Zusammenfassung
Als Frühgeburt wird ein Neugeborenes vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (bis 36+6 SSW) bezeichnet. Eine drohende Frühgeburt kann sich durch einen frühen vorzeitigen Blasensprung, eine vorzeitige Wehentätigkeit oder auch asymptomatisch durch eine Zervixinsuffizienz ankündigen. Die Diagnostik erfolgt mittels CTG, Sonografie sowie ggf. biochemischer Tests. Aufgrund der erhöhten peripartalen Morbidität und Mortalität der Frühgeborenen werden abhängig vom Gestationsalter verschiedene Maßnahmen ergriffen (Tokolyse, Lungenreifeinduktion, peripartale Antibiotikatherapie), um eine drohende Frühgeburt abzuwenden bzw. das Komplikationsrisiko zu minimieren.
Epidemiologie
- Frühgeburtenrate in Deutschland: Ca. 8% (Stand 2020) [1]
- Perinatale Mortalität: Abhängig von Zeitpunkt der (Früh‑)Geburt
Perinatale Mortalität in Deutschland [1] | |
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SSW | Mortalitätsrate |
<28+0 SSW | Ca. 35% |
28+0–31+6 SSW | Ca. 8% |
32+0–36+6 SSW | 1–2% |
Am Termin | 0,1% |
Lebensfähigkeit von Frühgeborenen
Im internationalen Vergleich wird die Lebensfähigkeit Frühgeborener unterschiedlich definiert. Nachfolgend wird die Einteilung der Leitlinie Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit der Fachgesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) dargestellt. [2]
Lebensfähigkeit von Frühgeborenen nach Gestationsalter und Gewicht [2] | |
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Gestationsalter und Gewicht | Überlebenschance |
<22+0 SSW oder <23+0 SSW und <400 g | Keine realistische Überlebenschance |
22+0–22+6 SSW oder 23+0–23+6 SSW und <400 g | Überleben mit z.T. starker Morbidität (Langzeitverlauf nicht vorhersehbar) |
23+0–23+6 SSW oder 24+0–24+6 SSW und <400 g | Überleben bei Behandlung in spezialisierten Zentren >50%, lebenslange ausgeprägte Morbidität möglich |
≥24+0 SSW und ≥400 g | Gute Überlebenschance, lebenserhaltende Therapie i.d.R. anzustreben |
Ätiologie
Die Ätiologie der Frühgeburt beruht meist auf mehreren Faktoren, die klinisch in ein oder mehrere Leitsymptome (früher vorzeitiger Blasensprung (P-PROM), vorzeitige Wehentätigkeit, Zervixinsuffizienz) münden. Dabei sind etwa ⅔ aller Frühgeburten die Folge von vorzeitigen Wehentätigkeiten .
Maternale Risikofaktoren [1][3][4]
- Infektionen
- Vaginale Infektionen
- Zervizitis
- Triple I
- Chronisch rezidivierende Harnwegsinfekte
- Asymptomatische Bakteriurie
- Parodontitis
- SARS-CoV-2
- Influenza
- Generalisierte Infekte
- Anatomische Ursachen: Uterusanomalien, Z.n. Konisation
- Chronische Erkrankungen: Hypertonie, Diabetes mellitus, subklinische Hypothyreose
- Anämie: Hb-Wert <11 g/dL (1. und 3. Trimenon) bzw. Hb-Wert <10,5 g/dL (2. Trimenon) [5]
- Pathologien in früheren Schwangerschaften
