Zusammenfassung
Der Tränenapparat wird eingeteilt in tränenbildende und tränenableitende Strukturen. An der Tränenbildung ist neben den Drüsen der Augenlider und den Becherzellen der Bindehaut v.a. die Tränendrüse beteiligt. Sie liegt am oberen lateralen Orbitarand und ist für den serösen Anteil der Tränenflüssigkeit verantwortlich. Relevante Pathologien der Tränendrüse sind insb. akute oder chronische Entzündungen, die durch systemische Erkrankungen oder lokale Infektionen hervorgerufen werden können. Die Therapie erfolgt in Abhängigkeit von der jeweiligen Ursache mit entsprechenden konservativen Maßnahmen. Tumoren der Tränendrüse werden meist chirurgisch exstirpiert.
Die ableitenden Tränenwege (Tränenpünktchen → Tränenröhrchen → Tränensack → Tränen-Nasen-Gang) leiten die Tränenflüssigkeit in die Nase ab. Kommt es hier zu Abflussbehinderungen, können insb. Infektionen des Tränensacks auftreten. Therapeutisch kommt ein konservatives (medikamentöses) oder interventionelles Vorgehen (Sondierung, Überdruckspülung, Dakryozystorhinostomie) infrage.
Akute Dakryoadenitis (Tränendrüsenentzündung)
Definition
- Akute Dakryoadenitis: Akute, schmerzhafte Entzündung der Tränendrüse
Epidemiologie [1]
- Häufigkeit: Selten
- Alter: Meist im Kindesalter
Ätiologie
- Erreger: Staphylokokken, Streptokokken, Influenzavirus, Epstein-Barr-Virus, Mumpsvirus, Corynebacterium diphtheriae
- Primäre Infektion (insb. Staphylokokken, Streptokokken)
- Im Rahmen systemischer Infektionen (z.B. bei Mumps, Influenza, Mononukleose, Masern, Scharlach, Röteln, Diphtherie)
- Sekundäre Infektion (z.B. bei Hordeolum, Konjunktivitis, Trauma)
Klinik
- Meist einseitige, sehr schmerzhafte Schwellung und Rötung am lateralen Oberrand der Orbita (Paragrafenform des Oberlids)
Diagnostik
- Abstrich mit Bakterienkultur
- Ggf. Labor: BB, CRP
Differenzialdiagnosen [1]
- Hordeolum
- Abszess im Lidbereich
- Orbitaphlegmone
Therapie
- Feucht-warme Umschläge
- Desinfizierende Umschläge, bspw. mit Ethacridinlactat-Monohydrat
- Orale Antiphlogistika
- Paracetamol
- Erwachsene
- Kinder
- Ibuprofen
- Erwachsene
- Kinder
- Paracetamol
- Ggf. Antibiotika
- Erythromycin topisch
- Plus Cefuroxim systemisch , für pädiatrische Dosierungen siehe: Cefuroxim (pädiatrisch)
- Ggf. Abszessspaltung
- Ggf. Behandlung der systemischen Grunderkrankung
Chronische Dakryoadenitis
Definition
- Chronische Dakryoadenitis: Chronische, meist schmerzlose Entzündung der Tränendrüse
Ätiologie
- Infektion durch Bakterien, Viren oder Pilze, ggf. infolge einer akuten Dakryoadenitis
- Sekundär im Rahmen systemischer Erkrankungen
Klinik
- Ein- oder beidseitige, meist schmerzlose Schwellung am lateralen Orbitarand
- Langsame Progredienz
Diagnostik
- Abstrich mit Bakterienkultur
- Ggf. Labor: BB, CRP
- Bei V.a. eine systemische Grunderkrankung: Fokussuche
Therapie
- Therapiemaßnahmen siehe: Akute Dakryoadenitis
- Ggf. Behandlung der systemischen Grunderkrankung
Sonderform: Mikulicz-Syndrom (IgG4-assoziierte Dakryoadenitis und Sialadenitis) [2][3]
- Definition: Reaktive, meist beidseitige Entzündung von Tränen- und Speicheldrüsen im Rahmen systemischer Erkrankungen
