Zusammenfassung
Beim Scharlach handelt es sich um eine Exotoxin-vermittelte Allgemeinerkrankung durch β-hämolysierende Gruppe-A-Streptokokken. Sie tritt meist bei Kindern im Alter von 4–10 Jahren im Rahmen einer Tonsillopharyngitis auf. Scharlach ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der (Streptokokken‑)Tonsillitis, in deren Rahmen ebenfalls ein Exanthem auftreten kann. Auch ein Auftreten ohne Tonsillitis, nach Tonsillektomie oder (selten) auch ohne Exanthem ist möglich.
Für die Diagnosestellung muss neben Fieber (und ggf. Tonsillopharyngitis) mindestens ein typisches Zusatzkriterium erfüllt sein. Charakteristische Scharlachsymptome sind Wangenrötung, periorale Blässe, Enanthem des Gaumens mit „Erdbeer-“ oder „Himbeerzunge“ und ein feinfleckiges Exanthem, das in den Leisten am stärksten ausgeprägt ist. Nach etwa einer Woche beginnt eine Hautschuppung an Stamm und Gesicht sowie eine Hautschälung an Handflächen und Fußsohlen. Bei untypischen Scharlachformen kann der Erregernachweis die Verdachtsdiagnose erhärten. I.d.R. ist zur Verringerung der Symptomdauer und der Infektiosität eine Antibiotikatherapie mit Penicillin indiziert. Scharlach wird durch verschiedene Toxintypen ausgelöst, wiederholte Infektionen sind daher möglich.
Epidemiologie
- Häufigkeit
- β-hämolysierende-Streptokokken-A-Infektionen und Scharlach zählen zu den häufigsten bakteriellen Infektionserkrankungen in Deutschland
- Inzidenzzahlen des Scharlachs liegen nicht vor
- Altersgipfel: Kinder im Alter von 4–10 Jahren
- Kontagiosität: Abhängig von der Therapie und dem klinischen Verlauf [1]
- Mit wirksamer Antibiotikatherapie: 1 Tag
- Ohne Antibiotikatherapie: ≤21 Tage
- Symptomlose Keimträger sind selten infektiös
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Erreger
- β-hämolysierende Gruppe-A-Streptokokken (GAS, Streptococcus pyogenes), die pyrogene Exotoxine bilden
- Es gibt mind. 4 verschiedene Exotoxine (SPE-A, -B, -C und -D) mit insgesamt mind. 90 Allelvarianten
- Wiederholte Scharlacherkrankungen sind möglich, da die Immunität immer nur gegen das bei der abgelaufenen Infektion vorhandene M-Protein bzw. Toxin entsteht
Primärer Infektionsfokus
- Meist Streptokokken-Tonsillopharyngitis
- Infektionsweg: Meist Tröpfcheninfektion, direkter Kontakt von Mensch zu Mensch, selten über kontaminierte Lebensmittel und Wasser
- Seltener Weichteilinfektion (Wundscharlach)
- Infektionsweg: Schmierinfektion
Symptomatik
Inkubationszeit
- 2–4 Tage
Prodromalstadium
- Abrupter Beginn mit hohem Fieber (Febris scarlatina), Schüttelfrost, Tachykardie und beeinträchtigtem Allgemeinbefinden
- Oft Kopfschmerzen und Erbrechen
- Halsschmerzen (Tonsillopharyngitis), Schluckbeschwerden und zervikale Lymphknotenschwellungen
- Foetor ex ore und initial „weiße Himbeer- oder Erdbeerzunge“
Exanthemstadium (innerhalb von 48 h nach Krankheitsbeginn)
- Wangenrötung mit perioraler Blässe (Facies scarlatinosa)
- Enanthem am weichen Gaumen
- Im Verlauf „rote Himbeer- oder Erdbeerzunge“
- Initial blassrotes feinfleckiges makulopapulöses Exanthem (sandpapier- oder samtartiges Gefühl bei Palpation)
- Ausbreitung auf Kopf-Hals-Bereich, Stamm und Extremitäten
- Deutlichste Ausprägung in der Leiste und in den anderen Gelenkbeugen
- Nach 1–2 Tagen scharlachrote Verfärbung, Konfluenz an vielen Stellen zu einem diffusen Erythem mit positiver Diaskopie
- I.d.R. kein Juckreiz
- Dermographismus albus
- Petechien möglich (positiver Rumpel-Leede-Test)
- Pastia-Linien (lineare Petechien oder intensivrote Exanthemareale im Achsel- und Leistenbereich) [2][3]
- Abblassen des Exanthems nach 3–4 Tagen bis zu 1 Woche, Entfieberung etwas zeitverzögert
- Kleieförmige Schuppung der Haut in der 2.–4. Erkrankungswoche, insb. von Gesicht, Stamm, Achseln und Leiste
- Palmoplantar eher groblamelläre Desquamation (handschuhartige Ablösungen)
- Sonderformen
- Scarlatinella („Atypischer Scharlach“): Heute häufiger als der klassische Scharlach
- Wundscharlach
Zur Diagnosestellung muss neben Fieber (und ggf. Tonsillopharyngitis) mindestens ein typisches Zusatzkriterium erfüllt sein (Facies scarlatinosa, Enanthem, „Himbeerzunge", Scharlach-Exanthem, Desquamation)!
