Zusammenfassung
Mehrlinge stellen eine besondere Herausforderung an werdende Eltern, Hebammen und Ärzt:innen dar, da die Mehrlingsschwangerschaft zu den Risikoschwangerschaften zählt. Unterschieden werden Mehrlinge anhand ihrer Zygotie (monozygot oder dizygot) sowie anhand der Chorionizität (Anzahl an Plazenten) und Amnionizität (Anzahl der Amnionhöhlen). Dizygote Zwillinge sind stets dichorial-diamnial, wohingegen monozygote Zwillinge je nach Zeitpunkt der Teilung dichorial-diamnial, monochorial-diamnial oder monochorial-monoamnial sein können.
Für nahezu alle möglichen Schwangerschaftskomplikationen besteht bei Mehrlingen ein erhöhtes Risiko (bspw. Frühgeburtlichkeit, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie). Es gibt jedoch auch für Mehrlinge spezifische Komplikationen wie bspw. das fetofetale Transfusionssyndrom, die selektive intrauterine Wachstumsretardierung oder den Vanishing Twin. Im Allgemeinen werden Mehrlinge engmaschig überwacht, um schwerwiegende Folgen abzuwenden. Mehrlinge werden meist mittels Sectio caesarea entbunden.
Epidemiologie
- Häufigkeitsübersicht [1]
- Nach Zygotie
- Nach Plazentationsform
- Monochorial-diamnial: Ca. 26%
- Monochorial-monoamnial: Ca. 1%
- Dichorial-diamnial: Ca. 72%
- Hellin-Regel: Berechnung der Häufigkeit von Mehrlingsgeburten (durch Spontankonzeption)
- Zwillinge: Ca. 1:85 = 1,18%
- Drillinge: Ca. 1:852 = 0,014%
- Vierlinge: Ca. 1:853 = 0,00016%
- usw.
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Klassifikation
Monozygote vs. dizygote Zwillinge
Monozygote Zwillinge | Dizygote Zwillinge | |
---|---|---|
Häufigkeit | 33% aller Zwillingsschwangerschaften | 66% aller Zwillingsschwangerschaften |
Entstehung | Teilung einer befruchteten Eizelle in zwei Embryonalanlagen | Befruchtung von 2 Eizellen durch 2 Spermien |
Genetik der Individuen | Identisch | Unterschiedlich |
Chorionhöhle und Amnionsack | Dichorial-diamniot, monochorial-diamniot oder monochorial-monoamniot, siehe auch: Verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten monozygoter Zwillinge | Stets dichorial-diamniot |
Verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten monozygoter Zwillinge
Bei einer Schwangerschaft mit monozygoten Zwillingen kann es abhängig vom Teilungszeitpunkt in zwei Embryonalanlagen zu verschiedenen Verläufen kommen.
Entwicklungsmöglichkeiten monozygoter Zwillinge [2] | |||
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Chorionizität und Amnionizität | Beschreibung | Teilungszeitpunkt der Eizelle | Häufigkeit bei monozygoten Zwillingen |
Dichorial-diamniot | Jeder eineiige Zwilling hat eine eigene Fruchthöhle und Plazenta | Innerhalb der ersten 3 Tage nach Konzeption | Ca. 35% |
Monochorial-diamniot | Die eineiigen Zwillinge teilen sich eine Plazenta, haben aber eine eigene Fruchthöhle | Teilung zwischen Tag 3 bis Tag 8 nach Konzeption | Ca. 65% |
Monochorial-monoamniot | Die eineiigen Zwillinge teilen sich Plazenta und Fruchthöhle | Teilung zwischen Tag 8 bis Tag 13 nach Konzeption | Ca. 1% |
Monochorial-monoamniot (siamesische Zwillinge) | Die Zwillinge teilen sich Plazenta und Fruchthöhle und sind miteinander verwachsen | Teilung ab Tag 14 nach Befruchtung | <0,1% |
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Inspektion: Größerer Uterus und Bauchumfang als bei Einlingen
- Palpation: Ertasten von zwei oder mehr Föten
Sonografie [3]
- Nachweis mehrerer Föten
- Bestimmung des Gestationsalters [3]
- Zeitpunkt bei Spontankonzeption: Bei SSL von ca. 45–84 mm
- Immer den Fötus mit der größeren SSL zur Schätzung des Gestationsalters verwenden
- Zeitpunkt bei IVF: Anhand des Embryonalalters (in Tagen) bei Implantation
- Zeitpunkt bei Spontankonzeption: Bei SSL von ca. 45–84 mm