- Klinik: Auftreten in Form größerer Pseudotumoren möglich
- Ätiologie: Assoziation mit Leukämien (insb. CLL), Lymphomen, Sarkoidose, Hyperthyreose, Sialose, Tuberkulose, Lues
- Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, ggf. Immunsuppressiva
Tumoren der Tränendrüse
Definition
- Tumoren der Tränendrüse benigner (häufig) oder maligner (selten) Genese
Ätiologie
- Benigne: Pleomorphes Adenom
- Maligne (selten): Pleomorphes Adenokarzinom, adenozystisches Karzinom, Mukoepidermoidkarzinom
Klinik
- Schwellung am lateralen Oberrand der Orbita
-
Bei starker Schwellung
- Exophthalmus
- Verdrängung des Auges nach medial-unten
- Doppelbilder
- Ggf. Schmerzen (bspw. beim adenozystischen Karzinom)
Diagnostik [1][4]
- Palpation
- Messung von Tumor und Lidspaltenweite
- Prüfen der Levatorfunktion
- Spaltlampenfotografie
- Prüfung des Spontanabflusses (Farbstofftest)
- Bildgebung: Sonografie, MRT und CT
- Ggf. Sondierung und Spülung der ableitenden Tränenwege
Therapie [4]
- Behandlung je nach Dignität und Klinik, bei Malignitätsverdacht Exstirpation in toto anzustreben
- Probeexzision nur in Ausnahmefällen!
- Bei wahrscheinlich benignem Tumor
- Dokumentation und regelmäßige Kontrolluntersuchungen
- Ggf. Exstirpation
- Bei Malignomverdacht
- I.d.R. operative Entfernung
- Immer histologische Untersuchung
- Ggf. plastische Deckung (bspw. Ohrknorpeltransplantat)
- Ggf. Intubation der Tränenwege
- Bei Durchmesser ≤0,5 cm ggf. Kryotherapie oder Radiatio
- Bei Weigerung des Patienten zur Tumorentfernung: Kontrolle der Wachstumsgeschwindigkeit (alle 4 Wochen, bei langsam wachsenden Tumoren alle 3 Monate); immer wieder über OP-Notwendigkeit und Prognose aufklären!
- I.d.R. operative Entfernung
- Kontrolluntersuchungen
- Sofort postoperativ, täglich in der ersten Woche, dann nach Befund
- Im Verlauf
- Bei Benignom: Kontrolle nach Befund
- Bei Malignom: Kontrolle alle 3–6 Monate (Rezidivgefahr)
Prognose
- Bei benignem Tumor: I.d.R. folgenloses Abheilen (in Abhängigkeit von den betroffenen/verletzten Strukturen); bei inkompletter Operation Rezidivneigung!
- Bei Malignom: Rezidivrisiko je nach Entität
Kongenitale Dakryostenose
Definition
-
Verengung des Ductus nasolacrimalis infolge angeborener Persistenz der Hasner-Membran (Plica lacrimalis) am Übergang zur Nasenschleimhaut
Epidemiologie
- Häufigkeit: 5–7% aller Neugeborenen [1]
Ätiologie
- Persistenz einer Schleimhautmembran am Übergang des Tränen-Nasen-Gangs in die Nasenschleimhaut → Behinderung des Tränenabflusses → Tränenträufeln; langfristig Dakryozystitis
Klinik
- Häufig beidseitige Epiphora (Tränenträufeln), meist einige Wochen nach der Geburt beginnend
- Ggf. Absonderung von purulentem bis schleimigem Sekret durch Druck auf den Tränensack
Diagnostik
- Ggf. Abstrich mit Bakterienkultur
- Ggf. Labor: BB, CRP
Therapie
- Konservativ
- Tränenkanalmassage
- Abschwellende Nasentropfen
- Bei akuten Infektionen: Topische Antibiotika
- Interventionell
- Sondierung der Tränenwege und Überdruckspülung in kurzer Allgemeinanästhesie
- Bei Therapieversagen: Dakryozystorhinostomie (z.B. Operation nach Toti)
