Zusammenfassung
Das Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) ist eine massive Reaktion der Lunge auf diverse schädigende Faktoren und geht mit einer schweren Einschränkung der Oxygenierung einher. Unabhängig von der auslösenden Noxe kommt es zu einer Kaskade pathophysiologischer Reaktionen, die in drei Phasen verläuft und als akut lebensbedrohliches Krankheitsbild in einem Lungenödem mit hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz mündet. Die kausale Therapie besteht in der Behandlung der auslösenden Ursache, begleitend ist häufig eine differenzierte Beatmungstherapie erforderlich. In schweren Fällen kann der Einsatz einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) erwogen werden. Die Letalität ist selbst bei adäquater Therapie hoch.
Definition
Berlin-Definition des ARDS [1][2]
Berücksichtigung klinischer, radiologischer, atemmechanischer und laborchemischer Befunde.
- Symptomatik
- Akut innerhalb einer Woche nach einem Ereignis oder
- Verschlechterung respiratorischer Symptome
- Radiologie: Beidseitig diffuse Infiltrate im Röntgen-Thorax
- Voraussetzung: Nicht erklärbar durch Pleuraerguss, Atelektase oder Raumforderung
- Atemmechanik: Respiratorisches Versagen
- Voraussetzung: Nicht durch kardiale Ursachen oder Volumenüberschuss zu erklären
- Labor: Horovitz-Quotient (maßgeblicher Parameter für die Schweregradeinteilung des ARDS)
Die Berlin-Definition des ARDS wird aufgrund ihres Alters (Veröffentlichung im Jahr 2012) teilweise als nicht mehr zeitgemäß betrachtet, ist aktuell aber weiterhin gültig! [3]
Globale Definition des ARDS [4]
Vor dem Hintergrund der medizinischen Entwicklungen seit der Veröffentlichung der Berlin-Definition wurde im Jahr 2024 eine Anpassung der Definition vorgeschlagen.
- Wesentliche Anpassungsvorschläge
- Berücksichtigung der HFNO
- Lungensonografie als mögliche Alternative zu Röntgen-Thorax bzw. CT
- spO2/FiO2-Quotient als mögliche Alternative zum Horovitz-Quotienten
- Neue Kategorien der globalen Definition
- Nicht-intubiertes ARDS
- ARDS im ressourcenbegrenzten Setting
Die globale Definition des ARDS ist bisher nicht allgemein anerkannt – kritisch gesehen werden bspw. eine möglicherweise zu hohe Falsch-positiv-Rate bei alleiniger Lungensonografie (ohne Röntgen-Thorax bzw. CT) und die geringere Verlässlichkeit der Pulsoxymetrie im Vergleich zur arteriellen Blutgasanalyse! [5]
Schweregradeinteilung des ARDS
Die Einteilung des Schweregrades erfolgt anhand des Horovitz-Quotienten. Dieser ist ein Indikator für das Ausmaß einer Oxygenierungsstörung.
Horovitz-Quotient
- Berechnung: Quotient aus paO2 und FiO2
- Physiologische Werte: 350–500 mmHg
- Pathologische Werte: Durch Absinken des paO2 und/oder Anheben der FiO2
- Absinken des paO2 aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz
- Anheben der FiO2 durch maschinelle Beatmung
Schweregrad
Ätiologie
Das ARDS ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern ein Syndrom, welches in unterschiedlichen Formen auftritt und durch eine Vielzahl verschiedener Noxen ausgelöst werden kann.
