Zusammenfassung
Akute Veränderungen der Serumkaliumkonzentration stellen aufgrund der zentralen Bedeutung für das Ruhemembranpotenzial und der damit verbundenen Zellerregbarkeit eine große Gefahr dar. Lebensbedrohlich sind hierbei insbesondere maligne Herzrhythmusstörungen. Hyperkaliämien beruhen häufig auf einer eingeschränkten Nierenfunktion, können aber bspw. auch nach der Gabe kaliumsparender Diuretika oder endokrin bedingt auftreten. Zu niedrige Kaliumspiegel hingegen treten beispielsweise bei vermehrten gastrointestinalen Verlusten auf (Erbrechen, Durchfall). Veränderungen des Aldosteron- und Cortisolspiegels spielen durch die Mineralocorticoid-vermittelte renale Kaliumausscheidung ebenfalls eine wichtige Rolle. Bei allen Elektrolytentgleisungen sollte eine kritische Medikamentenanamnese erfolgen (z.B. Diuretika, Laxanzien, ACE-Hemmer). Zur Korrektur der extrazellulären Kaliumkonzentration stehen unterschiedliche Vorgehen zur Auswahl, die unter regelmäßigen Kontrollen zügig zum Einsatz kommen sollten.
Definition
- Definition nach Referenzbereichen im Labor
- Hypokaliämie = Serumkalium <3,6 mmol/L
- Hyperkaliämie = Serumkalium >5,2 mmol/L
- Definition des European Resuscitation Council [1]
- Hypokaliämie
- Leichte Hypokaliämie = Serumkalium 3,0–3,4 mmol/L
- Mittelgradige Hypokaliämie = Serumkalium 2,5–2,9 mmol/L
- Schwere Hypokaliämie = Serumkalium <2,5 mmol/L
- Hyperkaliämie
- Leichte Hyperkaliämie = Serumkalium 5,5–5,9 mmol/L
- Mittelgradige Hyperkaliämie = Serumkalium 6,0–6,4 mmol/L
- Schwere Hyperkaliämie = Serumkalium ≥6,5 mmol/L
- Hypokaliämie
Ätiologie
Hypokaliämie
- Kaliumverluste
-
Renal
- Endokrin: Hyperaldosteronismus, Hypercortisolismus
- Medikamentös
- Renal tubuläre Azidose (Typen I und II)
- Gastrointestinal
- Schwitzen
-
Renal
- Geringe Kaliumzufuhr mit der Nahrung
- Essstörung
- Fehlernährung und Mangelernährung
- Umverteilung
- Alkalose
- Insulintherapie
- Katecholamine
- Hypomagnesiämie
„Wo K+ ist, da ist auch H+!“
„Glucose nimmt Kalium mit in die Zelle!“: (I)nsulin → (I)ntrazelluläres K+
Hyperkaliämie
- Bilanzstörung
- Renal
-
Endokrin
- Hypocortisolismus
- Hypoaldosteronismus
- Insulinmangel
- Medikamentös
-
Gastrointestinal
- Übermäßige Zufuhr (bspw. Verzehr großer Mengen von Bananen und Trockenfrüchten)
- Erhöhte Kaliumfreisetzung
- Rhabdomyolyse, Hämolyse, Tumorlyse-Syndrom
- Verbrennung, Traumata
- Massentransfusion bzw. Transfusion inadäquat gelagerter Erythrozytenkonzentrate
- Umverteilung
Eine Hyperkaliämie beruht nicht selten auf einer Fehlmessung (Pseudohyperkaliämie). Bei unsachgemäßer Blutgewinnung und -verarbeitung kann es zur Hämolyse kommen, bei der intrazelluläres Kalium aus den Blutzellen ins Serum gelangt!
Pathophysiologie
Aufgrund der klinischen Relevanz des Kaliumhaushaltes und der in diesem Zusammenhang möglichen Erkrankungen und beeinflussenden Medikamente lohnt sich ein genauerer Blick auf die einzelnen Stoffwechselvorgänge:
Einfluss der Aldosteronaktivität
Eine wesentliche „Stellschraube“ des Kaliumhaushaltes ist die Aldosteronaktivität.
- Grundlagen
- Aldosteron bewirkt in der Niere eine vermehrte Kaliumausscheidung zugunsten einer verstärkten Natrium- und (sekundär) Wasserretention
- Somit führt ein Hyperaldosteronismus zu einer Hypokaliämie
- Da Cortisol auch einen mineralocorticoiden Effekt besitzt, führt ein Hypercortisolismus ebenfalls zur Hypokaliämie
- Ursachen für eine Hypokaliämie
- Ursachen für eine Hyperkaliämie
- Hypoaldosteronismus
- Hypocortisolismus
Begleitende pH-Verschiebungen
Mit Veränderungen der Kaliumkonzentration gehen typische Veränderungen des pH-Wertes einher, die sich leicht merken lassen: „K+ verhält sich ähnlich wie H+“. Vermehrte K+-Ionen extrazellulär führen auch zu erhöhten extrazellulären H+-Konzentrationen
- Hypokaliämie = freie K+-Konzentration↓ ↔︎ freie H+-Ionen↓ = pH↑
- Ausnahme: Bei der renal-tubulären Azidose kommt es trotz Hypokaliämie zu einer metabolischen Azidose
- Hyperkaliämie = freie K+-Konzentration↑ ↔︎ freie H+-Ionen↑ = pH↓
Eine Hyperkaliämie geht in der Regel mit einer Azidose einher und umgekehrt! Eine Hypokaliämie geht in der Regel mit einer Alkalose einher und umgekehrt!
