Zusammenfassung
Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist durch die typische Trias aus mikroangiopathischer, hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und akuter Nierenschädigung gekennzeichnet. Je nach zugrunde liegender Ursache kann zwischen STEC-HUS (ca. 90%), komplementvermitteltem HUS (ca. 5–10%) und anderen HUS-Formen (<5%) unterschieden werden.
Das STEC-HUS wird durch eine Infektion mit Shigatoxin-bildenden E. coli (STEC) verursacht und tritt überwiegend bei Kleinkindern im Alter von 2–5 Jahren auf. Es führt neben akuten gastrointestinalen Symptomen wie (blutiger) Diarrhö und Erbrechen typischerweise erst nach einer Latenz von 1–2 Wochen zu hämatologischen, renalen und ggf. neurologischen Symptomen. Das STEC-HUS wird i.d.R. rein symptomatisch behandelt. In bis zu 50% der Fälle ist zwar eine vorübergehende Nierenersatztherapie erforderlich, in der Mehrheit der Fälle sind aber keine bleibenden Schäden oder Rezidive zu befürchten.
Das komplementvermittelte HUS wird durch eine angeborene oder erworbene Dysregulation des Komplementsystems verursacht und kann in jedem Lebensalter auftreten. Es wird mit C5-Inhibitoren (z.B. Eculizumab, Ravulizumab) behandelt, führt allerdings häufiger zu einer chronisch-progredienten Niereninsuffizienz mit bleibender Dialysepflicht.
Definition
- Typische Trias einer thrombotischen Mikroangiopathie [1]
- Mikroangiopathische, hämolytische Anämie
- Thrombozytopenie
- Akute Nierenschädigung
Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine thrombotische Mikroangiopathie (TMA)!
Epidemiologie
- STEC-HUS
- Komplementvermitteltes HUS
- Inzidenz: Ca. 0,2:100.000
- Kein typischer Altersgipfel
Das STEC-HUS tritt typischerweise bei Kleinkindern im Alter von 2–5 Jahren auf!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Ursachen des hämolytisch-urämischen Syndroms [1][3][4] | ||
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Bezeichnung | Ursachen | Häufigkeit |
STEC-HUS |
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Komplementvermitteltes HUS |
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Andere HUS-Formen |
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Eine Infektion mit Shigatoxin-bildenden E. coli (STEC) ist die häufigste Ursache eines HUS!
Beim STEC-HUS kann eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung zu Ausbrüchen in Familien oder Gemeinschaftseinrichtungen führen!
Pathophysiologie
- Zentraler Pathomechanismus: Thrombotische Mikroangiopathie
- Ursache: Endothelzellschädigung durch
- Infektion mit Shigatoxin-bildenden E. coli (STEC-HUS) → Freisetzung von Shigatoxin → Bindung an Globotriaosylceramid 3 (Gb3) oder
- Unkontrollierte Stimulation des alternativen Aktivierungswegs auf Endothelzellen (komplementvermitteltes HUS) → Bildung von C5b-9-Komplexen (sog. Membranangriffskomplex)
- Folge: Mikrovaskuläre Thrombenbildung
- Scherstress auf Erythrozyten → Hämolytische Anämie und Bildung von Fragmentozyten
- Thrombozytenverbrauch → Thrombozytopenie
- Ischämische Endorganschäden (insb. der Nieren) → Akute Nierenschädigung
- Ursache: Endothelzellschädigung durch
Das HUS ist eine thrombotische Mikroangiopathie, die zu einer hämolytischen Anämie, Thrombozytopenie und akuten Nierenschädigung führt!
Klassifikation
- Abhängig von der Ursache (siehe auch: HUS im Kindes- und Jugendalter - Ursachen)
- STEC-HUS (ca. 90%)
- Komplementvermitteltes HUS (ca. 5–10%)
- Andere HUS-Formen (<5%)
- Veraltet: Abhängig vom klinischen Bild
Das HUS wird je nach zugrunde liegender Ursache in drei Formen eingeteilt!
Symptomatik
- Symptome
- Diarrhö (ggf. blutig), Übelkeit, Erbrechen, Dehydratation
- Anämiesymptome (z.B. Blässe, Schwäche, Tachykardie)
- Thrombozytäre Blutungszeichen (z.B. Petechien, Hämatome, Epistaxis)
- Akute Nierenschädigung (z.B. Anurie/Oligurie, Ödeme, ggf. arterielle Hypertonie)
- Vigilanzminderung, Lethargie, Irritabilität, epileptische Anfälle [6]
- Akute Herzinsuffizienz (z.B. Leistungsminderung)
- Beginn
- Verlauf
- STEC-HUS: I.d.R. Erholung der Nierenfunktion innerhalb von 1–2 Wochen
- Komplementvermitteltes HUS: I.d.R. rezidivierend mit progredienter chronischer Niereninsuffizienz
Die typischen Symptome des HUS entstehen bei einer Infektion mit Shigatoxin-bildenden E. coli (STEC-HUS) i.d.R. ca. 5–12 Tage nach Beginn der Diarrhö!
In ca. 30–40% der Fälle geht auch einem komplementvermittelten HUS eine akute Infektion mit Diarrhö voraus!
