Zusammenfassung
Das HELLP-Syndrom (Haemolysis, Elevated Liver Enzyme Levels, Low Platelet Count) bezeichnet einen lebensbedrohlichen Zustand in der Schwangerschaft. Es ist ungeklärt, ob das HELLP-Syndrom ein eigenständiges Krankheitsbild oder eine Komplikation der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie bzw. Präeklampsie ist. In der Frühphase präsentiert sich das HELLP-Syndrom typischerweise mit einem durch Leberkapselspannung ausgelösten Oberbauchschmerz. Oftmals treten zusätzlich Symptome der Präeklampsie auf wie bspw. Übelkeit, Erbrechen und/oder Proteinurie. Die einzige kausale Therapie und Ultima Ratio ist die Beendigung der Schwangerschaft.
Definition
Lebensbedrohlicher Zustand in der Schwangerschaft, welcher mit folgender Trias einhergeht:
- Hämolyse (insb. Haptoglobin↓, LDH↑)
- Leberzellschäden (Transaminasen↑)
- Thrombozytopenie
Es ist ungeklärt, ob das HELLP-Syndrom ein eigenständiges Krankheitsbild oder eine Komplikation der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie bzw. Präeklampsie ist. Nach ICD-10 wird das HELLP-Syndrom als Verlaufsform der Präeklampsie behandelt.
Epidemiologie
- Inzidenz
- 0,1–0,5% aller Geburten [1]
- 10–20% aller Patientinnen mit Präeklampsie
- Zeitpunkt: Meist präpartal (in 7–30% der Fälle postpartal!) [2]
- Gehäuft bei Nullipara
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
- Weitestgehend unklar
- Vermutung: Gestörte Invasion des Trophoblasten (vgl. Pathophysiologie der hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen) → Einschwemmung von Teilen des Zytotrophoblasten in den mütterlichen Kreislauf
- Verlegung der peripheren Lungenstrombahn → Rechtsherzbelastung → Volumenrückstau in die Leber → Hypoxische Leberzellschädigung → Leberenzyme↑
- Antikörper-Antigen-Reaktion → DIC (Hämolyse und Thrombozytopenie)
Symptomatik
Das häufigste Symptom des HELLP-Syndroms sind Oberbauchschmerzen. In bis zu 80% der Fälle treten zusätzlich Symptome der Präeklampsie auf.
- Leitsymptom: Rechtsseitige Oberbauchschmerzen, epigastrische/retrosternale Schmerzen (durch Leberkapseldehnung) [3][4]
- Mögliche weitere Symptome
- Übelkeit/Erbrechen
- Anämie
- Proteinurie
- Hypertonie
- Sehstörungen (z.B. Doppelbilder, Augenflimmern)
- Ikterus
In ca. 30% der Fälle tritt das HELLP-Syndrom postpartal auf! Auch schubartige Verläufe mit Remission und Exazerbation sind möglich!
Bei Symptomen einer Präeklampsie ist laborchemisch immer ein HELLP-Syndrom auszuschließen!
Verlaufs- und Sonderformen
Der klinische Verlauf ist nicht vorhersehbar und kann individuell sehr stark variieren.
- Oftmals schubartiger Verlauf
- Remission in 46% der Fälle
- Akute Exazerbation innerhalb weniger Stunden möglich
- Gefahr von Komplikationen wie bspw. DIC
- Postpartales Auftreten in ca. 30% der Fälle
Diagnostik
Basisdiagnostik
- Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge
- Regelmäßige Gewichtskontrolle
- Blutdruckmessung
- Urindiagnostik
- Blutbild-Kontrolle
- Siehe auch
Spezifische Diagnostik
Bei V.a. HELLP-Syndrom soll eine stationäre Aufnahme erfolgen.
