Zusammenfassung
Die polyzystischen Nierenerkrankungen sind eine heterogene Gruppe an Erkrankungen, die als Gemeinsamkeit die Ausbildung von Zystennieren zeigen und lange Zeit nach der Potter-Klassifikation eingeteilt wurden. Da die Einteilung nicht anhand gewohnter Kriterien erfolgt und dadurch schwer nachvollziehbar erscheint, fällt es nicht leicht, sie ordentlich zu beherrschen. Inzwischen wird die beschreibende Einteilung der WHO bevorzugt.
Die autosomal-rezessive vererbbare polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD, Potter I) geht i.d.R. mit einer nur kurzen Lebenserwartung einher, tritt beidseitig auf und ist durch multiple, gleichmäßig kleine Zysten charakterisiert.
Die autosomal-dominante vererbbare polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD, Potter III) geht mit einer Lebenserwartung bis ins hohe Erwachsenenalter einher, tritt beidseitig auf und ist durch unterschiedlich große Zysten charakterisiert.
Die multizystische Nierendysplasie (Potter II) wird i.d.R. nicht vererbt, sondern tritt meist sporadisch während der Embryonalentwicklung auf. In der Bildgebung finden sich einseitig (manchmal beidseitig) Nierenzysten, die unterschiedlich groß imponieren.
Die Ausprägung der Symptomatik ist je nach Störung sehr variabel. Bei allen stehen das frühzeitige Erkennen und die Behandlung einer möglichen Niereninsuffizienz im Vordergrund.
Von den drei genannten Störungen abzugrenzen ist die zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts (Potter IV). Hierbei handelt es sich im Prinzip um keine eigene Störung, sondern um eine sekundäre Zystenniere aufgrund der vorliegenden Obstruktion – der hohe Druck in den Harnwegen führt dabei zur Zystenbildung. Therapeutisch wird i.d.R. eine Beseitigung der Obstruktion in kurativer Intention angestrebt.
Klassifikation
Potter-Klassifikation und Einteilung nach WHO
Die Potter-Klassifikation beruht auf rein deskriptiven anatomischen Unterschieden und berücksichtigt in ihrer Urfassung weder genetische noch relevante klinische Begebenheiten. Aus diesen Gründen wird versucht, sie durch die beschreibende WHO-Bezeichnung zu ersetzen. Für die klinische Bedeutung der einzelnen Störungen siehe: Klinische Unterschiede der Zystennieren
WHO-Bezeichnung | Potter | Ätiologie | Pathophysiologie | |
---|---|---|---|---|
Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) | Potter I | Hereditär: Mutation auf Chromosom 6 im PKHD1-Gen mit Veränderung des Fibrocystins | Störung in Proteinen der Zilienmembran → Übermäßige Proliferation von Sammelrohrepithel → Zystenbildung | |
Multizystische Nierendysplasie | Mit Vergrößerung der Niere | Potter IIa | Unklar: Sporadisches Auftreten während der Embryonalentwicklung (selten familiär gehäuft) | Ein- oder beidseitig gestörte Interaktion der Ureter- und Nierenanlage → Gestörte Ausbildung der Nephrone |
Mit Verkleinerung der Niere | Potter IIb | |||
Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) | Potter III | Hereditär: Mutation auf Chromosom 16 oder 4 mit Veränderung des Polycystins 1 oder 2 | Störung in Proteinen der Zilienmembran → Übermäßige Proliferation von Tubulus- und Sammelrohrepithel → Zystenbildung [1] | |
Zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts | Potter IV | Sekundär: Fetale Obstruktionen (z.B. Ureterstenosen) gehen häufig mit Nierenveränderungen einher | Hohe Druckverhältnisse übertragen sich auf das Nierengewebe und provozieren eine Zystenbildung |
Symptomatik
Klinische Unterschiede der Zystennieren
WHO-Bezeichnung | Potter | Manifestationsalter | Lebenserwartung | Leberbefall | Befall der Nieren | Zystengröße |
---|---|---|---|---|---|---|
Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung | Potter I | Geburt bis Kindesalter | I.d.R. nur Kindesalter | ja | beidseitig | relativ gleichmäßig klein |
Multizystische Nierendysplasie | Potter II | Geburt bis Kindesalter | I.d.R. höheres Erwachsenenalter | nein | einseitig, ggf. beidseitig | unterschiedlich |
Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung | Potter III | Erwachsenenalter | ja | beidseitig | unterschiedlich | |
Zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts | Potter IV | Geburt bis Kindesalter | I.d.R. höheres Erwachsenenalter | nein | einseitig o. beidseitig | unterschiedlich |
Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I
- Beginn: Geburt bis Kindesalter
- Mögliche Symptome
- Vergrößerte Niere mit multiplen Zysten relativ gleichmäßiger Größe
