Zusammenfassung
Die Autoimmunhepatitis (AIH) ist eine chronisch oder akut verlaufende Leberentzündung (Hepatitis), die auf einer T-Zell-vermittelten Immunantwort gegen hepatische Antigene beruht. Die Erkrankung ist insgesamt selten. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (4:1).
In den meisten Fällen verläuft die Autoimmunhepatitis chronisch und führt unbehandelt zum fibrotischen, später zum zirrhotischen Leberumbau. Klinisch imponieren eher unspezifische Befunde (Abgeschlagenheit, Leistungsknick, Oberbauchdruck, Gelenkschmerzen, Fieber) und mit zunehmender Leberinsuffizienz Symptome wie Ikterus, Hepato- oder Splenomegalie, Aszites, Leberhautzeichen und/oder Gerinnungsstörungen. Seltener kommt es zu einem fulminanten Leberversagen. Diagnostisch wegweisend ist ein Anstieg der Transaminasen, der Nachweis von Autoantikörpern (ANA, Anti-SMA, Anti-LKM1-AK, SLA/LP-AK, pANCA), eine Erhöhung des Immunglobulins G (quantitativ) sowie der histologische Befund einer Leberbiopsie.
Epidemiologie
- Geschlecht: ♀ > ♂ (4:1)
- Alter: Erkrankungsgipfel zwischen dem 10. und 30. sowie dem 40. und 70. Lebensjahr, prinzipiell aber in jedem Alter möglich
- Inzidenz: 1–2/100.000 Einwohner pro Jahr [1]
- Prävalenz: 10–30/100.000 Einwohner
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Klassifikation
- Klassifikation nach Antikörpernachweis: Man unterscheidet anhand des jeweils nachweisbaren Antikörperspektrums drei Typen der Autoimmunhepatitis [1]
Symptomatik
- Schleichende, unspezifische Symptome
- Abgeschlagenheit
- Bauchschmerzen
- Leistungsminderung
- Symptome der Leberinsuffizienz bzw. Leberzirrhose
- Ikterus
- Gerinnungsstörung mit Blutungsneigung
- Hepatomegalie, Splenomegalie
- Aszites
- Komplikationen der portalen Hypertension
- Bei fulminantem Verlauf: Symptome des akuten Leberversagens
- Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen (siehe: Verlaufs- und Sonderformen der Autoimmunhepatitis)
Verlaufs- und Sonderformen
Fulminante Autoimmunhepatitis
- Häufigkeit und Verlauf: Insg. selten (6% der Autoimmunhepatitiden), bei Auftreten jedoch fulminanter Verlauf mit raschem Leberversagen
- Serologie: Gesamt-IgG-Erhöhung und Autoantikörper können fehlen
- Therapie: Bei begründetem Verdacht Einleitung einer Glucocorticoidtherapie unter Risiko-/Nutzenabwägung mit Prednisolon
- Regelmäßige Blutzuckermessungen nach Therapieeinleitung
- Siehe auch: Stationäres Blutzuckermanagement
- Therapiemonitoring: Anwendung von Scoring-Systemen für das akute Leberversagen
- Indikation zur Lebertransplantation: Bei Erfüllen der Transplantationskriterien in den Score-Systemen umgehende Rücksprache mit Transplantationszentrum
Assoziierte Erkrankungen [1]
- Overlap-Erkrankungen: Auftreten einer weiteren autoimmunen Lebererkrankung zusammen mit der Autoimmunhepatitis
- Primär sklerosierende Cholangitis (PSC): In 2–8% der Fälle
- Primär biliäre Cholangitis (PBC): In 4–14% der Fälle
- Assoziation mit weiteren Autoimmunerkrankungen: Insb.
