Zusammenfassung
Das Hepatoblastom ist ein hochmaligner embryonaler Tumor, der während der Organentwicklung aus entarteten Vorläuferzellen des Leberparenchyms entsteht. Als häufigster primärer Lebertumor im Kindes- und Jugendalter wird das Hepatoblastom oft im Alter zwischen 6 Monaten und 3 Jahren diagnostiziert. Leitbefund ist eine meist schmerzlose Raumforderung im Bereich der Leber. Darüber hinaus kann es u.a. zu unspezifischen Symptomen wie Fieber, Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit kommen. Zur Diagnosesicherung ist neben bildgebenden Verfahren (Sonografie, MRT) i.d.R. eine Biopsie mit histopathologischer Untersuchung erforderlich. Ca. 10–20% der betroffenen Kinder haben zum Diagnosezeitpunkt bereits Lungenmetastasen. Die Therapie ist abhängig vom Erkrankungsstadium und weiteren Prognosefaktoren wie dem Alter und der Konzentration des Alpha-1-Fetoproteins. Sie beinhaltet neben der vollständigen Resektion in den meisten Fällen eine prä- und postoperative Chemotherapie und ermöglicht Kindern mit günstigen Prognosefaktoren eine 5-Jahres-Überlebensrate von über 90%.
Epidemiologie
- Häufigkeit im Kindes- und Jugendalter
- Ca. 25 Neuerkrankungen/Jahr
- Ca. 43% aller primären Lebertumoren
- Ca. 1% aller Krebserkrankungen
- Altersgipfel: 6 Monate–3 Jahre
- Geschlecht: ♂ > ♀ (1,4:1)
Häufigkeit primärer Lebertumoren im Kindes- und Jugendalter [2] | |||
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Tumor | Häufigkeit | Typisches Alter | Malignität |
Hepatoblastom | 43% | Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder | Bösartig |
Hepatozelluläres Karzinom | 23% | Schulkinder, Jugendliche | |
Hämangiome | 13% | Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder | Gutartig |
Sarkome | 6% | Schulkinder, Jugendliche | Bösartig |
Hamartome | 6% | Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder | Gutartig |
Adenome | 2% | Schulkinder, Jugendliche | |
Fokale noduläre Hyperplasie | 2% |
Das Hepatoblastom ist der häufigste primäre Lebertumor im Kindes- und Jugendalter!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Ursache: Nicht geklärt
- Risikofaktoren
- Frühgeburtlichkeit
- Niedriges Geburtsgewicht
- Erkrankungen mit erhöhtem Risiko (Krebsprädispositionssyndrome)
Klassifikation
Stadieneinteilung des Hepatoblastoms nach PRETEXT-System [1]
- Hauptkriterium: Intrahepatische Tumorausdehnung (Stadium I–IV )
- Weitere anatomische Risikofaktoren
- Extrahepatische Ausdehnung (E)
- Multifokale Ausdehnung (F)
- Thrombose oder Ummauerung der Pfortader (P)
- Thrombose oder Ummauerung der Lebervenen oder der unteren Hohlvene (V)
- Lymphknotenbefall (N)
- Tumorruptur (R)
- Fernmetastasen (M)
- Bedeutung: Voraussetzung für die Risikostratifikation des Hepatoblastoms nach CHIC-System
Histopathologische Klassifikation des Hepatoblastoms [3]
- Zelldifferenzierung
- Ggf. zusätzlich mesenchymale Strukturen
- Osteoid
- Knorpel
- Glatte Muskulatur (selten)
Symptomatik
- Leitsymptom: Abdominelle Raumforderung im Bereich der Leber
- Bevorzugt im rechten Leberlappen
- I.d.R. schmerzlos und tastbar, ggf. sichtbar
- Weitere mögliche Symptome
- Fieber, Abgeschlagenheit
- Bauchschmerzen, Übelkeit
- Appetitlosigkeit, Trinkschwäche, Gewichtsverlust
- Aszites, Ikterus
- Blutungsneigung, Blutungen mit Anämie
- Pubertas praecox
Ein Hepatoblastom imponiert meist als tastbare und schmerzlose Raumforderung im Bereich des rechten Leberlappens!
Diagnostik
- Anamnese und körperliche Untersuchung (siehe: Symptome eines Hepatoblastoms)
- Labordiagnostik
- Blutbild: Ggf. Anämie, Thrombozytopenie
- Leber- und Nierenwerte: Transaminasen, γGT, AP, Bilirubin, Cholinesterase, Kreatinin, Harnstoff
- Gerinnungsdiagnostik: Quick, PTT, Fibrinogen, D-Dimere
- Infektionsserologie: Titer hepatotroper Viren (CMV, EBV, HIV, Hepatitis A, B und C)
- Tumormarker: AFP↑ , β-HCG↑ , Ferritin↑, LDH↑
- CEA , ggf. Katecholamine im Urin und NSE
- Bildgebung
- Diagnosestellung: Sonografie Abdomen, MRT Oberbauch mit Kontrastmittel
- Befund: Tumor meist intrahepatisch
- Unifokal (ca. 85%)
- Multifokal (ca. 15%)
- Befund: Tumor meist intrahepatisch
- Metastasensuche: Röntgen-Thorax, CT-Thorax mit Kontrastmittel
- Befund: Metastasen meist in der Lunge , sehr selten in Lymphknoten
- Bei speziellen Fragestellungen: Ggf. FDG-PET/CT, Leber-Szintigrafie oder -Angiografie
- Diagnosestellung: Sonografie Abdomen, MRT Oberbauch mit Kontrastmittel
- Biopsie
- Indikation: I.d.R. immer
- Durchführung: Abhängig von Größe, Ausdehnung und Operabilität
- Offen (Laparotomie )
- Geschlossen (perkutan oder laparoskopisch)
- Untersuchungen: Histologie und Immunhistochemie
- Befunde: Siehe Histopathologische Klassifikation des Hepatoblastoms
- Weitere
Zur Diagnosesicherung eines Hepatoblastoms ist i.d.R. eine Biopsie erforderlich!
