Zusammenfassung
Diese SOP bezieht sich auf die Notfallversorgung bei Verdacht auf rupturiertes Bauchaortenaneurysma, welcher sich meist durch Vorhandensein der „Red flags“ des rupturierten Bauchaortenaneurysmas ergibt. Man unterscheidet die freie Ruptur mit Blutung in die Bauchhöhle von der retroperitoneal gedeckten Ruptur, bei der der Blutverlust durch das umgebende tamponierende Gewebe geringer ist. Beide Formen der Ruptur sind mit einer hohen Mortalität verbunden. Im Vordergrund stehen der schnelle Transport in ein geeignetes Krankenhaus sowie der unverzügliche Beginn der Notfall-OP. Für Inhalte zum elektiven Vorgehen und der konservativen Behandlung siehe Aortenaneurysma. Für Informationen zur Notfall-OP siehe: Chirurgische Therapie des rupturierten Bauchaortenaneurysmas
Präklinisches Management
Grundsätze bei Verdacht auf rupturiertes Bauchaortenaneurysma [1][2]
- Vermeidung von
- Intubation
- Muskelrelaxation, insb. Succinylcholin (Muskelfaszikulationen)
- Husten oder Pressen (Valsalva-Manöver)
- Schmerzreizen
- Bewegung, Anstrengung oder Aufregung der Pat.
Basismaßnahmen [2][3]
- Anamnese: Bspw. nach SAMPLE-Schema, insb. Frage nach bekanntem Aortenaneurysma und Trauma
- Diagnostik
- Basismonitoring der Kreislaufparameter
- Pulsoxymetrie
- Engmaschige nicht-invasive Blutdruckmessung
- Kontinuierliche EKG-Überwachung (mind. Extremitätenableitungen)
- Klinische Untersuchung
- Atemfrequenz
- Rekapillarisierungszeit
- Pulse tasten (peripher/zentral)
- Weitere diagnostische Parameter
- Blutzucker
- Körperkerntemperatur
- Grad des Bewusstseins (GCS) [4]
- Basismonitoring der Kreislaufparameter
- Lagerung: Rückenlage, ggf. Kopf mit Kissen leicht hochlagern
- Reanimation: Siehe auch Reanimation - AMBOSS-SOP
Erweiterte Maßnahmen [2][3]
- Therapeutische Maßnahmen
- Anlage eines peripheren Venenverweilkatheters (großlumig)
- Permissive Hypotension bei rupturiertem Bauchaortenaneurysma
- Zielwert: Untere systolische Blutdruckgrenze ca. 70 mmHg
- Nur bei Bedarf: Restriktive Flüssigkeitszufuhr mit kristalloiden Infusionslösungen [5]
- Ggf. Nitroglycerin
- Vorsichtige Analgesie und Sedierung nach Bedarf [6]
- O2-Gabe über Sauerstoffmaske
- Bei Dyspnoe bzw. je nach Sättigung 4–8 L/min [4][7]
- Siehe auch: Hinweise zur Sauerstoffgabe im Notfall
- Transport: Unverzüglich, ohne zeitliche Verzögerung! [8]
- Pat. möglichst wenig umlagern
- Pat. möglichst warm halten, bspw. durch Zudecken
- Bei gleicher Transportzeit sind spezialisierte bzw. zertifizierte Zentren mit hoher Strukturqualität zu bevorzugen [9]
- Rettungsleitstelle: Anmeldung von Pat. mit Verdachtsdiagnose rAAA zur Schockraumaktivierung
- Schockraum-Team: Zwei (Gefäß‑)Chirurgen (davon mind. einer Facharztniveau), Facharzt für Anästhesiologie, OP-Pflege, Radiologie-Team
- Organisation weitere personeller und räumlicher Ressourcen: CT reservieren, OP-Saal vorbereiten
- Falls möglich: Kreuzblut abnehmen und vorab ins Krankenhaus bzw. zur Blutbank transportieren [2][10]
Entscheidend sind der sofortige Transport in ein geeignetes Zentrum und Maßnahmen zur Vermeidung des Übergangs einer stabilen gedeckten in eine freie Ruptur! [1]
Eine freie Ruptur verläuft fast immer tödlich! [2]
Material und Medikamente (Schockraum)
Basismaterial
- Großlumige i.v. Zugänge
- Zubehör für Basismonitoring der Kreislaufparameter
- Ultraschallgerät für eFAST
- Sauerstoffmaske und -anschluss
- Material zur Laboranalyse
- Material zur Transfusion großer Mengen Blutkonserven, siehe: SOP Massivtransfusion
- Zur generellen Ausstattung eines Schockraums siehe auch: Ausstattung des Schockraums
Zusätzliches Material
- Material für invasive Blutdruckmessung
- Ggf. 12-Kanal-EKG
- Material zur Atemwegssicherung
Basismedikamente
- Steigerung des Blutdrucks
- Katecholamine
- Theodrenalin/Cafedrin (Akrinor®)
- Noradrenalin
- Siehe auch: Medikamentöse Kreislaufunterstützung
- Infusionen [11]
- Katecholamine
- Senkung des Blutdrucks: Nitroglycerin
- Massivtransfusion
- Mind. 6 EKs (Blutgruppe 0) und 6 FFPs (Blutgruppe AB) anfordern
- Thrombozytenkonzentrate
Aufgrund der mangelhaften Studienlage gibt es keine Empfehlungen für eine bestimmte Infusionslösung! [11]
Eine frühzeitige Gabe von FFP, Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentraten kann die Letalität senken! [12]
Zusätzliche Medikamente
Ablauf/Durchführung (Schockraum)
Im Schockraum laufen Überwachung, Diagnostik und Therapie parallel ab, die Koordination des Schockraummanagements obliegt der Schockraum-Teamleitung. Bei allen präinterventionellen Maßnahmen sind die Grundsätze bei Verdacht auf rupturiertes Bauchaortenaneurysma zu beachten!