- Z.n. Frühgeburt
- Z.n. vorzeitiger Wehentätigkeit
- Z.n. P-PROM
- Auffälligkeiten in aktueller Schwangerschaft
- Früher vorzeitiger Blasensprung
- Vorzeitige Wehentätigkeit
- Zervixinsuffizienz
- Polyhydramnion
- Mehrlingsschwangerschaft
- Uteroplazentare Dysfunktion (z.B. HELLP)
- Pathologische geburtshilfliche Doppler-Sonografie
- Plazentainsuffizienz
- Plazentalösung
- Deziduale Blutungen
- Vaskuläre Erkrankungen der Plazenta
- Deziduale Seneszenz
- Gestörte materno-fetale Immuntoleranz
- Progesteronentzug
- Familienanamnese: Geburt hypotropher Kinder durch die Mutter oder Schwester
- Biologisches Profil
- Alter der Mutter <18 Jahre
- BMI <19,8 kg/m2 [6]
- Adipositas [7]
- Schwangerschaftsintervall <12 Monate
- African Americans [8]
- Psychosoziale Faktoren
- Umweltfaktoren: Starke Hitze [9]
- Körperliche Arbeit
- Lange Arbeitszeiten
- Schichtarbeit
- Stehen ≥6 h
- Monotone Körperhaltung ≥6 h
- Schweres Heben
Fetale Risikofaktoren [3][4]
- Mehrlinge
- Fehlbildungen
- Lageanomalien
- Polyhydramnion
- Infektionen
- Intrauterine Wachstumsrestriktion
Iatrogene Risikofaktoren
Triple I
Die Begriffe Amnioninfektionssyndrom und Chorioamnionitis wurden durch den Begriff „Triple I“ abgelöst, um maternales Fieber von einer intrauterinen Infektion und/oder Inflammation zu unterscheiden. Die Drei „I“ stehen für die drei Arten einer intrauterinen Entzündung (Inflammation, Infektion oder beides). [1]
Definition [1]
- Maternales Fieber
- Verdacht auf Triple I: Maternales Fieber und
- Fetale Tachykardie >160/min länger als 10 min oder
- Maternale Leukozytose >15.000/μL oder
- Purulenter Fluor aus dem Muttermund
- Bestätigtes Triple I: Verdacht auf Triple I und nachgewiesene Infektion, bspw.
- Im Fruchtwasser per Amniozentese oder
- In Plazenta, Eihäuten oder Nabelschnur (postpartal)
Ätiologie
- Häufig assoziiert mit vorzeitigem Blasensprung
- Meist Aszension von Keimen aus der Vagina
- Hämatogene Streuung möglich
- Häufige Erreger: Streptokokken der Gruppe A und B, Staphylokokken, E. coli, Enterokokken, Anaerobier, Mycoplasma hominis
Klinik
- Zeichen eines Triple I bei Mutter und Kind: Maternales Fieber und fetale Tachykardie, maternale Leukozytose oder purulenter Fluor aus dem Muttermund
- Maternale Tachykardie
- Druckschmerzhafter Uterus
- Vorzeitige Wehen
- Ggf. übelriechendes Fruchtwasser
Diagnostik
- Kardiotokografie: Fetale Tachykardie
- Vitalparameter der Mutter: Blutdruck, Herzfrequenz
- Temperaturmessung der Mutter
- Laborkontrollen der Mutter: CRP-Erhöhung, Leukozytose
- Erregernachweis in
- Zervix- oder Vaginalabstrich
- Amniozentese
- Histopathologie: Postpartale Biopsie von Plazenta, Eihäuten oder Nabelschnur
Eine Amniozentese ist nur in Ausnahmefällen (bspw. bei unklarem maternalem Infektionsherd) indiziert!
