Zusammenfassung
Der Begriff Amyloidose bezeichnet eine sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen, die durch Ablagerungen veränderter Proteine („Amyloid“) verursacht werden. Lokale Amyloidosen treten als Begleiterscheinung bei einer großen Anzahl an Erkrankungen wie bspw. der Alzheimer-Demenz oder dem Morbus Parkinson auf, ihre Relevanz ist bis heute unklar. In diesem Kapitel geht es daher v.a. um die systemischen Amyloidosen, bei denen die Amyloid-Ablagerungen auch entfernt vom Syntheseort auftreten. Sie können alle Organsysteme betreffen und daher vielfältige Symptome hervorrufen. Die Diagnose wird über eine Biopsie mit histopathologischer Untersuchung und Typisierung der Ablagerungen gestellt, die Klassifikation erfolgt dann abhängig vom Ursprungsprotein des Amyloids. Die häufigsten Unterformen sind die mit lymphoproliferativen Erkrankungen assoziierte AL- und die durch chronische Entzündungsprozesse hervorgerufene AA-Amyloidose. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl erworbener und angeborener seltenerer Formen. Therapeutisch steht meistens die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund, Substanzen zur Elimination bestehender Amyloid-Fibrillen sind derzeit in Entwicklung. Für die AL- und ATTR-Amyloidose gibt es zudem spezifische Therapieschemata.
Definition
Pathophysiologie
- Spezielle Eigenschaften von Amyloid begünstigen dauerhafte Ablagerungen [1]
- Reich an β-Faltblatt-Strukturen → Bildung unlöslicher Fibrillen
- Widerstandsfähig gegenüber Phagozytose → Abbau sehr langsam
- Zusätzliche Faktoren führen zur Bildung von Ablagerungen [1]
- Lokale Störung der Gewebe- und Organfunktion, Zerstörung der Gewebestruktur durch Ablagerungen führen zu Symptomen [1]
- Genauer Mechanismus aktuell ungeklärt
- Hypothesen
- Oligomere Zwischenstufen vor Fibrillenbildung → Oxidativer Stress und Gewebezerstörung
- Große fibrilläre Ablagerungen stören Organfunktion
Klassifikation
Nomenklatur
- Lokale Amyloidose: Amyloid-Ablagerungen ausschließlich in der Nähe des Syntheseortes
- Systemische Amyloidose: Amyloid-Ablagerungen auch entfernt vom Syntheseort
- Erworbene Amyloidose: Amyloidose durch andere Erkrankung verursacht
- Angeborene Amyloidose: Amyloidose genetisch bedingt
Klassifikation nach Amyloidprotein
- Bezeichnungsstandard: „A“ für Amyloidose + „Code“ für das auslösende Protein
Übersicht systemischer Amyloidosen | |||
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Bezeichnung | Ätiologie | Klinische Besonderheiten | Am häufigsten befallene Organe |
AL-Amyloidose |
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AA-Amyloidose |
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ATTR-Amyloidose |
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Aβ2M-Amyloidose |
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Symptomatik
Systemische Amyloidosen können alle Organsysteme betreffen, spezifische Symptome gibt es daher nicht. Typisch ist v.a., dass mehrere Organsysteme gleichzeitig betroffen sind.
Mögliche Symptome einer Amyloidose
- Unspezifische Symptome
- Gewichtsverlust
- Müdigkeit
- Niere
- Herz
- Symptome einer Herzinsuffizienz (periphere Ödeme, Dyspnoe, Pleuraergüsse, Palpitationen)
- Symptomatische Arrhythmien (Schwindel, Synkopen, plötzlicher Herztod)
- Vorhofflimmern
- Nervensystem
- Polyneuropathie
- Autonome Neuropathie
- Demenz
- Periphere sensomotorische Neuropathie
- Verdauungssystem
- Übelkeit und Erbrechen
- Diarrhö
- Obstipation
- Inappetenz
- Gewichtsverlust
- Malabsorptionssyndrom
- Bewegungsapparat
- Karpaltunnelsyndrom
- Gelenkschwellung und -schmerzen
- Mund: Makroglossie
Systemische Amyloidosen können viele verschiedene Symptome hervorrufen, sodass sie bei vielen internistischen, neurologischen, dermatologischen und orthopädischen Beschwerden als mögliche Differenzialdiagnose berücksichtigt werden müssen!