Komplikationen
- Rezidivierende Konjunktivitiden
- Akute und chronische Dakryozystitis
Prognose [1]
- Spontane Heilung häufig innerhalb der ersten Lebenswochen
- 95% Heilung unter konservativer Therapie bis zum Ende des ersten Lebensjahres
- Bei der Notwendigkeit einer Intervention: 75% Heilung nach einmaliger Spülung oder Sondierung
Erworbene Dakryostenose
Definition
-
Tränenwegsstenose infolge abgelaufener Entzündungen, Trauma, Radiatio oder Altersdegeneration
Ätiologie
- Entzündung, Trauma, Radiatio oder Altersdegeneration → Narbige Tränenwegsstenose → Behinderung des Tränenabflusses → Tränenträufeln und langfristig Dakryozystitis
- Lokalisation der Stenose
Klinik
- Ein- oder beidseitige Epiphora (Tränenträufeln)
- Tränensee an der Unterlidkante, im Verlauf Ektropium
- Ggf. Absonderung von purulentem bis schleimigem Sekret durch Druck auf den Tränensack
Therapie [1]
- Bei klinischer Beeinträchtigung oder rezidivierender Dakryozystitis: Operative Therapie mittels Dakryozystorhinostomie (z.B. Operation nach Toti)
Komplikationen
- Rezidivierende Konjunktivitis
- Akute und chronische Dakryozystitis
Prognose [1]
- Unbehandelt häufig rezidivierende oder chronische Dakryozystitis
- Nach operativer Wiedereröffnung gute Prognose (80%)
Dakryozystitis (Tränensackentzündung)
Definition
- Dakryozystitis: Akute oder chronische Entzündung des Tränensacks (Saccus lacrimalis)
Ätiologie [1]
- Erreger: Pneumokokken, Staphylokokken, Pseudomonas, Anaerobier
- Infektion meist infolge einer Tränenwegsstenose unterhalb des Tränensacks → Stase der Tränenflüssigkeit → Bakterielle Besiedelung → Tränensackentzündung
Klinik [1]
- Akute Dakryozystitis
- Starke Entzündungsreaktion mit Schwellung, Schmerzen, Rötung und Ödem am medialen Unterrand der Orbita (unterer innerer Lidwinkel)
- Durch Druck auf den Tränensack Entleerung von schleimigem bis eitrigem Sekret
- Allgemeinsymptome: Fieber, Krankheitsgefühl, lokale Lymphknotenschwellung
- Chronische Dakryozystitis
- Epiphora
- Schwellung des Tränensacks
- Entleerung von schleimigem bis eitrigem Sekret bei Druck auf Tränensack
Diagnostik [1]
- Abstrich mit Bakterienkultur und Resistogramm
- Ggf. Labor: BB, CRP[5]
- Ggf. HNO-ärztliche Mitbetreuung
- Bei der chronischen Dakryozystitis zusätzlich
- Darstellung der Tränenwege mittels digitaler Subtraktionsdakryografie
- Ggf. Endoskopie
Therapie [1][5][6]
- Akutphase
- Feucht-warme Umschläge
- Desinfizierende Umschläge, bspw. mit Ethacridinlactat-Monohydrat
-
Antibiotika lokal und systemisch
- Erythromycin topisch
- Plus Cefuroxim systemisch , für pädiatrische Dosierungen siehe: Cefuroxim (pädiatrisch)
- Ggf. bedarfsgerechte Anpassung der Antibiotika-Therapie nach Resistogramm
- Spülung des Saccus lacrimalis
- Bei Abszedierung: Stichinzision zur Entlastung
- Bei Tränenwegsstenose: Nach Abklingen der Akutphase
- Dakryozystorhinostomie , z.B. Operation nach Toti
- Dakryozystektomie
- Tränenwegsintubation
- Laserintervention
- Eröffnen mittels Bohrer, Ballondilatation oder Stent
In der Akutphase ist die Sondierung der Tränengänge kontraindiziert, da die Gefahr der Keimverschleppung besteht!