Pulmonale Auslöser (direkte Ursachen) [6][7][8]
- Pneumonie (bakteriell, viral, mykotisch, parasitär)
- Lungenembolie (bspw. Fettembolie, Fruchtwasserembolie)
- Chemische Reizung (bspw. durch Aspiration, Inhalation)
- Mechanische Schädigung (bspw. durch Lungenkontusion)
Systemische Auslöser (indirekte Ursachen)
- Infektion bzw. Sepsis mit extrapulmonalem Fokus
- Störung der Mikrozirkulation (Schock)
-
Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS), bspw. bei
- Sterilen Entzündungen (bspw. akute Pankreatitis)
- Ausgedehnten Quetschwunden, Polytrauma, Verbrennungen
- Disseminierte intravasale Gerinnung
- Medikamente und Toxine (Salicylsäure, trizyklische Antidepressiva, Bleomycin, organische Phosphate u.v.m.)
- Extrapulmonales Organversagen (bspw. Nierenversagen, Leberversagen)
- Metabolische Entgleisung (bspw. diabetische Ketoazidose)
Die Ursache eines ARDS ist in den meisten Fällen eine Pneumonie oder eine extrapulmonale Sepsis!
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 7/100.000 Einwohner pro Jahr in Europa [9][10]
- Letalität
- Mildes ARDS: 16–37%
- Moderates ARDS: 31–48%
- Schweres ARDS: 44–59%
- Unterschiedliche Angaben zur Letalität v.a. bedingt durch
- Patientenkollektiv (Alter, Begleiterkrankungen, Ursache des ARDS)
- Länder- und krankenhausspezifische Therapiekonzepte
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
Krankheitsverlauf [7][11]
Unabhängig von der auslösenden Noxe kommt es zu einer Kaskade pathophysiologischer Reaktionen, die vereinfacht in drei Phasen verläuft. Diese können sich zeitlich überschneiden und betreffen hauptsächlich die endothelialen und epithelialen Strukturen.
Krankheitsverlauf beim ARDS | ||||
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Phasen | Zeitfenster | Makroskopischer Lungenbefund | Mikroskopischer Lungenbefund | Pathophysiologie |
Exsudative Phase |
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Proliferative Phase |
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Fibrotische Phase |
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Pathophysiologische Mechanismen
- Störung der Luft-Blut-Schranke (alveolo-kapillären Schranke)
- Zunahme der Permeabilität → Einstrom proteinreicher Flüssigkeit in Interstitium und Alveolen
- Verlängerung der Diffusionsstrecke, Verkleinerung der Gasaustauschfläche → Störung des Gasaustausches
- Folge: Nicht-kardiales Lungenödem, Hypoxämie
- Verminderung von Surfactant
- Inaktivierung durch Plasmaproteine (aus Ödem)
- Verminderte Produktion durch Untergang von Typ-2-Pneumozyten
- Folge: Alveolarkollaps, Atelektasen
- Perfusion nicht-belüfteter Lungenabschnitte
- Beimischung gemischt-venösen Blutes in den Körperkreislauf → Shuntvolumen↑
- Folge: Intrapulmonaler Rechts-links-Shunt
- Pulmonalarterielle Druckerhöhung
- Hypoxämie → Hypoxische pulmonale Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Mechanismus) → Widerstandserhöhung
- Inhibierung vasodilatierender Faktoren (bspw. NO) → Teilweises Außerkraftsetzen der Autoregulation → Vasokonstriktion
- Inflammation → Aktivierung der Gerinnungskaskade → Mikrothromben → Erhöhung des pulmonalarteriellen Widerstandes
- Folge: Rechtsherzbelastung
- Inflammation
- Unspezifische Reaktion auf auslösende Noxe → Aktivierung von Granulozyten → Freisetzung von Mediatoren → Zerstörung von Pneumozyten → Aktivierung weiterer Gerinnungs- und Inflammationskaskaden
- Mediatorfreisetzung → Interaktion mit anderen Organen („Crosstalk“) → Insuffizienz anderer Organe
- Folge: Verstärkung der inflammatorischen Prozesse, Organversagen (Niere, Leber)
- Circulus vitiosus: Schädigung von Endothel und Epithel ↔︎ Proteinreiches Ödem ↔︎ Inhomogene Belüftung ↔︎ Mechanische Belastung ↔︎ Verstärkung der Entzündungsreaktion ↔︎ Weitere Schädigung
Symptomatik
Auch klinisch lässt sich das ARDS vereinfacht in drei Stadien unterteilen, die jedoch nicht zwingend parallel zu den pathophysiologischen Vorgängen verlaufen [6][7][12].
