Zusammenfassung
Die Autoimmunthyreoiditis Hashimoto ist in Regionen mit ausreichender Iodversorgung die häufigste Thyreoiditisform und gleichzeitig die häufigste Ursache für eine Hypothyreose. Ätiologisch wird eine autoimmunologisch vermittelte chronische lymphozytäre Entzündung des Schilddrüsengewebes angenommen, wobei die genauen pathophysiologischen Mechanismen nicht eindeutig geklärt sind. Klinisch bleibt die Hashimoto-Thyreoiditis initial meist asymptomatisch; sie führt erst im Spätstadium (als Folge der Destruktion des Organparenchyms) zum Bild einer Hypothyreose. Zur Diagnosesicherung werden die spezifischen Antikörper (TPO-Antikörper, Tg-Antikörper) und die Schilddrüsenhormone bestimmt sowie eine Sonografie durchgeführt. Die Therapie besteht in der lebenslangen kontrollierten Substitution von L-Thyroxin.
Nomenklatur der autoimmunen Thyreoiditiden
Obwohl typische Verlaufsformen autoimmuner Thyreoiditiden bestehen, sind im Einzelfall Überlappungen und Variationen mit Blick auf vorliegende Antikörper und Funktionsstörungen nachweisbar [1] .
Nomenklatur der autoimmunen Thyreoiditiden | ||
---|---|---|
Kurzformel | Vollständige Bezeichnung | Klinisches Beispiel |
AIT | Autoimmunthyreoiditis mit Euthyreose |
|
AITD | Autoimmunthyreoiditis mit Schilddrüsenfunktionsstörung |
|
HT | Hashimoto-Thyreoiditis |
|
GT | Morbus Basedow („Graves' thyroiditis“) |
|
IT |
| |
PPT | Post-partum-Thyreoiditis |
|
IgG4 | IgG4-assoziierte Thyreoditis („Riedel-Struma“) |
|
Epidemiologie
- Prävalenz: ca. 5% der Bevölkerung mit Antikörpernachweis, nicht alle Patienten weisen eine manifeste Hypothyreose auf [2]
- Geschlecht: ♀ > ♂ (9:1)
- Alter: Auftreten in allen Altersgruppen, insb. aber Frauen mittleren Alters (30.–50. Lebensjahr)
- Assoziation zu anderen Autoimmunerkrankungen
- Polyendokrines Autoimmunsyndrom: Kombiniertes Auftreten der Hashimoto-Thyreoiditis mit Diabetes mellitus Typ 1, Morbus Addison und ggf. weiteren Autoimmunerkrankungen
- Morbus Basedow: Beschrieben sind [3]
- Hyperthyreosen im Verlauf einer Hashimoto-Thyreoiditis mit Nachweisbarkeit von Anti-TSH-Rezeptor-Antikörpern (Anti-TRAK)
- Das Auftreten einer Hashimoto-Thyreoiditis nach erfolgter thyreostatischer Therapie eines Morbus Basedow
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste Ursache für eine Hypothyreose!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
- Autoimmunkrankheit: T-Lymphozyten-vermittelte Destruktion des Schilddrüsengewebes als histopathologisches Korrelat der Erkrankung! [4]
- In Plasmazellen gebildete TPO-Autoantikörper gegen ein Epitop der Thyreoperoxidase aktivieren und stimulieren die T-Lymphozyten
- Genaue Pathogenese und Ätiologie unklar: Aktuell als Lehrmeinung am weitesten verbreitet ist eine Interaktion von genetischen und geschlechtsabhängigen individuellen Dispositionen mit diversen Umwelteinflüssen
- Genetische Assoziationen: Vermutlich Voraussetzung für das Auftreten der Erkrankung
- Insb. familiär gehäufte Erkrankungen zeigen eine Expression der HLA-Klasse-II-Moleküle DR3, DR4 und DR5
- Assoziationen zu Mutationen in Genen mit regulatorischer Funktion für die T-Lymphozyten-Aktivität
- Mutationen im humanen CTLA-4-Gen → Defizienz des zytotoxischen Lymphozyten-Antigens 4 (CTLA-4)
- Beim polyendokrinen Autoimmunsyndrom Typ I sind Mutationen des autoimmunregulatorischen Gens (AIRE) beschrieben
- Geschlechtsabhängigkeit: Angenommen wird, dass Östrogene die Krankheitsentstehung begünstigen, während Progesteron und Testosteron eher hemmend auf die Krankheitsaktivität und -entstehung einwirken