- Bestimmung der Chorionizität und Amnionizität
- Zeitpunkt: Zwischen 11+0 und 13+6 SSW (im Rahmen des Ersttrimester-Screenings)
- Anhand folgender Kriterien
- Eihautdicke an Insertion (von Amnion an Plazenta)
- Lambda-Zeichen (dichorial-diamniale Zwillinge)
- T-Zeichen (monochorial-diamniale Zwillinge)
- Anzahl an Plazenten
- Eihautdicke an Insertion (von Amnion an Plazenta)
- Bei monochorial-monoamnialen Schwangerschaften
- Bei Unmöglichkeit der Beurteilung (auch in spezialisiertem Zentrum) → Betreuung wie monochoriale Schwangerschaft
Zwillingsbezeichnung [3]
- Pränatale Festlegung(!) der Zwillingsbezeichnung (I und II oder A und B), durch so viele Merkmale wie möglich
- Geschlecht
- Lagebezeichnung der Föten (in Bezug auf die Mutter)
- Links/rechts
- Oben/unten
- Lagebezeichnung der Plazenta
- Insertionsstelle der Nabelschnüre (in Bezug auf die Plazentaränder)
- Beispiel: Zwilling II (männlich), auf rechter maternaler Seite, Seitenwandplazenta rechts, randständige Nabelschnurinsertion
- Wechsel-Phänomen (Switch Phenomenon): Zwilling I (A) wird nicht immer als erstes geboren
Da Zwilling I (A) nicht immer als erstes geboren wird, sollte bei diskordanten inneren Fehlbildungen unmittelbar vor der Geburt oder vor einem neonatologischen Eingriff eine Sonografie erfolgen, damit es postpartal nicht zu einer Verwechslung der Säuglinge kommt!
Vorsorgeuntersuchungen bei Mehrlingen
Mehrlingsschwangerschaften werden zu den Risikoschwangerschaften gezählt. Je nach Schwangerschaftswoche und etwaigen Komplikationen sollten Vorsorgeuntersuchungen alle 2–4 Wochen u.a. mittels geburtshilflicher Doppler-Sonografie, fetaler Biometrie, Beurteilung der Fruchtwassermenge und CTG durchgeführt werden.
Erstbeurteilung von Zwillingsschwangerschaften
- In der 11+0–13+6 SSW
- Bestimmung des Gestationsalters
- Zwillingsbezeichnung festlegen
- Bestimmung der Chorionizität und Amnionizität
- Ersttrimester-Screening bei Zwillingen
Allgemeine Vorsorgeuntersuchungen bei dichorialen Zwillingen [3]
- Unkomplizierte Schwangerschaft
- 20+0–21+6 SSW
- Organscreening (Feindiagnostik)
- Fetale Biometrie
- Schätzgewicht (plus Differenz der fetalen Schätzgewichte voneinander )
- Beurteilung der Fruchtwassermenge, siehe auch: SDP
- Doppler-Sonografie der A. umbilicalis (PI)
- Ggf. Zervixlänge
- Ab 24+0 SSW–36+0 SSW alle 4 Wochen, danach häufiger
- 20+0–21+6 SSW
- Komplizierte Schwangerschaft: Häufigere Kontrollen, je nach Komplikation
Allgemeine Vorsorgeuntersuchungen bei monochorialen Zwillingen [3]
Monochorial-monoamniale Schwangerschaften sollten immer an ein Perinatalzentrum Level 1 angebunden werden.
- Unkomplizierte Schwangerschaft
- 16+0–18+6 SSW
- 20+0–21+6 SSW
- Organscreening (Feindiagnostik) mit Echokardiografie
- Fetale Biometrie
- Schätzgewicht (plus Differenz der fetalen Schätzgewichte voneinander )
- Beurteilung der Fruchtwassermenge, siehe auch SDP
- Doppler-Sonografie der A. umbilicalis (PI) und der A. cerebri media (Vmax)
- Ggf. Zervixlänge
- Ab 22+0 SSW, alle 2 Wochen
- Fetale Biometrie
- Beurteilung der Fruchtwassermenge, siehe auch SDP
- Doppler-Sonografie der A. umbilicalis (PI) und der A. cerebri media (Vmax)
- Schätzgewicht (plus Differenz der fetalen Schätzgewichte voneinander )
- Komplizierte Schwangerschaft: Häufigere Kontrollen, je nach Komplikation (bspw. Nabelschnurverschlingung oder -knoten)
Screening auf Chromosomenstörungen [3]
Mithilfe der verschiedenen Untersuchungen wird eine Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomenstörung errechnet. Das Risiko für eine Trisomie wird bei monochorialen Zwillingen für beide zusammen errechnet. Bei dichorialen Zwillingen wird das Risiko für jeden Zwilling einzeln berechnet.
