Zusammenfassung
Bei Windpocken handelt es sich um die meist im Kindesalter auftretende Primärinfektion mit dem Varizella-Zoster-Virus. Windpocken sind hochansteckend und werden aerogen oder auch seltener durch Schmierinfektion übertragen. Neben Fieber kommt es zu einem sehr charakteristischen, stark juckenden Exanthem, das am gesamten Körper auftritt, einschließlich der behaarten Kopfhaut: Es zeigen sich Papeln, die sich zu flüssigkeitsgefüllten ungekammerten Bläschen und schließlich zu verkrusteten Erosionen wandeln. Da die verschiedenen Stadien des Exanthems gleichzeitig auftreten, spricht man vom Bild des sog. „Sternenhimmels“. Bei Immunkompetenten kommt es nach ca. 5–7 Tagen zur Abheilung. Die Therapie erfolgt symptomatisch mit synthetischen Gerbstoffen und juckreizstillenden Medikamenten. Eine antivirale Therapie (bspw. mit Aciclovir) ist möglich, aber nur bei Risikogruppen mit zu erwartendem schweren Verlauf indiziert.
Schwere Verläufe betreffen insb. Neugeborene mit konnataler Varizelleninfektion, ältere und immungeschwächte Menschen. Eine Infektion in der Schwangerschaft kann zu einer vertikalen Transmission auf das Kind mit potenziell schwerwiegenden Folgen führen (fetales Varizellensyndrom, Neonatale Varizelleninfektion).
Windpocken treten i.d.R. nur einmal im Leben auf, da die Infektion eine Immunität zur Folge hat. Zur Prävention steht ein Lebendimpfstoff zur Verfügung, der als Standardimpfung im Alter von 11 und 15 Monaten (zusammen mit der Masern-Mumps-Röteln-Impfung) empfohlen wird. Das Virus kann jedoch nach einer Infektion oder Impfung lebenslang in den Ganglien persistieren, wodurch bei Immunschwäche eine Reaktivierung in Form eines Herpes zoster möglich ist. Bei Impfviren ist diese allerdings selten und verläuft i.d.R. mild.
Epidemiologie
- Vorkommen: Weltweit
- Häufigkeit
- Vor STIKO-Impfempfehlung 2004: Ca. 750.000 Infektionen pro Jahr in Deutschland
- Aktuell in Deutschland
- Hauptsächlich Erkrankung bei ungeimpften Kindern (ca. 90%) [1], Durchbruchvarizellen möglich
- Ca. 350 stationäre Behandlungen von Kindern bis 15 Jahre pro Jahr infolge Varizellen
- Alter: In jedem Alter möglich, Altersgipfel 1–4 Jahre
- Saisonalität: Winter/Frühling
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger: Varizella-Zoster-Virus (VZV) = Humanes Herpesvirus-3 (HHV-3)
- Reservoir: Mensch (einzig bekanntes Reservoir)
- Primärinfektion: Windpocken mit lebenslangem Persistieren des Virus in den Spinal- und Hirnganglien
- Bei Reaktivierung: Herpes zoster infolge einer (oft passageren) Immunschwäche
- Durchbruchvarizellen: Eine Infektion mit dem Varizellen-Wildtyp ist trotz Impfung möglich, meist in milder Ausprägung und (fast) ohne Begleitsymptome
- Impfvarizellen: Nach der Impfung entwickeln einige Personen ein leichtes Varizellenexanthem mit virushaltigen infektiösen Bläschen
- Übertragung
- Aerogen: Ansteckung über mehrere Meter durch virushaltige Tröpfchenkerne aus den Atemwegen („WINDpocken“)
-
Schmierinfektion: Direkt von Mensch zu Mensch oder indirekt über Gegenstände
- Kontakt zu erregerhaltigem Bläscheninhalt (bei Windpocken und Zoster)
- Kontakt zu infektiösem Speichel oder Konjunktivalsekret (bei Windpocken)
- Diaplazentar (pränatal) oder während der Geburt: Fetales Varizellensyndrom, Neonatale Varizelleninfektion
- Infektiosität: 2 Tage vor bis 5 Tage nach Exanthembeginn („bis das letzte Bläschen verkrustet ist“)
- Hohe Kontagiosität!
