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Geschlechtsinkongruenz

Letzte Aktualisierung: 20.3.2025

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Geschlechtsinkongruenz beschreibt die mangelnde Übereinstimmung zwischen der individuellen Geschlechtsidentität und dem aufgrund körperlicher Geschlechtsmerkmale zugewiesenen Geschlecht. Sie ist an sich nicht als krankheitswertig und, wie es die ICD-10 noch unter Transsexualismus deklariert, nicht als psychische Störung einzustufen, kann aber aufgrund von Stigmatisierung, Diskriminierung und/oder Geschlechtsdysphorie zu psychischen Störungen führen. Insb. Personen im Gesundheitswesen sollten sich dieser Probleme bewusst sein und für ein freundliches Umfeld sorgen, das es den Betroffenen ermöglicht, ihre Bedürfnisse zu erfüllen (siehe hierzu: Aufklärungsvideo zum Thema trans* und inter* im Gesundheitswesen unter Tipps & Links).

In der ICD-11 wird die Geschlechtsinkongruenz inzwischen unter „Conditions related to sexual health“ geführt.

Vermutlich gehen die steigenden Prävalenzzahlen der letzten Jahre mit der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz und Entpathologisierung der Diagnose einher. Meist stellen die Betroffenen die Geschlechtsinkongruenz bei sich selbst fest. Weitere diagnostische Maßnahmen dienen der Einschätzung des jeweiligen Leidensdruckes, dem Abklären von Differenzialdiagnosen und/oder Komorbiditäten sowie somatischen Vorerkrankungen.

Neben einer Beratung und ggf. psychotherapeutischen Begleitung spielen i.d.R. geschlechtsangleichende Behandlungen (Hormontherapie / chirurgische Therapie) eine Rolle. Ob und welche davon wahrgenommen werden, ist immer individuell mit den Behandlungssuchenden zu entscheiden.

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Terminologietoggle arrow icon

  • Geschlecht: Begriff, der alle Erwartungen und Rollen umfasst, die einem Individuum zugewiesen werden und i.d.R. an körperliche Geschlechtsmerkmale geknüpft ist
    • Sex: Bezeichnung für das bei Geburt zugewiesene Geschlecht
    • Gender: Bezeichnung für die soziale, gelebte und gefühlte Dimension von Geschlecht
  • Binäres Geschlechtsmodell: Modell, das von nur zwei Geschlechtern ausgeht (männlich und weiblich)
  • Geschlechtsidentität: Subjektives Empfinden, weiblich, männlich oder divers (bspw. nicht-binär) zu sein
  • Cis (cisgeschlechtlich, cisgender): Personen, deren Zuweisungsgeschlecht und Geschlechtsidentität übereinstimmen
  • Trans* (transgeschlechtlich, transgender, transident, transsexuell (veraltet) ): Personen, deren Zuweisungsgeschlecht nicht, nicht ganz oder nicht immer mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt
  • Geschlechtsinkongruenz (Diagnose nach ICD-11): Mangelnde Übereinstimmung zwischen der individuellen Geschlechtsidentität und dem aufgrund körperlicher Geschlechtsmerkmale zugewiesenen Geschlecht
  • Geschlechtsdysphorie (Diagnose nach DSM-5): Beschreibt das Leiden unter der Geschlechtsinkongruenz
  • Transition
    • Prozess der Annäherung an das empfundene Geschlecht
    • Kann soziale , medizinische und juristische Transitionsmaßnahmen umfassen
  • Queer: Bedeutung in Deutschland
    1. Sammelbezeichnung für „lesbisch, bisexuell, schwul, trans*, inter* und mehr“
    2. Selbstbezeichnung, bei der die Kategorien „homo-/heterosexuell“, „männlich/weiblich“, „cis-/transgeschlechtlich“ infrage gestellt werden
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Epidemiologietoggle arrow icon

Geschlechtsvariantes Verhalten im Kindesalter ist sehr häufig und das Spektrum vielfältig. Im Verlauf distanziert sich ein großer Teil wieder von der Geschlechtsinkongruenz, sodass bereits im Jugendalter niedrigere Häufigkeiten beschrieben sind. Die folgenden Angaben beziehen sich auf Erwachsene: [1][2]