Komplikationen [1]
- Dakryophlegmone (Ausbreitung der Infektion auf Lider und Wange) mit der Gefahr für die Entstehung einer Sepsis und Sinus-cavernosus-Thrombose
- Abszess
- Tränenwegsstenose
- Hornhautulkus (Ulcus serpens)
Prognose
- Bei Tränenwegsstenose ohne Wiedereröffnung: Häufig rezidivierende oder chronische Dakryozystitis
- Bei unbehindertem Tränenabfluss (spontan oder nach OP): I.d.R. folgenloses Abheilen
Dakryophlegmone
Definition
- Akute Weichteilinfektion im Bereich von Lidern und Wange, meist infolge einer Dakryozystitis (Tränensackentzündung)
Ätiologie
- Erreger: Pneumokokken, Staphylococcus aureus, Pseudomonas
- Infektion meist infolge einer Tränenwegsstenose → Stase der Tränenflüssigkeit → Bakterielle Besiedelung → Tränensackentzündung
Klinik
- Starke Entzündungsreaktion mit Schwellung, Schmerzen und Rötung im Bereich von Lidern und Wange
- Allgemeinsymptome wie Fieber, Krankheitsgefühl und lokale Lymphknotenschwellung
Diagnostik
- Abstrich mit Bakterienkultur
- Labor: BB, CRP
Therapie
- Akutphase
-
Antibiotika lokal und systemisch
- Erythromycin topisch
- Plus Cefuroxim systemisch , für pädiatrische Dosierungen siehe: Cefuroxim (pädiatrisch)
- Feucht-warme Umschläge
- Desinfizierende Umschläge, bspw. mit Ethacridinlactat-Monohydrat
- Bei Abszedierung: Stichinzision zur Entlastung
-
Antibiotika lokal und systemisch
- Bei Tränenwegsstenose: Nach Abklingen der Akutphase Dakryozystorhinostomie, z.B. Operation nach Toti
Komplikationen
- Orbitaphlegmone
- Sepsis
- Sinus-cavernosus-Thrombose
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- H04.-: Affektionen des Tränenapparates
- Exklusive: Angeborene Fehlbildungen des Tränenapparates (Q10.4–Q10.6)
- H04.0: Dakryoadenitis
- Chronische Vergrößerung der Tränendrüse
- H04.1: Sonstige Affektionen der Tränendrüse
- Dakryops, Tränendrüsenatrophie, Trockenes Auge, Zyste
- H04.2: Epiphora
- H04.3: Akute und nicht näher bezeichnete Entzündung der Tränenwege
- Dakryozystitis (phlegmonös), Kanalikulitis, Peridakryozystitis, akut, subakut oder nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Dakryozystitis beim Neugeborenen (P39.1)
- H04.4: Chronische Entzündung der Tränenwege
- Dakryozystitis, Kanalikulitis, Mukozele des Tränenapparates, chronisch
- H04.5: Stenose und Insuffizienz der Tränenwege
- Dakryolith, Eversio puncti lacrimalis
- Stenose: Canaliculus lacrimalis, Ductus nasolacrimalis, Tränensack
- Dakryostenose
- H04.6: Sonstige Veränderungen an den Tränenwegen
- H04.8: Sonstige Affektionen des Tränenapparates
- H04.9: Affektion des Tränenapparates, nicht näher bezeichnet
- H06.-*: Affektionen des Tränenapparates und der Orbita bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H06.0*: Affektionen des Tränenapparates bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- C69.-: Bösartige Neubildung des Auges und der Augenanhangsgebilde
- C69.5: Tränendrüse und Tränenwege
- Ductus nasolacrimalis, Tränensack
- C69.5: Tränendrüse und Tränenwege
- D31.- : Gutartige Neubildung des Auges und der Augenanhangsgebilde
- D31.5: Tränendrüse und Tränenwege
- Ductus nasolacrimalis, Tränensack
- D31.5: Tränendrüse und Tränenwege
- Q10.-: Angeborene Fehlbildungen des Augenlides, des Tränenapparates und der Orbita
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.