Zusammenfassung
Die zirkumskripte Sklerodermie (Morphea) ist eine chronische Bindegewebserkrankung der Haut, die auch tiefer gelegene Strukturen wie Fettgewebe, Muskeln, Gelenke und Knochen befallen kann. Die Erkrankung kommt bei Kindern und Erwachsenen vor. Die Ursachen sind zwar weitgehend unbekannt, es wird jedoch von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen. Das klinische Bild variiert je nach Subtyp, klassischerweise kommt es initial zu einem Erythem, das im Verlauf in eine sklerotische Platte übergeht. Eine seltene Sonderform mit Beteiligung der Muskelfaszie stellt die eosinophile Fasziitis dar, die sich mit brettharten Indurationen der Extremitäten zeigt. Die Diagnose wird klinisch und histologisch gestellt, charakteristische laborchemische Veränderungen fehlen. Bei milden, oberflächlichen Verlaufsformen erfolgt die Therapie primär topisch, bei ausgeprägten Formen und im Kindesalter wird meist systemisch mit Methotrexat behandelt. Ergänzend sollte eine physiotherapeutische Behandlung erfolgen, da je nach Verlaufsform Bewegungseinschränkungen und Kontrakturen auftreten können. Außerdem sind neurologische, ophthalmologische und zahnmedizinische Komplikationen möglich.
Epidemiologie
- Inzidenz [1]
- Erwachsene: 2–3/100.000 Einwohner:innen pro Jahr
- Kinder: 3–4/1 Million Kinder pro Jahr [2]
- Altersgipfel: Kindheit (ca. 15%) und im Alter zwischen 20 und 50 Jahren [3][4]
- Geschlecht: ♀ > ♂ (ca. 4:1) [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Ursache weitgehend unbekannt [1][5][6]
- Begünstigende Faktoren
- Genetische Prädisposition (u.a. Assoziation zu HLA-Genen)
- Autoimmune Entzündungsprozesse
- Infektionen
- Umweltfaktoren (u.a. hormonell, toxisch, neurogen und vaskulär wirksame Faktoren) werden diskutiert
- Begünstigende Faktoren
Pathophysiologie
- Chronisch fibrosierende Entzündungsreaktion [1][5]
- Frühe entzündliche Phase mit eosinophilen Granulozyten, Lymphozyten und Plasmazellen im Bereich der kleinen subepidermalen Gefäße → Zytokinfreisetzung insb. von Transforming Growth Factor β (TGF-β), Platelet-derived Growth Factor (PDGF) sowie Connective Tissue Growth Factor (CTGF) → Aktivierung mesenchymaler Zellen bzw. von Fibroblasten
- Späte Phase mit fibrotischer Bindegewebsumwandlung und Rückgang des entzündlichen Infiltrats
Symptomatik
Typischer Hautbefund [1][3]
- Initiales Erythem mit zentrifugaler Ausbreitung
- Zentrales Abblassen und Ausbildung einer weiß-gelblichen, harten, nicht-verschiebbaren Skleroseplatte
- Randbereich mit ringförmigem blauvioletten bis fliederfarbenen Erythem (sog. Lilac-Ring) als Zeichen der Progression
- Ggf. Pigmentverschiebungen innerhalb der Herde
- Bei Lokalisation im Bereich von Gelenken Kontrakturen möglich
- Form, Größe und Verteilungsmuster abhängig von der Verlaufsform
Es findet sich keine(!) Beteiligung innerer Organe und kein(!) Übergang in eine systemische Sklerose!
Verlaufsformen [1][3]
- Limitierte zirkumskripte Sklerodermie
- Morphea vom Plaque-Typ (häufigste Form): Prädilektionsstellen sind der Rumpf, insb. submammär und inguinal
- Morphea guttata: Disseminierte, rumpfbetonte, kleine (<1 cm) Einzelherde
- Atrophodermia Pierini-Pasini: Zunächst ca. 1–2 cm große Erytheme, im Verlauf narbige Einsenkungen
- Tiefe Form der zirkumskripten Sklerodermie: Seltene Form mit Befall tiefer liegender Bindegewebsanteile im Fettgewebe, an Faszien oder Muskeln der Extremitäten
- Lineare zirkumskripte Sklerodermie: Bandförmige Herde, meist an den Extremitäten
- Lineare zirkumskripte Sklerodermie vom Typ „en coup de sabre“
- Von der Stirn bis in die behaarte Kopfhaut reichende, bandförmige Herde mit begleitender, narbiger Alopezie
- Häufig asymptomatische Beteiligung des darunterliegenden ZNS
- Progressive faziale Hemiatrophie (Synonym: Parry-Romberg-Syndrom)
- Atrophie des subkutanen Gewebes, der Muskeln und Knochen im Gesicht
- Im Verlauf ausgeprägte Gesichtsasymmetrie
- Beginn im Kindes- und Jugendalter
- Eosinophile Fasziitis: Seltene Sonderform mit Beteiligung der Muskelfaszien
- Lineare zirkumskripte Sklerodermie vom Typ „en coup de sabre“
- Generalisierte zirkumskripte Sklerodermie: Mind. 3 Körperregionen betroffen
- Disabling pansclerotic morphea: Schwer und aggressiv verlaufende Sonderform mit großflächigem Hautbefall und extrakutaner Beteiligung
Mischformen sind möglich und treten meist im Kindesalter auf!
