Zusammenfassung
Die Hidradenitis suppurativa, auch Acne inversa genannt, ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung. Die genaue Pathophysiologie ist nicht bekannt, vermutet wird ein Verschluss des Haartalgdrüsenapparats mit konsekutiver Entzündung. Es kommt insb. axillär, inguinal und anogenital zu schmerzhaften Knoten, Abszessen und Fisteln. Das klinische Spektrum ist breit und reicht von einzelnen Läsionen bis hin zu flächigen Entzündungen mit Bewegungseinschränkungen durch Narbenbildung. Die Diagnose der Hidradenitis suppurativa wird i.d.R. klinisch gestellt. Die Therapie hängt vom Stadium der Erkrankung ab. Je nach Krankheitsstadium und -aktivität wird topisch, systemisch (mittels Antibiotika, Biologicals) und/oder chirurgisch therapiert. Die Erkrankung geht häufig mit einer starken psychischen Belastung und eingeschränkten Lebensqualität einher.
Epidemiologie
Ätiologie
- Vermutlich multifaktorieller Prozess bei genetischer Prädisposition
- Gestörtes Mikrobiom (Biofilmerkrankung)
- Hormonelle Komponente wahrscheinlich
- Risikofaktoren
- Nicotinabusus
- Adipositas und metabolisches Syndrom
- Mechanische Reibung
- Lokale Hyperhidrose
- Bakterielle Besiedelung, insb. mit Staphylococcus aureus
- Mögliche Komorbiditäten
- Entzündliche Arthritis, insb. Spondylarthritiden und rheumatoide Arthritis
- Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
- Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Acne vulgaris, Folliculitis et perifolliculitis capitis abscedens et suffodiens
- Insg. erhöhtes Malignomrisiko, insb. für Hodgkin-Lymphome, Mundhöhlen- und Pharynxkarzinome, Prostatakarzinom, Neoplasien des Zentralnervensystems und des Darms, nicht-melanozytäre Hauttumoren sowie Darmmalignome [2]
- Seltene immunologisch vermittelte Syndrome , insb. PASH, PAPASH, PASS, PsAPASH, SAPHO-Syndrom
Rauchen und Adipositas haben einen additiven Effekt auf die Hidradenitis suppurativa!
Pathophysiologie
- Genaue Pathogenese unklar, vermutlich: Hyperkeratose und ausgeprägte Entzündung des Haarfollikels
- Abnormale Differenzierung der Keratinozyten des Haartalgdrüsenapparats → Verschluss des Haarfollikels
- Frühstadium: Abszessbildung durch neutrophile Granulozyten, Einwandern weiterer Entzündungszellen → Freisetzung zahlreicher Zytokine, insb. TNF-α, IL12, IL17, IL23
- Spätstadium: Infiltration durch B- und Plasmazellen
- Abnormale Differenzierung der Keratinozyten des Haartalgdrüsenapparats → Verschluss des Haarfollikels
Klassifikation
IHS4 (International Hidradenitis Suppurativa Severity Scoring System) [3]
- Durchführung
- Anzahl der Knoten × 1 plus
- Anzahl der Abszesse × 2 plus
- Anzahl drainierender Tunnel × 4
- Auswertung
- ≤3 Punkte: Milde Hidradenitis suppurativa
- 4–10 Punkte: Mittelschwere Hidradenitis suppurativa
- ≥11 Punkte: Schwere Hidradenitis suppurativa
Hurley-Klassifikation
- Anwendung: Grundlage zur Entscheidung über chirurgische Therapieformen
Klassifikation der Hidradenitis suppurativa nach Hurley [4] | |
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Stadium | Befund |
I |
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II |
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III |
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Die Hurley-Klassifikation ist nicht geeignet, um das Ansprechen einer Therapie zu beurteilen!
Symptomatik
- Effloreszenzen
- Schmerzhafte, (sub)kutane Knoten, Abszessbildung möglich
- Im Verlauf: Großflächiger Befall, Fistelgänge, hypertrophe Narben
- Ggf. Juckreiz, Ausfluss
- Lokalisation
- Primär: Inguinal, axillär und anogenital
- Ggf. gluteal, submammär
- Seltener: Gesicht, Capillitium, retroaurikulär, Brust oder Rücken
- Sinus pilonidalis
Diagnostik
- I.d.R. klinische Diagnose
- Anamnese
- Häufigkeit und Verlauf der Beschwerden
- Familiäre Belastung, Nicotinabusus, BMI
- Körperliche Untersuchung
- Inspektion und Palpation der betroffenen Areale
- Inspektion des gesamten Integuments, auch unter Berücksichtigung atypischer Lokalisationen
- Ggf. Tunnelsondierung
- Besonders auf Plattenepithelkarzinome achten
- Laboruntersuchung: CRP und BSG ggf. erhöht
- Mikrobiologie: Bei V.a. Superinfektion tiefer Gewebeabstrich mit Kultur inkl. Resistogramm
- Bildgebung
- Sonografie
- MRT: Bei perianalem Befall
- Biopsie: Nur bei unklarem klinischen Befund
- Histologisch follikuläre Hyperkeratose
- Epidermale Hyperplasie
- Entzündliches Infiltrat
- Screening auf mögliche Komorbiditäten und Komplikationen
- Bei jeder körperlichen Untersuchung auf Plattenepithelkarzinome achten
- Fragebögen zur Lebensqualität / psychischen Verfassung nutzen, z.B. DLQI
- Kardiovaskuläre Risikofaktoren abklären (z.B. arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, Dyslipidämie)
- Bei Knochen-/Gelenkbeschwerden: Rheumatologische Diagnostik der axialen Spondylarthritis
- Bei gastrointestinalen Beschwerden und/oder perianalen Tunneln: Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen gastroenterologisch ausschließen
- Klinische Scores: Zur Dokumentation von Krankheitsaktivität und Verlauf (siehe: Hidradenitis suppurativa - Klassifikation)
Die Hidradenitis suppurativa ist i.d.R. eine klinische Diagnose!
