Grundlagen
Ziel der AMBOSS-SOP Meningitisches Syndrom
- Schnellstmöglicher Beginn einer kalkulierten Therapie der schwerwiegendsten möglichen Diagnose „bakterielle Meningitis“ zur Vermeidung gravierender Komplikationen bis zum Tod
- Parallel: Differenzialdiagnostik und entsprechende Therapieanpassung
Klinische Präsentation
- Leitsymptom: Meningitisches Syndrom aus klassischer Symptomtrias
- Kopfschmerzen i.d.R. mit progredienter Intensität in holozephaler Lokalisation
- Fieber
- Meningismus
- Mögliche neurologische Zusatzsymptome/Komplikationen
- Photophobie
- Hirnnervenausfälle durch Störung ihrer Funktion beim Durchtritt durch die entzündeten Hirnhäute
- Fokal-neurologische Defizite und/oder akut-symptomatische epileptische Anfälle
- Qualitative und quantitative Bewusstseinsstörung bis zum Koma
- Mögliche nicht-neurologische Zusatzsymptome/Komplikationen
- Übelkeit/Erbrechen
- Elektrolytstörungen wie Hyponatriämie
- Sepsis, ggf. mit akutem septischen Schock und Waterhouse-Friderichsen-Syndrom bis hin zum Multiorganversagen
- Typische Hautveränderungen bei Meningokokken-Meningitis: Makulopapulöse oder petechiale Exantheme bis zur ausgedehnten Purpura fulminans mit Hautnekrosen
Die klassische Symptomtrias aus Kopfschmerzen, Fieber und Meningismus besteht nicht immer! Insb. fällt der Meningismus mit zunehmender quantitativer Bewusstseinsstörung aus!
Beim Leitsymptom Kopfschmerzen in Kombination mit Fieber muss immer die Möglichkeit einer Meningitis bedacht werden, sofern keine eindeutigen Hinweise für einen anderen Infektfokus vorliegen! Im Zweifel bis zum Beweis des Gegenteils unter dem V.a. eine bakterielle Meningitis als schwerwiegendste Diagnose vorgehen!
Ursachen
- Bakterielle Meningoenzephalitis: <⅓ der infektiösen Meningitiden im Erwachsenenalter, oft fulminante Verläufe mit hoher Letalität von 15–20%
- Virale Meningitis: >⅔ der infektiösen Meningitiden im Erwachsenenalter, aber mit weniger aggressivem Verlauf und geringer Letalität
- Komplikation: Übergang in eine virale Meningoenzephalitis mit hoher Letalität
- Tuberkulöse Meningitis: Deutlich langsamere, weniger fulminante Verläufe, typischerweise mit Fieberschüben und insb. die Hirnbasis betreffend und daher oft mit Hirnnervenausfällen einhergehend
- Weiterhin parasitäre oder nicht-infektiöse Meningitiden
Grundsätzlich müssen alle folgenden Schritte so schnell wie möglich (z.B. unmittelbar nach Eintreffen der Befunde) durchgeführt werden, sofern keine explizite Zeit angegeben ist!
1 - Basismaßnahmen
Die Vitalparameter an einer bakteriellen Meningitis erkrankter Patienten können sich schnell verschlechtern, sodass jederzeit ein Eingreifen nach dem cABCDE-Schema nötig werden kann!
Die Abnahme steriler Blutkulturen wird leicht vergessen und muss nach Venenpunktion als erstes durchgeführt werden!
- Überprüfung und Sicherung der Vitalfunktionen nach dem cABCDE-Schema
- Isolation des Patienten und Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen zunächst bis zum Eintreffen der Liquorbefunde
- Monitoring der Vitalparameter: Herzfrequenz, EKG, Atmung, spO2, Blutdruck, Körpertemperatur
- Venöse Blutentnahme
- Sofort: Sterile Blutkulturen
- Blutgasanalyse
- Kleines Blutbild, CRP, PCT, Blutzucker, Elektrolyte (Na+, K+), Lactat, Kreatinin, Harnstoff, GFR, ALT, AST, γGT, CK, INR, pTT
- Intravenöser Zugang: Mind. einen stabilen i.v. Zugang
- Sofort: Gabe von 10 mg Dexamethason i.v.