Bereits ein kurzer Kontakt über eine Entfernung von wenigen Metern kann zur Infektion führen!
Symptomatik
- Inkubationszeit: Meist 2 Wochen (8–28 Tage)
- Klinik
- Uncharakteristische Prodromi (1–2 Tage vor Exanthembeginn, insgesamt über 3–5 Tage anhaltend)
- Abgeschlagenheit, leichtes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen
- Pathognomonisches Exanthem bei Windpocken
- Primäreffloreszenz: Papeln und Vesikel auf gerötetem Grund („Tautropfen auf einem Rosenblatt“)
- Im Verlauf Eintrüben des Blaseninhaltes und krustenschorfbedeckte Erosionen
- Schubweiser Verlauf
- „Sternenhimmel“ oder „Heubner-Sternenkarte“: Nebeneinander verschiedener Exanthemphasen (Papeln, Vesikel und Krusten)
- Beginn Haargrenze, kraniokaudale Ausbreitung
- Typischerweise Beteiligung von Gesicht, behaartem Kopf und Mundschleimhaut (Enanthem)
- Starker Juckreiz
- Menschen mit Immunschwäche zeigen häufig schwere, komplizierte, z.T. lebensgefährliche Verläufe
- Uncharakteristische Prodromi (1–2 Tage vor Exanthembeginn, insgesamt über 3–5 Tage anhaltend)
Diagnostik
- Typische Anamnese und Klinik i.d.R. ausreichend [1][2][3]
- Ggf. Diagnosesicherung
- Direkter Erregernachweis mittels PCR aus Bläscheninhalt
- Bei V.a. Pneumonie: Bronchialsekret (bronchoalveoläre Lavage)
- Bei V.a. Zoster-Enzephalitis: Liquor
- Antigennachweis aus Bläschensekret/Abstrich (Objektträgerpräparat luftgetrocknet, unfixiert)
- Serologie
- VZV-spezifische Antikörper: Serum, Liquor
- Avidität von Anti-VZV-IgG: Unterscheidung zwischen Primärinfektion (Varizellen) und Herpes zoster
- Direkter Erregernachweis mittels PCR aus Bläscheninhalt
- Vorgehen bei Schwangeren mit V.a. Varizelleninfektion: Siehe Varizelleninfektion in der Schwangerschaft
- Vorgehen bei V.a. intrauterine Infektion: Siehe Fetales Varizellensyndrom, Neonatale Varizelleninfektion
Differenzialdiagnosen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Symptomatische Therapie
Die Hauptursache für die Entstehung einer Sekundärinfektion ist das Aufkratzen der juckenden Effloreszenzen. Die systemische Gabe von Antihistaminika sowie das Anwenden synthetischer Gerbstoffe können den Juckreiz und damit auch das Sekundärinfektionsrisiko durch Kontamination beim Kratzen deutlich reduzieren.
- Hautpflege
- Synthetische Gerbstoffe
- Alternativ: Zinkschüttelmixtur (bspw. Lotio alba aquosa) [4][5]
- Bei starkem Juckreiz: Antihistaminika oral, bspw. Dimetinden [4][6]
- Kinder ab 1 Jahr
- Erwachsene
- Siehe auch: Systemische Antihistaminika im Kindes- und Jugendalter
Bei Sekundärinfektion
- Antibiotika p.o.
- Cefadroxil
- Säuglinge und Kinder <40 kgKG [4][7]
- Siehe auch: Cefadroxil (pädiatrisch)
- Erwachsene und Jugendliche ≥40 kgKG [4][8]
- Säuglinge und Kinder <40 kgKG [4][7]
- Alternativ: Amoxicillin/Clavulansäure
- Säuglinge 3–12 Monate [4][9]
- Kinder >1–12 Jahre [4][9]
- Siehe auch: Amoxicillin/Clavulansäure (pädiatrisch)
- Erwachsene und Jugendliche >12 Jahre bzw. ≥40 kgKG [4][10]
- Cefadroxil
Nach individueller Indikationsstellung: Antivirale Therapie bei Windpocken
Eine antivirale Therapie mit Aciclovir ist Patienten mit Risikofaktoren, Immunschwäche oder Komplikationen vorbehalten.
