Zusammenfassung
Die Herpes-simplex-Enzephalitis (HSVE) ist eine akute nekrotisierend-hämorrhagische Entzündung insb. der Temporallappen und benachbarter Strukturen infolge einer Infektion mit Herpesviren. Bei Erwachsenen ist sie meist auf das Herpes-simplex-Virus 1 (HSV1) zurückzuführen. Die Erkrankung beginnt mit Fieber und Kopfschmerzen; nach einigen Tagen kann sich ein vielseitiges Bild mit Wesensveränderungen, Bewusstseinsstörungen und fokal-neurologischen Defiziten zeigen. Als Komplikationen können epileptische Anfälle und/oder ein erhöhter Hirndruck auftreten.
Im MRT zeigen sich typischerweise temporale Läsionen. Der Liquor ist entzündlich verändert. Zur Diagnosesicherung dient der Erregernachweis mittels PCR aus dem Liquor. Bereits bei klinischem Verdacht muss die sofortige antivirale i.v. Therapie mit Aciclovir begonnen werden. Auch mit optimaler Therapie besteht eine hohe Letalität von 10–20%. Bei etwa der Hälfte der Überlebenden verbleiben dauerhafte Schäden, wie etwa kognitive Defizite und Verhaltensauffälligkeiten.
Epidemiologie
- Inzidenz: 2–4/1.000.000 Einwohner pro Jahr in Westeuropa [1]
- Geschlecht: Keine geschlechtsspezifischen Unterschiede
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger: Herpes-simplex-Viren (HSV) Typ 1 und 2
- Familie: Herpesviridae (dsDNA-Viren)
- Unterfamilie: Alphaherpesvirinae
- Gattung: Simplexvirus
- Virusübertragung: Übertragung durch zumeist asymptomatische Virusträger
- Neurologische Manifestation nach Erreger und Alter
- HSV1: Auslöser nahezu aller akuten nekrotisierenden HSV-Enzephalitiden im Erwachsenen- und Kindesalter(>90%) [2]
- HSV2: Meist benigner Verlauf als virale Meningitis bei Erwachsenen, bei Säuglingen hingegen als hämorrhagisch-nekrotisierende Enzephalitis
Pathophysiologie
- Entweder HSV-Primärinfektion oder -Reaktivierung [3]
- Primäre Infektion v.a. mit HSV1 oder HSV2 durch Viruseintritt über Hautläsion/Schleimhaut → transaxonal über N. olfactorius und Bulbus olfactorius ins Frontalhirn bzw. über N. trigeminus
- Reaktivierung nach Persistenz von Virus-DNA im Ganglion trigeminale oder in anderen ZNS-Strukturen und anschließender axonaler Ausbreitung in das Frontalhirn und den Temporallappen
- Keine generelle Häufung von Herpes-simplex-Enzephalitiden bei Immunsuppression [3]
- Hämorrhagisch-nekrotisierende Entzündung in den Temporallappen und in benachbarten ZNS-Strukturen
- Spezifische Immunreaktion führt zur Apoptose von infizierten Zellen und trägt zur Schädigung des Hirngewebes bei
Symptomatik
Zweiphasiger Krankheitsverlauf
- Prodromalstadium mit Allgemeinsymptomen (über wenige Tage, gelegentlich mit kurzer Phase der Besserung)
- Hohes Fieber (>90%)
- Kopfschmerzen (>70%)
- Abgeschlagenheit (>50%)
- Gelegentlich Symptome einer Infektion der oberen Atemwege
- Neurologische und psychiatrische Symptomatik (zusätzlich)
- Bewusstseinsstörungen
- Quantitative Bewusstseinsstörungen (95–100%, bis hin zum Koma)
- Qualitative Bewusstseinsstörungen (>80%, Wesensänderung, ggf. psychotisches Erleben)
- Epileptische Anfälle (>60%)
- Fokale Defizite (>50%)
- Meningismus möglich
- Bewusstseinsstörungen
Die häufigsten Symptome der Herpes-simplex-Enzephalitis sind Kopfschmerzen, Fieber und Bewusstseinsstörungen.
Diagnostik
Nachfolgend sind die speziell bei HSV-Enzephalitis typischen zu erwartenden Befunde dargestellt.