Einfluss auf das Ruhemembranpotenzial
Schließlich hat Kalium einen entscheidenden Einfluss auf das Ruhemembranpotenzial
- Freie (=extrazelluläre) K+-Konzentration↓ → Konzentrationsgradient zwischen extra- und intrazellulär↑ → Ruhepotenzial↓ = Negativerer Wert als −90mV → Erregbarkeit↓
- Freie (=extrazelluläre) K+-Konzentration↑ → Konzentrationsgradient zwischen extra- und intrazellulär↓ → Ruhepotenzial↑ = Positiverer Wert als −90mV → Erregbarkeit↑ → Langfristig gestörte Repolarisation und somit Parese
Der Einfluss auf die Erregbarkeit zeigt sich insbesondere bei akuten extrazellulären Veränderungen, chronische Konzentrationsveränderungen führen zu einer intrazellulären Anpassung!
Symptomatik
Hypokaliämie [2]
- Hyperpolarisation → Verringerte Erregbarkeit von Nervenzellen
- Ermüdung
- Muskelschwäche, Muskeleigenreflexe↓, Paresen, aber auch Krämpfe möglich
- Obstipation
- Herzrhythmusstörungen: Extrasystolen, Neigung zur Rhythmusinstabilität bis hin zu Kammerflimmern
- Digitalis-Unverträglichkeit
- Polyurie
Hyperkaliämie
- Hypopolarisation → Erregbarkeit↑
- Muskelschwäche, Muskelzuckungen
- Langfristig: Paresen (durch gestörte Repolarisation)
- Parästhesien
- Herzrhythmusstörungen: Typischerweise Bradykardien bis hin zum Sinusarrest, bei schweren Hyperkaliämien auch Kammerflimmern und Herzstillstand möglich
Hypo- und Hyperkaliämien können sich klinisch teilweise beide durch ähnliche unspezifische Symptome äußern (z.B. Muskelschwächen, Paresen und Herzrhythmusstörungen bis hin zu Kammerflimmern)!
Diagnostik
Klinische Chemie
-
Serum-Elektrolytwerte (Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium, Phosphat, Chlorid )
- Mögliche Pseudohyperkaliämie beachten
- Ggf. Kalium im Urin
- BGA → pH-Einfluss auf Kaliumhaushalt
Ein zu lange anliegender Stauschlauch kann durch intravasale Hämolyse zu falsch-hohen Kaliumwerten führen!
EKG
- EKG bei Hypokaliämie
- Abflachung der T-Welle
- ST-Senkung und andere ST-Streckenveränderungen
- Betonte U-Welle, evtl. TU-Verschmelzungswelle
- Vermehrte Extrasystolen und Herzrhythmusstörungen (insb. bei Digitalisglykosid-Medikation)
- Selten: QT-Zeit verlängert
- EKG bei Hyperkaliämie
- Hohe und spitze T-Welle
- QRS-Verbreiterung ≥0,11 s
- ST-Streckenveränderungen mit ST-Senkung und ST-Verschmelzungen (Sinuswelle) möglich
- P-Abflachung, Verlängerung der PQ-Zeit, Bradykardie, ventrikuläre Tachykardie, Asystolie, PEA
- Bei beiden Elektrolytstörungen sind Herzrhythmusstörungen bis Kammerflimmern möglich!
„No pot, no tea!“ → Zu wenig Kalium (engl. potassium) führt zu einer T-Abflachung und umgekehrt.
Kaliumwerte <3 mmol/L und >6 mmol/L stellen einen Notfall dar und müssen sofort behandelt werden!
Differenzialdiagnosen
Hypokaliämie – seltene Differenzialdiagnosen
- Substitution von Vitamin B12 und/oder Folsäure bei ausgeprägten Mangelzuständen mit makrozytärer Anämie
- Familiäre periodische hypokaliämische Lähmung
- Pseudohypokaliämie
- Lakritzabusus (aldosteronartige Wirkung)
- Endokrinologische Differenzialdiagnosen
-
Syndrome mit arterieller Hypertonie, renalem Kaliumverlust und Alkalose
- Liddle-Syndrom: Das Liddle-Syndrom ist eine Ionenkanalerkrankung mit Defekt eines Natriumkanals im Sammelrohr der Nieren, die im Krankheitsverlauf zu Hypertonie, Hypokaliämie und Alkalose führen kann.