Basismaßnahmen (falls noch nicht erfolgt)
- Basismonitoring anschließen
- Sauerstoffgabe
- Ggf. Anlage und Fixierung weiterer großlumiger venöser Gefäßzugänge
- Ggf. Anlage eines arteriellen Katheters erwägen
Die Ausstattung des Patienten soll präoperativ auf das Notwendigste beschränkt werden, um den Beginn des Eingriffs nicht zu verzögern!
Kreislaufmanagement und Schockbehandlung [3][7][9][11][13][14][15]
Bei nicht still- oder komprimierbaren Blutungen am Körperstamm ist eine permissive Hypotension anzustreben, um den Blutverlust zu minimieren. Dies gilt auch für Pat. mit rupturiertem Bauchaortenaneurysma und hämodynamischem Schock. [16]
- Permissive Hypotension bei rupturiertem Bauchaortenaneurysma
- Zielwerte
- Obere systolische Blutdruckgrenze ca. 100–120 mmHg [9]
- Untere systolische Blutdruckgrenze ca. 70–80 mmHg [3][8][13][14]
- Ziele
- Volumenüberladung und deren potenzielle Folgen vermeiden
- Hämodilution → Reduzierte Sauerstoffversorgung, verminderte Blutgerinnung, Hypothermie
- Erhöhter Blutdruck → Thrombusablösung → Verstärkte Blutung durch Überwindung der retroperitonealen Tamponade
- Kritische Organperfusion gewährleisten , klinisch prüfbar durch
- Aufrechterhaltung des Bewusstseins
- Verhinderung von ST-Veränderungen im EKG
- Volumenüberladung und deren potenzielle Folgen vermeiden
- Durchführung: Großzügige Gabe von Ringer- oder Kochsalzlösungen und vasoaktive Medikamente möglichst vermeiden [8]
- Möglichst reduzierte Flüssigkeitszufuhr [3][6]
- Senkung des Blutdrucks [17]
- Bspw. kontinuierliche Gabe von Nitroglycerin
- Vorteil: Gut steuerbar
- Steigerung des Blutdrucks
- Noradrenalin: Bolusgabe oder Perfusor
- Theodrenalin/Cafedrin (Akrinor®)
- Siehe auch: Medikamentöse Kreislaufunterstützung - AMBOSS SOP
- Zielwerte
- Durchführung einer Massivtransfusion: Siehe Massivtransfusion - AMBOSS-SOP
Der systolische Blutdruck sollte etwa bei 70-100 mmHg gehalten werden. Die aktuelle Studienlage erlaubt mangels randomisiert-kontrollierter Studien derzeit jedoch keine eindeutigen Empfehlungen! [14]
Ein systolischer Blutdruck unter 70 mmHg war in Studien mit einer erhöhten Letalität verbunden und sollte vermieden werden! [3]
Diagnostik
- Labor
- FAST- bzw. Duplex-Sonografie
- Diagnosesicherung
- Befund: Hämoperitoneum bzw. duplexsonografisch perfundierte Hämatomhöhle („Wäschetrommelphänomen“)
- Monitoring
- Hämodynamisch stabile Pat.: Blutdruck systolisch >80 mmHg
- Hämodynamisch instabile Pat.: Blutdruck systolisch <80 mmHg
Weiteres Vorgehen nach hämodynamischer Situation
Vorgehen bei hämodynamisch stabilen Patienten
- Gerinnungsmanagement: Normothermie, Normalisierung des pH-Werts, Normokalzämie gewährleisten, siehe Rahmenbedingungen der Gerinnung
- Bei Verbrauchskoagulopathie bzw. Hyperfibrinolyse: Ersatz von Gerinnungsfaktoren
- Nicht empfohlen: Probatorische Gabe von Tranexamsäure ohne ROTEM [3]
- Bildgebung: Notfall-CT mit Kontrastmittel bzw. CT-Angiografie
- Diagnosesicherung
- Klärung der Eignung für eine endovaskuläre Versorgung
- Analgesie
- Bei leichten Schmerzen: Paracetamol oder Metamizol
- Bei starken Schmerzen: Piritramid oder Tramadol
- Siehe auch: Akutschmerztherapie in der Notaufnahme
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe mit Wirksamkeit gegen Staphylokokken und gramnegative Bakterien, bspw. Cefuroxim [9]
- Transport in den (Hybrid‑)OP
Vorgehen bei hämodynamisch instabilen Patienten
- Direkter Transport in den (Hybrid‑)OP!
- Stabilisierung des Patienten: Ggf. Bereitstellung eines Okklusionsballons für die suprazöliakale Aorta
- CT-Angiografie, falls durch Okkulsionsballon hämodynamische Stabilität erreicht werden konnte
Bei bekanntem Aortenaneurysma, Schock und klinischen Anzeichen einer Ruptur (s. Symptomtrias des rAAA) ist eine Notfallsonografie ausreichend zur Diagnosesicherung! Eine weitere Diagnostik (CTA) ist nicht zwingend erforderlich, sollte jedoch angestrebt werden. Vordringlich ist aber der unverzügliche Transport in den OP! [9]
Komplikationen
- Kardiale Komplikationen, bspw. akutes Koronarsyndrom
- Thromboembolische periphere Verschlüsse
- Zerebrale Minderperfusion, Funktionsstörungen
- Hämorrhagischer Schock
- Herz-Kreislauf-Stillstand
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.