- Klinisches Stadium 1: 12–24 h nach auslösendem Ereignis
- Subjektiv beginnende Luftnot → Tiefe, schnelle Atmung
- Unruhe, Tachykardie
- Stressbedingt eher hypertone Kreislaufverhältnisse
- Auskultationsbefund ggf. noch unauffällig
- Klinisches Stadium 2: Innerhalb der ersten 7 Tage
- Zunehmende Erschöpfung durch vermehrte Atemarbeit
- Zyanose, ausgeprägte Luftnot
- Feinblasige Rasselgeräusche
- Klinisches Stadium 3: Etwa nach 7 Tagen
- Abnahme der alveolären Gasaustauschfläche
- Zunehmende Totraumventilation durch Mikrothrombenbildung in den Lungenkapillaren
- I.d.R. maschinelle Beatmung erforderlich
- Häufig begleitende Hypotonie mit Katecholaminbedarf
Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung [6]
- Anamnese
- Evaluation einer auslösenden Noxe, einer Begleiterkrankung oder eines ursächlichen Ereignisses
- Typischerweise akuter Beginn
- Körperliche Untersuchung
- Dyspnoe, Tachypnoe
- Hyperventilation
- Zyanose
- Tachykardie
- Unruhe, Verwirrtheit
- Auskultation: Diffus feinblasige Rasselgeräusche
Blutgasanalyse
- Frühphase: Hypoxämische respiratorische Insuffizienz
- paO2↓ (Hypoxämie)
- paCO2↓ und respiratorische Alkalose
- paO2/FiO2 ≤300 mmHg
- Alveolo-arterielle Sauerstoffpartialdruckdifferenz↑
- Spätphase: Schwere hyperkapnische respiratorische Insuffizienz
Alveolo-arterielle Sauerstoffpartialdruckdifferenz (AaDO2) [13][14]
- Definition: Differenz (D) zwischen dem Sauerstoffpartialdruck in den Alveolen (palvO2) und dem im arteriellen Blut (paO2)
- Formel: AaDO2 = palvO2 - paO2
- Berechnung des palvO2 über die Alveolargasgleichung
- Bestimmung des paO2 über eine arterielle Blutgasanalyse
- Diagnostische Funktion
- Beurteilung der Oxygenierungsfähigkeit der Lunge
- Einschätzung des intrapulmonalen Rechts-links-Shunts
- Physiologischer Hintergrund
- Ungestörte Diffusion von Sauerstoff aus den Alveolen ins Blut → Angleichung der Partialdrücke → Geringe AaDO2
- Vorliegen einer Diffusionsstörung → Partialdruckgradient bleibt bestehen → Hohe AaDO2
- Normwert der AaDO2: Je nach Quelle ca. 10–20 mmHg (junge, gesunde Personen unter Raumluft)
- Höhere Normwerte mit zunehmendem Lebensalter
- Beeinflussung durch FiO2
Röntgen-Thorax
- Frühphase
- Geringes Korrelat
- Ggf. erweiterte Hilusgefäße
- Beginnende diffuse Trübung („Milchglasphänomen“)
- Diffuse bilaterale Verschattung (alveoläre Infiltrationen, „Schmetterlingsinfiltrat“)
- Keine Veränderung der Herzgröße, keine Pleuraergüsse
- Positives Bronchopneumogramm
- Spätphase
- „Weiße Lunge“ mit vollständiger Verschattung
- Atelektasen
- Pleuraergüsse
CT-Thorax [15][16][17]
- Individuelle Indikationsstellung, bspw.