- Obligate Leberfibrose mit möglicher hepatischer Insuffizienz und portaler Hypertension
- Ausladendes Abdomen und hochstehendes Zwerchfell
- Herzinsuffizienz
- Pränatal: Oligohydramnion bei der Mutter der betroffenen Person
- Symptomatik drastischer bei frühem Erkrankungsbeginn
- Früher Beginn führt zu einer Lebenserwartung von wenigen Monaten
- Bei spätem Erkrankungsbeginn: Lebenserwartung bis zu 10 Jahre bei adäquater und erfolgreicher Therapie
Multizystische Nierendysplasie - Potter II
- Beginn: Geburt bis Kindesalter
- Nierenbeteiligung
- Meist einseitig → Stark vergrößerte, tastbare Niere, selten symptomatisch
- Selten beidseitig → Niereninsuffizienz bei relevanter Funktionseinschränkung möglich
Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) - Potter III
- Beginn: Erwachsenenalter
- Mögliche Symptome
-
Renal
- Multiple zystische Umwandlung umschriebener Nephronabschnitte (Mark und Rinde) beidseits → Chronische Niereninsuffizienz
- Ggf. Flankenschmerzen
- Extrarenale Veränderungen
- Kardiovaskulär: Herzklappenfehler, Hirnarterienaneurysma, arterielle Hypertonie, linksventrikuläre Hypertrophie → Zusätzliche Ursachen einer geringeren Lebenserwartung
- Sehr häufig multiple Leberzysten , seltener Pankreas-, Milz-, Ovarial- und Hodenzysten
- Weiterhin häufiger: Dickdarmdivertikel, Hernien
-
Renal
- Prognose: Dialysepflichtigkeit selten bei 40-Jährigen, bei etwa 25% der 50-Jährigen und 50% der 70-Jährigen
Zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts - Potter IV
- Beginn: Geburt bis Kindesalter
- Mögliche Symptome
- Je nach Ausprägung kann die Störung symptomlos verlaufen oder über eine massive Stauung im Nierenbecken zu einer akuten Niereninsuffizienz führen
Diagnostik
- Familienanamnese (zur Verifizierung der erblichen Komponente)
- Sonografie
- Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I
- Diffus verstärkte Echogenität trotz flüssigkeitsgefüllter (echoleerer) Zysten, da die fibröse (echoreiche) Bekapselung der multiplen kleinen Zysten gleicher Größe überwiegt
- Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) - Potter III
- Bei Erwachsenen: Vergrößerte Niere mit multiplen Zysten (echofreie Raumforderungen) unterschiedlicher Größe
- Bei Kindern: Nachweis einer eindeutigen Zyste bei positiver Familienanamnese ist hochverdächtig
- Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I
- Computertomografie: Die CT hat aufgrund der Strahlenbelastung eher eine untergeordnete Stellung und wird vor allem eingesetzt, wenn die Sonografie keine eindeutigen Ergebnisse liefert
- Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I
- Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) - Potter III
- Beidseits stark vergrößerte Nieren
- Multiple Zysten: Hypodense , scharf begrenzte Raumforderungen unterschiedlicher Größe
- Falls Zysten höhere Dichtewerte als Wasser aufweisen → Hinweis auf Einblutung
- Typischerweise dünne, glatt begrenzte und nicht septierte Zystenwand, die kein Kontrastmittel aufnimmt
- Häufig Verkalkungen der Gefäße sowie Konkremente im Bereich der Nierenkelche → Können Folge eines sekundären Hyperparathyreoidismus sein
- Weitere Diagnostik
- Nachweis und Kontrolle der Nierenfunktionseinschränkung
- Blutuntersuchung: Kleines Blutbild, Kreatininclearance
- Langzeitblutdruckmessung
- Urinuntersuchung
- Ausscheidungsurogramm mit typischer radiologischer Konfiguration
- Genetische Beratung nach Diagnosestellung
- Nachweis und Kontrolle der Nierenfunktionseinschränkung
Differenzialdiagnosen
Markschwammniere
- Definition: Verkalkte Zysten ausgehend von den papillären Sammelrohren, es besteht eine Hyperkalzurie
- Ätiologie: Angeboren, keine Vererbung
- Symptome: Meist symptomloser Zufallsbefund, jedoch auch rezidivierende Harnwegsinfekte, Nephrolithiasis und chronische Niereninsuffizienz bei beidseitigem Befall (in ca. 75%) möglich
- Diagnose: Sonografie und Ausscheidungsurogramm
- Therapie: Prophylaxe von Nephrolithiasis mit Thiaziddiuretika (meist Calciumphosphat- und -oxalatkonkremente)
Nierenzyste
- Definition: Solitäre oder multiple Zysten der Niere
- Diagnose: Meist harmloser Zufallsbefund im Rahmen einer CT- oder sonografischen Untersuchung
- Echofreie (schwarz=Flüssigkeit), rundliche oder ovale Zyste mit dorsaler Schallverstärkung
- Bei auffälligem Sonografiebefund (Binnenechos, unscharfe oder verdickte Zystenwand) ist differenzialdiagnostisch an einen malignen Prozess zu denken!