Diagnostik
Der klinische Befund kann zur Verdachtsdiagnose Amyloidose führen und auch Hinweise auf den Subtyp geben. Da sämtliche Symptome und Untersuchungsbefunde unspezifisch sind, ist für die sichere Diagnosestellung und Therapieplanung jedoch der histopathologischen Nachweis von Amyloidablagerungen mit genauer Bestimmung des Typs notwendig.
Verdachtsdiagnose Amyloidose [1][3]
- Ungeklärte Funktionsstörungen, insb.
- Nephropathie: Proteinurie, Serumalbumin↓, GFR↓
- Kardiomyopathie: Verdickung der Ventrikelwände (Echokardiografie/Kardio-MRT), BNP↑, nt-ProBNP↑, Troponin↑
- Neuropathie: Bspw. periphere sensomotorische Neuropathie, autonome Funktionsstörungen
- Enteropathie: Durchfall, Obstipation, Blutungen
- Hepatopathie: AP↑, Transaminasen ↔︎ bis ↑
- Arthropathie: Gelenkergüsse, Schwellungen
- Typische Weichteilmanifestationen
- Makroglossie
- Periorbitale Einblutungen
- Indizien einer Erbkrankheit
- Angehörige mit ähnlichen Symptomen
- Herkunft
- Ggf. Stammbaumanalyse
- Bildgebung
- Je nach vermuteter Amyloidoseform und Organbeteiligung ergänzend sinnvoll
- Siehe: Bildgebung bei Amyloidose
An eine systemische Amyloidose sollte insb. bei Symptomen gedacht werden, die mehrere Organsysteme betreffen!
Diagnosesicherung
Histopathologie [1]
- Indikation: Goldstandard zur Diagnosestellung bei V.a. systemische Amyloidose
- Probengewinnung
- Biopsie leicht zugänglicher Gewebe
- Abdominelles Fettgewebe: 1. Wahl
- Rektumschleimhaut oder Gingiva: 2. Wahl
- Biopsie klinisch betroffener Organe: Alternative bei anhaltendem Verdacht und negativem Ergebnis aus o.g. Biopsieorten
- Biopsie leicht zugänglicher Gewebe
- Untersuchung
- Nachweis von β-Faltblatt-Strukturen: Mikroskopische Darstellung mit Kongorot-Färbung, alternativ Elektronenmikroskopie
- Typischer Befund: Anfärbbarkeit mit Kongorot und Doppelbrechung im polarisierten Licht
- Bestimmung des ursächlichen Proteins: Bspw. über Immunhistochemie, Immunelektronenmikroskopie oder Massenspektroskopie
- Nachweis von β-Faltblatt-Strukturen: Mikroskopische Darstellung mit Kongorot-Färbung, alternativ Elektronenmikroskopie
- Interpretation
- Kein Amyloid in beiden Biopsien → Keine systemische Amyloidose
- Nachweis von Amyloid → Amyloidose bestätigt, Klassifikation je nach ursächlichem Protein (siehe: Übersicht systemischer Amyloidosen)
Als erster Biopsieort eignet sich das abdominelle Fettgewebe am besten!
Labordiagnostik
- Gezielte Gensequenzierung: Ggf. bei V.a. eine hereditäre Amyloidose
- Ansonsten keine spezifischen Laborparameter verfügbar
- Ggf. Laborparameter für Erkrankungen, die mit einer Amyloidose assoziiert sind (siehe: Übersicht systemischer Amyloidosen)
Bildgebung bei Amyloidose
- Mögliche Verfahren
- Echokardiografie
- Abdomensonografie
- Gelenksonografie
- PET-CT [1][6]
- 99mTc-DPD-Szintigrafie [1][3]
- Kardio-MRT [1][3]
Therapie
Allgemeine Therapieprinzipien [1]
- Wichtigster Ansatz: Reduktion der Bildung amyloidogener Proteine durch Behandlung der Grunderkrankung [1]
- Weitere Ansätze werden aktuell untersucht, bspw.
