Zusammenfassung
PONV gehört zu den häufigsten Komplikationen nach einem chirurgischen Eingriff, selbst bei Anwendung einer Regionalanästhesie. Bestimmte patientenspezifische Risikofaktoren wie das weibliche Geschlecht sind nachweisbar mit dem Auftreten assoziiert, andere Risikofaktoren sind mangels Evidenz noch umstritten. Es existieren verschiedene Scores zur präoperativen Abschätzung des individuellen Risikos, wobei der bekannteste der sog. Apfel-Score ist. Mittlerweile wird oft jedoch in allen Fällen eine perioperative PONV-Prophylaxe empfohlen, ungeachtet des Risikoscores. Zudem können Basismaßnahmen getroffen werden, die das PONV-Risiko mindern (bspw. auf volatile Anästhetika verzichten oder auf eine adäquate Hydrierung achten). Zwar sind Komplikationen bei PONV sehr selten beschrieben, für die Betroffenen sind die Symptome jedoch meist sehr unangenehm. Darüber hinaus erhöht die verlängerte Verweildauer im Aufwachraum Personalaufwand und Behandlungskosten. Eine vorausschauende Prophylaxe und angemessene Therapie sollten somit aus vielen Gründen erreicht werden.
Die Inhalte dieses Kapitels beziehen sich ausschließlich auf Erwachsene. Für die Diagnostik und Therapie der PONV bei Kindern siehe: PONV bei Kindern
Definition
- Anästhesiologische Komplikation mit akutem Auftreten von Übelkeit und/oder Erbrechen innerhalb von 24–48 h nach einem chirurgischen Eingriff [1][2]
- Je nach Setting Unterscheidung von 2 Formen
- Postoperative Nausea and Vomiting (PONV): Auftreten von Übelkeit/Erbrechen bei Patient:innen vor Entlassung [3]
- Post Discharge Nausea and Vomiting (PDNV): Auftreten von Übelkeit/Erbrechen bei ambulanten Patient:innen nach Entlassung [4]
Epidemiologie
- Inzidenz: Hoch, insb. bei Verwendung von Inhalationsanästhetika und ohne PONV-Prophylaxe [3][5]
- Gesamt: 30%
- Hochrisikokonstellation: 80%
- Mit PONV-Prophylaxe ca. 10% [6]
- Epidemiologische Risikofaktoren
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Diagnostik
Präoperative Anamnese und Diagnostik [7][8][9]
Gesicherte PONV-Risikofaktoren
- Patienteneigene Risikofaktoren
- Anästhesie- und OP-bezogene Risikofaktoren
- Intraoperative Gabe von volatilen Anästhetika und/oder Lachgas
- Postoperative Opioidgabe
- Allgemeinanästhesie
- Lange OP-Dauer
Umstrittene Risikofaktoren
- ASA 1 und ASA 2
- Gabe von Neostigmin oder Pyridostigmin
- Erfahrung des anästhesiologischen Personals
- Menstruationszyklus
- Schmerzen
- Maskenbeatmung
- Operative Eingriffe mit vermutlich erhöhtem PONV-Risiko [8]
- Laparoskopische Eingriffe
- Gynäkologische Eingriffe
- Bariatrische Chirurgie
- Offene Cholezystektomie
- Strabismus-OP [10]
Widerlegte Risikofaktoren [8]
- Angst
- Adipositas
- Charakterliche Eigenschaften
- Anlage einer Magensonde
- Sauerstoffgabe
- Migräne
Scores
Apfel-Score [11]
Risiko-Score nach Apfel | |
---|---|
Risikofaktor | Punkte |
Weibliches Geschlecht | 1 |
PONV/Kinetose in der Anamnese | 1 |
Nicht-Raucher-Status | 1 |
Postoperative Opioidgabe | 1 |
Summe: 0–4 Punkte |
- Erwartete Inzidenz [8][9]
- 0 Punkte = 10%
- 1 Punkt = 20%
- 2 Punkte = 40%
- 3 Punkte = 60%
- 4 Punkte = 80%
- Risikostratifizierung [8]
- 0–1 Punkte = Niedriges Risiko
- 2 Punkte = Mittleres Risiko
- ≥3 Punkte = Hohes Risiko
Koivuranta-Score [12]
Koivuranta-Score | |
---|---|
Risikofaktor | Punkte |
OP-Dauer >60 min | 1 |
Weibliches Geschlecht | 1 |
Kinetose in der Anamnese | 1 |
PONV in der Anamnese | 1 |
Nicht-Raucher-Status | 1 |
Summe: 0–5 Punkte |
- Erwartete Inzidenz
- 0 Punkte = 17% Übelkeit, 7% Erbrechen
- 1 Punkt = 18% Übelkeit, 7% Erbrechen
- 2 Punkte = 42% Übelkeit, 17% Erbrechen
- 3 Punkte = 54% Übelkeit, 25% Erbrechen
- 4 Punkte = 74% Übelkeit, 38% Erbrechen
- 5 Punkte = 87% Übelkeit, 61% Erbrechen
Die Aussagekraft aller verfügbaren Scores ist begrenzt, nur ca. 70% aller Patient:innen lassen sich hierdurch richtig einordnen. In der Literatur wird deswegen häufig eine PONV-Prophylaxe in allen Fällen empfohlen, ungeachtet des Risikoscores! [8][13][14]
Postoperative Anamnese und Diagnostik
- Kontinuierliches Monitoring und Überwachung im Aufwachraum, bis Symptome nachlassen
- Für Verlegungskriterien aus dem Aufwachraum siehe: Modifizierter Aldrete-Score
- Rechtzeitige Diagnostik und Ausgleich von Flüssigkeits- und Volumenverlusten, siehe bspw.