- Indikationen
- Neugeborene und Frühgeborene bis zur vollendeten 6. Lebenswoche
- Personen >16 Jahre
- Immunschwäche
- Chronische Hautkrankheiten (bspw. atopische Dermatitis)
- Dauertherapie mit Steroiden oder Salicylaten
- Komplizierter Verlauf
- Aciclovir i.v. [4]
- Erwachsene
- Säuglinge ≥3 Monate, Kinder und Jugendliche
- Siehe auch: Aciclovir (pädiatrisch)
- Neugeborene siehe: Neonatale Varizelleninfektion
- Aciclovir p.o. (bei leichteren Fällen bzw. zum Oralisieren nach Symptombesserung)
- Erwachsene
- Kinder und Jugendliche ≥1 Jahr [4]
- Siehe auch: Aciclovir (pädiatrisch)
- Bei Aciclovir-Resistenz: Foscarnet
- Alternativ: Famciclovir oder Brivudin p.o.
Salicylate sind bei einer Varizelleninfektion immer kontraindiziert, da in diesem Zusammenhang das Risiko eines Reye-Syndroms erhöht ist!
Komplikationen
- Häufigkeit: Altersabhängig
- Säuglinge, Kinder ab 4 Jahren und Erwachsene am häufigsten betroffen
- Risikogruppen
- Personen mit Immundefizienz
- Schwangere: Siehe Varizelleninfektion in der Schwangerschaft
- Neugeborene: Siehe Fetales Varizellensyndrom, Neonatale Varizelleninfektion
- Organmanifestationen
- Haut: Bakterielle Sekundärinfektion (u.a. Impetigo, Phlegmone, nekrotisierende Fasziitis), oft mit Narbenbildung
- ZNS (bei ca. 0,1% der Windpockenerkrankungen)
- Zerebellitis mit Ataxie (ca. 1:4.000 Windpockenerkrankungen): Meist selbstlimitierend nach einigen Wochen, Prognose gut
- Enzephalitis (sehr selten, ca. 1:25.000 Windpockenerkrankungen): Krämpfe, Koma, schlechte Prognose
- Meningitis, Guillain-Barré-Syndrom
- Bis zu mehrere Monate nach der Erkrankung: Zerebrale Vaskulitis nach Varizellen-Infektion (Anamnese!)[1]
- Lunge: Pneumonie (insb. Varizellen-Pneumonie, auch sekundär bakteriell möglich)
- Bei Erwachsenen häufiger, bei Kindern selten
- Auftreten meist 3–5 Tage nach Symptombeginn
- Weitere
- Hepatitis, Myokarditis, Arthritis, Nephritis, Glomerulonephritis, Thrombozytopenie mit Hämorrhagie
- Bei gleichzeitiger Aspirin-Einnahme bei Kindern: Vorkommen von Reye-Syndrom
- Bei Reaktivierung: Herpes zoster
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Bei immunkompetenten Patienten
- I.d.R. komplikationsloser Verlauf und narbenloses Abheilen
- Durch starkes Kratzen oder bakterielle Sekundärinfektionen Narbenbildung möglich
- Bei Immunsupprimierten und Neugeborenen: Generalisierte Verläufe mit letalem Ausgang möglich
- Komplizierte Verläufe mit schlechter Prognose immer möglich
- Letalität
- 0,6:100.000 Kinder
- 31:100.000 Erwachsene
Prävention
Varizellen-Impfung [3][11]
Die STIKO empfiehlt allen Kindern im Alter von 11 Monaten–17 Jahren und allen seronegativen Frauen mit Kinderwunsch eine vollständige Grundimmunisierung gegen Varizellen als Standardimpfung.
