Zusammenfassung
Eine Gedeihstörung ist eine verzögerte somatische Entwicklung mit unzureichender Gewichts- und Größenzunahme. Sie sollte als Symptom einer zugrunde liegenden Störung bzw. Erkrankung angesehen werden, bei der es zu einer unzureichenden Zufuhr, einer verminderten Aufnahme, einem erhöhten Verlust oder einem gesteigerten Verbrauch von Energie kommt. Ist trotz bedarfsdeckender Kalorienzufuhr keine altersentsprechende Gewichtszunahme zu beobachten, ist je nach Alter und zusätzlichen Symptomen ein zielgerichtetes diagnostisches Vorgehen zur Abklärung organischer Ursachen erforderlich. Die spezifische Therapie und die Prognose sind abhängig von der Ursache.
Definition
- Gedeihstörung: Verzögerte somatische Entwicklung
- Körpergewicht und -länge <3. Perzentile oder
- Abfall der Gewichts- und Wachstumsperzentile um >2 Hauptperzentilen oder
- Längensollgewicht <90%
Eine Gedeihstörung ist keine eigenständige Erkrankung, sondern Symptom einer zugrunde liegenden Störung!
Ätiologie
Ursachen einer Gedeihstörung [2][3] | |
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Ursachen | Mögliche Erkrankungen |
Unzureichende Kalorienzufuhr |
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Verminderte Resorption oder vermehrte Verluste |
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Erhöhter Energiebedarf oder inadäquate Energienutzung |
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Weitere |
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Symptomatik
- Leitsymptom: Verzögerte somatische Entwicklung (siehe Definition einer Gedeihstörung)
- Weitere mögliche Symptome
- Verzögerte Knochenreifung
- Motorische und psychosoziale Entwicklungsstörung
- Klinische Zeichen einer Unterernährung
- Wenig Unterhautfettgewebe
- Hautfalten im Gesicht („Greisengesicht“) und am Gesäß („Tabaksbeutelgesäß“)
- Hypotrophie der Muskulatur
- Spärliches Haar
- Ausladendes Abdomen
Red Flags
- Red Flags für somatische Ursachen
- Mangelnde Gewichtszunahme trotz adäquater Kalorienzufuhr
- Herzgeräusch oder Symptome einer chronischen Herzinsuffizienz im Kindesalter
- Weitere Entwicklungsverzögerungen (z.B. motorisch)
- Dysmorphiezeichen
- Organomegalie oder Lymphadenopathie
- Rezidivierende schwere Infektionen
- Rezidivierendes Erbrechen, Diarrhöen oder Dehydratation
Diagnostisches Vorgehen
Basisdiagnostik - Checkliste [1][4]
- Ausführliche Anamnese
- Körperliche Untersuchung inkl.
- Tanner-Stadien
- Motorischen und psychosozialen Entwicklungsstatus
- Dysmorphiezeichen
- Organomegalie
- Perzentilenverlauf von Körpergröße und -länge, Kopfumfang
- Bestimmung der genetischen Zielgröße
- Ernährungsprotokoll ≥3 d
- Urin-Status
- Blutuntersuchung
- Blutbild, Differenzialblutbild, CRP, BSG
- BGA, Blutzucker, Elektrolyte
- AST, ALT, γGT, alkalische Phosphatase, Gesamt-Bilirubin, Lipase
- Kreatinin, Harnstoff, CK
- TSH, fT4
- Eisen, Ferritin, Transferrinsättigung, Vitamin B12
- Anti-Transglutaminase-IgA und Gesamt-IgA
Symptomorientierte Zusatzdiagnostik [1][4]
- Blutuntersuchung
- Immunglobuline (IgG, IgM, IgA )
- Albumin, Triglyceride (nüchtern)
- Folsäure, Zink
- Quick-Wert, Vitamin A, D und E
- Serumelektrophorese
- Organische Säuren im Urin
- Aminosäuren und Acylcarnitine im Plasma
- Ammoniak, Lactat
- Stuhluntersuchung
- Apparative Diagnostik
- Schweißtest
- Abdomensonografie
- pH-Metrie, ÖGD, Koloskopie
- Schädelsonografie bzw. cMRT
- Röntgen-Thorax, Röntgen der linken Hand
- Echokardiografie
- Serologie
- HIV
- Yersinien, Amöben, Salmonellen
- STORCH-Serologie
- Sonstiges
- Tuberkulin-Hauttest
- Spezifisches IgE (RAST), Karenzversuch bei V.a. Nahrungsmittelunverträglichkeit
- Hormondiagnostik
- Autoantikörper (z.B. ANA, ANCA)
- Genetik: Chromosomenanalyse, ggf. spezifische genetische Untersuchungen
Therapie
Stationäre Aufnahme
- Indikationen
- Schwere Mangelernährung oder Dehydratation
- Schwerwiegende Begleiterkrankungen
- Familiäre Krisensituation
- Mögliche Ziele
- Evaluation des Essverhaltens und der Eltern-Kind-Interaktion
- Erstellung eines adäquaten Ernährungsprotokolls
- Familiäre Entlastung
- Somatische Stabilisierung
- Ggf. weiterführende diagnostische Maßnahmen zum Ausschluss einer organischen Ursache
Therapeutische Maßnahmen
- Kausale Therapie der zugrundeliegenden Ursache (falls möglich)
- Ernährungsberatung
- Bedarfsgerechte Kalorienzufuhr (Stufenschema)
- Oral
- Sondenernährung
- Parenteral
- Ggf. umfassendes Behandlungskonzept mit Fachkräften der Sozialarbeit/Familienhilfe, Physiotherapie, Logopädie
- Ggf. bedarfsgerechte Substitution von Vitaminen, Eisen, Zink und Spurenelementen
Bei einer Mangelernährung sollte die Nahrungszufuhr zur Vermeidung eines Refeeding-Syndroms langsam und kontrolliert erfolgen!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R62.-: Ausbleiben der erwarteten normalen physiologischen Entwicklung
- R62.8: Sonstiges Ausbleiben der erwarteten physiologischen Entwicklung
- Inkl.: Gedeihstörung, Infantilismus o.n.A., Körperliches Zurückbleiben, Mangelhaftes Wachstum, Mangelnde Gewichtszunahme
- Exkl.: Körperliche Retardation durch Mangelernährung (E45)
- R62.9: Ausbleiben der erwarteten physiologischen Entwicklung, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.