- Ersttrimester-Screening bei Zwillingen (Combined Test)
- Maternales Alter
- Nackentransparenzmessung [1]
- Laboruntersuchung
- Zusätzlich mögliche Untersuchungen
- NIPT
- Kombination mit folgenden sonografischen Kriterien
- Nasenbein
- Trikuspidalklappenfluss
- Doppler-Sonografie des Ductus venosus
- Strukturierte sonografische Fehlbildungsdiagnostik
- Ersttrimester-Screening bei Vanishing Twin
- Maternales Alter
- Nackentransparenzmessung
- Laboruntersuchung: β-hCG im Serum
- Ausnahme: Bei noch vorhandener Embryonalstruktur keine β-hCG-Messung
Komplikationen (Übersicht)
Mehrlingsschwangerschaften bergen ein erhöhtes Risiko für eine Vielzahl von Schwangerschaftskomplikationen.
- Allgemein
- Häufig stärkere Schwangerschaftsbeschwerden wie Hyperemesis gravidarum
- Frühgeburtlichkeit, Zervixinsuffizienz, vorzeitige Wehentätigkeit bei Mehrlingen, früher vorzeitiger Blasensprung bei Mehrlingen
- Abort, evtl. auch Abort nur eines Zwillings im ersten Trimenon (Vanishing Twin)
- Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie, Eklampsie
- Plazentainsuffizienz, Hypotrophie und intrauterine Mangelversorgung eines oder beider/aller Kinder, selektive intrauterine Wachstumsretardierung (sIUGR)
- Plazenta praevia [1]
- Diskordante fetale Fehlbildungen
- IUFT eines Zwillings
- Bei Monochorionizität
- Bei Monoamnionizität: Nabelschnurumschlingungen und -verstrickung
- Geburtskomplikationen
- Eröffnungsphase oder Geburtsverlauf verlängert
- Vorzeitige Plazentalösung nach der Geburt des ersten Zwillings
- Nabelschnurvorfall
- Uterusatonie
Mehrlingsschwangerschaften erfordern aufgrund des erschwerten Geburtsvorgangs häufiger eine Entbindung mittels Sectio caesarea (Kaiserschnitt)!
Komplikationen und deren Management
Vanishing Twin [1][4]
- Definition: Intrauterines Versterben eines Mehrlings im 1. Trimenon
- Inzidenz: Ca. 50% → Mehrlingsschwangerschaften > Mehrlingsgeburten
- Symptome/Klinik: Meist asymptomatisch, ggf. vaginale Blutung
- Diagnostik: Sonografie bei zuvor diagnostizierter Mehrlingsschwangerschaft
- Fehlender Mehrling
- Leere zweite Fruchthöhle
- Differenzialdiagnose: Hämatom
- Vorgehen: Überwachung des lebenden Fötus
Fetale selektive intrauterine Wachstumsretardierung (sIUGR) [3]
- Definition: Ungleiches Wachstum der Mehrlinge [3]
- Setting: Ab einem Gewichtsunterschied von ≥25% im spezialisierten Zentrum Level 1
- Diagnostische Kriterien [3]
- Differenz der Schätzgewichte ≥25%
- Fetale Biometrie mit Schätzgewicht <10. Perzentil eines Fötus
- Doppler-Sonografie der A. umbilicalis des kleineren Fötus: PI >95. Perzentil
- Bei Monochorionizität zusätzlich: Abdomenumfang <10. Perzentil eines Fötus
- Diagnosestellung
- Schätzgewicht eines Zwilling <3. Perzentil oder
- Bei Dichorionizität: 2 von 3 diagnostischen Kriterien erfüllt
- Bei Monochorionizität: 2 von 4 diagnostischen Kriterien erfüllt
- Ursachenforschung [3]
- Fehlbildungssonografie
- Doppler-Sonografie in der Schwangerschaft
- Infektionsscreening (u.a. Toxoplasmose, CMV, Röteln)
- Ggf. genetische Abklärung
- Vorgehen
- Bei Dichorionizität: Engmaschige Kontrollen alle 2 Wochen (wie bei Einlingen), insb.