- Impfstoff: Lebendimpfstoff
- Monovalent oder Kombinationsimpfstoff mit Masern, Mumps und Röteln (MMRV-Impfstoff)
- Siehe auch: Varizellen-Impfstoff
- Grundimmunisierung: 2 Impfdosen im Alter von 11 und 15 Monaten
- Für die 1. Impfung wird die Gabe des MMR-Impfstoffs mit gleichzeitiger Varizellen-Impfung (an verschiedenen Körperstellen) empfohlen
- Für die 2. Impfung kann der MMRV-Impfstoff verwendet werden
- Bei angestrebter schneller Immunisierung: Zweitimpfung nach 4 Wochen möglich (zeitlicher Mindestabstand)
- Nachholimpfung
- Kinder im Alter von ≤17 Jahren: 2 Impfdosen mit Varizellen- oder MMRV-Impfstoff im Abstand von 4–6 Wochen
- Erwachsene ≥18 Jahre
- Keine grundsätzliche Empfehlung zur Nachholimpfung
- Seronegative Frauen mit Kinderwunsch: 2 Impfdosen mit Varizellen- oder MMRV-Impfstoff im Mindestabstand von 4 Wochen
- Indikationsimpfungen : 2 Impfdosen mit Varizellen- oder MMRV-Impfstoff im Mindestabstand von 4 Wochen [12]
- Seronegative Frauen mit Kinderwunsch
- Seronegative Personen vor immunsuppressiver Therapie oder Organtransplantation
- Empfängliche Personen mit schwerer Neurodermitis
- Empfängliche Kontaktpersonen von Risikopersonen mit Neurodermitis oder bevorstehender Immunsuppression/Organtransplantation
- Berufsbedingte Impfung: Zwei Impfdosen mit Varizellen- oder MMRV-Impfstoff im Mindestabstand von 4 Wochen
- Seronegatives Personal von Gemeinschaftseinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften und dem Gesundheitsdienst sowie in Tätigkeitsbereichen mit möglichem Kontakt zu infektiösem Material [13]
- Daher bei unklarem Varizellen-Immunstatus serologische Kontrolle
- Seronegatives Personal von Gemeinschaftseinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften und dem Gesundheitsdienst sowie in Tätigkeitsbereichen mit möglichem Kontakt zu infektiösem Material [13]
Die für alle Kinder empfohlene Varizellen-Impfung erfolgt mit einem Lebendimpfstoff! Für die Herpes-zoster-Impfung stehen ein Lebend- und ein Totimpfstoff zur Verfügung, die STIKO empfiehlt als Standardimpfung ab dem Alter von 60 Jahren allerdings den Totimpfstoff!
Postexpositionsprophylaxe bei Windpocken [1][3][11]
- Riegelungsimpfung (aktive Immunisierung)
- Indikation: Exposition immunkompetenter seronegativen Kontaktpersoner von Risikopersonen
- Mittels Lebendimpfstoff
- Möglichst früh durchzuführen, innerhalb von 5 Tagen nach Exposition oder 3 Tagen nach Exanthembeginn beim Indexfall
- Passive Immunisierung [1][2]
- Indikation: Exposition von Risikopersonen (bei denen keine Lebendimpfung infrage kommt)
- Mittels Varizella-Zoster-Immunglobulin (VZIG)
- Möglichst früh durchzuführen, innerhalb von 3–10 Tagen nach Exposition
- Empfohlen für Personen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen
- Ungeimpfte Schwangere mit fehlender Varizellenerkrankung in der Anamnese
- Immunsupprimierte mit fehlender Immunität
- Neugeborene, wenn die Mutter 5 Tage vor oder bis 2 Tage nach der Entbindung erkrankt