Komplikationen [1]
- Neugeboreneninfektion
- Fetales Inflammatory Response Syndrom (FIRS)
- Sepsis der Mutter
- Frühgeburt
- Uterine Dysfunktion mit Gefahr eines Geburtsstillstands und/oder postpartaler Atonie
- Bei Sectio caesarea erhöhtes Risiko von
- Wundinfektion
- Abszessbildung
- Endomyometritis
- Thrombophlebitis
Therapie
- Evtl. schon bei frühem vorzeitigem Blasensprung Antibiotikagabe (siehe auch: Prozedere bei frühem vorzeitigen Blasensprung)
- Bei Triple I (Verdacht oder bestätigt): Entbindung unter subpartaler antibiotischer Therapie
- Schwere Infektion (Sepsis, eitrige Sekretion): Entbindung unter subpartaler antibiotischer Therapie und postnatale Behandlung des Kindes (siehe auch: Neugeboreneninfektion)
Leitsymptome
Früher vorzeitiger Blasensprung (P-PROM)
- Definition: Blasensprung vor vollendeter 37. SSW (<37+0 SSW)
- Weitere Formen des Blasensprungs siehe: Blasensprung
- Epidemiologie: In ca. 3% aller Schwangerschaften [1]
- Ätiologie siehe auch: Ätiologie der drohenden Frühgeburt
- Diagnostik siehe auch: Diagnostik des Blasensprungs
- Symptom: Spontaner Abgang von Fruchtwasser
- Komplikationen
- Triple I
- Früh- oder Fehlgeburt
- Nabelschnurvorfall: Prophylaktisch Beckenhochlagerung und Seitenlagerung (bevorzugt auf die linke Seite, um einem Vena-cava-Kompressionssyndrom entgegenzuwirken)
- Plazentalösung
- Fetale pulmonale Hypoplasie bei P-PROM
- Maternale Sepsis bei P-PROM
- Fetale Skelettdeformitäten bei P-PROM
Vorzeitige Wehentätigkeit [10][11]
- Definition: Zervixwirksame Wehen <37+0 SSW mit Frühgeburtlichkeitsbestrebungen
- Ätiologie siehe auch: Ätiologie der drohenden Frühgeburt
- Symptome
- Wehentätigkeit mit >10 Kontraktionen innerhalb von 24 h
- <30. SSW: >3 Kontraktionen/h
- ≥30. SSW: >5 Kontraktionen/h
Etwa ⅔ aller Frühgeburten sind Folge vorzeitiger Wehentätigkeiten! [1]
Zervixinsuffizienz
- Definition: Verkürzung der Zervix ohne Wehentätigkeit
- Ätiologie: Unklar
- Symptome
- Evtl. vaginales Druckgefühl
- Zeichnungsblutung vor 37+0 SSW
- Auch unbemerkt möglich
- Diagnosestellung: Grenzwerte der Zervixlänge in der Schwangerschaft
- Therapie: Prozedere bei Zervixinsuffizienz
Diagnostik
Die Diagnose „drohende Frühgeburt“ ist komplex, da viele Faktoren berücksichtigt werden müssen. Die unterschiedlichen Ursachen der Frühgeburtlichkeit müssen untersucht werden. Des Weiteren gibt es spezifische Tests, anhand derer Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt getroffen werden können.
(Kardio‑)Tokogramm [4]
- Ziel: Objektivierung der Wehentätigkeit, Zustandsbeurteilung des Kindes
- Beurteilung siehe auch: Vorzeitige Wehentätigkeit
Vaginale Untersuchung
- Ziel: Palpatorische Beurteilung von Zervix und Muttermund
- Beurteilung: Mögliche Anzeichen einer drohenden Geburt
- Verkürzung der Zervix
- Beginnende Öffnung des Muttermundes
- Besonderheiten bei P-PROM: Untersuchung nur mit sterilem Spekulum
Patientinnen mit P-PROM dürfen wegen der Gefahr einer aufsteigenden Infektion nicht digital untersucht werden!