Der Tumormarker Alpha-1-Fetoprotein (AFP) ist bei 80–90% aller Kinder mit Hepatoblastom erhöht!
Therapie
Grundsätze
- Beginn: Schnellstmöglich
- Setting: Kinderonkologisches Zentrum
- Ablauf
- Risikostratifikation (siehe: Risikostratifikation des Hepatoblastoms nach CHIC-System)
- Risikoadaptierte Therapie (siehe: Risikoadaptierte Therapie des Hepatoblastoms nach Interims-Empfehlung der PHITT-Studiengruppe )
- Ggf. präoperative Chemotherapie
- Resektion
- Ggf. postoperative Chemotherapie
- Gesamtdauer: Ca. 3–12 Monate
Chemotherapie
- Phasen und Ziele
- Präoperative Induktionsphase: Tumor verkleinern
- Postoperative Konsolidierungsphase: Verbliebene Tumorzellen eliminieren, Rezidivrisiko reduzieren
- Verwendete Zytostatika: Cisplatin, Carboplatin, Doxorubicin, Vincristin, 5-Fluoruracil
- Applikation: Intravenös über einen zentralvenösen Dauerkatheter (bspw. Broviac-Katheter oder Hickman-Katheter)
- Intensität und Dauer: Abhängig von der Risikogruppe (siehe: Risikoadaptierte Therapie des Hepatoblastoms)
- Nebenwirkungen und Supportivtherapie: Siehe Supportive Therapie bei onkologischen Erkrankungen
Resektion
- Ziel: Vollständige Entfernung des Tumors
- Methode: Abhängig von der Ausdehnung
- Leberteilresektion
- Lebertransplantation
- Ggf. Resektion von Metastasen
- Zeitpunkt: Abhängig von der Risikogruppe (siehe: Risikoadaptierte Therapie des Hepatoblastoms)
Die Behandlung eines Hepatoblastoms besteht i.d.R. aus einer vollständigen Resektion und einer begleitenden prä- und postoperativen Chemotherapie!
Ablauf
1. Risikostratifikation
- Durchführung: Bestimmung klinischer und biologischer Prognosefaktoren → Einteilung in vier Risikogruppen
- Prognosefaktoren
- Intrahepatische Tumorausdehnung (PRETEX-Stadium I–IV)
- Weitere anatomische Risikofaktoren (E, F, P, V, N, R, M)
- Alter
- AFP-Konzentration
- Weitere : Therapieansprechen, Zelldifferenzierung
Risikostratifikation des Hepatoblastoms nach CHIC-System [4] | ||
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Gruppe | Risiko | Kriterien |
A | Sehr niedrig | |
B | Niedrig |
|
C | Mittel |
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D | Hoch |
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*Operabilität: Abhängig vom klinischen Zustand sowie von Art, Lage und Ausdehnung des Tumors |
Hepatoblastome mit niedrigem AFP (≤100 ng/mL) sind aggressiver und haben eine schlechtere Prognose!
2. Risikoadaptierte Therapie
Risikoadaptierte Therapie des Hepatoblastoms nach Interims-Empfehlung der PHITT-Studiengruppe [4] | |||||
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Gruppe | Risiko | Therapie | Hinweise | ||
A | Sehr niedrig |
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B | Niedrig |
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C | Mittel |
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D | Hoch | M- |
|
| |
M+ |
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Platin-haltige Substanzen (z.B. Cisplatin, Carboplatin) sind nephrotoxisch und ototoxisch!
Nachsorge
- Ziele
- Rezidive und Spätfolgen frühzeitig erkennen
- Körperliche Rehabilitation unterstützen
- Psychosoziale Probleme behandeln
- Untersuchungen
- Alle 3–6 Monate
- Körperliche Untersuchung
- AFP-Bestimmung
- Sonografie Abdomen
- Röntgen-Thorax
- Jährlich
- Nach Gabe von Platin-haltigen Substanzen (Cisplatin, Carboplatin): Tonschwellenaudiometrie, Blutentnahme (Magnesium), Kreatinin-Clearance
- Nach Gabe von Anthrazyklinen (Doxorubicin) : Echokardiografie
- Alle 3–6 Monate
Prognose
- 5-Jahres-Überlebensrate: Abhängig von der Risikogruppe
- Gruppe A (sehr niedriges Risiko): >90%
- Gruppe B (niedriges Risiko): >90%
- Gruppe C (mittleres Risiko): 70–80%
- Gruppe D (hohes Risiko): 50–60%
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C22.-: Bösartige Neubildung der Leber und der intrahepatischen Gallengänge
- Exklusive: Gallenwege o.n.A. (C24.9) und sekundäre bösartige Neubildung der Leber (C78.7)
- C22.0: Hepatozelluläres Karzinom (Leberzellkarzinom, Carcinoma hepatocellulare)
- C22.1: Intrahepatisches Gallengangskarzinom (Cholangiokarzinom)
- C22.2: Hepatoblastom
- C22.3: Angiosarkom der Leber (Kupffer-Zell-Sarkom)
- C22.4: Sonstige Sarkome der Leber
- C22.7: Sonstige näher bezeichnete Karzinome der Leber
- C22.9: Leber, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.