- Bei Monochorionizität
- Engmaschige Kontrollen
- Fetale Biometrien alle 2 Wochen
- Doppler-Sonografien mind. wöchentlich
- Mögliches Prozedere
- Konservativ und frühzeitige Entbindung
- Selektiver Fetozid bei Zwillingen zum Schutz des gesunden Zwillings
- Engmaschige Kontrollen
- Geburtszeitpunkt planen, unter Einbezug von
- Ergebnissen der Doppler-Sonografie in der Schwangerschaft
- Fetaler Wachstumskurve
- Kardiotokografie
- Ggf. computergestützter CTG
Diskordante fetale Fehlbildungen [3]
- Definition: Fehlbildung lediglich eines Zwillings
- Inzidenz: 1–2% aller Zwillingsschwangerschaften
- Setting: Spezialisiertes Zentrum
- Vorgehen: Abwägung konservativ vs. interventionell
- Selektiver Fetozid bei Zwillingen
- Bei Dichorionizität: Ultraschallgesteuerte intrakardiale Injektion von Kaliumchlorid oder Lidocain (vorzugsweise im 1. Trimenon)
- Bei Monochorionizität: Nabelschnurokklusion, intrafetale Laserablation oder Radiofrequenzablation (RFA)
- Weiteres Vorgehen siehe: IUFT eines Zwillings
- Selektiver Fetozid bei Zwillingen
Intrauteriner Fruchttod (IUFT) eines Zwillings [3]
Verliert der verstorbene Zwilling über die gemeinsame Plazenta Blut, besteht insb. bei Monochorionizität die Gefahr, dass der überlebenden Zwilling eine Anämie entwickelt. Daher ist dieser Abschnitt besonders auf monochoriale Zwillinge bezogen.
- Setting: Spezialisiertes Zentrum
- Vorgehen
- Elternberatung
- Am Geburtstermin: Entbindung
- In früheren Wochen: Prolongation der Schwangerschaft und Entbindung nach Lungenreifeinduktion in der 33.–35. SSW
- Engmaschige fetale Überwachung alle 2–4 Wochen
- Doppler-Sonografie in der Schwangerschaftt, insb. der A. cerebri media mit Vmax und der A. umbilicalis
- Fetale Biometrien
- Kardiotokografie
- Untersuchung auf zerebrale Schäden des überlebenden Zwillings nach 4–6 Wochen (mittels Sonografie oder MRT)
- Engmaschige fetale Überwachung alle 2–4 Wochen
- Postpartal
- Neuropädiatrische Folgeuntersuchungen (mittels Sonografie oder MRT)
- Entwicklungsneurologische Untersuchung mit 2 Jahren
Komplikationen nach IUFT eines Zwillings bei Mono- und Dichorionizität
Mögliche Komplikationen beim verbliebenen Zwilling [3] | ||
---|---|---|
Komplikationen | Monochorionizität | Dichorionizität |
Versterben | 15% | 3% |
Frühgeburtlichkeit | 68% | 3% |
Abnorme kraniale Bildgebung | 34% | 16% |
Neurologische Entwicklungsverzögerung | 26% | 2% |
Vorzeitige Wehentätigkeit bei Mehrlingen [1]
I.d.R. verbleiben Zwillinge ca. 36 Wochen, Drillinge 34 Wochen intrauterin. Die Gründe einer Frühgeburt sind u.a. eine höhere mechanische Belastung des Uterus (insb. des unteren Uterinsegments), eine erhöhte Fruchtwassermenge und eine erhöhte Östrogenaktivität sowie Prostaglandinsynthese (bei relativer Verminderung der Progesteronaktivität). Je mehr Föten, je niedriger die SSW und das Geburtsgewicht, desto höher ist die fetale Morbidität und Mortalität.