Sonografie
Transabdominale Sonografie
- Indikation
- Beurteilung von Kind, Fruchtwassermenge und Plazenta
- Notwendigkeit einer Fetometrie und/oder geburtshilflichen Doppler-Sonografie
Transvaginale Sonografie [1][12]
- Indikation
- Kontraktionen und palpatorisch beginnende Verkürzung/Eröffnung des Muttermundes
- Bei V.a. Zervixinsuffizienz
- Prophylaktische Messungen ab 16+0 SSW
- Z.n. Frühgeburt in der Anamnese
- Mehrlingsschwangerschaft
- Durchführung : Sonografische Darstellung von
- Zervixlänge (Messung vom inneren zum äußeren Muttermund)
- Möglicher Trichterbildung am inneren Muttermund
Grenzwerte der Zervixlänge in der Schwangerschaft | ||
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Schwangerschaftswoche | Zervixlänge | |
Normwerte | ≤21+6 SSW | >40 mm |
22+0–32+6 SSW | 40 mm | |
≥33+0 SSW | 35 mm | |
Verkürzung | <34+0 SSW | ≤25 mm |
Labor- und Infektionsdiagnostik
- Blutbild
- CRP
- Urinstatus
- Spekulumeinstellung mit Zervixabstrich und vaginaler Erregerdiagnostik, inkl. Myko-/Ureaplasmen, Chlamydien
Tests auf Frühgeburtlichkeit [1][10]
- Fibronektin-Test
- Indikation: Nur sinnvoll bei symptomatischen Patientinnen mit verkürzter Zervix
- Zeitpunkt: 22+0–34+0 SSW
- Durchführung
- 24 h vor Probenentnahme vaginale Manipulation vermeiden
- Schnelltest mittels eines Teststreifens: Abstrich aus dem hinteren Vaginalgewölbe
- Aussagekraft für das Frühgeburtsrisiko innerhalb von 7 d
- Hoher negativer prädiktiver Wert bei Zervixlänge zwischen 15 und 30 mm
- Zusatzkriterium bei Entscheidung für oder gegen therapeutische Maßnahmen
- Nachweis von plazentarem α-Mikroglobulin (PAMG-1): Partosure®
- Zeitpunkt: 19+0–35+6 SSW
- Durchführung
- 6 h vor Probenentnahme vaginale Manipulation vermeiden
- Schnelltest mittels eines Teststreifens: Abstrich aus dem hinteren Vaginalgewölbe
- Aussagekraft
- Hohe Spezifität und Sensitivität bei einer Zervixlänge zwischen 15–30 mm
- Gutes Zusatzkriterium bei einer Zervixlänge <25 mm
- Weiterführende Diagnostik siehe auch: Diagnostik des Blasensprungs
Die Bestimmung von Biomarkern sollte auch bei Risikopatientinnen nur dann erfolgen, wenn Symptome vorliegen!
Therapie
Behandlungsoptionen bei drohender Frühgeburt
Ziel der Therapie ist die Verbesserung des fetalen Outcomes. Dies kann je nach Situation und in Abhängigkeit von der Lebensfähigkeit der Frühgeborenen durch Verlängerung oder Beendigung der Schwangerschaft erreicht werden. Grundsätzlich sollte vor der abgeschlossenen 34. SSW eine Schwangerschaftsverlängerung um mind. 48 h zugunsten einer Lungenreifeinduktion erfolgen, sofern keine akut vitale Gefährdung für Mutter oder Kind vorliegt.
Lungenreifeinduktion
- Definition: Präpartale Verabreichung von Glucocorticoiden zur schnelleren Reifung der Surfactant-produzierenden Typ-2-Pneumozyten des Kindes
- Indikation: Lungenreifungsbehandlung zur Vermeidung eines Atemnotsyndroms
- Zwischen Erreichen der Lebensfähigkeit (23.–24. SSW) und Abschluss der Lungenreife (<34+0 SSW) bei drohender oder medizinisch indizierter Frühgeburt
- Ausnahme: Triple I → Indikation zur sofortigen Entbindung ohne Abwarten der Lungenreifeinduktion
- Durchführung: Betamethason , alternativ Dexamethason
Tokolyse [1][4][13]
Die medikamentöse Wehenhemmung (Tokolyse) soll das Risiko einer Frühgeburt und damit verbundene (Langzeit‑)Schäden für das Kind reduzieren, indem die Schwangerschaft um einige Tage verlängert wird. Die gewonnene Zeit kann genutzt werden, um eine Lungenreifeinduktion und/oder eine Verlegung in ein Perinatalzentrum durchzuführen. Eine Fortführung der Tokolyse über den Abschluss der Lungenreife hinaus (>48 h) führt nicht zur Senkung der Frühgeburtlichkeitsrate.