- Umwelteinflüsse: Tragen wahrscheinlich als Auslöser zur Erkrankungsmanifestation bei, sofern eine individuelle Disposition besteht
- Infektionen: Insb. Hepatitis C wird als auslösender Faktor diskutiert
- Selenmangel
- Stressreaktionen
- Vitamin-D-Mangel
- Immunrekonstitutionssyndrome: Bspw. nach Beginn einer antiretroviralen Therapie bei HIV nach Rekonstitution der T-Zell-Funktion auftretende Form der Hashimoto-Thyreoiditis [1]
- Nach Absetzen von Alemtuzumab
- Genetische Assoziationen: Vermutlich Voraussetzung für das Auftreten der Erkrankung
Symptomatik
- Frühstadium: Meist asymptomatisch
- Zu Beginn passagere Hyperthyreose möglich (Hashitoxikose)
- Spätstadium
- Siehe: Klinik der Hypothyreose
Diagnostik
Klinische Chemie
- Antikörpernachweis
- Schilddrüsenperoxidase-Antikörper positiv (Thyreoid-Peroxidase-Antikörper = TPO-AK): Bei ca. 90% der Patienten
- Thyreoglobulin-Antikörper positiv (Tg-AK): Bei ca. 50% der Patienten
- Siehe auch: Schilddrüsen-Antikörper
TPO-AK sind auch in ca. 70% der Fälle beim Morbus Basedow erhöht!
- Schilddrüsenstoffwechsel
- Frühstadium: Vorübergehende Hyperthyreose möglich (TSH↓, fT3 und fT4↑)
- Verlauf und Spätstadium
- Im frühen Verlauf: Latente Hypothyreose (TSH↑ und fT3, fT4 normal)
- Im späten Verlauf: Hypothyreose (TSH↑, fT3 und fT4↓)
Apparative Diagnostik
Schilddrüsensonografie
- Schilddrüse echoarm mit inhomogener Gewebestruktur
- Vereinzelt echoreiche, narbige Areale
- Meist verkleinerte Schilddrüse
Szintigrafie
- Verminderte Aufnahme von radioaktivem Technetium (99mTc-Uptake↓) in der Schilddrüse
Pathologie
- Teils atrophes Schilddrüsengewebe
- Diffuse lymphozytäre Infiltration (zytotoxische T-Lymphozyten)
- Onkozytär-metaplastische Zellen (Hürthle-Zellen) [5]
Differenzialdiagnosen
Riedel-Thyreoiditis („eisenharte Struma“) [6][7][8]
- Definition: Seltene IgG4-positive Sonderform der Autoimmunthyreoiditis, die sich durch invasives Bindegewebswachstum mit Destruktion des Schilddrüsengewebes auszeichnet
- Epidemiologie: Selten (♀ > ♂)
- Symptome/Klinik
- „Eisenharte“ Struma mit Kompressionssymptomatik
- Heiserkeit (Rekurrensparese)
- Diagnostik: Labor, Sonografie, Szintigrafie
- Schilddrüsenhormonstatus: Anfangs häufig euthyreote Stoffwechsellage, später in 30–40% der Fälle Hypothyreose möglich
- IgG4 ↑/↔︎
- Thyreoglobulin-AK↑, TPO-AK↑
- Serumcalcium: Erfassung einer Hypokalzämie als Komplikation
- Histologie: Nachweis von lymphoplasmazellulären Infiltraten und IgG4-positiven B-Lymphozyten als Leitbefund
- Sonografie: Diffus hypoechogenes, hypovaskularisiertes Gewebe, das die angrenzenden Strukturen infiltriert
- Szintigrafie: Niedriges Tc-99m-Uptake
- Therapie
- Konservative Therapie
- Glucocorticoide, bspw. Prednisolon
- Alternativ: Tamoxifen
- Operatives Vorgehen: Bei Therapieversagen der konservativen Therapien
- Bei Hypothyreose: L-Thyroxin-Substitution
- Bei Hypoparathyreoidismus: Calcium und Calcitriol, siehe auch: Postoperativer Hypoparathyreoidismus
- Konservative Therapie
Postpartum-Thyreoiditis (PPT) [1][9][10]
- Definition: Autoimmunthyreoiditis, die 3–6 Monate nach einer Entbindung auftritt und insb. initial zu einer Hyperthyreose, im Verlauf zu einer Hypothyreose führen kann
- Epidemiologie: Auftreten bei ca. 5% der Frauen 3–6 Monate nach Entbindung
- Bei Patientinnen mit Diabetes mellitus Typ 1 weitaus häufiger (ca. 25%)
- Klinische Verlaufsformen
- Häufigste Variante
- Initial Hyperthyreose
- Nach ca. 2–4 Monaten Übergang in eine Hypothyreose
- Jedoch auch reine Hyperthyreose oder Hypothyreosen möglich
- Häufig asymptomatisch bei milder Ausprägung der jeweiligen Schilddrüsenfunktionsstörung
- Insb. keine Schmerzen!