- Primär bei schweren Verläufen
- Als Verlaufskontrolle und zur Abschätzung der Prognose
- Vorteile (gegenüber Röntgen-Thorax)
- Hohe Sensitivität und Spezifität
- Potenziell bessere Aussagen möglich im Hinblick auf
- Ätiologie und Prognose des ARDS
- Effektivität der Behandlung
- Nachteile (gegenüber Röntgen-Thorax)
- Höhere Strahlenbelastung
- Technisch aufwendiger
- Nicht bettseitig verfügbar
Echokardiografie [18][19][20]
- Ausschluss einer kardialen Genese des Lungenödems
- Beurteilung: Echokardiografische Grenzwerte der linksventrikulären Ejektionsfraktion
- Typische Befunde
- Erhöhter Durchmesser der Pulmonalarterie
- Rechtsventrikuläre Volumenüberlastung
- Verminderte linksventrikuläre Füllung
- Vorteile
- Keine Strahlenbelastung
- Bettseitig anwendbar
Pulmonalarteriendruck und Wedge-Druck
- Diagnosekriterium nach alter ARDS-Definition [21]
- Messung über Pulmonaliskatheter
- Differenzierung von ARDS und kardialem Lungenödem
- Kardiales Lungenödem
- Pulmonalarterieller Mitteldruck↑
- Pulmonaler Wedge-Druck↑
- ARDS
- Pulmonalarterieller Mitteldruck↑
- Pulmonaler Wedge-Druck normal
- Kardiales Lungenödem
Vor dieser invasiven Untersuchung sollte eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen!
Bestimmung des extravaskulären Lungenwasserindex (EVLWI)
- Definition: Flüssigkeit im Interstitium oder Alveolarraum
- Indikation: Lungenödem und/oder kardiale Instabilität
- Methode: Ermittlung mittels Pulskonturanalyse und transpulmonaler Thermodilution (z.B. PICCO®-System)
- Befund: Frühe Veränderung
- Physiologischer Wert: 5 mL/kg
- Pathologischer Wert bei ARDS: Meist >15 mL/kg
- Anwendung: Verlaufsparameter zur Beurteilung des Lungenödems
Ein ARDS ist dann wahrscheinlich, wenn ein typischer Auslöser vorliegt, eine therapierefraktäre arterielle Hypoxämie besteht und im Röntgen die relevanten Veränderungen ohne relevante kardiale Pathologie zu sehen sind!
Differenzialdiagnosen
Medikamenteninduzierte interstitielle Lungenerkrankungen [22]
- Ätiologie
- Je nach Medikament unterschiedliche Reaktionen der Lunge
- Bild des nicht-kardialen Lungenödems möglich bei Zytostatika, Opioiden, ASS, Inhalationsanästhetika, Prostacyclin, Amlodipin etc.