  • Prävalenz (Stand 2016) : Basierend auf [3][4]
    • Selbsteinschätzung als Trans-Person: 351/100.000 Personen
    • Körpermodifizierenden Behandlungen: 9,2/100.000 Personen
    • Trans-bezogenen Diagnosen: 6,8/100.000 Personen
  • Geschlechtsidentität (Stand 2018): Binär > non-binär (⅔ : ⅓) [4]

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Diagnostiktoggle arrow icon

Die Geschlechtsinkongruenz an sich wird i.d.R. durch die Betroffenen selbst festgestellt. Vor Beginn einer Therapie sind jedoch weitere diagnostische Maßnahmen durchzuführen, die als ganzheitlicher Prozess körperliche, soziale, psychische und kulturelle Aspekte erfassen sollten. [4]

Exploration [4][5]

Hier gilt es, insb. den jeweiligen Leidensdruck einzuschätzen.

Weiterführende somatische Diagnostik [5][6]

Die somatische Diagnostik dient insb. der Erfassung von Vorerkrankungen, die ggf. Einfluss auf körpermodifizierende Behandlungen haben können.

Es sollte eine gute Balance zwischen suffizienter Diagnostik einerseits und Vermeidung unnötiger Therapieverzögerung andererseits gefunden werden. Bei diagnostischer Unsicherheit sind immer spezialisierte Fachkräfte hinzuzuziehen!

Begutachtungsrichtlinie (2020)

Die Kostenübernahme körpermodifizierender Behandlungen durch die Krankenkasse erfordert eine Begutachtung durch den MD (siehe ausführliche Begutachtungsanleitung (2020) unter Tipps & Links).

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ICD-10toggle arrow icon

Störungen der Geschlechtsidentität (F64)

Transsexualismus (F64.0) [4]

Diagnostische Kriterien des Transsexualismus nach ICD-10 (F64.0) [3]
A
  • Wunsch, als Angehörige des anderen Geschlechts zu leben und als solche akzeptiert zu werden; i.d.R. verbunden mit dem Wunsch, den eigenen Körper durch chirurgische und hormonelle Behandlungen dem bevorzugten Geschlecht so weit wie möglich anzugleichen
B
C

Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechterrollen (F64.1)

Diagnostische Kriterien des Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechterrollen nach ICD-10 (F64.1) [3]
A
  • Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts (Crossdressing), um sich vorübergehend dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen
B
  • Fehlen einer sexuellen Motivation für das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts
C
  • Kein Wunsch nach Geschlechtsumwandlung

Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters (F64.2)

Diagnostische Kriterien der Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters (F64.2) [3]
Bei Mädchen Bei Jungen
A
  • Andauerndes intensives Leiden daran, ein Mädchen zu sein, und erklärter Wunsch, ein Junge zu sein (nicht begründet mit kulturellen Vorteilen für Jungen); oder das Mädchen besteht darauf, bereits ein Junge zu sein
  • Anhaltendes intensives Leiden darunter, ein Junge zu sein, sowie intensiver Wunsch oder (seltener) Behauptung, bereits ein Mädchen zu sein
B
  • Entweder 1. oder 2.:
    1. Anhaltende deutliche Aversion gegen üblicherweise weibliche Kleidung und Bestehen auf typisch männlicher Kleidung
    2. Anhaltende Ablehnung weiblicher anatomischer Strukturen, die sich in mind. einem der folgenden Merkmale äußert:
      • Behauptung, einen Penis zu besitzen oder dass ein Penis wachsen wird
      • Ablehnung, im Sitzen zu urinieren
      • Versicherung, keine Brüste bekommen oder nicht menstruieren zu wollen
  • Entweder 1. oder 2.:
    1. Beschäftigung mit typisch weiblichen Aktivitäten
    2. Anhaltende Ablehnung männlicher anatomischer Strukturen, die sich durch mind. eine der folgenden wiederholten Behauptungen äußert:
      • Dass er zu einer Frau heranwachsen wird (nicht nur in einer weiblichen Rolle)
      • Dass sein Penis oder seine Hoden ekelhaft sind oder verschwinden werden
      • Dass es besser wäre, keinen Penis oder keine Hoden zu haben
C
  • Mädchen hat bis jetzt die Pubertät nicht erreicht
  • Junge hat bis jetzt nicht die Pubertät erreicht
D
  • Störung muss mind. 6 Monate vorliegen
  • Störung muss mind. seit 6 Monaten vorliegen
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ICD-11toggle arrow icon