Indikationen
- Zwischen 22+0 SSW–33+6 SSW bei
- Vorzeitiger Wehentätigkeit (≥4 Wehen/20 min) in Kombination mit Zervixverkürzung und/oder Zervixeröffnung
- Blasensprung
- Nach der 34. SSW nur zur Überbrückung bei Komplikationen
Kontraindikationen
- Triple I
- Intrauteriner Fruchttod oder nicht überlebensfähiges Kind
- Schwangerschaftsalter <22+0 SSW oder ≥34+0 SSW
- Schwere Präeklampsie/Eklampsie mit Entbindungsindikation
- Vorzeitige Plazentalösung
- Hämodynamisch relevante Blutung der Mutter
- Verdacht auf fetale Hypoxie im CTG
- Zervixeröffnung ≥4 cm
- Kontraindikation für Tokolytika
Tokolytika
Es gibt eine Vielzahl von Tokolytika mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen in der Anwendung. Im klinischen Alltag erfolgt die Auswahl des passenden Tokolytikums individuell und unterscheidet sich von Klinik zu Klinik. Aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils wird der kontinuierliche venöse Einsatz von Betamimetika international nicht mehr empfohlen, dennoch ist Fenoterol weiter zur Tokolyse zugelassen. Aufgrund der Wirkung und guten Verträglichkeit sollten Calciumantagonisten (Nifedipin, Off-Label Use), Oxytocinrezeptor-Antagonisten (Atosiban) oder COX-Inhibitoren (Indometacin, Off-Label Use) angewendet werden. [1]
- In Deutschland zur Tokolyse zugelassen
- Atosiban (Oxytocinrezeptor-Antagonist) [14][15]
- Fenoterol (β-2-Sympathomimetikum)
- International trotz Zulassung nicht mehr empfohlen [1]
- Mögliche Anwendungen: Bolustokolyse [1]
- Explizit nicht mehr empfohlen: Kontinuierliche Infusion
- Rote-Hand-Brief zu β-Sympathomimetika (einschließlich Fenoterol): Schwerwiegende, manchmal letale kardiovaskuläre Nebenwirkungen bei Mutter und Fötus, keine Anwendung über 48 h [16]
- Veraltet: Magnesiumsulfat [1]
- In Deutschland Off-Label Use
- Nifedipin [1]
- Zu beachten
- Risiko von schweren Hypotonien und Lungenödem
- Nicht zusammen mit Magnesiumsulfat verwenden
- Zu beachten
- NO-Donatoren
- Indometacin nur bis zur 32+6 SSW
- Nifedipin [1]
Durchführung
- Überwachung
- Regelmäßige CTG-Kontrollen während der Tokolyse
- Kontrolle der mütterlichen Vitalparameter
- Dauer: Möglichst kurze Gabe, bis zur Wehenfreiheit bzw. max. 48 h zwecks Lungenreifeinduktion
Die Kombination von Tokolytika sollte vermieden werden! [1]
Eine Dauertokolyse über mehr als 48 h ist nicht indiziert!
Kindliche Neuroprotektion [1]
Die folgenden Maßnahmen sollen mögliche Hirnschäden beim unreifen Neugeborenen vermeiden oder abmildern
- Magnesium
- Indikation: Unmittelbar bevorstehende Frühgeburt 22+0–31+6 SSW
- Durchführung: Magnesium i.v. [1]
- Spätes Abnabeln
- Mehrfaches Ausstreichen der Nabelschnur ab 28+0 SSW
Psychosomatische Begleitung [1]
- Indikationen
- Drohende Frühgeburt
- Z.n. Frühgeburt
- Therapiemöglichkeiten
- Entspannungsverfahren
- Psychotherapie
- Krisenintervention
- Selbsthilfegruppen
Spezifisches situatives Vorgehen
Prozedere bei frühem vorzeitigen Blasensprung [1][17]
In der Literatur wird ein an der SSW orientiertes Prozedere sehr unterschiedlich dargestellt, zumal jedes Krankenhaus diesbezüglich eigene Vorgaben hat. Die hier dargestellte Vorgehensweise ist demnach beispielhaft und kann eine konkrete Einzelfallentscheidung nicht ersetzen. Für die allgemeine Diagnostik siehe: Diagnostik des Blasensprungs.
Allgemeine Maßnahmen
- Tägliche Kontrolle von
- Temperatur
- Blutbild und CRP
- CTG
- Uterusbefund: Mütterliche Kontraktionen, Schmerzen
- Mütterliche Vitalparameter: Blutdruck, Herzfrequenz
- Zervix- und Vaginalabstrich nativ und mikrobiologisch: Vor 37+0 SSW bei zervixwirksamer Wehentätigkeit
- Abhängig vom Zeitpunkt des Blasensprungs ggf.