- Therapie: Medikamentenkarenz
- Verlauf: Übergang in ARDS möglich
Weitere Differenzialdiagnosen
- Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI)
- Transfusionsassoziierte zirkulatorische Überladung (TACO)
- Kardiales Lungenödem bei Linksherzinsuffizienz
- Fluid Lung bei Niereninsuffizienz und Hypervolämie
- Lungenembolie
- Pneumonie
Einige der genannten Differenzialdiagnosen (z.B. Pneumonie) können sekundär selbst in ein ARDS münden!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Kausale Therapie
- Primär kausale Therapie der auslösenden Ursache
- Beeinflussung der pathophysiologischen Kaskade: Derzeit noch Gegenstand intensiver klinischer Forschung
- Bisherige Therapieansätze
- Inhalatives Prostacyclin → Keine klare Empfehlung
- β2-Mimetika, Surfactant beim ARDS des Erwachsenen → Verworfene Therapieansätze
- Bisherige Therapieansätze
Beatmungstherapie [2]
- Indikation: Akute respiratorische Insuffizienz mit kritischer Hypoxämie und/oder Hyperkapnie
- Ziel: Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches bei gleichzeitiger
- Vermeidung beatmungsassoziierter Lungenschäden
- Aufrechterhaltung der Spontanatmung (wenn möglich)
Wahl des Beatmungsverfahrens
- Mildes bis moderates ARDS: High-Flow-Sauerstofftherapie oder NIV erwägen
- Schweres ARDS: Primär invasive Beatmung empfohlen
- Beatmungsmodus: Je nach Schwere des ARDS und möglicher Mitarbeit des Patienten
- Assistierte Beatmung
- Kontrollierte Beatmung
- Zur differenzierten Beatmungstherapie siehe auch: Maschinelle Beatmung
- Grundeinstellung des Beatmungsgerätes: BIPAP
- Grundprinzip: Lungenprotektive Beatmung zur Vermeidung bzw. Begrenzung beatmungsbedingter Lungenschäden durch
- Begrenzung von Atemzugvolumen und Beatmungsdruck
- Anwendung eines adäquaten PEEP
- Beatmungsmodus: Je nach Schwere des ARDS und möglicher Mitarbeit des Patienten
Grundpfeiler der lungenprotektiven Beatmung sind die Begrenzung von Atemzugvolumen und Beatmungsdruck sowie die Anwendung eines adäquaten PEEP!
Einstellungen der Beatmungsparameter [2]
- Atemzugvolumen: ≤6 mL/kgStandardKG
- Endinspiratorischer Spitzendruck: pmax≤30 mbar (cmH2O)
- PEEP: Meist 8–15 mbar (cmH2O)
- Atemfrequenz: Je nach Eigenaktivität des Patienten 12–20/min
- Therapiekontrolle und ggf. Anpassung durch engmaschige Blutgasanalysen
- Bei Hyperkapnie Erhöhung bis ca. 35/min, allerdings
- Linearer Anstieg der Totraumventilation mit der Atemfrequenz
- Gefahr des Air Trapping und der Ausbildung eines Intrinsic PEEP
- Parallel Kontrolle von Atemzugvolumen und Spitzendruck erforderlich
- Verhältnis von Inspirationszeit zu Exspirationszeit (I:E): 1:2 bis 1:1
- FiO2: Niedrigstmöglicher Wert zum Erreichen des Oxygenierungsziels
- Oxygenierungsziel: spO2 90–94% bzw. paO2 60–80 mmHg
- Permissive Hyperkapnie
- Tolerieren höherer paCO2-Werte (50–60 mmHg) zugunsten geringer Atemzugvolumina