Sonderform: Eosinophile Fasziitis
- Definition: Seltene Sonderform der linearen zirkumskripten Sklerodermie mit Beteiligung der Muskelfaszien
- Epidemiologie
- Ätiologie
- Unbekannt, autoimmunologische Mechanismen werden vermutet
- Häufig Auftreten nach schwerer körperlicher Anstrengung oder Trauma
- Pathophysiologie: Tiefer gelegener Fibrosierungsprozess im Bereich des Subkutangewebes und der Faszie
- Klinisches Bild
- Plötzliches Auftreten sowie schleichender Beginn möglich
- Initial symmetrische, schmerzhafte, teigige, erythematöse Schwellungen der distalen Extremitäten insb. an den Unterarmen und Unterschenkeln
- Im Verlauf holzartige Verhärtungen und Ausbreitung auf proximale Extremitäten, Gelenkkontrakturen möglich
- Aussparung von Gesicht, Fingern und Zehen
- Allgemeinsymptome (Fieber, Müdigkeit, Arthralgien) möglich
- Hautverschieblichkeit bleibt bestehen
- Negatives Venenzeichen/Matratzenphänomen/Rillenzeichen
- Diagnostik
- Körperliche Untersuchung
-
Goldstandard: Exzisionsbiopsie mit Faszienanteil
- Initial dichte Entzündungsinfiltrate aus Lymphozyten, Monozyten und eosinophilen Granulozyten insb. im subkutanen Fettgewebe und in der Faszie
- Im Verlauf Rückgang des Entzündungsinfiltrats
- Verdickung und Sklerosierung der Faszie
- Laborchemische Untersuchungen [7]
- Initial meist Eosinophilie
- BSG/CRP-Erhöhung
- Hypergammaglobulinämie
- ANA und Rheumafaktor meist negativ
Diagnosekriterien der eosinophilen Fasziitis [9] | |
---|---|
Hauptkriterium |
|
Nebenkriterium 1 |
|
Nebenkriterium 2 |
|
- Therapie [8][10]
- 1. Wahl: Systemische Glucocorticoide
- Ggf. zusätzlich Methotrexat (Off-Label Use!)
- Weitere Therapieoptionen
- Ciclosporin
- Hydroxychloroquin, Sulfasalazin
- Phototherapie mit UV-A1
- Prognose
- Chronischer, schubweiser Verlauf
- Rasches Ansprechen auf systemische Glucocorticoide
- Spontanremissionen sind beschrieben [11]
Diagnostik
- Anamnese: Bzgl. anderer Autoimmun- und rheumatischen Erkrankungen
- Körperliche Untersuchung: Inkl. Anogenitalregion
- Laborchemische Untersuchungen
- Basis-Laboruntersuchung
- Differenzialblutbild: Ggf. Eosinophilie
- Klinische Chemie: AST, ALT, γGT, AP, LDH, Kreatinin, CK, BSG und/oder CRP
- ANA
- Weiterführende Untersuchungen
- Bei arthritischen Beschwerden: Rheumafaktor, Anti-CCP-Antikörper
- Bei V.a. weitere Autoimmunerkrankungen: Bestimmung von Anti-ENA-Antikörpern
- Bei V.a. systemische Sklerose: Anti-Scl-70-Antikörper oder Anti-Centromer-Antikörper
- Bei Kindern/Jugendlichen: Anti-Histon-Antikörper , CK und Aldolase
- Basis-Laboruntersuchung
- Hautbiopsie
- Indikation: Diagnosesicherung bei nicht-eindeutigen klinischen Befunden [12]
- Durchführung: Exzisionsbiopsie inkl. Subkutis und Fettgewebe zur Bestimmung der Tiefenausdehnung
- Befund
- Entzündliches Frühstadium
- Oberflächliches und tiefes perivaskuläres und interstitielles Entzündungsinfiltrat überwiegend aus Lymphozyten und Plasmazellen
- Verdickte Kollagenfaserbündel
- Ödem im oberen Corium
-
Sklerotisches Spätstadium
- Gering ausgeprägtes entzündliches Infiltrat aus Lymphozyten und Plasmazellen in allen Dermisschichten
- Sklerosierte Dermis mit verbreiterten hyalinisierten Kollagenfaserbündeln
- Höher gerückte atrophe Schweißdrüsen durch Coriumverdickung
- Elastische Fasern weitgehend vorhanden
- Fehlen von Haarfollikeln
- Entzündliches Frühstadium
- Klinische Haut-Scores (z.B. Localized Scleroderma Cutaneous Assessment Tool) zur Verlaufs- und Krankheitsaktivitätskontrolle ggf. sinnvoll [13]
- Schädel-MRT und neurologische Untersuchung: Bei linearer zirkumskripter Sklerodermie vom Typ „en coup de sabre“ und progressiver faszialer Hemiatrophie zum Ausschluss einer ZNS-Beteiligung
- Ophthalmologische Untersuchung mit Uveitis-Screening: Bei Gesichts-/Kopfbefall und bei juvenilen Formen
Eine Borreliendiagnostik sollte nicht routinemäßig durchgeführt werden!