- Therapie
- Im weit überwiegenden Anteil nicht indiziert!
- OP-Indikation: Nur bei Beschwerden (z.B. Harnabflussstörungen, Schmerzen) oder der Gefahr weiterer Komplikationen (z.B. Rupturgefahr bei deutlicher Größenzunahme)
- Seltene Komplikationen: Zystenruptur, Zysteninfektion und Kompression von Nachbarstrukturen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Frühzeitiges Erkennen, Prävention und Behandlung einer Niereninsuffizienz
- Regelmäßige sonografische Verlaufskontrollen und Bestimmung der Nierenparameter
- Meidung nephrotoxischer Substanzen (z.B. NSAR)
- Frühzeitige Behandlung eines arteriellen Hypertonus: ACE-Hemmer zeigen gute Studienergebnisse
- Bei terminaler Niereninsuffizienz
- Dialyse-Verfahren
- In kurativer Intention: Ggf. Nierentransplantation
- Bei ADPKD (Potter III): Tolvaptan (selektiver Vasopressin-2-Rezeptor-Antagonist)
- Bei ARPKD (Potter I) und ADPKD (Potter III): Beobachtung und Behandlung einer Leberinsuffizienz
- Bei zystischer Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts (Potter IV): Beseitigung der Obstruktion in kurativer Intention
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 304-2025-3/3: Yay or Nay? Nephrektomie bei ADPKD
- Studientelegramm 232-2022-3/3: Empfehlungen zum Einsatz von Tolvaptan bei ADPKD
- Studientelegramm 220-2022-3/3: Update der Konsensusleitlinie zur Anwendung von Tolvaptan bei ADPKD
- Studientelegramm 203-2022-1/3: Wasser marsch – verhindert eine erhöhte Trinkmenge die Progression der ADPKD?
- Studientelegramm 29-2018-4/4: Somatostatinanaloga helfen nicht bei polyzystischer Nierenerkrankung
- Studientelegramm 06-2017-4/4: Neue Hoffnung für Patienten mit autosomal-dominanter polyzystischer Nierenerkrankung in fortgeschrittenem Stadium – Ergebnisse der REPRISE-Studie
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Polyzystische Nierenerkrankung
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- Q61.-: Zystische Nierenkrankheit
- Exklusive: Zyste der Niere (erworben) (N28.1), Potter-Syndrom (Q60.6)
- Q61.0: Angeborene solitäre Nierenzyste
- Angeborene Zyste der Niere (solitär)
- Q61.1: Polyzystische Niere, autosomal-rezessiv
- Polyzystische Niere, infantiler Typ
- Q61.2: Polyzystische Niere, autosomal-dominant
- Polyzystische Niere, Erwachsenentyp
- Q61.3: Polyzystische Niere, nicht näher bezeichnet
- Q61.4: Nierendysplasie
- Q61.5: Medulläre Zystenniere
- Schwammniere o.n.A.
- Q61.8: Sonstige zystische Nierenkrankheiten
- Fibrozystisch:
- Niere
- Nierendegeneration oder -krankheit
- Fibrozystisch:
- Q61.9: Zystische Nierenkrankheit, nicht näher bezeichnet
- Meckel-Gruber-Syndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.