- Respiratorische Azidose tolerabel bis pH >7,2
- ARDS-Network-Tabelle: Gibt eine Orientierung für die Einstellung von FiO2 und PEEP [2]
Tabellarische Kurzübersichten (ARDS-Network-Tabelle) [23]
- Faustregel
- Bei kritischen hämodynamischen Verhältnissen: Bevorzugt „lower PEEP - higher FiO2“
- Bei eher adipösen Patienten: Bevorzugt „higher PEEP – lower FiO2“ und Vorgehen orientiert an Compliance
ARDS-Network-Tabelle - „higher PEEP - lower FiO2“ | |||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
FiO2 | 0,3 | 0,3 | 0,3 | 0,3 | 0,4 | 0,5 | 0,5–0,8 | 0,8 | 0,9 | 1,0 | 1,0 |
PEEP [mbar] | 5 | 8 | 10 | 12 | 14 | 16 | 18 | 20 | 22 | 22 | 24 |
ARDS-Network-Tabelle - „lower PEEP - higher FiO2“ | ||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
FiO2 | 0,3 | 0,4 | 0,4 | 0,5 | 0,5 | 0,6 | 0,7 | 0,7 | 0,7 | 0,8 | 0,9 | 0,9 | 0,9 | 1,0 |
PEEP [mbar] | 5 | 5 | 8 | 8 | 10 | 10 | 10 | 12 | 14 | 14 | 14 | 16 | 18 | 18–24 |
Kurzübersicht Beatmungsziele bei lungenprotektiver Beatmung | ||
---|---|---|
Parameter | Angestrebter Wert | |
Beatmungsgerät | Tidalvolumen | 6 mL/kgStandardKG |
Druckdifferenz | ≤15 mbar | |
Spitzendruck (pmax) | ≤30 mbar | |
PEEP | Individuell, meist 8–15 mbar | |
FiO2 | Niedrigstmöglicher Wert | |
Atemfrequenz | 12–20/min | |
I:E | 1:2 bis 1:1 | |
BGA | paO2 | 60–80 mmHg |
spO2 | 90–94% | |
paCO2 | 50–60 mmHg | |
pH | >7,20 |
Tidalvolumina-Beispielrechnungen (6 mL/kgKG) bei lungenprotektiver Beatmung | ||||
---|---|---|---|---|
Körpergröße | Männer | Frauen | ||
„Ideales KG in kg“ [24] | Tidalvolumen | „Ideales KG in kg“ [24] | Tidalvolumen | |
150 cm | 50 | 300 | 46 | 276 |
160 cm | 57 | 342 | 52 | 312 |
170 cm | 66 | 396 | 61 | 366 |
180 cm | 75 | 450 | 70 | 420 |
190 cm | 84 | 504 | 80 | 480 |
200 cm | 93 | 558 | 89 | 534 |
- Beachte auch
- Flowchart zur lungenprotektiven Beatmung bei ARDS
- PocketCards des CIN e.V. in Kooperation mit AMBOSS [23]
Zur Prophylaxe und Behandlung des akuten Lungenversagens beim Erwachsenen (ARDS) soll eine lungenprotektive Beatmung angewandt werden. (DGIM - Klug entscheiden in der internistischen Intensivmedizin)
Begleitende Therapie
Lagerung [25][26][27]
- Oberkörperhochlagerung
- Prinzip: Niveau des Oberkörpers oberhalb des Körperstamms (angestrebter Winkel bei Intubierten ≥40°)
- Auswirkungen
- Oxygenierung↑
- Atemarbeit↓
- Gastroösophagealer Reflux↓
- Augendruck↓ und Hirndruck↓
- Indikation: Empfohlen für alle intubierten Patienten
- Bauchlage (ARDS) („Prone Position“): Umlagerung um 180°
- Modifikationen
- Inkomplette Bauchlagerung: Umlagerung um 135°
- Awake Proning: Bauchlagerung im Wachzustand unter nicht-invasiver Beatmung
- Prinzip
- Veränderung der Atemmechanik
- Reduktion des Pleuradruck-Gradienten
- Verbesserung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses
- Folge
- Vergrößerung der Gasaustauschfläche (Recruitment)
- Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches → paO2↑
- Beatmungsinduzierte Lungenschäden↓
- Indikation
- Maßnahme bei Verschlechterung der Oxygenierung
- Ab paO2/FiO2 (Horovitz-Quotient) <150 mmHg empfohlen
- Umsetzung [25][26]
- Bauchlage frühzeitig erwägen
- Bauchlagerung für mind. 12 h, nach Möglichkeit 16 h anstreben
- Nach 4 h Pause in Rückenlage: Erneute Bauchlage erwägen
- Für eine Schritt-für-Schritt-Anleitung siehe: Bauchlagerung bei ARDS - AMBOSS-SOP
- Ende der Maßnahme
- Relative Kontraindikationen
- Offenes Abdomen
- Wirbelsäuleninstabilität
- Erhöhter intrakranieller Druck
- Hämodynamisch wirksame Herzrhythmusstörungen
- Manifester Schock
- Komplikationen
- Gesichtsödeme
- Druckschäden der Augen
- Druckulzera insb. an Gesicht, Knie und/oder Becken
- Probleme bei der Beatmung (Husten, Pressen)
- Beachte: Schonende Lagerung und gute Atemwegssicherung
- Modifikationen
Stützung der Herz-Kreislauf-Funktion [28]
- Sicherung eines adäquaten Blutdrucks (mittlerer arterieller Blutdruck ≥65 mmHg)
- Frühzeitig erweitertes hämodynamisches Monitoring
- Bei Bedarf Einsatz von Katecholaminen (z.B. Noradrenalin, Dobutamin)
- Siehe auch: Medikamentöse Kreislaufunterstützung - AMBOSS-SOP
Flüssigkeitstherapie bei ARDS [29][30]
- Restriktive Volumentherapie
- Diuretika bei Zeichen einer Volumenüberladung
Vereinfachter Algorithmus zur Volumen- und Diuretikatherapie bei ARDS | |||
---|---|---|---|
ZVD [mmHg] | PCWP [mmHg] (optional) | Diurese <0,5 mL/kgKG/h | Diurese ≥0,5 mL/kgKG/h |
>8 | >12 | Furosemid | Furosemid |
4–8 | 8–12 | Volumengabe | Furosemid |
<4 | <8 | Volumengabe | Keine Intervention |
Voraussetzung für eine restriktive Volumentherapie ist ein mittlerer arterieller Blutdruck >60 mmHg ohne klinische Zeichen der Hypovolämie!
Prävention und Therapie von Infektionen [2]
- Gefahr der beatmungsassoziierten Pneumonie
- Prävention
- Prophylaktische Antibiotikagabe wird nicht empfohlen
- Bei hohem Risiko für Aspiration und einem erhöhten Sterberisiko: Prophylaxe erwägen
- Selektive Darmdekontamination
- Mundpflege mit einer 0,12%igen Chlorhexidin-Mundspüllösung
- Therapie: Bei V.a. Pneumonie umgehend Diagnostik und Therapie (siehe auch: Diagnostik der Pneumonie und Therapie der Pneumonie)
Rescue-Therapie
Stickstoffmonoxid inhalativ
- Prophylaktische Anwendung: Nicht empfohlen
- Mögliche Indikationen
- Schwere Hypoxämie
- Rechtsherzdekompensation
- Anwendung
- Beimischung des NO-Gases zum Atemgas
- Verabreichung und Dosiskontrolle über spezielle Dosiervorrichtung am geeigneten Beatmungsgerät
- Langfristigen Einsatz mit kumulativ hoher Dosis vermeiden
- Gefahr eines Rebound-Effekts bei plötzlichem Absetzen [31]
Glucocorticoide
- Wirkung: Antiinflammatorisch und antiproliferativ
- Anwendung: Niedrigdosierte Corticoide können erwogen werden
Hochdosierte Corticoide können Superinfektionen begünstigen und erhöhen die Letalität!