- Ggf. bei Hyperthyreose: Zittern, Nervosität, Tachykardie, Hyperhidrosis
- Ggf. bei Hypothyreose: Müdigkeit, Antriebsarmut, Depressivität
- DD: Postpartale Exazerbation einer vorbestehenden Hashimoto-Autoimmunthyreoiditis
- Häufigste Variante
- Diagnostik
- Regelmäßige Kontrolle von TSH, fT3, fT4
- TPO-Autoantikörper↑, meistens liegt auch schon während der Schwangerschaft eine Erhöhung vor
- Anti-TRAK negativ
- Duplexsonografie: Homogen echoarm, keine Perfusion
- Therapie
- Meist selbstlimitierender Verlauf nach ca. 12 Monaten
- Bei Hyperthyreose: Ggf. Betablocker (in der Stillzeit niedrig dosiert) zur Symptomkontrolle, insb. Propranolol geeignet
- Bei Hypothyreose: L-Thyroxin-Substitution
- Prävention: Gabe von Selen während der Schwangerschaft und bis 12 Monate postpartal bei positiven TPO-AK
Akute eitrige Thyreoiditis
- Definition: Sehr seltene Infektion der Schilddrüse mit Bakterien
- Symptome/Klinik: Akuter fieberhafter Verlauf und Schmerzen
- Diagnostik: Einschmelzungen (echoarme Areale im Schilddrüsenparenchym)
- Komplikation: Mediastinitis, Sepsis
- Therapie: Gabe eines Breitspektrumantibiotikums
- Bei Abszedierung: Eröffnung des Abszesses und Anlegen einer Kultur sowie eines Antibiogramms
Weitere DD siehe auch: Thyreoiditis de Quervain
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- L-Thyroxin-Substitution: Analog zur Therapie der Hypothyreose [11][12]
- Je schwerer die Hypothyreose, desto langsamer und mit niedrigerer Dosis sollte die Behandlung begonnen werden, da kardiale Nebenwirkungen drohen
- Lebenslange Kontrolle bei Euthyreoten
- Aufgrund einer mit dem Alter abfallenden T4-Produktion ist eine lebenslange Kontrolle der Schilddrüsenparameter (vorwiegend TSH) notwendig
Komplikationen
- Hashimoto-Enzephalopathie (syn. Steroid-responsive Enzephalopathie bei Autoimmun-Thyreoiditis, SREAT) [13]
- Pathophysiologie: Genauer Mechanismus unklar [14]
- Klinik: Zerebrales Allgemeinsyndrom
- Therapie: Hochdosierte Glucocorticoide, ggf. Immunglobuline
- Extranodales Marginalzonen-Lymphom
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Unbehandelt: Entwicklung einer chronischen Hypothyreose mit Risiko für Komplikationen der Hypothyreose
- Bei adäquater T4-Substitution: Normale Lebenserwartung
AMBOSS-Podcast zum Thema
Erhöhter TSH-Wert: Praktische Tipps für Diagnostik und Therapie (Juni 2024)
Interesse an noch mehr Medizinwissen zum Hören? Abonniere jetzt den AMBOSS-Podcast über deinen Podcast-Anbieter oder den Link am Seitenende unter „Tipps & Links.”
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Hashimoto-Thyreoiditis
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E06.-: Thyreoiditis
- Exklusive: Postpartale Thyreoiditis (O90.5)
- E06.3: Autoimmunthyreoiditis
- Hashimoto-Thyreoiditis
- Hashitoxikose (transitorisch)
- Lymphozytäre Thyreoiditis
- Struma lymphomatosa [Hashimoto]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.