- Frühgeborene ≥28. SSW nach Exposition in der Neonatalzeit, wenn die Mutter keine Immunität aufweist
- Frühgeborene <28. SSW nach Exposition in der Neonatalzeit immer (unabhängig vom Serostatus der Mutter)
- Chemoprophylaxe [1]
Weitere Maßnahmen bei Kontaktpersonen [14]
- Ausschluss aus Gemeinschaftseinrichtungen, solange das Risiko einer Weiterverbreitung besteht
- Nicht (mehr) erforderlich bei Kontaktpersonen
- Mit vorhandenem Impfschutz
- Nach durchgemachter Krankheit [15]
- Nicht (mehr) erforderlich bei Kontaktpersonen
Weitere Maßnahmen im Krankheitsfall
- Kein Kontakt zu Neugeborenen, Schwangeren, Menschen mit fehlender Immunität oder mit Immunschwäche
- Ausschluss aus Gemeinschaftseinrichtungen für mind. 7 Tage bzw. bis alle Effloreszenzen verkrustet sind, Wiederzulassung ohne ärztliches Attest möglich
- Im Krankenhaus: Isolierung und Mundschutz-Handschuh-Kittel-Pflege während infektiöser Zeit
Besondere Patientengruppen
Varizelleninfektion in der Schwangerschaft
Schwangere haben im Vergleich zu nicht-schwangeren Frauen ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe und Komplikationen (siehe: Windpocken - Komplikationen). [3] Darüber hinaus besteht die Gefahr einer vertikalen Transmission auf das Kind (siehe: fetales Varizellen-Syndrom, neonatale Varizelleninfektion).
Diagnostik [3][16]
- Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge
- Bei V.a. Primärinfektion: Direkter Erregernachweis (PCR) aus Bläscheninhalt oder Blut
- Bei nachgewiesener Primärinfektion: Regelmäßige fetale Sonografie, bei Auffälligkeiten ggf. direkter Erregernachweis (PCR) aus Chorionzotten, Fruchtwasser oder fetalem Blut
Therapie [16]
- Bei Primärinfektion in der Spätschwangerschaft: Ggf. Aciclovir i.v. innerhalb von 24 h nach Exanthembeginn
- Bei Hinweisen auf eine Pneumonie oder ZNS-Infektion: Frühzeitig stationäre Aufnahme und Therapie mit Aciclovir i.v.
- Dosierung: Siehe Antivirale Therapie bei Windpocken
Prävention [16]
- Varizellen-Impfung (vor Beginn der Schwangerschaft)
- Kontaktmeidung zu infizierten Personen (Windpocken und Herpes zoster)
- Bei negativem Immunstatus und Exposition: Passive Immunisierung (siehe: Postexpositionsprophylaxe bei Windpocken)
Vertikale Transmission [3][4]
- Übertragung: Selten diaplazentar (pränatal), meist kurz vor oder während der Geburt
- Nur bei Primärinfektion (Windpocken)
- Risiko: Abhängig vom Zeitpunkt der Primärinfektion
- Mögliche Folgen: Abhängig vom Zeitpunkt der Primärinfektion
- 1. oder 2. Trimenon: Fetales Varizellen-Syndrom
- 3. Trimenon und kurz nach der Geburt: Neonatale Varizelleninfektion
Das Risiko einer diaplazentaren Übertragung auf das ungeborene Kind besteht i.d.R. nur bei einer Primärinfektion (Windpocken) der Schwangeren, nicht jedoch bei einer Reaktivierung (Herpes zoster)!
Die STIKO empfiehlt allen seronegativen Frauen mit Kinderwunsch eine vollständige Grundimmunisierung gegen Varizellen als Standardimpfung. Während der Schwangerschaft ist die Varizellen-Impfung jedoch kontraindiziert!
