Unauffällig: Ca. 20% der Fälle [2]
- Direkter Fremdkörpernachweis: Meist nicht möglich [2][3]
Bei akutem V.a. Fremdkörperaspiration sollte ohne – und auch bei unauffälligem – Röntgenbild bronchoskopiert werden!
Fakultative weiterführende Diagnostik
- CT des Thorax bei unauffälligem Röntgenbefund und weiter bestehendem Verdacht (eher bei chronischer Fremdkörperaspiration) [2][3]
- Nicht empfohlen in der aktuellen Leitlinie für kindliche Fremdkörperaspiration [1]
- Befund: Höhere Wahrscheinlichkeit eines direkten Fremdkörpernachweises mit genauer Lokalisation → Bessere Planbarkeit des weiteren Prozederes
Differenzialdiagnosen
- Bei Fremdkörperaspiration der oberen Atemwege (Larynx, Trachea): Epiglottitis, Pseudokrupp, Angioödem
- Bei Fremdkörperaspiration der unteren Atemwege: Asthma bronchiale, Pneumothorax, akute obstruktive Bronchitis , sowie bei älteren Pat. chronische Lungenerkrankungen wie COPD
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Notfallmanagement der Fremdkörperaspiration
Präklinisches Management
- Vorgehen nach dem ABCDE-Schema
- Primärdiagnostik mit Inspektion der Atemwege: Bei sichtbarem Fremdkörper Versuch der Entfernung
- CAVE: Kein blindes Greifen in den Rachen!
- Effektiver Hustenreiz: Abwarten auf Abhusten des Fremdkörpers
- Dabei stete Beobachtung des Bewusstseins
- Ineffektiver Hustenreiz
- Intaktes Bewusstsein
- Kind/Säugling: Lagerung in Kopftief- und Bauchlage auf den Schoß oder Unterarm, Kopf stabilisieren und mit dosierten Schlägen auf den Rücken zwischen die Schulterblätter versuchen, den Fremdkörper zu mobilisieren
- Erwachsene: Dosierte Schläge auf den Rücken zur Unterstützung des Hustens; Betroffene beugt sich dabei am besten vorn über
- Wenn erfolglos, im Wechsel mit folgenden Maßnahmen
- Bei älteren Kindern und Erwachsenen: 5× Heimlich-Manöver : Intrapulmonale Druckerhöhung durch mehrere ruckartige manuelle Oberbauchkompressionen mit dem Ziel der Mobilisation und Expektoration des Fremdkörpers
- Bei Säuglingen: 5× Thoraxkompression in Kopftief- und Rückenlage , bis effektiver Husten eintritt bzw. Fremdkörper entfernt ist
- Bewusstlosigkeit: Reanimation!
- Siehe auch Reanimation - AMBOSS-SOP
- Für Säuglinge und Kinder siehe auch: Reanimation bei Kindern
- Standardmäßig bei allen kindlichen Reanimationen: 5 initiale Beatmungen!
- Intaktes Bewusstsein
Management durch Notarzt bzw. in der Notaufnahme
- (Video‑)Laryngoskopie [1]
- Lagerung: Überstreckung der HWS bei Erwachsenen, neutrale Lagerung bei Kindern
- Entfernung supraglottischer Fremdkörper bspw. mittels Magill-Zange
- Sicherung des Atemwegs, ggf. mittels Intubation
- Bei Totalverlegung: Versuch der Distalisierung des Fremdkörpers durch den Tubus und Ventilation der Gegenseite
(Tracheo‑)Bronchoskopie [1][2][3][7]
- Dringlichkeit: Je nach Situation und Dauer der Fremdkörperaspiration
- Notfall-Indikation: Akute Fremdkörperaspiration (insb. der oberen Atemwege) und bei akuter Dyspnoe oder Säuglingen
- Dringlicher Eingriff unter Einhaltung der Nüchternzeiten: Subakute oder chronische Fremdkörperaspiration (eher der unteren Atemwege), keine Dyspnoe
- Vorbereitung
- Anästhesiologische Aufklärung und Aufklärung über den Ablauf und die Risiken des Eingriffs
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe: Keine generelle Empfehlung
- Indikationen: Begleitender Atemwegsinfekt oder fieberhafter Infekt, chronische Fremdkörperaspiration mit poststenotischer Pneumonie, komplizierter protrahierter Eingriff
- Lagerung: Rückenlage mit ggf. Überstreckung der HWS