- Gabe von Vollelektrolytlösung i.v.
- Bedarfsgerechte Versorgung
- Bei Hypoglykämie: Glucose i.v. unter engmaschigen Blutzuckerkontrollen
- Beginn und bedarfsgerechte Eskalation einer Schmerztherapie, z.B. Ibuprofen oder Metamizol
- Siehe für Details: Akutschmerztherapie in der Notaufnahme
- Bei Körpertemperatur >38,5 °C : Ggf. gekühlte Infusionslösungen, Antipyretika (z.B. Paracetamol ) bei möglicher Sepsis zunächst zurückhaltend einsetzen
2 - Kalkulierte antiinfektive Initialtherapie
Ein möglichst früher Beginn der antibiotischen Therapie rettet Leben und sollte daher nicht durch Abwarten der Gerinnungs- und Liquordiagnostik verzögert werden! Im Zweifel ist die rettende Therapie wichtiger als der Erregernachweis, der i.d.R. auch nach Erstgabe des Antibiotikums bei schnellstmöglicher nachfolgender Liquorgewinnung per Liquorkultur und PCR-Diagnostik gelingt!
10 min nach Dexamethason-Erstgabe
- 4 g Ceftriaxon i.v. oder 2–4 g Cefotaxim i.v.
- Plus: 2 g Ampicillin i.v.
- Plus: 750 mg Aciclovir i.v.
- Sonderfälle
- Bei Herkunft aus oder nach Reisen in Gegenden mit hoher Cephalosporin-Resistenz siehe: Kalkulierte Antibiotikatherapie bei ambulant erworbener Meningitis
- Bei nosokomial erworbener Meningitis siehe: Kalkulierte Antibiotikatherapie bei nosokomial erworbener Meningitis
Erwachsenen Patienten mit Verdacht auf bakterielle Meningitis sollen nach der Blutkulturentnahme noch vor einer eventuellen Bildgebungsdiagnostik Dexamethason und Antibiotika verabreicht werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme 2)
3 - Notfall-Bildgebung
- Anforderung: CT des Neurocraniums (cCT) plus CT der Nasennebenhöhlen
- Fragestellung
- Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks bei intrakraniellen Komplikationen einer Meningitis?
- Akute oder chronische Sinusitis oder Mastoiditis?
- Unmittelbare Konsequenzen
- Bei radiologischen Hirndruckzeichen
- Neurochirurgie sofort hinzuziehen!
- Ggf. Beginn konservativer hirndrucksenkender Maßnahmen nach Rücksprache mit Neurochirurgie
- Oberkörperhochlagerung um 30°
- Osmotherapie mit Mannitol i.v.
- Bei beatmeten Patienten: Kurzzeitige Hyperventilation , tiefe Sedierung
- Bei radiologischen Hirndruckzeichen
- Mögliche intrakranielle Komplikationen einer Meningitis als Ursache einer Hirndrucksteigerung
- Septisches Hirnödem und/oder Ventrikulitis
- Septische Sinus- oder Hirnvenenthrombose, ggf. mit Stauungsödem und/oder -blutung
- Ischämie, z.B. bei zerebraler Begleitvaskulitis und/oder septisch-embolischer Herdenzephalitis
- Intrakranielle Blutung, z.B. bei Verbrauchskoagulopathie
4 - Liquordiagnostik (unmittelbar anschließend)
Die Liquorpunktion soll so früh wie möglich nach Ausschluss von Hirndruckzeichen erfolgen, den Beginn der lebensrettenden antibiotischen Therapie jedoch keinesfalls verzögern, insb. wenn für die Liquorpunktion die Gerinnungsdiagnostik erst abgewartet werden muss!