Bildgebung des Kopfes
- Charakteristisch: Meist bilaterale, asymmetrische Befunde in den Temporallappen, teils mit Einbeziehung des limbischen Systems (Gyrus cinguli, Hippocampus) und der Inselregion, Ausdehnung nach frontobasal
- MRT
- Methode der Wahl zum Nachweis krankheitsspezifischer Läsionen
- Frühzeitig frontotemporal hyperintense Läsionen (T2- und FLAIR-Sequenzen) bzw. hypointense Läsionen (T1-Sequenz)
- Ödematös geschwollenes Parenchym mit Aufhebung der Mark-Rinden-Differenzierung
- Hämorrhagische Imbibierung (T2*-Sequenz am sensitivsten: Hypointens)
- T1-Sequenz mit Kontrastmittel: Etwa nach einer Woche gyriforme KM-Aufnahme
- CT (nativ)
- In Akutsituation ggf. sinnvoll zum differenzialdiagnostischen Ausschluss anderer Ursachen für schwere Bewusstseinsstörung und zur Einschätzung einer Einklemmungsgefahr vor LP
- Zu Erkrankungsbeginn(Tag 1–4) unauffällig
- Im Verlauf ödematös geschwollene, hypodense Areale an den o.g. Prädilektionsstellen, ggf. mit hämorrhagischer Imbibierung (hyperdens)
Liquordiagnostik
- Zellen
- Lymphozytäre Pleozytose mit mäßiger Zellzahlerhöhung (>400 Zellen/μL, in Einzelfällen auch >1.000 Zellen/μL) [3]
- Eine normale Zellzahl schließt eine Enzephalitis nicht aus!
- Weitere Parameter
- Gesamtprotein meist leicht, selten deutlich erhöht (Störung der Blut-Hirn-Schranke)
- Laktat meist normal oder leicht erhöht (max. 4 mmol/L)
- Glucose normal
- Gelegentlich: Xanthochromer Liquor oder Nachweis von Erythrozyten/Siderophagen
- Siehe auch: Differenzialdiagnose Meningitis
- Erregernachweis mittels PCR: Nachweis von HSV-DNA (zur Diagnosesicherung, Ergebnisse meist innerhalb von 1–2 Tagen) [4]
- Nachweis der intrathekalen Synthese von Anti-HSV-Antikörpern (IgG) im Liquor ab 7.–10. Tag nach Symptombeginn (Sensitivität nahe 100%), positiver Antikörperindex (AI)
EEG
In der Gesamtschau der klinischen Befunde sind die EEG-Veränderungen verdächtig, aber nicht spezifisch für eine Herpes-simplex-virus-Enzephalitis. [2]
- Frontotemporaler Herdbefund, insb. mit Sharp-slow-Waves-Komplexen, ein- oder beidseitig, mit periodischen lateralen epileptiformen Entladungen (PLEDS), Intervalldauer alle 2 s
- Häufig generalisierte EEG-Rhythmusverlangsamung
Die antivirale Therapie mit Aciclovir beginnt bei klinischem Verdacht auf eine Herpes-simplex-Enzephalitis, nicht erst bei vorliegenden Befunden!
Bei Meningoenzephalitis-Verdacht und Temporallappenbefall in der Bildgebung sollte immer an eine Herpesenzephalitis gedacht werden!
Eine negative HSV-PCR – insb. in der Frühphase der Erkrankung – begründet bei Verdacht auf eine HSV-Enzephalitis keinen Therapieabbruch. Die Therapie sollte fortgesetzt und nach einigen Tagen eine Kontrollpunktion durchgeführt werden. Die Aciclovirtherapie beeinflusst das Ergebnis der PCR in der ersten Woche nicht!