Diagnostik
Basisdiagnostik
- Anamnese
- Aktuelle Anamnese
- Eigen- und Familienanamnese
- Körperliche Untersuchung
- Allgemeinzustand, Vigilanz
- Hautturgor und -kolorit, Blutungszeichen
- Ödeme, Zeichen einer Exsikkose
- Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, spO2
- Labordiagnostik
- Blutbild: Anämie, Thrombozytopenie
- Peripherer Blutausstrich: Fragmentozyten
- Hämolyseparameter: Haptoglobin↓, LDH↑, indirektes Bilirubin↑, Retikulozyten↑
- Retentionsparameter: Kreatinin↑, Cystatin C↑, Harnstoff↑
- Gerinnung: TPZ ↔︎, aPTT ↔︎ [6]
- Urinstatus: Milde Proteinurie, Mikrohämaturie [6]
- BGA: Hyperkaliämie, metabolische Azidose
- Direkter Coombs-Test : Negativ (Beachte: Bei SP-HUS positiv!)
- Ggf. Ausschluss einer TTP (ANA, ADAMTS-13-Aktivität, Anti-ADAMTS-13-Antikörper)
- Nachweis häufiger Ursachen
- STEC-HUS
- Stuhlkultur
- PCR [3]
- Ggf. Serologie
- Komplementvermitteltes HUS
- C3, C4, CH50, C5b-9, C3d, Faktoren H, I und B, Membrancofaktorprotein
- Antikörper gegen Faktoren H, I und B
- Mutationsnachweis in Genen für Komplementsystemproteine
- STEC-HUS
Hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und erhöhte Retentionsparameter sind erste wegweisende Befunde einer thrombotischen Mikroangiopathie!
Bei Zweifeln an der Diagnose HUS muss schnellstmöglich eine TTP ausgeschlossen werden!
Erweiterte Diagnostik
- Apparative Diagnostik
- Sonografie
- Nieren: Erhöhte Echogenität des Nierenparenchyms, erhöhter Resistance-Index
- Darm: Ggf. verdickte Darmwände
- Blutdruck: Häufig erhöht
- EKG, Herzenzyme, Echokardiografie
- Ggf. EEG und cMRT
- Ggf. Nierenbiopsie
- Sonografie
- Ggf. Nachweis seltener Ursachen
- Infektion mit Pneumokokken (SP-HUS): Direkter Erregernachweis (Kultur, PCR, Antigennachweis)
- Mutation der Diacylglycerolkinase-ɛ: Molekulargenetik
- Cobalamin-C-Mangel: Molekulargenetik, Stoffwechseldiagnostik (Serum , Urin )
Diagnostische Maßnahmen dürfen den Therapiebeginn nicht verzögern!
Differenzialdiagnosen
- Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
- Disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC)
- Infektionen
- Autoimmunerkrankungen
- Maligne Erkrankung
- HELLP
- Maligne Hypertonie
- Unerwünschte Arzneimittelwirkung (immunologisch oder toxisch )
- Stammzell- oder Organtransplantationen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Supportive Therapie
- Indikation: Jedes HUS (unabhängig von der Ursache)
- Beginn: Sofort
- Maßnahmen
- Flüssigkeitsmanagement (Bilanzierung, ggf. Infusion/Diuretika) [6]
- Ggf. Nierenersatztherapie (bei Kleinkindern i.d.R. als Peritonealdialyse) [6]
- Ggf. Erythrozytentransfusion
- Ggf. Thrombozytentransfusion
Bei dringendem V.a. HUS sollte umgehend mit einer supportiven Therapie begonnen werden!
Eine Dehydratation erhöht das Risiko für Thromben und ischämische Endorganschäden!
Spezifische Therapie
- STEC-HUS: Keine (i.d.R. auch keine Antibiotika )
- Ggf. Eculizumab oder Plasmapherese
- Komplementvermitteltes HUS: C5-Inhibitoren (z.B. Eculizumab, Ravulizumab)
- Ggf. Impfung gegen bekapselte Bakterien und Antibiotikaprophylaxe
- Ggf. zusätzlich Immunsuppressiva
- Andere HUS-Formen
- Pneumokokken-assoziiertes HUS (SP-HUS): Antibiotika
- Genetisch bedingter Cobalamin-C-Mangel: Hydroxycobalamin und Folsäure
Das STEC-HUS sollte i.d.R. nicht antibiotisch, sondern rein symptomatisch behandelt werden!
Das komplementvermittelte HUS sollte bereits bei dringendem Verdacht frühzeitig mit C5-Inhibitoren behandelt werden!
Nierentransplantation
- Indikation: Niereninsuffizienz mit dauerhafter Dialysepflicht
- Ergänzend
- Ggf. Eculizumab
- Ggf. Lebertransplantation
Eculizumab reduziert bei komplementvermitteltem HUS nach einer Nierentransplantation das Rezidivrisiko!
Prognose
- STEC-HUS
- Letalität: Ca. 2–5% [1][3]
- Spätfolgen [1][6]
- Dialysepflichtige Niereninsuffizienz (ca. 5%)
- Nicht-dialysepflichtige Niereninsuffizienz und extrarenale Spätfolgen (ca. 30%)
Meldepflicht
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- D59.-: Erworbene hämolytische Anämien
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
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