- Antibiotische Therapie zur Prophylaxe eines Triple I
- Subpartale antibiotische Therapie zur Prophylaxe einer Neugeboreneninfektion mit Streptokokken
- Lungenreifeinduktion
- Tokolyse
Blasensprung ≤21+6 SSW
- Kein Anhalt für Triple I
- Abwartendes Prozedere möglich
- Regelmäßige Vitalitätskontrollen des Kindes
- Ggf. Antibiotikagabe (konkrete Therapieempfehlungen fehlen laut aktueller Leitlinie) [1]
- Mögliche Antibiotikatherapie: Azithromycin und Ampicillin , im Anschluss Amoxicillin
- Beachte: Keine Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure; erhöhte Rate an nekrotisierender Enterokolitis [1]
- Subpartale antibiotische Therapie [17]
- Lungenreifeinduktion/Tokolyse/Neuroprotektion: Nicht indiziert
- Bei V.a. Triple I: Beendigung der Schwangerschaft unter subpartaler antibiotischer Therapie
Blasensprung zwischen 22+0 und 23+6 SSW
- Kein Anhalt für Triple I
- Abwartendes Prozedere möglich
- Regelmäßige Vitalitätskontrolle des Kindes
- Antibiotikagabe, wenn Maximaltherapie von den Eltern gewünscht (konkrete Therapieempfehlungen fehlen laut aktueller Leitlinie) [1]
- Mögliche Antibiotikatherapie: Azithromycin und Ampicillin , im Anschluss Amoxicillin
- Beachte: Keine Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure; erhöhte Rate an nekrotisierender Enterokolitis [1]
- Subpartale antibiotische Therapie [17]
- Lungenreifeinduktion, wenn Maximaltherapie von den Eltern gewünscht: Zur Prophylaxe des Respiratory-Distress-Syndroms und zur Verminderung der perinatalen Morbidität
- Tokolyse bis Abschluss der Lungenreifeinduktion
- Kindliche Neuroprotektion mit Magnesium
- Bei V.a. Triple I: Entbindung anstreben unter subpartaler antibiotischer Therapie
Blasensprung zwischen 24+0 und 33+6 SSW
- Kein Anhalt für Triple I
- Wenn möglich, Schwangerschaft bis mind. 34+0 SSW prolongieren
- Alle 12 h CTG-Kontrollen, regelmäßige Ultraschalluntersuchungen
- Antibiotikagabe (konkrete Therapieempfehlungen fehlen laut aktueller Leitlinie) [1]
- Mögliche Antibiotikatherapie: Azithromycin und Ampicillin , im Anschluss Amoxicillin
- Beachte: Keine Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure; erhöhte Rate an nekrotisierender Enterokolitis [1]
- Subpartale antibiotische Therapie [17]
- Ab 34+0 SSW: Medikamentöse Geburtseinleitung in Erwägung ziehen
- Lungenreifeinduktion zur Prophylaxe des Respiratory-Distress-Syndroms und zur Verminderung der perinatalen Morbidität
- Tokolyse bis Abschluss der Lungenreifeinduktion
- Kindliche Neuroprotektion mit Magnesium bis zur 31+6 SSW
- Bei V.a. Triple I: Rasche Entbindung unter subpartaler antibiotischer Therapie
Blasensprung zwischen 34+0 und 36+6 SSW
- Kein Anhalt für Triple I
- Abwarten für 12–24 h, dann medikamentöse Geburtseinleitung bei ausbleibender spontaner Wehentätigkeit
- Alternativ, bei fehlenden Kontraindikationen: Schwangerschaft bis 37+0 SSW prolongieren
- Alle 12 h CTG-Kontrollen und Ultraschalluntersuchungen
- Antibiotikagabe (konkrete Therapieempfehlungen fehlen laut aktueller Leitlinie) [1]
- Mögliche Antibiotikatherapie: Azithromycin und Ampicillin , im Anschluss Amoxicillin