Histologisch ist die Unterscheidung zwischen einer zirkumskripten Sklerodermie und einer systemischen Sklerose nicht möglich!
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnosen verschiedener Verlaufsformen der zirkumskripten Sklerodermie | ||
---|---|---|
Verlaufsform | Differenzialdiagnosen | |
Limitierte zirkumskripte Sklerodermie | Entzündliches Frühstadium | |
Spätstadium mit führender Hyperpigmentierung |
| |
Spätstadium mit führender Atrophie | ||
Spätstadium mit führender Sklerose |
| |
Generalisierte zirkumskripte Sklerodermie |
| |
Lineare zirkumskripte Sklerodermie vom Typ „en coup de sabre“ |
|
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Topische Therapie
- Indikation: Insb. aktive Phase bei oberflächlichen Formen
- Wirkstoffe
- 1. Wahl: Glucocorticoide, bspw. Mometasonfuroat
- Therapiealternativen
- Vitamin-D3-Analoga, bspw. Calcipotriol (Off-Label Use!)
-
Calcineurin-Inhibitoren, bspw. Tacrolimus (Off-Label Use!)
- Erwachsene
- Kinder und Jugendliche 2–16 Jahre
Phototherapie
- Indikation: Limitierte zirkumskripte Sklerodermie
- Therapieoptionen
Lasertherapie
- Indikationen
- Limitierter Hautbefall
- Bei Versagen oder Kontraindikation einer topischen und/oder Phototherapie
- Therapieoptionen
- Gepulster Farbstofflaser (PDL)
- CO2-Laser
Systemische Therapie
- Indikationen
- Schwerer Haut- und/oder muskuloskelettaler Befall
- Generalisierte oder rasch progrediente Form
- Aktive lineare Form
- Kinder mit drohender Wachstums-/Bewegungseinschränkung
- Wirkstoffe
- 1. Wahl: Methotrexat (Off-Label Use!)
- Erwachsene
- Kinder
- In der aktiven Phase ggf. zusätzlich Glucocorticoide
- Erwachsene
- Kinder
- 2. Wahl bei fehlendem Ansprechen, Kontraindikation oder Unverträglichkeit: Mycophenolat-Mofetil oder Abatacept (beides Off-Label Use!)
- 1. Wahl: Methotrexat (Off-Label Use!)
Weitere Therapieverfahren
- Operativ: Korrektur von kosmetisch störenden Herden, Behebung von Bewegungseinschränkungen
- Indikation: Nur in inaktiver Krankheitsphase bei linearer zirkumskripter Sklerodermie
- Autologe Fettstammzell-Transplantation: Bei linearer zirkumskripter Sklerodermie im Kopfbereich zur Korrektur von Weichteildefekten
- Physiotherapie
- Indikation
- Verfahren
- Manuelle Lymphdrainage und Bindegewebsmassagen
- Krankengymnastik zum Muskelaufbau
Komplikationen
- Assoziation zu anderen Autoimmun- und rheumatologischen Erkrankungen
- Genitaler/extragenitaler Lichen sclerosus
- Muskuloskelettale Beteiligung mit Bewegungseinschränkungen
- Arthritis
- Myositis
- Muskel-/Knochen-/Extremitätenatrophie
- Kontrakturen
- Insb. bei Beteiligung des Kopfes
- Neurologisch: U.a. Kopfschmerzen, Krampfanfälle
- Ophthalmologisch: U.a. Uveitis, Optikusneuritis
- Zahnmedizinisch: U.a. Zahnengstand, atrophe Zahnwurzeln
Patient:innen mit zirkumskripter Sklerodermie haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung anderer Autoimmunerkrankungen!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Aktiver Verlauf über 3–5 Jahre, dann meist „Ausbrennen“ der Herde
- Rezidiv bei ca. 25–30% der Patient:innen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- L94.-: Sonstige lokalisierte Krankheiten des Bindegewebes
- Exklusive: Systemkrankheiten des Bindegewebes (M30-M36)
- L94.0: Sclerodermia circumscripta [Morphaea]
- Lokalisierte Sklerodermie
- L94.1: Lineare oder bandförmige Sklerodermie
- L94.9: Lokalisierte Krankheit des Bindegewebes, nicht näher bezeichnet
- M35.-: Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung des Bindegewebes
- M35.4: Eosinophile Fasziitis
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.