- Hashimoto-Thyreoiditis (10–23%)
- Zöliakie (1–2%)
- Diabetes mellitus Typ 1 (1–9%)
- Colitis ulcerosa (1–8%)
- Sjögren-Syndrom (1–15%)
- Rheumatoide Arthritis (2–8%)
- Systemischer Lupus erythematodes (1–13%)
- Psoriasis (3%)
- Multiple Sklerose (1%)
- Vitiligo (2%)
Bei der Diagnostik einer AIH sollte auf Zeichen anderer Autoimmunerkrankungen geachtet werden – insb. eine TSH-Bestimmung ist sinnvoll!
Diagnostik
Säulen der AIH-Diagnostik [1]
- Labor
-
Autoantikörper
- AIH Typ 1: Anti-SMA, ANA und pANCA
- AIH Typ 2: Antikörper gegen Liver-Kidney-Mikrosomen (Anti-LKM1-AK)
- AIH Typ 3: SLA-AK
- Entzündliche Aktivität
- Serum-Elektrophorese, IgG-Spiegel↑
- Anti-SMA (falls nachweisbar)
- Transaminasen↑ und BSG↑
-
Autoantikörper
- Abdomensonografie: Bei jedem Verdacht auf AIH als Routinediagnostik
- Fragestellung
- Detektion eines etwaigen Leberparenchymumbaus
- Ausschluss anderer Ursachen der Leberschädigung
- Befunde
- Spezifische Zeichen einer AIH gibt es nicht
- Sonografischer Nachweis einer Lymphadenopathie am Leberhilus bei bis zu 90% der AIH-Patienten
- Fragestellung
- Leberbiopsie: Anschließend histopathologische Untersuchung
- Diagnosesicherung: Nur über die Zusammenschau der Befunde und Berechnung validierter Scores; ein einzelner beweisender diagnostischer Test fehlt bis heute
Interpretation der Labordiagnostik
- Klinische Chemie: Transaminasen↑ als Basisparameter
- Aktivität der Leberentzündung: Hypergammaglobulinämie (IgG quantitativ↑)
- Ggf. Zeichen der Leberinsuffizienz: Bilirubin↑, INR↑
- Besonderheiten der Autoantikörper: Initialdiagnostisch zu bestimmende Autoantikörper s.o.
- Antinukleäre Antikörper (ANA): Typischerweise mit einer homogenen Kernfluoreszenz, wobei auch gefleckte Immunfluoreszenzmuster vorkommen
- Anti-Smooth-Muscle-Antikörper (Anti-SMA): Bei mehr als der Hälfte der Patienten mit der Diagnose einer AIH Typ 1
- Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper mit perinukleärem Muster (pANCA): Am ehesten bei AIH Typ 1
- Antikörper gegen Liver-Kidney-Mikrosomen (Anti-LKM1-AK): Typisch für die AIH Typ 2
- Antikörper gegen Soluble Liver Antigen (SLA/LP-AK): Bei 10% der AIH-Patienten als einziger Antikörper nachweisbar, häufig aber in Kombination mit ANA und Anti-SMA
- Antikörper gegen Asialoglykoprotein-Rezeptor (Anti-ASGPR-AK): Ergänzende Bestimmung insb. in unklaren Fällen nach Serologie
- Vorkommen: Hochtitriger Nachweis insb. bei AIH Typ 1 und 2, niedrigtitrige Nachweise aber auch bei einer Virushepatitis oder PBC möglich
Der IgG-Serumspiegel sowie die Höhe des Anti-SMA-Titers können mit der Aktivität der AIH korrelieren – vor allem IgG wird als Verlaufsparameter für ein Therapieansprechen bestimmt!
Vereinfachter AIH-Score nach Hennes
Diagnostischer Parameter | Wertungskriterien | Punktwert |
---|---|---|
ANA oder Anti-SMA | Titer ≥1:40 | 1 |
ANA oder Anti-SMA | Titer ≥1:80 | 2 |
Anti-LKM-AK | Titer ≥1:40 | 2 |
SLA/LP-AK | Positiv | |
Gesamt-IgG | >Normwert | 1 |
>1,1-facher Normwert | 2 | |
Leberhistologie | Zu AIH passend | 1 |
Für die AIH typisch | 2 | |
Ausschluss einer Virushepatitis | Erfolgt | 2 |
Interpretation
- Score ≥6 Punkte: AIH wahrscheinlich
- Score ≥7 Punkte: AIH gilt als gesichert
Ein Therapieansprechen auf Steroide gilt als Hinweis für eine AIH, ist jedoch nicht beweisend!