- Voraussetzung: Unauffällige Gerinnungsparameter (INR <1,7 und pTT <50 s und Thrombozyten >50.000/μL)
- Ggf. nach Gerinnungsausgleich
- Liquorgewinnung inkl. einer zusätzlichen Serumprobe
- Bei radiologischen Hirndruckzeichen nach Rücksprache mit Neurochirurgie ggf. über externe Ventrikeldrainage
- Ansonsten per Lumbalpunktion
- Untersuchungsaufträge
- Basisparameter: Zellzahl, Zytologie, Glucose mit Liquor-Serum-Glucosequotient , Lactat, Gesamtprotein
- Gram-gefärbtes Sofortpräparat des Liquors
- Liquorkulturen
- Ggf. Antigen-Suchtests oder PCR-Diagnostik in Liquor und/oder Serum
- Liquor-Rückstellprobe für ggf. virologische oder immunologische Zusatzdiagnostik
Meningitisches Syndrom – Typische Liquor- und Serumbefunde | ||
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Parameter | Bakterielle Meningitis | Virale Meningitis |
Liquorbeschaffenheit | Meist eitrig-trüb | Klar |
Liquorzellzahl [/μL] | >1.000 | <1.000 |
Liquorzytologie | Granulozytär (selten: gemischtzellig ) | Lymphozytär |
Liquor-Serum-Glucosequotient | Erniedrigt (<0,5) | Normal |
Lactat im Liquor [mmol/L] | >3,5 | <3,5 |
Gesamtprotein im Liquor [mg/dL] | >100 | <100 |
PCT im Serum | In 90–95% der Fälle positiv | Negativ |
5 - Anpassung des weiteren Vorgehens
- Bei V.a. bakterielle Meningitis
- HNO-Konsil mit Befundung der Bildgebung
- Befundung des Liquor-Grampräparats
- Bei Nachweis gramnegativer Diplokokken
- Fortführung der Isolation für 24 h ab Beginn der antibiotischen Therapie
- Meldung ans Gesundheitsamt
- Postexpositionsprophylaxe für enge Kontaktpersonen, siehe: PEP bei Meningokokken
- Bei Ausschluss gramnegativer Diplokokken: Aufhebung der Isolation
- Bei Nachweis gramnegativer Diplokokken
- Bei V.a. virale Meningitis
- Kalkulierte Therapie mit Aciclovir i.v. unter Überwachung der Nierenretentionsparameter
- Erweiterte Liquordiagnostik aus den Rückstellproben
- PCR-Test auf HSV-1/2- und VZV-DNA im Liquor
- Bestimmung der Antikörper-Indices für neurotrope Viren in Liquor und Serum
- Fortführung der antibiotischen Therapie inkl. Dexamethason bis zur Befundung der Blut- und Liquorkulturen sinnvoll
- Aufhebung der Isolation
Bei jeder bakteriellen Meningitis muss schnellstmöglich eine HNO-ärztliche Mitbeurteilung mit Befundung der kraniellen Bildgebung inkl. der Nasennebenhöhlen erfolgen, da im Falle einer sekundären Meningitis nach bakterieller Sinusitis oder Mastoiditis eine umgehende operative Sanierung erfolgen muss!
6 - Weiterführende Therapie
- Aufnahme auf Intensiv- oder Überwachungsstation
- Fortführung der intravenösen antiinfektiven Therapie
- Bei bakterieller Meningitis: Kalkulierte Antibiotikatherapie bis zum Erregernachweis, danach ggf. antibiogrammgerechte Umstellung
- Bei viraler Meningitis: Kalkulierte antivirale Therapie mit Aciclovir mind. bis zum Abschluss der PCR-Diagnostik, Absetzen nach Ausschluss von HSV oder VZV
- Bei unklarer Befundlage, ausbleibendem Erregernachweis oder ausbleibender Besserung ggf. weitere neuroinfektiologische und/oder neuroimmunologische Diagnostik und entsprechende Therapieanpassung
- (Neuro‑)Intensivtherapie, insb.
- Behandlung evtl. intrakranieller Komplikationen inkl. Hirndrucktherapie
- Behandlung evtl. extrakranieller Komplikationen
Fortführung und Dauer der Therapie richten sich nach dem individuellen Krankheitsverlauf, den genauen Erregerbefunden und evtl. Komplikationen. Therapieentscheidungen erfolgen in enger Absprache zwischen (Neuro‑)Intensivmedizin, Neurologie, ggf. Neurochirurgie und Mikrobiologie/Virologie/Infektiologie!