Diagnostik
Klinik
- Typische Anamnese und Klinik sind diagnostisch wegweisend – Scharlach ist eine Blickdiagnose!
- Nachweis einer erhöhten Kapillarfragilität
- Petechien an Druckstellen wie bspw. engen Bündchen
- Positiver Rumpel-Leede-Test
Antigennachweis
Labordiagnostik
- Neutrophilie mit Linksverschiebung der Granulopoese, im Verlauf Eosinophilie
- Oft CRP↑, BSG↑
- Im Verlauf evtl. erhöhte Antistreptolysin-Titer; für die Akutdiagnostik sind diese aber nicht von Bedeutung
Nach stattgehabter Scharlacherkrankung
Differenzialdiagnosen
Das feinfleckige Exanthem ist unspezifisch und kann schnell mit anderen Exanthemen verwechselt werden. Bei Vorliegen der klassischen Symptome (insb. Tonsillopharyngitis, Wangenröte mit perioraler Blässe und Enanthem) lässt sich Scharlach gut von anderen Erkrankungen abgrenzen. In Zweifelsfällen wie bspw. bei der infektiösen Mononukleose sollte ein Streptokokken-A-Schnelltest zur Diagnosesicherung erfolgen.
Klassische pädiatrische Exanthemerkrankungen
Scharlach ist eine der sechs „klassischen pädiatrischen Exanthemerkrankungen“:
- Masern („First disease“)
- Scharlach („Second disease“)
- Röteln („Third disease“)
- Morbus Dukes-Filatow („Fourth disease“)
- Ringelröteln („Fifth disease“)
- Dreitagefieber („Sixth disease“)
Weitere Differenzialdiagnosen
- Windpocken
- Kawasaki-Syndrom
- Infektiöse Mononukleose und andere virale Tonsillopharyngitiden, die mit einem Exanthem einhergehen
- Unspezifisches Virusexanthem
- Makulopapulöses Arzneimittelexanthem
- Allergisches Exanthem
- Dengue-Fieber
- Lues II
Siehe auch: Exantheme im Kindesalter - Gesamtübersicht.
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Antibiotikatherapie bei Scharlach: I.d.R. empfohlen [4]
- Substanzen: Die Therapie entspricht der Antibiotikatherapie bei Streptokokken-Tonsillopharyngitis
- 1. Wahl: Penicillin V, siehe auch: Penicillin V (pädiatrisch)
- Säuglinge und Kinder ≥1 Monat bis <12 Jahren [4][5]
- Jugendliche ≥12 Jahre und Erwachsene [4][5]
- Alternativen
- Cefadroxil , siehe auch: Cefadroxil (pädiatrisch)
- Säuglinge und Kinder ≥1 Monat bis <12 Jahren
- Jugendliche ≥12 Jahren und Erwachsene
- Oder Erythromycin, siehe auch: Erythromycin (pädiatrisch)
- Säuglinge und Kinder ≥1 Monat bis <12 Jahren
- Jugendliche ≥12 Jahren und Erwachsene
- Oder Clindamycin, siehe auch: Clindamycin (pädiatrisch)
- Säuglinge und Kinder ≥1 Monat bis <12 Jahren
- Jugendliche ≥12 Jahren und Erwachsene
- Cefadroxil , siehe auch: Cefadroxil (pädiatrisch)
- Nicht empfohlen
- Cotrimoxazol (Trimethoprim/Sulfamethoxazol) und Tetracycline wegen unzureichender Wirksamkeit und möglichen Nebenwirkungen
- Aminopenicilline, da sie bei Vorliegen einer EBV-Infektion nahezu immer ein Arzneimittelexanthem auslösen
- 1. Wahl: Penicillin V, siehe auch: Penicillin V (pädiatrisch)
- Nach 24-stündiger antibiotischer Therapie besteht keine Kontagiosität mehr!