Die Diagnose der AIH ist ohne positiven Nachweis von Autoantikörpern möglich – insb. bei einer fulminanten Autoimmunhepatitis können sowohl Autoantikörper als auch eine IgG-Erhöhung fehlen!
Ausführlicher AIH-Score
IAHG-Score der Autoimmunhepatitis [2]
Diagnostischer Parameter | Wertungskriterien | Punktwert |
---|---|---|
Geschlecht |
|
|
Ratio ALAT:ASAT |
|
|
IgG-Erhöhung |
|
|
Autoantikörper-Titer (ANA, Anti-SMA oder Anti-LKM1-AK) |
|
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Autoantikörper AMA |
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|
Andere Autoantikörper (Anti-SLA/LP, LC1, Actin, pANCA) |
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Virale Hepatitis |
|
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Medikamentenanamnese (hepatotoxische Medikation) |
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Alkoholkonsum |
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HLA-DR3 oder -DR4 |
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Andere Autoimmunerkrankungen (Verwandte 1. Grades oder Patient selbst) |
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Leberhistologie |
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Therapieerfolg |
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Interpretation
- Vor Therapieeinleitung
- >15 Punkte: „Definitive“ Autoimmunhepatitis
- 10–15 Punkte: „Wahrscheinliche“ Autoimmunhepatitis
- Nach Therapieeinleitung
- >17 Punkte: „Definitive“ Autoimmunhepatitis
- 12–17 Punkte: „Wahrscheinliche“ Autoimmunhepatitis
Pathologie
- Leberbiopsie: Immer bei bestehendem Verdacht auf eine Autoimmunhepatitis indiziert
- Zeitpunkt der Leberbiopsie: Möglichst vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie
- Histologische Kriterien: Charakteristisch für eine Autoimmunhepatitis sind
- Interface-Hepatitis (Kernkriterium)
- Rosettierung
- Panazinäre Entzündung
- Emperipolese .
- Plasmazellreiches Infiltrat
- Degeneration von Hepatozyten
- Nekrosen
- Fibrose
- Cholangitis
- Hepatogene Riesenzellen
- Bei der akuten AIH: Häufig perivenuläre Nekrosen, lobuläre Entzündung
Modifizierter Ishak-Score (mHAI) [3][4]
- Definition: 1995 erstmalig etablierter, zwischenzeitlich modifizierter Score zur histopathologischen Beurteilung der Autoimmunhepatitis
- Therapeutische Relevanz: Eine klinisch relevante entzündliche Aktivität und somit auch Behandlungspflichtigkeit besteht ab einem mHAI ≥4–6 von 18 Punkten
Differenzialdiagnosen
- Chronische Hepatitiden (z.B. Hepatitis C)
- Primär sklerosierende Cholangitis
- Primär biliäre Cholangitis
- Alkoholtoxischer Leberschaden bzw. medikamentös induzierter Leberschaden
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapieindikation [1]
- Immunsuppression: Bei jeder Autoimmunhepatitis mit moderater bis starker entzündlicher Aktivität (>4–6 Punkte im modifizierten Ishak-Score) indiziert
- Als weitere Entscheidungsgrundlage dienen die in der Labordiagnostik erfassten weniger spezifischen Marker der Entzündungsaktivität (Transaminasen, IgG-Erhöhung)
- Watchful Waiting: Nur in Einzelfällen mit geringer entzündlicher Aktivität
Therapieziel
- Remission der Autoimmunhepatitis: Induktion und Erhaltung einer Remission, also Verhinderung einer Progression zur Leberzirrhose