- Beachte: Keine Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure; erhöhte Rate an nekrotisierender Enterokolitis [1]
- Subpartale antibiotische Therapie [17]
- Lungenreifeinduktion/Tokolyse/Neuroprotektion: Nicht indiziert
- Bei V.a. Triple I: Rasche Entbindung unter subpartaler antibiotischer Therapie
Prozedere bei vorzeitiger Wehentätigkeit [1]
Allgemeine Maßnahmen
- Mütterliche Vitalparameter: Blutdruck, Herzfrequenz
- Blutentnahme mit kleinem Blutbild und CRP
- Zervixabstrich
- CTG
Tokolyse
- Bis 21+6 SSW: Keine Tokolyse
- Zwischen 22+0 SSW und 33+6 SSW: Tokolyse bis Abschluss der Lungenreifeinduktion
- Ab 34+0 SSW: Zur Überbrückung bei Komplikationen
Lungenreifeinduktion
- Bis 21+6 SSW: Keine Lungenreifeinduktion
- Zwischen 22+0 SSW und 33+6 SSW und bei drohender oder medizinisch indizierter Frühgeburt: Glucocorticoide zur Lungenreifeinduktion
- Ab 34+0 SSW: Keine Lungenreifeinduktion
Körperliche Schonung [1][13]
- Häufig empfohlen aufgrund klinischer Erfahrungswerte, jedoch keine Evidenz zur Vermeidung der Frühgeburtlichkeit
- I.d.R. keine strenge Immobilisation wegen des steigenden Thromboserisikos!
Prozedere bei Zervixinsuffizienz [1][4][18]
Progesteron
- Indikation: Zervixlänge ≤25 mm vor der 24+0 SSW [1]
- Durchführung: Intravaginale Progesterongabe bis zur 36+6 SSW [1]
Pessartherapie
- Ziel: Senkung der Frühgeburtlichkeitsrate bei Zervixinsuffizienz [19]
- Mögliche Indikationen (immer individuelles Vorgehen!)
- Zervixlänge <25 mm vor der 24+0 SSW
- Zervixlänge ≤25 mm bei Zwillingsschwangerschaften vor der 24+0 SSW (Einzelfallentscheidung)
- Zervixlänge nach behandelter vorzeitiger Wehentätigkeit <20 mm bei Zwillingsschwangerschaften in der 24+0–29+6 SSW
- Zervixlänge nach behandelter vorzeitiger Wehentätigkeit <10 mm bei Zwillingsschwangerschaften in der 30+0–33+6 SSW
- Durchführung: Anlage eines Pessars (z.B. Arabin-Pessar) → Verlagerung der Zervix nach sakral und Kompression der Zervix
- Entfernung: In der 37+0 SSW oder bei vorherigem Geburtsbeginn
Cerclage der Zervix [1][20]
- Indikationen
- Prophylaktisch
- Bei Z.n. Frühgeburt/Spätabort(en) kann eine prophylaktische Cerclage ab dem 2. Trimenon durchgeführt werden
- Bei Z.n. Frühgeburt/Spätabort(en) und Zervixlänge ≤25 mm vor der 24+0 SSW sollte eine prophylaktische Cerclage erfolgen
- Therapeutisch: Bei drohender/beginnender vorzeitiger Öffnung des Muttermundes
- Ab einer Zervixlänge ≤10 mm vor der 24+0 SSW erwägen
- Bei Zwillingsschwangerschaften mit einer Zervixlänge <15 mm vor der 24+0 SSW erwägen
- Notfallcerclage
- Bei >1 cm eröffnetem Muttermund vor der 24+0 SSW erwägen
- Perioperative Gabe von Indometacin und Antibiotika, bspw. Cefazolin [21]
- Prophylaktisch
- Kontraindikationen
- ≤11+6 SSW und ≥29+0 SSW
- Anzeichen einer mütterlichen oder kindlichen Infektion (Triple I)
- Intrauteriner Fruchttod
- Mit dem Leben unvereinbare Fehlbildung des Kindes
- Wehen
- Blasensprung
- Unklare zervikale Blutung
- Durchführung: Operative Zervixumschlingung ähnlich einer Tabaksbeutelnaht → Verbesserung der Haltefunktion der Zervix
- Komplikationen
- Lokale und systemische Infektionen