- Substanzen: Die Therapie entspricht der Antibiotikatherapie bei Streptokokken-Tonsillopharyngitis
- Symptomatische Therapie
- NSAID: Paracetamol oder Ibuprofen
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
- Körperliche Schonung
- Abschwellendes Nasenspray bzw. Nasentropfen bei verlegter Nasenatmung
- Glucocorticoide (z.B. Prednison systemisch und/oder inhalativ) bei drohender Obstruktion der oberen Luftwege durch die entzündeten Tonsillen
- Keine Empfehlung von lokalen Antiseptika oder Anästhetika (Rachensprays, Lutschtabletten und Gurgellösungen): Kein gesicherter Effekt
Die antibiotische Therapie verkürzt die Dauer der Symptomatik und der Infektiosität! Sie sollte immer durch eine symptomatische Therapie ergänzt werden!
Komplikationen
In Ländern des Globalen Nordens treten Komplikationen und Folgeerkrankungen von Scharlach insg. selten auf. Im Globalen Süden hingegen sind insb. Streptokokken-Folgeerkrankungen nach wie vor weit verbreitet. [4][6]
Toxinvermittelte Komplikationen
- Streptococcal Toxic Shock Syndrome
- Toxischer Scharlach
Bakterielle Komplikationen
- Peritonsillarabszess oder Retropharyngealabszess, Lymphadenitis colli (ggf. mit Abszedierung), Otitis media , Mastoiditis, Sinusitis
- Meningitis, Hirnabszess, zerebrale Sinus- und Venenthrombose
- Sepsis, septische Arthritis, Osteomyelitis, nekrotisierende Fasziitis
Immunvermittelte Poststreptokokkenerkrankungen
Ein erhöhtes Risiko für immunvermittelte Streptokokken-Folgeerkrankungen beim Scharlach im Vergleich zu Streptokokken-Lokalinfektionen wäre denkbar, hat sich aber in Studien nicht bestätigt. Die Folgeerkrankungen sind mit dem immunogenen Potenzial des M-Proteins verknüpft und nicht mit den Exotoxinen.
- Akutes Rheumatisches Fieber (ARF)
- Akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis (APSGN) [7]
- Poststreptokokken-reaktive Arthritis (PSRA)
- Chorea minor Sydenham
- PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections)
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prävention
Impfung
Eine Impfung gegen β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A existiert nicht.
Umgebungsprophylaxe
- Generell keine speziellen Maßnahmen erforderlich
-
Asymptomatische Kontaktpersonen
- Generell keine mikrobiologische Untersuchung oder Behandlung nötig
-
Bei besonderer Gefährdung: Chemoprophylaxe mit Clindamycin oder Penicillin V + Rifampicin bei positivem Abstrich [1][4]
- Bei engem Kontakt zu Personen mit stattgehabter Poststreptokokkenerkrankung
- Bei rezidivierenden Scharlachinfektionen in der Familie
- Bei Ausbruchsgeschehen schwerer/komplizierter Infektionen
Meldepflicht
Gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht keine bundesweite Meldepflicht für Scharlach.
- Arztmeldepflicht nach IfSGMeldeVO und ThürIfKrMVO (nur in Sachsen und Thüringen ): Namentliche Meldepflicht bei Krankheits- oder Todesfällen
- Labormeldepflicht (nur in Thüringen ): Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis
- Meldepflicht für Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 und § 34 (6) IfSG
- Namentliche Meldepflicht bei Verdachts- und Krankheitsfällen von Scharlach und sonstigen Streptococcus-pyogenes-Infektionen
- Namentliche Meldepflicht bei allen Infektionen, die mit einer Verbreitung einhergehen können
Patienteninformationen
- Scharlach
- Fieber bei Kindern
Meditricks
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Scharlach (Video frei verfügbar)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- A38: Scharlach
- Inklusive: Scarlatina
- Exklusive: Streptokokken-Pharyngitis (J02.0)
- H67.-*: Otitis media bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H67.0*: Otitis media bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- Otitis media bei Scharlach (A38†)
- Tuberkulose (A18.6†)
- H67.0*: Otitis media bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- A40.-: Streptokokkensepsis
- Exklusive: Beim Neugeborenen (P36.0–P36.1), nach Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O03–O07, O08.0), puerperal (O85), unter der Geburt (O75.3)
- A40.0: Sepsis durch Streptokokken, Gruppe A
- G00.-: Bakterielle Meningitis, anderenorts nicht klassifiziert
- G00.2: Streptokokkenmeningitis
- M00.-: Eitrige Arthritis
- M00.2-: Arthritis und Polyarthritis durch sonstige Streptokokken
- I00: Rheumatisches Fieber ohne Angabe einer Herzbeteiligung
- Inklusive: Akute oder subakute Arthritis bei rheumatischem Fieber
- I01.-: Rheumatisches Fieber mit Herzbeteiligung
- M03.-*: Postinfektiöse und reaktive Arthritiden bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Exklusive: Direkte Gelenkinfektion bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten (M01.-*)
- M03.6-*: Reaktive Arthritis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Arthritis bei infektiöser Endokarditis (I33.0†)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.