- Klinik der Dehydratation und Dehydratation - Diagnostik
- Für die praktische Durchführung siehe: Flüssigkeits- und Volumentherapie
-
Schmerzen abfragen und adäquat behandeln
- Intensität bspw. anhand der numerischen Schmerzskala abschätzen
- Für die praktische Durchführung siehe: Beispielalgorithmus für die Schmerztherapie im Aufwachraum
- Ausschlussdiagnostik bei V.a. andere Genese von Übelkeit/Erbrechen, bspw.
- Bei begründetem V.a. Komplikation Aspiration siehe: Therapeutisches Vorgehen bei Aspiration
Differenzialdiagnosen
- Kreislaufstörungen
- Gastrointestinale Störungen, insb.
- Darmatonie
- Ileus
- Zerebrale Störungen
- Weitere Ursachen
- Erbrechen durch Schmerzen
- Bei Diabetes mellitus: Hypoglykämie mit begleitender Übelkeit
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Prävention
- Präoperative Abschätzung des PONV-Risikos, bspw. mithilfe des Apfel-Scores
- Basismaßnahmen [8][9]
- Auswahl des Narkoseverfahrens: Regionalanästhesie statt Allgemeinanästhesie
- Bei Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie: TIVA mit Propofol statt balancierter Anästhesie
- Postoperative Opioidgabe reduzieren
- Multimodale Schmerztherapie mit Lokal- oder Regionalanästhesie
- Bevorzugte Anwendung von Nicht-Opioidanalgetika
- Gabe von Infusionen zur ausreichenden Hydrierung
- Antagonisierung der Muskelrelaxanzien: Sugammadex statt Neostigmin oder Pyridostigmin verwenden
- Mögliche Wirkstoffe zur medikamentöse Prophylaxe [9]
- Scopolamin [15]
- Aprepitant
- Dexamethason
- Dimenhydrinat
- Ondansetron
- Granisetron
- Droperidol
Beispielalgorithmus für eine PONV-Prophylaxe [9][13] | |||
---|---|---|---|
Nach Narkoseeinleitung | Vor OP-Ende | Weitere Maßnahmen | |
Alle Patient:innen |
|
| |
Hohes PONV-Risiko |
|
Therapie
- Antiemetische Therapie [9]
- Keine einheitlichen Empfehlungen zur PONV-Therapie vorhanden
- Grundsätzlich Verwendung der gleichen Wirkstoffe wie zur PONV-Prophylaxe
- Schneller Therapiebeginn indiziert
- Medikament der 1. Wahl : Serotonin-Rezeptor-Antagonisten, bspw. Ondansetron [16]
- Kombinationstherapie: Mind. 2 unterschiedliche Wirkstoffgruppen anwenden
- Bei (erfolgloser) PONV-Prophylaxe: Applikation einer anderen Antiemetika-Gruppe
- Dexamethason: Eher keine therapeutische Anwendung
- Supportive Maßnahmen
- Oberkörperhochlagerung
- Aufklärung, Beruhigung, empathische Zuwendung
- Ausreichende Gabe von Infusionen, bspw. kristalloide Infusionslösungen [8]
-
Schmerztherapie optimieren
- Möglichst Nicht-Opioid-Analgetika verwenden, bspw. Metamizol
- Siehe auch: Beispielalgorithmus für die Schmerztherapie im Aufwachraum
Beispielalgorithmus für eine PONV-Therapie [17] | ||
---|---|---|
Mit vorangegangener PONV-Prophylaxe | Ohne PONV-Prophylaxe | |
Medikamente 1. Wahl |
| |
Bei fortbestehender Übelkeit |
|
|
Ebenso wie in der PONV-Prophylaxe ist die Effektivität der medikamentösen Therapie der PONV begrenzt! Die absolute Risikoreduktion durch Antiemetika beträgt nur ca. 25% [19]!
Komplikationen
- Stress und Unbehagen bei den Betroffenen(!)
- Kreislaufreaktion
- Arterielle Hypertonie und Tachykardie: Vegetative Stresssymptomatik
- Arterielle Hypotonie: Durch Dehydratation
- Hirndrucksteigerung
- Wunddehiszenz, bspw. nach Laparotomie
- Kontamination des OP-Gebiets, bspw. nach Tonsillektomie
- Seltene Komplikationen
- Aspiration mit akuter Hypoxie und ggf. Aspirationspneumonie
- Pneumothorax
- Emetogene Ösophagusruptur
PONV verläuft i.d.R. selbstlimitierend, Komplikationen sind sehr selten. Im Vordergrund stehen neben der medikamentösen Therapie daher eine empathische Zuwendung sowie die Aufklärung und Beruhigung von Betroffenen!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R11.-: Übelkeit und Erbrechen
- Exklusive: Erbrechen
- Beim Neugeborenen (P92.0)
- Nach gastrointestinalem chirurgischem Eingriff (K91.0)
- Psychogen (F50.5)
- Übermäßig, während der Schwangerschaft (O21.‑)
- Hämatemesis (K92.0)
- Hämatemesis beim Neugeborenen (P54.0)
- Exklusive: Erbrechen
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.