Pathologie
- Makroskopie: Typisches bilaterales, asymmetrisches Verteilungsmuster der Entzündung mit sichtbaren Nekrosen v.a. im Temporallappen
- Bei Überleben ohne erfolgreiche Therapie: Resorption der Nekrose mit Zurückbleiben bräunlicher Defekthöhle
- Mikroskopie
- Nekrotisierend-hämorrhagische Entzündung über makroskopisch betroffene Areale hinausgehend, ab zweiter Woche mit mononukleären Infiltraten
- Stauungen kapillärer Gefäße mit Petechien
- Teilweise eosinophile Kerneinschlusskörper in den Neuronen (Cowdry-Bodies, etwa bei der Hälfte der Patienten)
- Im späten Verlauf astrozytäre Gliose
Differenzialdiagnosen
Das klinische Bild einer Enzephalitis (Allgemeinsymptome wie Fieber und Kopfschmerzen, im Verlauf dann Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle und fokale Defizite), ggf. mit meningealen Reizzeichen (Meningoenzephalitis), lässt zahlreiche Differenzialdiagnosen zu:
(Meningo‑)Enzephalitis durch weitere Erreger (Auswahl)
- Bakterielle Meningoenzephalitis
- Varizella-Zoster-Virus-Enzephalitis (VZV-Enzephalitis)
- Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
- Zytomegalie-Virus-Enzephalitis (CMV-Enzephalitis)
- Weitere Enzephalitiden z.B. durch Mumps-, Masern- und Enteroviren sowie zahlreiche Arboviren
Autoimmunenzephalitis
- Bspw. als limbische Enzephalitis
- Typischer MRT-Befund: Temporomediale, auch multifokale Hyperintensitäten in T2 und FLAIR
- Bspw. mit Antikörpern gegen Leucine-rich Glioma-inactivated Protein 1 (LGI1)
-
Assoziiert mit faziobrachialen dystonen Anfällen
- Meist einseitige und sehr kurze gesichts- und armbetonte Muskelanspannung, bis zu 200 Anfälle pro Tag
- Schlechtes Ansprechen auf Anfallssuppressiva
-
Assoziiert mit faziobrachialen dystonen Anfällen
- Therapie: Frühzeitige Immuntherapie primär mit Glucocorticoiden
Sinusvenenthrombose
- Siehe hierzu: Zerebrale Sinus- und Venenthrombose
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Herpes-simplex-Enzephalitis - Antivirale Therapie
- Aciclovir i.v. über 14 Tage
-
Aciclovir ist nephrotoxisch und kann selten zu einer akuten Nierenschädigung führen
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
- Möglichst Verzicht auf Gabe anderer nephrotoxischer Wirkstoffe
- Kontrolle der Nierenretentionsparameter
-
Aciclovir ist nephrotoxisch und kann selten zu einer akuten Nierenschädigung führen
- Bei Aciclovir-Resistenz: Foscarnet i.v. über 21 Tage
- Valaciclovir (oral) ist prinzipiell wirksam gegen HSV. Hinsichtlich der oralen Therapie mit Valaciclovir (Prodrug von Aciclovir) gibt es aber keine Empfehlungen. Als orale Anschlussbehandlung zur Reduktion psychopathologischer Residuen hat es sich als nicht wirksam erwiesen. [5]
- Zusätzliche Antibiotikatherapie indiziert, solange kein sicherer Ausschluss einer bakteriellen Infektion [1]
- Ceftriaxon plus Ampicillin
Die Gabe von Aciclovir i.v. ist bereits bei Verdacht auf eine Herpes-simplex-Enzephalitis indiziert!
Weitere Therapiemaßnahmen
- Kontinuierliche intensivmedizinische Überwachung und bedarfsgerechte Versorgung
- Anfallssuppressive Therapie bei epileptischen Anfällen
- Fiebersenkung
- Ggf. Hirndrucksenkung
- Ggf. auch antiödematöse Therapie mit Glucocorticoiden (Off-Label-Therapie als Einzelfallentscheidung!) [1]
- Thromboseprophylaxe z.B. mit Enoxaparin s.c.
Prognose
- Hohe Letalität
- Mit Therapie: 10–20%
- Unbehandelt: 70–80%
- Residuen bei etwa der Hälfte der Überlebenden mit Therapie: Insb. kognitive Defizite (Gedächtnisstörungen) und Verhaltensauffälligkeiten
- Bei fast allen Betroffenen bleiben ohne Therapie mittelschwere bis schwere Residuen
Der schnelle Beginn der Therapie mit Aciclovir i.v. ist wesentlich für die Prognose; eine Verzögerung ist mit einem schlechteren Outcome assoziiert!
Meldepflicht
Gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht keine bundesweite Meldepflicht für HSV.
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Herpes-simplex-Enzephalitis
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G05.-*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G05.1*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten
-
Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis (bei) (durch):
- Herpesviren [Herpes simplex] (B00.4†)
-
Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis (bei) (durch):
- G05.1*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten
- B00.-: Infektionen durch Herpesviren [Herpes simplex]
- B00.4†: Enzephalitis durch Herpesviren
- Enzephalitis und Enzephalomyelitis durch Herpes-simiae-Virus
- Meningoenzephalitis durch Herpesviren
- B00.4†: Enzephalitis durch Herpesviren
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.