- Anästhesie
- Allgemeinanästhesie / Intubationsnarkose bei starrer Bronchoskopie
- β2-Agonisten: Für i.v. Applikation und als Inhalat bereitlegen (Inhalation vor Einleitung erwägen)
- Beatmung: Über starres Endoskopierohr, bei nicht ausreichender Oxygenierung (spO2 <95%) intermittierende Maskenbeatmung, ggf. intermittierende Intubation und Intubation zur Ausleitung
- Analgosedierung bei flexibler Bronchoskopie
- Allgemeinanästhesie / Intubationsnarkose bei starrer Bronchoskopie
- Verfahren: Flexible vs. starre Bronchoskopie
- Anwendung in Abhängigkeit von Situation, Verfügbarkeit, Anwender und Größe des Fremdkörpers
- Empfehlungen der aktuellen Leitlinie für kindliche Fremdkörperaspiration [1]
- Fremdkörperaspiration unsicher: Flexibles Bronchoskop kann erwogen werden (aber in jedem Falle auf Wechsel zur starren Technik vorbereitet sein, bzw. bereitliegend)
- Fremdkörperaspiration sicher oder wahrscheinlich: Primär starres Bronchoskop empfohlen
- Alternative bzw. Eskalation: Chirurgischer Eingriff über die Thoraxwand (selten notwendig) [8]
- Weitere Empfehlungen
- Auskultation der Lunge vor und nach Intervention
- Nachbeatmung bei langem, kompliziertem Eingriff und kompromittierter respiratorischer Situation (z.B. durch Atemwegsinfekt)
- Vor Extubation: Endoskopische Kontrolle der Durchgängigkeit der Bronchien bis auf Höhe der Segmentostien überprüfen
- Ggf. Fortführung oder Einleitung einer Antibiotikatherapie
- Postoperative Analgesie i.d.R. mit NSAR (z.B. mit Ibuprofen )
- Zur Dosierung bei Kindern siehe auch: Ibuprofen (pädiatrisch)
Komplikationen
- Bei totaler Verlegung der Trachea: Massive Luftnot, Zyanose bis hin zu Hypoxie, Asystolie und Exitus letalis
- Aspirationspneumonie
- Rezidivierende Apnoe mit Hypoxiegefahr während des Eingriffes
- Hypoxischer Kreislaufstillstand
- Laryngospasmus oder (rezidivierender) Bronchospasmus
- Pneumothorax oder Pneumomediastinum bei Verletzung der Atemwege
- Schleimhautblutung der Atemwege
- Postinterventionell: Larynxödem, starke Sekretmobilisation, Hypoxämie durch Atelektasenbildung
Die Komplikationsrate steigt mit längerem Bestehen der Fremdkörperaspiration und der Endoskopiedauer!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Bei erhaltener Oxygenierung und Entfernung des Fremdkörpers innerhalb von 24 h sind keine Schäden zu erwarten
- Chronische Fremdkörperaspiration kann zu bleibenden Schäden an der Lunge führen
- Bei Totalverlegung der Trachea sind bleibende Schäden durch Hypoxie und letale Verläufe durch Asphyxie nicht selten
Prävention
Keine Erdnüsse (oder vergleichbare Fremdkörper) in Reichweite von Säuglingen oder Kleinkindern!
Ein herausnehmbarer Zahnersatz sollte vor Einleitung einer Narkose zur Verringerung des Aspirationsrisikos unbedingt entfernt werden!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- T17.-: Fremdkörper in den Atemwegen
- Inklusive: Asphyxie durch Fremdkörper
- Aspiration von Flüssigkeit oder Erbrochenem o.n.A.
-
Ersticken durch:
- Nahrung (regurgitiert)
- Schleim
- T17.0: Fremdkörper in einer Nasennebenhöhle
- T17.1: Fremdkörper im Nasenloch
- Nase o.n.A.
- T17.2: Fremdkörper im Rachen
- Nasopharynx
- Rachen o.n.A.
- T17.3: Fremdkörper im Kehlkopf
- T17.4: Fremdkörper in der Trachea
- T17.5: Fremdkörper im Bronchus
- T17.8: Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege
- T17.9: Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet
- Inklusive: Asphyxie durch Fremdkörper
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.