Zusammenfassung
Der Milzbrand (auch Anthrax) ist eine mittlerweile sehr selten auftretende bakterielle Zoonose, die durch die Aufnahme der Sporen von Bacillus anthracis hervorgerufen wird. Die Sporen gelangen meist über kleine Hautläsionen in den Körper, seltener über Injektion kontaminierter Drogen, oral oder aerogen. Je nach Infektionsweg kommt es zum Hautmilzbrand (Ulkus mit zentraler schwarzer Nekrose), Darmmilzbrand (etwa mit blutiger Diarrhö), Injektionsmilzbrand (großflächige Haut- und Weichteilinfektion) oder Lungenmilzbrand (Pneumonie). Septische Verläufe sind insbesondere beim Darm- und Lungenmilzbrand häufig. Die antibiotische Therapie erfolgt mit Ciprofloxacin und weiteren Wirkstoffen wie Clindamycin und Penicillin G. Während die Prognose des Hautmilzbrands vergleichsweise gut ist, ist die Letalität anderer Manifestationen trotz adäquater Therapie hoch.
Epidemiologie
- Verbreitung: Weltweites Vorkommen, insbesondere in von Viehzucht geprägten Regionen
- Inzidenz: Sehr selten (Fallzahlen weltweit stark rückläufig), in Europa sporadische Einzelfälle, gelegentliche lokale Ausbrüche in Zentralasien und Afrika
- Risikogruppen: Berufliche Exposition (Landwirtschaft, Veterinärwesen), Heroinkonsum (mehrere Fälle in Deutschland um 2010) [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger
- Bacillus anthracis: Grampositives, aerob/fakultativ anaerob wachsendes Stäbchen, Sporen- und Toxinbildner [2]
-
Sporen (Endosporen)
- Bildung unter ungünstigen, wachstumslimitierenden Bedingungen
- Hohe Umweltresistenz
- Toxin (Milzbrandtoxin bzw. Anthraxtoxin)
- Drei Anteile: Protektives Antigen, Letalfaktor und Ödemfaktor
- Wesentlicher pathogener Faktor; führt durch Apoptose und Nekrose zur Gewebeschädigung und weiterhin zur Interleukin-Ausschüttung
- Reservoir: Kontaminierte Böden
- Infektionsweg
- Aufnahme von Sporen durch Weidetiere über Futter oder Trinkwasser
- Menschen infizieren sich über
- Kontakt zu erkrankten Tieren/infizierten Kadavern
- Kontaminierte Tierprodukte (Wolle, Fleisch u.ä.)
- Aufnahme von Sporen meist direkt (Hautläsionen), seltener oral, über die Injektion kontaminierter Substanzen oder aerogen
- Verbesserte Umweltbedingungen nach Aufnahme → Sporen entwickeln sich zu vegetativer Form → Beginn Toxinproduktion
Symptomatik
- Inkubationszeit: In der Regel 1–6 Tage (abhängig vom Infektionsweg)
Manifestationen
Die Manifestationsform ist abhängig vom Infektionsweg. Darm- und Lungenmilzbrand sowie die Milzbrandmeningitis haben eine besonders schlechte Prognose.
Hautmilzbrand
- Häufigste Manifestation (95%)
- Inkubationszeit: Stunden bis 6 Tage nach kutaner Aufnahme von Sporen
- Meist an Händen, Unterarmen, Hals oder Gesicht
- Schmerzlose juckende Papel (Pustula maligna, Durchmesser wenige Millimeter)
- Im Verlauf: Bildung seröser Bläschen, Ulkusentwicklung mit zentraler Nekrose („Milzbrandkarbunkel“)
- Fieber und Allgemeinsymptome möglich
- Abheilung nach einigen Wochen
- Komplikationen
- Sekundärinfektionen
- Kompartmentsyndrom (durch lokale Ödementwicklung)
- Septischer Verlauf
Lungenmilzbrand
- Inkubationszeit: 4–6 Tage nach Inhalation
- Grippeähnliche Symptome für wenige Tage
- Anschließend deutliche Verschlechterung mit hohem Fieber, Dyspnoe und ggf. thorakalen Schmerzen infolge Pneumonie
- Häufig septischer Verlauf (hohe Letalität)
Darmmilzbrand
- Inkubationszeit: 1–3 Tage nach oraler Aufnahme
- Abdominelle Schmerzen
- Übelkeit, Hämatemesis
- Fieber
- Hämatochezie
- Sonderform: Mund-Rachen-Milzbrand
Injektionsmilzbrand
- Inkubationszeit: 1–3 Tage nach Injektion
- An Injektionsstelle ausgedehnte Haut- und Weichteilinfektion mit Erythem, Einbeziehung des Subkutan- und Muskelgewebes sowie massive Ödembildung
- Komplikationen
- Kompartmentsyndrom
- Sekundärinfektionen
- Septischer Verlauf
Milzbrandmeningitis
- Als Komplikation bei allen Manifestationsformen möglich (bis zu 50% der Fälle) [3]
- Foudroyanter Verlauf mit Kopfschmerzen, hohem Fieber und Bewusstseinsminderung
Diagnostik
- Anamnese
- Seltenheit der Erkrankung und häufigere Differenzialdiagnosen (etwa für akutes Abdomen oder thorakale Symptome) erschweren Verdachtsdiagnose
- Mögliche anamnestische Hinweise
- (Berufliche) Exposition in Landwirtschaft, Veterinärmedizin, o.ä.