Die oft verspätete Diagnosestellung der Hidradenitis suppurativa hat einen schwereren Verlauf zur Folge!
Differenzialdiagnosen
- Rezidivierende Follikulitiden
- Perianal
- Sinus pilonidalis
- Perianaler Morbus Crohn (siehe: Symptome bei Morbus Crohn)
- Periproktaler Abszess
- Neoplasie, z.B. Analkarzinom
- Inguinal: Lymphogranuloma inguinale
- Kutane Aktinomykose , Hauttuberkulose
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapieoptionen bei Hidradenitis suppurativa
Therapieoptionen bei aktiver Hidradenitis suppurativa | ||||||
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Schweregrad | Topische Therapie | Intraläsionale Therapie | Systemische Antibiotika | Biologicals | Laser und andere apparative Verfahren | Antiandrogene Hormontherapie |
Mild (IHS4 1–3) |
| — | — |
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Mittelschwer (IHS4 4–10) |
| — |
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Schwer (IHS4 ≥11) |
Therapieoptionen bei inaktiver Hidradenitis suppurativa | ||
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Hurley-Stadium | Chirurgische Therapie | Laser und andere apparative Verfahren |
I | — | |
II | ||
III |
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Der Krankheitsverlauf der Hidradenitis suppurativa ist aufgrund eines Mangels an effektiven bzw. kurativen Therapieoptionen i.d.R. langwierig und geht oft mit einer stark eingeschränkten Lebensqualität einher!
Allgemeine Maßnahmen
- Hautpflege
- Bei Bedarf psychologische Begleittherapie
- Ggf. Schmerztherapie
- Nicotinkarenz
- Gewichtsreduktion
Topische Therapie
- Indikation
- Bei milden Formen als Monotherapie
- Bei mittelschweren bis schweren Formen zusätzlich zur systemischen bzw. operativen Therapie
- Wirkstoff: Clindamycin 1%-Lösung (Off-Label Use!)
Intraläsionale Therapie
- Indikation: Akut-entzündliche Läsionen bei milden Formen (als Monotherapie oder zusätzlich zur systemischen Therapie)
- Wirkstoff: Triamcinolon (Off-Label Use!)
Systemische Therapie
Antibiotische Therapie
- Indikation: Mittelschwere bis schwere Hidradenitis suppurativa
- Wirkstoffe (Dosierung ab 12 Jahren)
Therapie mit Biologicals
- Indikation
- Mittelschwere bis schwere Hidradenitis suppurativa und unzureichendes Ansprechen auf die konventionelle systemische Therapie
- Ggf. in Kombination mit Antibiotikatherapie oder chirurgischer Therapie
- Wirkstoffe
- Adalimumab (zugelassen ab 12 Jahren) [5]
- Secukinumab
- Bimekizumab
- Infliximab (Off-Label Use!)
Antiandrogene Hormontherapie
- Indikation: Nur in Kombination mit anderen therapeutischen Maßnahmen bei
- Mittelschwerer bis schwerer Hidradenitis suppurativa und PCOS
- Zyklusassoziierter Verschlechterung der Hidradenitis suppurativa
- Wirkstoff: Östrogen-Gestagen-Präparat
- Gynäkologisch-fachärztlich begleitete Therapieeinleitung
- Zur Dosierung siehe: Kombiniert orale Kontrazeptiva
Chirurgische Therapie
- Indikation: Hurley-Stadium II–III, insb. bei inaktiver Hidradenitis suppurativa
- Durchführung: Radikale Exzision im Gesunden der nicht länger entzündlichen Läsionen
- Hurley-Stadium II: Ggf. alleinige Entfernung des oberen Anteils eines Knotens oder Tunnels (sog. Deroofing)
- Histopathologische Untersuchung der Exzidate
- Wundverschluss
- Primärverschluss bei einzelnen Knoten/Abszessen (Hurley-Stadium II)
- Sekundäre Wundheilung nach großflächiger Exzision (Hurley-Stadium III) zur Senkung der Rezidivrate, ggf. im Verlauf Deckung mittels Spalthauttransplantation
Akut-entzündliche Läsionen können als Notfallmaßnahme inzidiert und drainiert werden, allerdings liegt die Rezidivrate bei 100%!
Laser und andere apparative Verfahren
- CO2-Laser: Zur ablativen Therapie als Alternative zur chirurgischen Therapie
- Langgepulster Neodym-YAG-Laser
- Bei milden bis mittelschweren Formen zur Reduktion der Entzündung
- Zerstörung der Haarwurzeln zur Sekundärprävention
- Kombination aus IPLS und Radiofrequenzablation
- Bei milden bis mittelschweren Formen in Kombination mit topischem Clindamycin
- Als Monotherapie zur Erhaltung
Komplikationen
- Superinfektion: Erysipel, Phlegmone, Sepsis [1]
- Lymphödem (z.B. skrotal) und Lymphadenopathie
- Striktur von Anus, Rektum, Harnröhre, ggf. auch Fistelbildung
- Starke psychische Belastung, Depressionen
- Bei großflächigen Narbenzügen: Bewegungseinschränkungen
- Plattenepithelkarzinom
- Systemische Amyloidose
- Chronisches Schmerzsyndrom
Läsionen der Hidradenitis suppurativa sollten regelmäßig auf ein Plattenepithelkarzinom kontrolliert werden. Verdächtige Stellen müssen histologisch untersucht werden!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- L73.-: Sonstige Krankheiten der Haarfollikel
- L73.2: Hidradenitis suppurativa
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.