- Remissionskriterien
- Vollständige Remission: Normalisierung der Transaminasen und des IgG, histologisch ≤3 von 18 Punkten im modifizierten Ishak-Score
- Partielle Remission: Abfall der Transaminasen und des IgG nach Therapieeinleitung, jedoch keine vollständige Normalisierung
Immunsuppressive Therapie [1]
- Induktion einer Remission: Beginn mit einem systemischen Glucocorticoid (i.d.R. Prednisolon), zeitgleich oder im Verlauf der Therapie Beginn einer Kombination mit Azathioprin
- Standardtherapie: Systemische Glucocorticoidtherapie, z.B. mit Prednisolon
- Alternativ Kombinationstherapie: Glucocorticoid und Azathioprin
- Alternatives Glucocorticoid: Budesonid bei Patienten ohne Leberzirrhose anstelle von Prednisolon möglich
- Erhaltungstherapie: Ausschleichen von Glucocorticoiden binnen 6–12 Monaten, Azathioprin als 2. Immunsuppressivum sollte hierbei spätestens in den ersten Monaten der Remissionsinduktion mit eindosiert worden sein
- Glucocorticoid-Abhängigkeit: Bei Aufflammen der Entzündungsaktivität unter Reduktion des Glucocorticoids ist eine Weiterbehandlung mit individualisierter Dosis durchzuführen
- Alternatives Immunsuppressivum: 6-Mercaptopurin oder Mycophenolat-Mofetil können als Alternative bei Nicht-Ansprechen auf Azathioprin eingesetzt werden
- Non-Responder: Vorstellung in einem hepatologischen Zentrum
- Supportive Therapie: Osteoporoseprophylaxe mit Calcium und Vitamin D
Unter laufender Glucocorticoid-Therapie sollten Blutzuckerwerte und arterieller Blutdruck engmaschiger kontrolliert werden!
Bei einer Immunsuppression ist das sorgfältige Einhalten aller (Krebs‑)Vorsorgeuntersuchungen und die Erhebung eines Lymphknotenstatus alle 3 Monate geboten!
Therapiemonitoring
- Regelmäßige Kontrollen
- Labor: Insb. Transaminasen und IgG-Serumspiegel, bei Azathioprin-Therapie zusätzlich Blutbild und Lipase
- Sonografie: Zeichen des fibrotischen Leberumbaus
- Leber-Elastografie: Nicht-invasive Messung (z.B. FibroScan®, ShearWave®) der Leberelastizität zur Frühdetektion fibrotischer Umbauprozesse
- Nicht obligat: Leberbiopsie
Therapie-Auslassversuch
- Frühestens 24 Monate nach Erreichen einer stabilen Remission
- Nach Absetzen der Therapie lebenslange regelmäßige Kontrollen etablieren
Nach Absetzen der immunsuppressiven Therapie besteht ein hohes (bis zu 90% der Patienten) Rückfallrisiko!
Lebertransplantation
- Bei fulminanter Autoimmunhepatitis: Sofortige Vorstellung des Patienten an einem Lebertransplantationszentrum
- Bei Leberzirrhose als Komplikation: Elektive Vorstellung nach Prüfung und Ausschluss von Kontraindikationen
Prognose
- Prognosefaktoren
- Therapieansprechen
- Erkrankungsaktivität
- Vorliegen einer Leberzirrhose bei Erstdiagnose (⅓ der Patienten)
- Leberzirrhose-Risiko: Unbehandelt entwickeln 50% der Patienten binnen 15 Jahren eine Leberzirrhose
- HCC-Risiko: Zwischen <0.1 und 4.0% Neuerkrankungen pro Jahr bei Patienten mit AIH, insb. bei Leberzirrhose
- Siehe auch: HCC - Diagnostisches Vorgehen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- K75.-: Sonstige entzündliche Leberkrankheiten
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.