  • Wesentliche Änderungen [1][7]
    • Neue Bezeichnung: Geschlechtsinkongruenz
      • Geschlechtsinkongruenz des Kindesalters: Über 2 Jahre anhaltende erlebte Inkongruenz zwischen der individuellen Geschlechtsidentität und dem aufgrund körperlicher Geschlechtsmerkmale zugewiesenen Geschlecht, mit Beginn vor der Pubertät
      • Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter: Persistierende Inkongruenz zwischen der individuellen Geschlechtsidentität und dem aufgrund körperlicher Geschlechtsmerkmale zugewiesenen Geschlecht
    • Entpathologisierung durch Zuordnung in die Kategorie „Conditions related to sexual health“
    • Behandlungswunsch als Diagnosekriterium entfällt
    • Binäre Sicht von Geschlecht (Mann und Frau) entfällt
  • Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
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Komorbiditätentoggle arrow icon

In ca. ⅔ der Fälle liegt bei Erstdiagnostik der Geschlechtsinkongruenz (meist reaktiv) eine psychische Störung vor. Wichtig ist die Einschätzung, ob das Inkongruenzerleben durch eine Störung ausgelöst wird und nach deren adäquater Therapie aufhört. [4][5]

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Folgende Differenzialdiagnosen können auch komorbide vorliegen. Wichtig ist die Einschätzung, ob das Inkongruenzerleben durch eine Störung ausgelöst wird und nach deren adäquater Therapie aufhört. Ist dies der Fall, sollte keine Geschlechtsinkongruenz diagnostiziert werden. Besteht das Inkongruenzerleben fort, handelt es sich um eine komorbide Störung und es sollten beide Diagnosen entsprechend therapiert werden. [4][5]

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Beratung und Psychotherapie [2][4][5]

Beratung und unterstützende psychotherapeutische Interventionen sind wegbegleitend zu verstehen und mindern bereits häufig die Geschlechtsdysphorie.

  • Allgemeine Grundsätze
    • Im Kindes- und Jugendalter
      • Akzeptierende, wertfreie und abwartende Haltung einnehmen
      • Eltern und soziales Umfeld psychoedukativ beraten
    • Bei Erstkontakt: Art der Ansprache (Name, Pronomen) klären
    • Frühzeitig diskriminierende Erfahrungen erfragen
    • Ggf. frühere psychiatrische Diagnosen revidieren
    • Ggf. Vertrauenspersonen und Verwandte einbeziehen
  • Mögliche Ziele
    • Entwicklung/Förderung von Selbstakzeptanz und Identitätsentwicklung
    • Unterstützung
    • Behandlung von Komorbiditäten

Körpermodifizierende Behandlungen (Auswahl)

Eine geschlechtsangleichende Behandlung kann eine Hormontherapie und/oder chirurgische Behandlungen beinhalten. Ob und in welcher Reihenfolge die hier aufgeführten Maßnahmen in Anspruch genommen werden, ist mit den Betroffenen individuell zu entscheiden. Generell ist eine fachgerecht diagnostizierte Geschlechtsinkongruenz/Geschlechtsdysphorie Voraussetzung für jegliche körpermodifizierende Behandlung.

Allgemeine Grundsätze [1][2][3][4]

  • Ausführliche Beratung über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten
  • Gestaltung eines ergebnisoffenen Transitionsprozesses
  • Ggf. mit psychotherapeutischer Begleitung
  • Bei Kindern: Watchful Waiting bis in die ersten Phasen der Pubertät

Hormontherapie

Sowohl die pubertätsunterdrückende als auch die geschlechtsangleichende Hormontherapie können mit irreversiblen Folgen bis hin zur Unfruchtbarkeit einhergehen. [1]

Pubertätsunterdrückende Hormontherapie [1][2][8]

Die Datenlage hierzu ist sehr gering und der Einsatz umstritten. Es bestehen auch Zweifel an den Vorteilen bzw. zunehmende Sorgen um die Nachteile einer pubertätsunterdrückenden Hormontherapie. Einige Länder schränken die Gabe bereits deutlich ein.

Geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) [4][9]

Die hier aufgeführten Hormone/Substanzen haben keine Zulassung für die Geschlechtsinkongruenz. Die Gabe erfolgt im Off-Label Use.

Geschlechtsangleichende maskulinisierende Hormontherapie
Hormone/Substanzen Anwendung/Dosierung (Off-Label Use) Nebenwirkungen (Auswahl)
Testosteron

Ggf. Gestagene oder GnRH-Analoga

(Zur Menstruationshemmung)

  • Abhängig vom jeweiligen Präparat
Geschlechtsangleichende feminisierende Hormontherapie
Hormone/Substanzen Anwendung/Dosierung (Off-Label Use) Nebenwirkungen (Auswahl)

Östrogene

(17β-Östradiol oder 17β-Östradiolvalerat )

In Kombination mit [10]
Antiandrogene
  • Abhängig vom jeweiligen Präparat

Unter fachärztlicher Betreuung und gut eingestellten/fehlenden kardiovaskulären Einflussfaktoren (bspw. Hypertonus, Übergewicht, Rauchen) weist die Hormonbehandlung i.d.R. ein akzeptables Risikoprofil auf und dient als sichere Behandlungsmethode! [4][5]

Behandlungssuchende sollten darüber aufgeklärt werden, dass die Testosteronsubstitution eher zu einer Libidosteigerung und die Testosteronsuppression eher zu einer Libidominderung führt! [4]

Chirurgische Therapie [4][6][10]

Mögliche feminisierende Operationen

  • Im Gesicht: Bspw.
    • Adamsapfelkorrektur
    • Lippenvergrößerung
    • Nasenkorrektur
    • Augmentation der Jochbein- und Wangenregion
    • Feminisierung der Kiefer- und Kinnregion
  • Im Brustbereich: Brustaufbau (Mammaplastik), bspw. durch Silikonimplantate, nach Ausschöpfen hormoneller Möglichkeiten
  • Im Genitalbereich
    • Resektion: Orchiektomie, Penektomie
    • Rekonstruktion: Vagino- und Vulvoplastik
      • Neovagina: Verlagerung der Penishaut als gestielter Lappen in den präparierten Vaginalraum (penile Inversionsplastik)
      • Innere und äußere Labien: Bildung aus Skrotalhaut
      • Neoklitoris: Retransplantation der Glans penis unter Erhalt des neurovaskulären Bündels
  • Ggf. Phonochirurgie
    • Indikation für Phonochirurgie: Im Vorfeld mind. 2-jährige logopädische Behandlung ohne ausreichenden Erfolg
    • Mögliche Verfahren: Verkürzung der Stimmlippen, Verringerung der schwingenden Stimmlippenmasse, Erhöhung der Stimmlippenspannung
    • Anschließend logopädische Weiterbehandlung

Mögliche maskulinisierende Operationen

  • Im Brustbereich: Mastektomie, Liposuktion, Mamillentransposition, -transplantation
  • Im Genitalbereich
    • Resektion
    • Rekonstruktion
      • Klitorispenoid/Metaidoioplastik: Schaffung eines Mikrophallus durch chirurgische Vergrößerung und Verlagerung der Klitoris , Bildung der Harnröhre aus inneren Labien und ggf. Vaginalhaut
      • Phalloplastik/Penoidkonstruktion: Schaffung eines Neophallus, inkl. Glansplastik und einer Neourethra, i.d.R. aus einem Gewebelappen
      • Skrotumplastik: Schaffung eines neuen Hodensacks aus den äußeren Labien; kann ein Hodenimplantat enthalten
  • Ggf. Phonochirurgie: Bei vorangegangener Testosteronbehandlung häufig nicht mehr notwendig

Weitere Verfahren

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

F64.-: Störungen der Geschlechtsidentität

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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