- Aufenthalt in von Tierzucht geprägten Regionen wie Zentralasien
- Heroinkonsum, insb. s.c. oder i.v.
- Material
- 2 Blutkulturenpaare
- Zusätzliches Material je nach Manifestationsform
- Wundabstriche, Gewebeproben und/oder Drainagesekrete (bei Hautmilzbrand, Injektionsmilzbrand)
- Sputum oder Bronchiallavage (bei Lungenmilzbrand)
- Stuhl (bei Darmmilzbrand)
- Liquor (bei Meningitis)
- Serum und EDTA-Blut
- Erregernachweis
Die Erregeranzucht darf nur in einem Labor der biologischen Schutzstufe 3 vorgenommen werden! Bei Verdacht auf Milzbrand sollte das weitere Vorgehen frühzeitig mit dem nationalen Referenzlabor abgeklärt werden!
Therapie
- Antibiotische Therapie bei Milzbrand
- Frühzeitige kalkulierte antibiotische Therapie bei Verdacht
- Therapiedauer: 14 Tage, bei schweren Verläufen auch 21 oder 28 Tage
- Hautmilzbrand ohne systemische Beteiligung: Orale Therapie [3]
- Ciprofloxacin
- oder Doxycyclin
- Weitere Alternativen: Levofloxacin, Moxifloxacin, Clindamycin
- Andere Manifestationen: Parenterale Mehrfachkombination [3][4]
- Ciprofloxacin
- und Clindamycin
- und Penicillin G
- Anpassung der Therapie nach Resistenztestung
- Weitere Wirkstoffe können etwa bei schweren Weichteilinfektionen ergänzt werden, z.B. Flucloxacillin und Metronidazol; bei Meningitis(-verdacht) Meropenem und Linezolid
- Indikationen zur chirurgischen Therapie
- Injektionsmilzbrand mit schwerer Haut-Weichteilinfektion: Débridement (ggf. wiederholt) mit Probenentnahme [4]
- Kompartmentsyndrom infolge von Hautmilzbrand [3]
- Toxin-Elimination
- Raxibacumab bei Inhalationsmilzbrand ergänzend zur antibiotischen Therapie
- Sonstiges [3]
- Bedarfsgerechte intensivmedizinische und supportive Therapie, darunter
- Beatmung
- Aszites- und Pleuradrainage
- Hämodynamische Stabilisierung
- Corticosteroidtherapie, etwa bei ausgeprägten Ödemen im Halsbereich
- Bedarfsgerechte intensivmedizinische und supportive Therapie, darunter
Prognose
-
Letalität auch unter Therapie sehr hoch (Ausnahme: Hautmilzbrand) [3]
- Hautmilzbrand: <2%
- Darmmilzbrand: >40%
- Lungenmilzbrand: 45%
- Milzbrandmeningitis: fast immer tödlich
- Schnelle Diagnosestellung und Antibiotikatherapie als wesentlicher prognostischer Faktor
Prävention
Allgemeine Expositionsprophylaxe bei Milzbrand
- „In der Regel“ (RKI) keine Übertragung von Mensch zu Mensch (nur die Sporen sind infektiös)
- Nachfolgend dargestellte Hygienemaßnahmen sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit (spezifische Vorschriften beachten und Rücksprache mit der jeweiligen Krankenhaushygiene!)
- Stationäre Patienten
- Wundversorgung, Umgang mit Sekreten: Einmalhandschuhe, ggf. auch Einwegschutzkittel (bei großer Wunde, Umgang mit potenziell kontaminierter Wäsche)
- Schutzbrille und Mund-Nasen-Schutz nur bei aerosolbildenden Maßnahmen
- Gängige Flächendesinfektionsmittel bei Oberflächenkontaminationen
- Schlussdesinfektion des Zimmers mit sporizid wirksamen Desinfektionsmitteln
- Patienten im OP
- OP unter Hygienebedingungen eines Eingriffs mit hohem Kontaminationsgrad (CAVE: Verzögerung des Eingriffs vermeiden)
- Verwendung doppelter Handschuhe, wenn möglich Einwegmaterialien (Kittel, Abdeckungen, o.ä.)