- Setting: Spezialisiertes Zentrum
- Epidemiologie
- Bei Zwillingen: 6-fache Risikoerhöhung
- Bei Drillingen: 10-fache Risikoerhöhung
- Risikofaktoren
- Rauchen
- Niedriger sozioökonomischer Status
- Unausgewogene Ernährung
- Vaginale Blutungen
- Z.n. Frühgeburt oder Spätabort
- Operationen am Uterus
- Siehe auch: Drohende Frühgeburt - Ätiologie
- Diagnostik siehe: Diagnostik bei drohender Frühgeburtlichkeit und Diagnostik des Blasensprungs (bei Schwangeren mit subjektiver Wehentätigkeit)
- Vorgehen
- Tokolyse, bspw. mit dem Oxytocin-Antagonisten Atosiban, siehe auch: Tokolytika
- RDS-Prophylaxe <34 SSW bei
- Verkürzung der Zervix und Trichterbildung (mit Wehen im CTG)
- Blasensprung
- Maternalen Komplikationen, die zu einer Frühgeburt führen könnten
- Vor Amniondrainage (zwischen 24 und 34 SSW)
- Zu beachten: Bei kontinuierlicher intravenöser Tokolyse und RDS-Prophylaxe besteht erhöhtes Risiko für maternales Lungenödem
- Siehe auch: Drohende Frühgeburtlichkeit - Therapie
Mehrlingsschwangere haben ein erhöhtes Risiko für ein Lungenödem bei gleichzeitiger Anwendung einer kontinuierlichen(!) intravenösen Tokolyse und einer RDS-Prophylaxe!
Früher vorzeitiger Blasensprung bei Mehrlingen [1]
- Setting: Spezialisiertes Zentrum
- Epidemiologie: Mehrlinge > Einlinge
- Vorgehen
- Individuell und von verschiedenen Faktoren abhängig
- Regelmäßiges Entzündungslabor
- Antibiotische Prophylaxe durchführen (kontrovers diskutiert!)
- Bei ansteigenden Entzündungsparametern: Zeitnahe Entbindung (i.d.R. via Sectio caesarea)
- RDS-Prophylaxe <34 SSW
- Ggf. Tokolyse
- Siehe auch: Prozedere bei frühem vorzeitigen Blasensprung
Zervixinsuffizienz bei Mehrlingen
Spezielle Komplikationen bei Monochorionizität und deren Management
Fetofetales Transfusionssyndrom (TTTS, FFTS) [1][3]
- Definition: Plazentare Gefäßanastomosen zwischen beiden Föten mit einseitigem Blutfluss von einem Zwilling (Donor) zum anderen Zwilling (Akzeptor)
- Epidemiologie
- Inzidenz: 10–15% aller monochorialen Zwillingsschwangerschaften
- Letalität: Unbehandelt 90%
- Morbidität: Unbehandelt 50%
- Pathophysiologie des fetofetalen Transfusionssyndroms
- Volumen-Shift durch plazentare Gefäßanastomosen vom Donor zum Akzeptor → Hypovolämie beim Donor führt zu Oligurie und Oligohydramnion, Hypervolämie beim Akzeptor führt zu Polyurie und Polyhydramnion → Erhöhter zentralvenöser Druck beim Akzeptor → Führt zu u.a. arterieller Hypertonie, verstärkter Nierendurchblutung und Dilatation der Vorhöfe (Myokardhypertrophie) → IUFT durch Myokardinsuffizienz mit Hydropsentwicklung
- Erste Anzeichen eines TTTS
- Unterschiedliche Hämodynamik
- Fruchtwassermengenunterschied
- Diagnostik
- Sonografie-Screening ab 15. SSW, alle 2 Wochen
- Doppler-Sonografie in der Schwangerschaft
- Darstellung der fetalen Harnblasen
- Fruchtwasserindex
- Besonderheit bei monochorial-diamnialen Zwillingen
- Screening auf Membranfaltung (Membrane Folding)
- Fruchtwassermengenunterschied beim fetofetalen Transfusionssyndrom
- Donor : SDP von <2 cm (Oligohydramnion)
- Akzeptor : SDP von ≥8 cm in ≤19. SSW und ≥10 cm in >19. SSW (Polyhydramnion)
- Besonderheit bei monochorial-monoamnialen Zwillingen
- Polyhydramnion
- Unterschiedliche Füllung der Harnblase
- Generell: Größenunterschied
- Sonografie-Screening ab 15. SSW, alle 2 Wochen