Extrakorporale Unterstützungssysteme [32][33][34][35]
- Grundprinzip: Etablierung eines extrakorporalen Kreislaufs durch kontrollierte Entnahme und Rückgabe von Patientenblut
- Anwendung: Abhängig vom verwendeten System separate oder kombinierte Unterstützung bzw. Ersatz der
- Lungenfunktion
- Herzfunktion
Formen
- Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO)
- Veno-venöse ECMO (vvECMO)
- Funktion: Partielle oder vollständige Übernahme der Lungenfunktion
- Voraussetzung: Intakte Pumpfunktion des Herzens
- Blutentnahme: V. cava inferior (typischerweise via V. femoralis)
- Rückgabe: Rechter Vorhof (typischerweise via V. jugularis interna)
- Veno-arterielle ECMO (vaECMO, ECLS)
- Funktion: Partielle oder vollständige Übernahme der Herz- und Lungenfunktion
- Blutentnahme: Rechter Vorhof (typischerweise via V. femoralis)
- Rückgabe: Aorta abdominalis (typischerweise via A. femoralis)
- Veno-venöse ECMO (vvECMO)
- Pumpenlose extrakorporale Lungenunterstützung (pECLA)
- Pumpenloses System (arterio-venöser Shunt)
- Flussrate abhängig von der Pumpfunktion des Herzens
- Funktion: Partielle Übernahme der Lungenfunktion (Decarboxylierung >> Oxygenierung) [36]
- Voraussetzung: Intakte Pumpfunktion des Herzens
- Blutentnahme: A. femoralis
- Rückgabe: V. femoralis
Indikation
- Erwachsene: Schweres therapierefraktäres kardiales, respiratorisches oder kombiniertes kardiorespiratorisches Versagen
- Schwere Oxygenierungsstörung bei erhaltener Herzfunktion → vvECMO
- Schwere Oxygenierungsstörung mit eingeschränkter Herzfunktion → vaECMO bzw. ECLS
- Schwere respiratorische Azidose bei erhaltener Herzfunktion → pECLA
- Neugeborene
Durchführung (Anschluss einer vvECMO)
- ECMO-System vorbereiten (Schlauchsystem vorfüllen)
- Antikoagulation des Patienten (i.d.R. mit Heparin)
- Gefäßpunktion und Kanülierung
- Optimalerweise unter sonografischer Kontrolle
- Typischerweise zwei Kanülen in V. femoralis (zur Blutentnahme aus der V. cava inferior) und V. jugularis interna (zur Rückgabe in den rechten Vorhof)
- Anlage in Seldinger-Technik
- Auf geeignete Kanülengröße achten
- Anschluss des Unterstützungssystems und Beginn der extrakorporalen Zirkulation
- Initial häufig Blutdruckabfall (medikamentöse Kreislaufunterstützung erforderlich)
- Individuelle Anpassung von Blutfluss und Frischgaszufuhr nach klinischer Wirkung
- Entlastung der Lunge am Respirator bei stabilen Verhältnissen
- Lagekontrolle der Kanülen im Verlauf (bspw. radiologisch oder echokardiografisch)
Komplikationen
- Störung der Hämostase → Blutungskomplikationen
- Wesentliche Ursachen: Antikoagulation, Verbrauch von Gerinnungsfaktoren, Thrombozytendysfunktion
- Abwägung zwischen [33]
- Aufrechterhaltung der Antikoagulation → Risiko für weitere Blutungen
- Absetzen/Reduktion der Antikoagulation → Beeinträchtigung der Funktion eines extrakorporalen Unterstützungssystems bei zu aggressiver Therapie
- Verlegung arterieller Gefäße durch Kanülierung → Durchblutungsstörungen
- Ischämie der Extremitäten, Kompartmentsyndrom
- Prophylaxe bzw. Therapie: Anlage einer zusätzlichen Perfusionskanüle
Prognose
- Outcome: Entscheidend sind
- Frühzeitige Diagnosestellung
- Strukturierte Behandlungskonzepte
- Vorliegen von Komplikationen: Thoraxtrauma, Sepsis, Multiorganversagen
- Langzeitfolgen [37]
- Häufig physische und psychische Spätfolgen bei Überlebenden
- Wiedereinstieg in Beruf nur teilweise möglich
Das ARDS ist ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild mit hoher Letalität!
Studientelegramme zum Thema
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
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Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS)
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- J80.-: Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS]
- Inklusive: Atemnotsyndrom des Kindes und des Jugendlichen, Hyaline Membranenkrankheit des Erwachsenen
- Exklusive: Atemnotsyndrom des Säuglings (P22.0)
- J80.0-: Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS]
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie J80.0- zu benutzen, um den Schweregrad des ARDS anzugeben:
- 1 Mildes Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS]
- 2 Moderates Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS]
- 3 Schweres Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS]
- 9 Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS], Schweregrad nicht näher bezeichnet
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie J80.0- zu benutzen, um den Schweregrad des ARDS anzugeben:
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.