- Labor: Kontrolle initial alle 6–8 h
- H = Hämolyseparameter
- Haptoglobin↓ , LDH↑ >200 U/L, Bilirubin↑ (indirekt) ≥1,2 mg/dL
- EL = Erhöhte Leberenzyme: Transaminasenerhöhung AST und ALT über das 2- bis 3-Fache
- LP = Low Platelet: Thrombozytopenie <100.000/μL
- Fibrinogenabfall und Anstieg der D-Dimere als Zeichen der intravasalen Gerinnung
- Erhöhtes CRP
- H = Hämolyseparameter
- Oberbauchsonografie: Ausschluss eines Leberhämatoms
- Blutgasanalyse: Beurteilung der pulmonalen Leistung
- Monitoring des Kindes
- CTG, siehe auch: Kardiotokografie (CTG)
- Sonografie: Fetometrie , Beurteilung der Fruchtwassermenge, geburtshilfliche Doppler-Sonografie
- Ausschluss einer intrauterinen Wachstumsretardierung (IUGR)
- Ausschluss eines Oligohydramnions
Differenzialdiagnosen
Akute Schwangerschaftsfettleber [5][6][7]
- Definition: Schwangerschaftsassoziierte Fettleber mit fulminantem Leberversagen
- Epidemiologie: Sehr selten (1:7.000–1:16.000 Schwangerschaften)
- Pathophysiologie: Störung der β-Oxidation
- Klinik
- Zumeist im 3. Trimenon
- Unspezifischer, plötzlicher Beginn mit rechtsseitigen Oberbauchbeschwerden, Ikterus, Fieber, Übelkeit und Erbrechen
- In bis zu 50% der Fälle Proteinurie und Hypertonie
- Leberfunktionsstörung
- Gerinnungsstörungen mit erhöhter Gefahr einer disseminierten intravasalen Koagulation (DIC)
- Hypalbuminämie → Aszites
- Ikterus
- Hepatische Enzephalopathie
- Diagnostik
- AST/ALT↑
- Bilirubin↑
- Kreatinin↑, Harnsäure↑, Harnstoff↑
- Blutbild: Leukozyten↑↑↑, Thrombozyten↓
- Glucose↓
- Lebersyntheseparameter: Gerinnungsfaktoren↓↓, Cholinesterase↓↓
- Abdomensonografie: Echoreiches Schallmuster (Verfettung der Leber)
- Therapie: Zeitnahe Sectio caesarea, ggf. intensivmedizinische Behandlung
- Bei leichten Formen: Abwartendes Verhalten möglich
- Komplikationen [7]
- Prognose
- Maternale und fetale Mortalität: 5–8%
- Postpartal reversibel (i.d.R. innerhalb der ersten Wochen)
- Geringes Rezidivrisiko
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase [5][6][7][8]
- Definition: Gestörte intrahepatische Gallensäureexkretion mit konsekutivem Anstieg der Gallensäuren im mütterlichen Serum während der Schwangerschaft[8]
- Epidemiologie
- In Deutschland selten: 1% aller Schwangerschaften
- Gehäuft in Südamerika und Nordosteuropa
- Pathophysiologie: Multifaktoriell
- Klinik
- Zumeist im 3. Trimenon
- Leitsymptom: Juckreiz (insb. Handflächen und Fußsohlen)
- Ikterus (in <25% der Fälle)
- Übelkeit, Erbrechen, Oberbauchschmerzen, Steatorrhoe
- Keine primären Hauteffloreszenzen
- Diagnostik
- Serum-Gallensäuren↑ (sensitivster Parameter!)
- AP↑
- ALT↑
- Direktes Bilirubin↑
- Immunfluoreszenz: negativ
- Therapie
- Mittel der 1. Wahl: Ursodesoxycholsäure (Off-Label Use)
- Alternativ: Dexamethason [9]
- Rifampicin (Off-Label Use, meist in Kombination mit Ursodeoxycholsäure)
- Colestyramin p.o. → Nebenwirkungen durch Mangel an fettlöslichen Vitaminen möglich
- Komplikationen
- Fetal: Frühgeburtlichkeit in 20–60%, intrauteriner Fruchttod in 1–2%, Plazentainsuffizienz, fetale Herzrhythmusstörungen
- Maternal: Vitamin-K-Mangel mit postpartalen Blutungen (selten)
- Geburtshilfliches Management
- Prognose
- Postpartal reversibel
- Wiederholungsrisiko : 40–70%
Eine frühzeitige Therapie mit Ursodesoxycholsäure scheint das Früh- und Totgeburtsrisiko deutlich zu mindern!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Medikamentöse Therapie
- Fibrinogen <100 mg/dl: Fresh Frozen Plasma
- Thrombozyten <50.000/μL: Thrombozytenkonzentrate
- Ggf. anfallssuppressive Therapie bei hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen sowie antihypertensive Therapie bei hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen
- Nicht empfohlen: Corticosteroidgabe [2]
Vorgehen gemäß Schwangerschaftsalter
- ≥34+0 SSW: Entbindung anstreben
- <34+0 SSW
-
Schwangerschaftsprolongierendes Vorgehen bevorzugen
- Voraussetzung: Intensivüberwachung von Mutter und Kind, engmaschige Laborkontrollen (6- bis 8-stündlich), Möglichkeit der sofortigen Entbindung mittels Sectio caesarea
- Entbindung bei therapierefraktärer Präeklampsie, DIC, schwerer Niereninsuffizienz, kardialer Dekompensation, Lungenödem
-
Schwangerschaftsprolongierendes Vorgehen bevorzugen
Komplikationen
- Leberhämatom
- Leberruptur
- Nierenversagen
- DIC
- Vorzeitige Plazentalösung mit fetaler Hypoxie
- Plazentainsuffizienz mit Entwicklung einer IUGR
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Weitere Schwangerschaften grundsätzlich möglich
- Wiederholungsrisiko: 12%
- Risiko für eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung in der Folgeschwangerschaft: 30%
- Jede Folgeschwangerschaft gilt als Hochrisikoschwangerschaft
- Siehe auch: Vorsorge einer Risikoschwangerschaft
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- O14.-: Präeklampsie
- Exklusive: Pfropf-Präeklampsie (O11)
- O14.0: Leichte bis mäßige Präeklampsie
- O14.1: Schwere Präeklampsie
- O14.2: HELLP-Syndrom
- Kombination von Hämolyse, erhöhten Leberenzymen und verminderter Thrombozytenzahl
- O14.9: Präeklampsie, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.