- Stadieneinteilung nach Quintero
- Stadium I: Fruchtwassermengenunterschied beim fetofetalen Transfusionssyndrom → Ab Stadium I immer Anbindung an ein spezialisiertes Zentrum
- Stadium II: Harnblase des Donors lässt sich sonografisch nicht darstellen
- Stadium III
- Doppler-Sonografie der A. umbilicalis: Zero Flow oder Reverse Flow des diastolischen Flusses bei einem Zwilling
- Doppler-Sonografie des Ductus venosus: Zero Flow oder Reverse Flow der A-Welle bei einem Zwilling
- Pulsationen der V. umbilicalis bei einem Zwilling
- Stadium IV: Hydrops fetalis bei einem oder beiden Zwillingen
- Therapie
- Fetoskopische Laserablation (kausal)
- Durchführung: Laserkoagulation arteriovenöser plazentarer Gefäßanastomosen [1]
- Indikationsausnahme: Stadium I nach Quintero ohne maternale Komplikationen : Engmaschige Überwachung
- Prognose: Gesamtüberleben bei Fruchtwassermengenunterschied im Normbereich plus normale Doppler-Sonografie der A. umbilicalis: 93%
- Komplikationen
- Ablösung der Eihaut: Ca. 21%
- Rezidiv: 14%
- Twin Anemia-Polycythemia Sequence
- Nachsorge: Sonografische Kontrollen wöchentlich, im Verlauf alle 2 Wochen (bei Regression der Symptome), mit
- Überleben [3]
- Ein Zwilling: Ca. 80–90%
- Beide Zwillinge: Ca. 60–70%
- Amniondrainage (symptomatisch) [1]
- Ziel: Prolongation der Schwangerschaft durch Verringerung des intraamnialen Drucks (und daher vermindertem Risiko vorzeitiger Wehen)
- Durchführung siehe: Amniozentese mit vollständiger Drainage des Polyhydramnions
- Überleben: Ca. 60%, abhängig von
- Gestationsalter bei Diagnosestellung und bei Geburt
- Enddiastolischer Zero Flow der A. umbilicalis in der Doppler-Sonografie
- Hydrops fetalis
- Menge der drainierten Fruchtwassermenge
- Geburtsgewicht
- Nachteile: Keine kausale Therapie
- Fetoskopische Laserablation (kausal)
Twin reversed arterial Perfusion Sequence (TRAP-Sequenz) [1][3]
- Definition: Schwerste Verlaufsform eines fetofetalen Transfusionssyndroms mit retrograder Durchblutung des „parasitären Zwillings“ (Akzeptor) mit Entwicklung zerebraler sowie kardialer Atrophie (nicht überlebensfähig!)
- Epidemiologie
- Inzidenz: 1:35.000 aller Schwangerschaften
- 1% aller monochorialen Schwangerschaften
- Theorie der Pathophysiologie
- Kombination aus arterioarteriellen/venovenösen Anastomosen in der Plazenta und einer verzögerten frühen Herzentwicklung eines Zwillings (später: „parasitärer Zwilling“) → Blutdruckunterschied führt zu Druckanstieg im Kreislauf des „Pump-Zwillings“ (Donor) mit retrograder Durchblutung des „parasitären Zwillings“ (Akzeptor) über die plazentaren Gefäßanastomosen → Entwicklung einer zerebralen und kardialen Atrophie des „parasitären Zwillings“ durch sauerstoffarme Durchblutung [1][2]
- Folgen für „parasitären Zwilling“ (nicht überlebensfähig)
- Folgen für „Pump-Zwilling“
- Durch gesteigerte Volumenbelastung (und Versorgung des „parasitären Zwillings“)
- Progrediente Herzinsuffizienz
- Hydrops fetalis
- IUFT
- Polyhydramnion und vorzeitige Wehentätigkeit
- Durch gesteigerte Volumenbelastung (und Versorgung des „parasitären Zwillings“)
- Diagnostik: Sonografische Überwachung
- Doppler-Sonografie in der Schwangerschaft (Flussumkehr im „parasitären Zwilling)
- Messen des Fruchtwasserindex (CAVE: Polyhydramnion!)