- Adrenogenitales Syndrom mit Funktionsstörungen des Aldosteron-Stoffwechsels (Defekt/Mangel der 11β-Hydroxylase oder der 11β-Hydroxysteroiddehydrogenase )
-
Syndrome mit arterieller Hypotonie, renalem Kaliumverlust und Alkalose
- Bartter-Syndrom und Pseudo-Bartter-Syndrom
- Gitelman-Syndrom
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Syndrome mit arterieller Hypertonie, renalem Kaliumverlust und Alkalose
-
Intoxikationen
- Bariumvergiftung
- Vergiftungen mit schwer resorbierbaren Anionen (z.B. Sulfate, Bicarbonatexzess)
- Villöses Adenom des Kolons
Hyperkaliämie – seltene Differenzialdiagnosen
- Pseudohyperkaliämie
- Periodische hyperkaliämische Lähmung
- Pseudohypoaldosteronismus: Klinisch entwickelt sich eine variabel ausgeprägte Trias aus Hyperkaliämie, Hypotonie und Wachstumsverzögerung im Kindesalter.
- Typ 1: Mutationen an einem Natriumkanal des Sammelrohrs (ENaC, OMIM 264 350, autosomal-dominant) oder am Mineralocorticoidrezeptor (OMIM 177 735)
- Typ 2 (Gordon-Syndrom): Mutationen in den Genen für die Tubulusproteine WNK1 oder WNK4
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie der Hypokaliämie
- Kaliumsubstitution
- Ggf. kausale Behandlung oder Modifikation der Therapie, bspw.
- Absetzen der auslösenden Medikation (bspw. Diuretika)
- Ergänzung von Spironolacton in einem diuretischen Therapiekonzept, wenn sinnvoll (bspw. bei Herzinsuffizienz)
- Abklärung der Ursache
Da Kalium venentoxisch ist und Herzrhythmusstörungen auslösen kann, sollte es bei i.v. Applikation stets langsam (max. 20 mmoL/h) verabreicht werden! Wenn möglich, ist die Gabe p.o. immer sicherer!
Leichte Hypokaliämie
- Serumkalium: 3,0–3,4 mmol/L
- Kaliumsubstitution p.o.
Mittelgradige und schwere Hypokaliämie
- Serumkalium
- 2,5–2,9 mmol/L = Mittelgradige Hypokaliämie
- <2,5 mmol/L = Schwere Hypokaliämie
- Kaliumsubstitution i.v.
- Kaliumchlorid-Lösung
- Magnesiumgabe bei schwerer Hypokaliämie und unzureichendem Anstieg unter alleiniger Kaliumsubstitution, da die Na+/K+-ATPase Mg2+-abhängig arbeitet
Therapie der Hyperkaliämie
Vor Einleitung einer Therapie sollte bei erstmalig erhöht gemessenen Kaliumwerten die Möglichkeit einer Fehlmessung (sog. Pseudohyperkaliämie) berücksichtigt und ggf. durch erneute Messung ausgeschlossen werden!
Leichte Hyperkaliämie
- Serumkalium: >5,2 mmol/L bzw. >5,5 mmol/L
- Maßnahmen
- Ausreichende Hydratation gewährleisten
- Kaliumarme Ernährung: Kaliumzufuhr täglich max. 2.500 mg anstreben
-
Vormedikation bezüglich Hyperkaliämie-Risiko prüfen
- Ggf. Meiden riskanter Medikamente (siehe Elektrolytstörungen Kalium - Ätiologie) und/oder
- Ergänzung einer der Hyperkaliämie-entgegenwirkenden Therapieform
- Kationenaustauscherharze (Natrium- oder Calciumsalze des Polystyrolsulfonats)
Mittelgradige und schwere Hyperkaliämie
- Serumkalium
- 6,0–6,4 mmol/L = Mittelgradige Hyperkaliämie
- ≥6,5 mmol/L = Schwere Hyperkaliämie
- Maßnahmen: Notfalltherapie
Notfalltherapie der Hyperkaliämie [1][3] | ||||
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Maßnahme | Indikation | Wirkung | Wirkungseintritt | Wirkdauer |
Calciumgluconat i.v. |
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Glucose-Insulin-Infusion |
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β2-Sympathomimetika inhalativ |
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Natriumbicarbonat i.v. |
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Furosemid und isotone Kochsalzlösung |
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Polystyrol (Kationenaustauscher) p.o. oder rektal |
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Hämodialyse |
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Bei einer schweren Hyperkaliämie gewinnt man zunächst Zeit durch Kardioprotektion und Kaliumverschiebung nach intrazellulär, um im nächsten Schritt die Elimination des überschüssigen Kaliums voranzutreiben!
Studientelegramme zum Thema
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- Studientelegramm 238-2022-3/3: Patiromer – Ende des Diamantenfiebers
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- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 62-2022-1/3: K+ may be more than OK at making bad rhythms go away
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Therapie der Hyperkaliämie (Oktober 2019)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E87.-: Sonstige Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes sowie des Säure-Basen-Gleichgewichts
- E87.5: Hyperkaliämie
- Kaliumüberschuss
- Vermehrtes Vorhandensein von Kalium
- E87.6: Hypokaliämie
- Kaliummangel
- E87.5: Hyperkaliämie
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.