- Auslösen eines Blasensprungs oder einer vorzeitigen Wehentätigkeit durch die Operation
- Verletzung der Zervix
- Uterusruptur bei der Geburt
- Klinische Relevanz
- Klinischer Nutzen der Cerclage umstritten
- Keine Daten zur Cerclage nach Erreichen der Lebensfähigkeit
Totaler Muttermundverschluss [1][4]
- Durchführung: Operativer Muttermundverschluss mittels Naht → Künstlich herbeigeführte Zervikalatresie als Barriere gegen aufsteigende Infektionen
- Indikationen
- Habituelle Aborte
- In einer vorausgehenden Schwangerschaft stattgefundener Spätabort/Frühgeburt durch vaginale Infekte
- Kontraindikationen: Wie bei Cerclage
Prävention
- Protektive Faktoren bzgl. einer Frühgeburt oder eines Spätaborts [1]
- Vaginalflora mit normalem pH-Wert
- Nikotinabstinenz oder -entzug (siehe auch: Rauchentwöhnung) [22]
-
Impfungen
- SARS-CoV-2
- Saisonale Influenza
- Mögliche präventive Maßnahmen bei Z.n. spontaner Frühgeburt
- Cerclage der Zervix
- Totaler Muttermundverschluss
- Progesteron (Off-Label Use): 16+0–36+0 SSW [1]
Besonderheiten bei Entbindung
Allgemeine Besonderheiten [1]
- Frühzeitige Einbeziehung der Pädiatrie/Neonatologie
- Bei positivem oder unbekanntem B-Streptokokken-Status: Durchführung einer subpartalen antibiotischen Therapie
- Fetale Mikroblutuntersuchung <34+0 SSW vermeiden
Sectio caesarea bei Frühgeborenen [1]
- Primäre Sectio caesarea erwägen bei
- <30+0 SSW und Schädellage
- <36+0 SSW und Beckenendlage
- Uterinen Längsschnitt bevorzugen bei
- Extremen Frühgeburten, insb. bei BEL
- Fetaler Wachstumsretardierung ggf. auch in höheren SSW
Nach einem uterinen Längsschnitt besteht in einer Folgeschwangerschaft eine erhöhte Rupturgefahr und die Indikation zu einer primären Re-Sectio!
Vaginal-operative Entbindung bei Frühgeborenen [1]
- Saugglocke
- Zangenextraktion: Bei Frühgeburt möglich
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
O34.-: Betreuung der Mutter bei festgestellter oder vermuteter Anomalie der Beckenorgane
- Inklusive: Aufgeführte Zustände als Grund für Beobachtung, stationäre Behandlung oder sonstige geburtshilfliche Betreuung der Mutter oder für Schnittentbindung vor Wehenbeginn
- Exklusive: Aufgeführte Zustände im Zusammenhang mit Geburtshindernis (O65.5)
- O34.3-: Betreuung der Mutter bei Zervixinsuffizienz
- Jeder Zustand mit vorzeitiger Zervixverkürzung oder -eröffnung in der Schwangerschaft, unabhängig von der Angabe von Wehen oder anderen Ursachen
- Betreuung der Mutter bei
- Cerclage mit oder ohne Angabe von Zervixinsuffizienz
- Shirodkar-Naht mit oder ohne Angabe von Zervixinsuffizienz
- Betreuung der Mutter bei
- O34.30: Betreuung der Mutter bei vaginalsonographisch dokumentierter Zervixlänge unter 10 mm oder Trichterbildung
- O34.31: Betreuung der Mutter bei Fruchtblasenprolaps
- O34.38: Betreuung der Mutter bei sonstiger Zervixinsuffizienz
- O34.39: Betreuung der Mutter bei Zervixinsuffizienz, nicht näher bezeichnet
- Jeder Zustand mit vorzeitiger Zervixverkürzung oder -eröffnung in der Schwangerschaft, unabhängig von der Angabe von Wehen oder anderen Ursachen
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.