- Größenzunahme des „parasitären Zwillings“
- Therapie
- In spezialisiertem Zentrum
- Konservative Therapie mit engmaschiger Kontrolle
- Invasive Therapie beim „parasitären Zwilling“
- Nabelschnurkoagulation
- Nabelschnurligatur
- Photokoagulation der Anastomose
- Radiofrequenzablation
- Intrafetale Laserablation
- Bei guter Prognose des „Pump-Zwillings“: Elektive Sectio caesarea
- Prognose
- Konservative Therapie: 70% Überlebenswahrscheinlichkeit des „Pump-Zwillings“ bei Schwangerschaftsalter <18 Wochen
- Invasive Therapie: 80% Überlebenswahrscheinlichkeit des „Pump-Zwillings“
Twin Anemia-Polycythemia Sequence (TAPS) [2][3][5]
- Definition
- Anämie (mit einer Retikulozytose) des Donors, Polyzythämie des Akzeptors
- Im Gegensatz zum FFTS gibt es beim TAPS kein Poly- bzw. Oligohydramnion [5]
- Unterschiedliche Flussgeschwindigkeit in der Systole der A. cerebri media (Vmax), siehe auch: Doppler-Sonografie der A. cerebri media
- Anämie (mit einer Retikulozytose) des Donors, Polyzythämie des Akzeptors
- Epidemiologie: <5% der monochorial-diamnialen Zwillingsschwangerschaften
- Ätiologie
- Theorie: Übergang von Blutvolumen vom Donor zum Akzeptor durch sehr kleine arteriovenöse plazentare Anastomosen (<1 mm) → Erheblicher Hämoglobinkonzentrationsunterschied bei Entbindung
- Iatrogen: Durch Gefäßanastomosen nach fetoskopischer Laserablation bei FFTS (13%)
- Diagnostik: Sonografie-Screening ab der 19. SSW alle 2 Wochen, bei Diagnosestellung wöchentlich
- Pränatale Kriterien
- Differenz der Vmax-Werte in der Doppler-Sonografie der A. cerebri media >0,5 MoM, alternativ
- Zusätzliche sonografische Hinweise
- Diskordante Echogenität und Dicke der Plazenta
- „Sternenhimmel-Leber“ des Akzeptor-Zwillings
- Postnatale Kriterien
- Differenz der Hb-Werte von mind. 8 g/dL, zusätzlich
- Retikulozytenverhältnis zwischen Donor und Akzeptor >1,7 oder [6]
- Nachweis kleiner arteriovenöser, plazentarer Anastomosen (<1 mm)
- Differenz der Hb-Werte von mind. 8 g/dL, zusätzlich
- Klassifikation
- Pränatale Kriterien
Stadieneinteilung nach Slaghekke und Lopriore [3] | ||
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Stadium | Pränatal | Postnatal (Differenz der Hb-Werte) |
I |
|
|
II |
|
|
III |
|
|
IV |
|
|
- Therapie: Keine Evidenz, daher individuelles Management
- Mögliche Optionen
- Konservatives Management mit engmaschiger Kontrolle
- Frühe Entbindung
- Fetoskopische Laserablation
- Intrauterine Bluttransfusion des Donor-Zwillings
- Mögliche Optionen
- Komplikationen : Risikoerhöhung für neurologische Entwicklungsverzögerung (30%), insb. für den Donor-Zwilling (Hörstörungen!)