- Elimination von Amyloid-Vorstufen aus dem Blut über spezifische Antikörper [7]
- Zerstörung bestehender Amyloid-Fibrillen durch Antikörper [8]
- Steigerung des Amyloid-Abbaus [9]
Die etablierten Therapien reduzieren v.a. die Bildung von Amyloid-Vorläufern. Sie verhindern so einen Progress, bewirken aber nur sehr eingeschränkt eine Besserung schon bestehender Amyloid-Ablagerungen!
Spezifische Therapie der AL-Amyloidose [2]
- Chemotherapie analog zum Multiplen Myelom
- Autologe Stammzelltransplantation nach Induktion und Hochdosischemotherapie: Bei vertretbarem Risiko, insb. bei jüngeren Personen
- Induktionstherapien: Bortezomib und Dexamethason, ggf. in Kombination mit Cyclophosphamid („CyBorD“)
- Hochdosistherapie mit Melphalan
- Konventionelle Chemotherapie: Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium und bei älteren Personen Therapie der Wahl
- Therapieschemata je nach Organbefall, bspw. Melphalan-Dexamethason oder Bortezomib alleine oder Cyclophosphamid oral, Bortezomib, Dexamethason („CyBorD“)
- Autologe Stammzelltransplantation nach Induktion und Hochdosischemotherapie: Bei vertretbarem Risiko, insb. bei jüngeren Personen
- Daratumumab: Anti-CD38-Antikörper, seit Juni 2021 in Kombination mit CyBorD als Erstlinientherapie zugelassen
- Deutliche Erhöhung der Remissionsrate gegenüber alleiniger Therapie mit CyBorD [10]
Die eingesetzten Chemotherapeutika haben in Deutschland keine formale Zulassung zur Behandlung einer Amyloidose. Es handelt sich also um Off-Label-Therapien!
Spezifische Therapie der ATTR-Amyloidose [1]
- Lebertransplantation: Insb. bei jungen Personen mit mATTR
- Medikamente zur Stabilisierung von TTR: Tafamidis oder Diflunisal [11]
- Ausschaltung des TTR-Gens [11]
- Patisiran: Wirkung über RNA-Interferenz
- Inotersen: Antisense-Oligonukleotid
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E85.-: Amyloidose
- Exklusive: Alzheimer-Krankheit (G30.‑)
- E85.0: Nichtneuropathische heredofamiliäre Amyloidose
- Familiäres Mittelmeerfieber
- Hereditäre amyloide Nephropathie
- E85.1: Neuropathische heredofamiliäre Amyloidose
- Amyloide Polyneuropathie (Portugiesischer Typ)
- E85.2: Heredofamiliäre Amyloidose, nicht näher bezeichnet
- E85.3: Sekundäre systemische Amyloidose
- Amyloidose in Verbindung mit Hämodialyse
- E85.4: Organbegrenzte Amyloidose
- Lokalisierte Amyloidose
- E85.8: Sonstige Amyloidose
- E85.9: Amyloidose, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 261-2023-1/3: Kurative medikamentöse Therapieoption bei kardialer ATTR-Amyloidose?
- Studientelegramm 250-2023-2/3: Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie der kardialen Amyloidose
- Studientelegramm 85-2019-2/3: Karpaltunnelsyndrom als erster Hinweis auf eine (kardiale) Amyloidose?
- Studientelegramm 43-2018-3/3: ATTRACTive neue Behandlungsmöglichkeit für die kardiale Amyloidose?
- Studientelegramm 35-2018-2/3: Neue, RNA-basierte Therapie für die hereditäre Transthyretin-Amyloidose
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