- Instrumente abgeschlossen zur zentralen Aufbereitung (Sterilisation ist sporizid)
- Schlussdesinfektion des OP-Bereichs mit sporizidwirksamen Desinfektionsmitteln
- Verstorbene Patienten
- Leichen sind als infektiös zu betrachten!
- Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung beim Umgang mit Leiche, Kontakt von Angehörigen zu dieser minimieren
- Obduktionen o.ä. nur unter Sicherheitsstufe 3, sporozide Desinfektion von Instrumenten und Oberflächen
- Feuerbestattung bevorzugen
- Labor: Biologische Sicherheitsstufe 3 (BSL-3) beim Umgang mit B. anthracis in Kultur obligat
- Viehwirtschaft: Kein Kontakt mit infizierten und an Milzbrand verstorbenen Tieren bzw. Verwendung von Schutzausrüstung
- Expositionsprophylaxe bei biologischen Gefahrenlagen
- Lokale Isolation und Dekontamination von potenziell mit Milzbrandsporen kontaminierten Personen
- Durchführung und weiteres Vorgehen gemäß RKI-Empfehlung „Vorgehensweise bei Verdacht auf Kontamination mit hochpathogenen und bioterroristisch relevanten Agenzien“ (siehe: Tipps & Links)
Milzbrand-Impfung
- Anthrax-Totimpfstoff (BioThrax®)
- Zulassung: Zur Präexpositionsprophylaxe bei Erwachsenen mit hohem Expositionsrisiko
- Applikation: i.m. oder s.c.
- Keine nationalen Empfehlungen zur Anwendung
Postexpositionsprophylaxe bei Milzbrand
- Antibiotische Prophylaxe über 60 Tage
-
Ciprofloxacin (1. Wahl, alternativ Levofloxacin oder Moxifloxacin) [3]
- Erwachsene
- Kinder
- Andere Wirkstoffe bei nachgewiesener Empfindlichkeit des Erregers: z.B. Doxycyclin oder Amoxicillin
-
Ciprofloxacin (1. Wahl, alternativ Levofloxacin oder Moxifloxacin) [3]
Meldepflicht
- Arztmeldepflicht nach § 6 IfSG
- Namentliche Meldepflicht bei Verdachts-, Krankheits- und Todesfällen
- Labormeldepflicht nach § 7 IfSG
- Namentliche Meldepflicht bei direktem und indirektem Nachweis, soweit auf eine akute Infektion hinweisend
Verwendung als biologische Waffe
- Bacillus anthracis wurde in der Vergangenheit von mehreren Ländern als biologische Waffe getestet
- Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen sind gemäß Biowaffenkonvention (1972) verboten
- Verwendung im Rahmen von Anschlägen (Anthrax-Anschläge 2001 in den USA)
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Milzbrand
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- A22.-: Anthrax [Milzbrand]
- Inklusive: Infektion durch Bacillus anthracis
- A22.0: Hautmilzbrand
- Milzbrandkarbunkel
- Pustula maligna
- A22.1: Lungenmilzbrand
- Hadernkrankheit
- Milzbrand, durch Inhalation erworben
- A22.2: Darmmilzbrand
- A22.7: Milzbrandsepsis
- A22.8: Sonstige Formen des Milzbrandes
- Milzbrandmeningitis† (G01*)
- A22.9: Milzbrand, nicht näher bezeichnet
- G01*: Meningitis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- Inklusive: Meningitis (bei) (durch):
- Anthrax [Milzbrand] (A22.8†)
- Gonokokken (A54.8†)
- Leptospirose (A27.-†)
- Listerien (A32.1†)
- Lyme-Krankheit (A69.2†)
- Meningokokken (A39.0†)
- Neurosyphilis (A52.1†)
- Salmonelleninfektion (A02.2†)
- Syphilis:
- tuberkulös (A17.0†)
- Typhus abdominalis (A01.0†)
- Inklusive: Meningitis (bei) (durch):
- J17.-:* Pneumonie bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- J17.0*: Pneumonie bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
-
Pneumonie (durch) (bei):
- Aktinomykose (A42.0†)
- Gonorrhoe (A54.8†)
- Keuchhusten (A37.-†)
- Milzbrand (A22.1†)
- Nokardiose (A43.0†)
- Salmonelleninfektion (A02.2†)
- Tularämie (A21.2†)
- Typhus abdominalis (A01.0†)
-
Pneumonie (durch) (bei):
- J17.0*: Pneumonie bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.