Speziell bei monochorial-monoamnialen Zwillingen [1][3]
- Nabelschnurumschlingung und -verstrickung
- Polyhydramnion und vorzeitige Wehentätigkeit bei Zwillingen
- Fetofetales Transfusionssyndrom
- Abortrate <15. SSW: 50%
Siamesische Zwillinge (Conjoined Twins) [1][3][7]
- Definition: Inkomplette Teilung ab dem 14. Entwicklungstag mit Verwachsung der Zwillinge an verschiedenen Körperstellen [7]
- Epidemiologie: Inzidenz ca. 1:100.000 Schwangerschaften
- Klassifikation (abhängig von der verwachsenen Körperstelle)
- Thorakopagus (am häufigsten)
- Cephalopagus
- Omphalopagus
- Ischiopagus
- Diagnostik: Sonografische Darstellung im 1. Trimenon (ggf. MRT)
- Geburtsmodus: Primäre Sectio caesarea
- Prognose: Meist infaust
Geburtsmanagement bei Mehrlingen
Allgemein [3]
- Entbindungszeitpunkt
- Unkomplizierte dichorial-diamniale Zwillinge: Zwischen 37+0 und 38+0 SSW
- Unkomplizierte monochorial-diamniale Zwillinge: Zwischen 36+0 und 37+0 SSW
- Unkomplizierte monochorial-monoamniale Zwillinge nach Lungenreifeinduktion: Zwischen 32+0 und 32+6 SSW
- Siehe auch: Indikationen für eine Geburtseinleitung
Geburtsmodus [1][3]
Vaginaler Entbindungsversuch bei Zwillingen [1]
- Voraussetzungen
- Geburtsüberwachung
- Organisation
- Laborentnahme (Komplettlabor)
- Verfügbarkeit sichern von
- Freiem Sectio-OP mit Bereitschaft von Anästhesie und Neonatologie
- Sonografiegerät
- Wärmebett
- Oxytocin-Tropf
- Vorgehen
- Beide Föten in Schädellage: Vaginale Geburt beider Föten möglich
- Geburt des 1. Zwillings
- Sofortige sonografische Lagekontrolle und Überprüfung der Herzaktion des 2. Zwillings
- Bei Wehenschwäche: Intravenöse Oxytocin-Gabe [1]
- Abwarten bis 30 min möglich, wenn keine Komplikationen auftreten
- Schädellage und Beckenendlage/Querlage: Kein Konsens über die Entbindung des 2. Zwillings → Individuelle Entscheidung (abhängig insb. von der Erfahrung des Teams)
- Beide Föten in Schädellage: Vaginale Geburt beider Föten möglich
- Mögliche Komplikationen zwischen Geburt des 1. und des 2. Zwillings
- Sekundäre Wehenschwäche
- Plazentalösung
- Lageanomalie
- Nabelschnurvorfall
Primäre Sectio caesarea bei Zwillingen [1]
- Indikationen
- Alle monochorial-monoamnialen Zwillinge
- Frühgeburtlichkeit [1][3]
- Beide Föten in Beckenendlage
- Führender Zwilling nicht in Schädellage
- Evtl. Querlage des 2. Zwillings
- Ab Drillingsschwangerschaft
- Schätzgewicht <1.500 g
- Gewichtsunterschied von >20% oder >500 g
- Fetale Fehlbildungen
- Plazentainsuffizienz
- Pathologie in der Doppler-Sonografie der A. umbilicalis
- Z.n. Uterusoperation
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
O30.-: Mehrlingsschwangerschaft
- Exklusive: Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind (O31.‑)
- O30.0: Zwillingsschwangerschaft
- O30.1: Drillingsschwangerschaft
- O30.2: Vierlingsschwangerschaft
- O30.8: Sonstige Mehrlingsschwangerschaft
- O30.9: Mehrlingsschwangerschaft, nicht näher bezeichnet
- Mehrlingsschwangerschaft o.n.A.
O31.-: Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind
- Exklusive: Doppelfehlbildung [zusammengewachsene Zwillinge] als Ursache für ein Missverhältnis zwischen Fetus und Becken (O33.7); Geburtshindernis (O64-O66); Lage- und Einstellungsanomalien eines oder mehrerer Feten (O32.5); Protrahierte Geburt des zweiten Zwillings, Drillings usw. (O63.2)
- O31.0: Fetus papyraceus
- Fetus compressus
- O31.1: Fortbestehen der Schwangerschaft nach Fehlgeburt eines oder mehrerer Feten
- O31.2: Fortbestehen der Schwangerschaft nach intrauterinem Absterben eines oder mehrerer Feten
- O31.8: Sonstige Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind
P01.-: Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch mütterliche Schwangerschaftskomplikationen
- P01.5: Schädigung des Fetus und Neugeborenen bei Mehrlingsschwangerschaft
- Drillingsschwangerschaft
- Zwillingsschwangerschaft
Z37.-:! Resultat der Entbindung
- Z37.0!: Lebendgeborener Einling
- Z37.1!: Totgeborener Einling
- Z37.2!: Zwillinge, beide lebendgeboren
- Z37.3!: Zwillinge, ein Zwilling lebend-, der andere totgeboren
- Z37.4!: Zwillinge, beide totgeboren
- Z37.5!: Andere Mehrlinge, alle lebendgeboren
- Z37.6!: Andere Mehrlinge, einige lebendgeboren
- Z37.7!: Andere Mehrlinge, alle totgeboren
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.