Neonatale Varizelleninfektion
Übertragung [3][4][16]
- Vertikal: Von einer Schwangeren bzw. Mutter mit VZV-Primärinfektion (Windpocken) auf ihr Kind
- Diaplazentar oder aufsteigend (im 3. Trimenon)
- Kontaktinfektion (während der Geburt)
- Horizontal: Von einer Person mit VZV-Primärinfektion (Windpocken) oder VZV-Reaktivierung (Herpes zoster) auf ein Neugeborenes
- Kontaktinfektion oder Tröpfcheninfektion (nach der Geburt)
Klinisches Bild [3][4][16]
- Bei vertikaler Übertragung: Krankheitsschwere und Prognose abhängig vom Infektionszeitpunkt der Schwangeren bzw. Mutter
- Mütterliches Exanthem bis 5 Tage vor der Geburt: Geringes Risiko für das Kind
- Manifestationszeitpunkt: Direkt postnatal oder innerhalb der ersten 4 Lebenstage
- Verlauf: I.d.R. mild mit manifesten Windpocken
- Prognose: Bei reifen Neugeborenen i.d.R. auch ohne antivirale Therapie gut
- Mütterliches Exanthem 5 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt: Hohes Risiko für das Kind
- Manifestationszeitpunkt: Meist zwischen dem 5.–10. (max. 12.) Lebenstag
- Verlauf: Häufig schwer mit hämorrhagischem Exanthem, Enzephalitis, Pneumonie
- Prognose: Letalität bis zu 30%
- Mütterliches Exanthem bis 5 Tage vor der Geburt: Geringes Risiko für das Kind
- Bei horizontaler Übertragung : Krankheitsschwere und Prognose abhängig von Nestschutz und Reife
Diagnostik [4][16]
- Direkter Erregernachweis (PCR) im Blut und ggf. aus dem Bläscheninhalt oder Gewebe
- Bei Hinweisen auf ZNS-Beteiligung: Direkter (PCR) und indirekter Erregernachweis (Serologie) im Liquor
Therapie [4]
- Indikation
- Neugeborene mit typischen Effloreszenzen zwischen dem 5.–12. Lebenstag
- Frühgeborene mit typischen Effloreszenzen in den ersten 6 Lebenswochen
- Beginn: Möglichst sofort, spätestens innerhalb von 48–72 Stunden
- Wirkstoff: Aciclovir i.v. [4]
Prävention [4]
- Prävention und ggf. Therapie einer Infektion der Schwangeren (siehe: Varizelleninfektion in der Schwangerschaft)
- Postexpositionsprophylaxe (passive Immunisierung) mit VZV-Immunglobulin (siehe: Postexpositionsprophylaxe bei Windpocken)
- Bei intrauteriner Exposition: Sofort postnatal
- Bei postnataler Exposition: Innerhalb von 96 h
Entwickelt eine Schwangere bzw. Mutter 5 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt ein pathognomonisches Exanthem bei Windpocken, besteht für das Neugeborene das größte Risiko einer schwer verlaufenden Varizelleninfektion!
Meldepflicht
- Arztmeldepflicht
- Nach § 6 IfSG: Namentliche Meldepflicht bei Verdachts-, Krankheits- oder Todesfällen
- Nach IfSGMeldpflV ST 2005 und IfSGMeldeVO (nur in Sachsen-Anhalt und Sachsen ): Namentliche Meldepflicht auch bei konnataler Infektion oder fetalem Varizellensyndrom
- Labormeldepflicht
- Nach § 7 IfSG: Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis
- Nach IfSGMeldpflV ST 2005 (nur in Sachsen-Anhalt ): Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis, auch im Zusammenhang mit konnatalen Infektionen
- Nach ThürIfKrMVO (nur in Thüringen ): Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis, auch ohne Hinweis auf eine akute Infektion
- Meldepflicht für Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 und § 34 (6) IfSG
- Namentliche Meldepflicht bei Verdachts- und Krankheitsfällen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- B01.-: Varizellen [Windpocken]
- B01.0+: Varizellen-Meningitis (G02.0*)
- B01.1+: Varizellen-Enzephalitis (G05.1*)
- Enzephalitis nach Varizelleninfektion, Varizellen-Enzephalomyelitis
- B01.2+: Varizellen-Pneumonie (J17.1*)
- B01.8: Varizellen mit sonstigen Komplikationen
- B01.9: Varizellen ohne Komplikation
- Varizellen o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Varizellen
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).