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Neugeborenenanfälle

Letzte Aktualisierung: 18.10.2024

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Epileptische Anfälle gehören zu den häufigsten neurologischen Notfällen in der Neugeborenenperiode. Im Vergleich zu älteren Kindern handelt es sich in dieser Altersgruppe meistens um akut-symptomatische Anfälle mit einem oft sehr subtilen und unspezifischen Erscheinungsbild. Da Neugeborenenanfälle unbehandelt jedoch zu schweren neurologischen Folgeschäden führen können, ist ein strukturierter diagnostischer und therapeutischer Algorithmus von entscheidender Bedeutung. In der Akutdiagnostik steht der Ausschluss einer Infektion, akuter metabolischer Störungen und intrazerebraler Pathologien im Vordergrund. Das amplitudenintegrierte EEG ermöglicht darüber hinaus eine bettseitige, kontinuierliche Darstellung der neuronalen Aktivität und ist insb. für die Diagnose subklinischer Anfälle unerlässlich. Zur medikamentösen Anfallsunterbrechung ist Phenobarbital das Mittel der ersten Wahl. Die Prognose hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache und der Anfallslast ab, langfristige psychomotorische Entwicklungsstörungen und/oder Epilepsien sind jedoch nicht selten.

Zu diesem Kapitel gibt es einen kostenfreien CME-Intensiv-Kurs, für den du 2 CME-Punkte erhältst (siehe: Tipps & Links)!

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Definitiontoggle arrow icon

  • Neonataler Anfall: Transiente überschießende oder synchrone neuronale Aktivität, die
    • Bei reifen Neugeborenen innerhalb der ersten 28 Lebenstage auftritt und
    • Zu elektroenzephalografischen Veränderungen der Hirnfunktion führt und
    • Symptomatisch (elektroklinisch) oder asymptomatisch (rein elektrografisch) ablaufen kann
  • Neonataler Status epilepticus
    • Kontinuierliche Anfallsaktivität ≥5–30 min oder
    • Rezidivierende Anfallsaktivität mit einer Gesamtdauer von ≥50% eines definierten Beobachtungszeitraums

Die Definition von epileptischen Anfällen bei Neugeborenen schließt auch Anfälle ohne klinisches Korrelat mit ein!

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Epidemiologietoggle arrow icon

Je geringer das Gestationsalter, desto höher die Inzidenz!

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Klassifikationtoggle arrow icon

  • Einteilung: Nach klinischem Bild [2][6]
    • Rein elektrografisch (Synonym: subklinisch, „silent“): EEG-Auffälligkeiten ohne klinisches Korrelat
    • Elektroklinisch (Synonym: klinisch): EEG-Auffälligkeiten mit klinischem Korrelat (siehe auch: Anfallstypen von Neugeborenenanfällen)

Auffällige Bewegungsmuster ohne Korrelat im EEG werden nicht als Neugeborenenanfälle klassifiziert!

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Symptomatiktoggle arrow icon

  • Beginn: Abhängig von der Ursache, i.d.R. innerhalb der ersten Lebenswoche
  • Dauer: Wenige Sekunden bis Minuten (häufig rezidivierend bzw. seriell )
  • Symptomatik [1][4]

Die Symptome von Neugeborenenanfällen mit klinischem Korrelat sind oft subtil und unspezifisch!

Mehr als die Hälfte aller Neugeborenenanfälle verläuft asymptomatisch!

Anfallstypen von Neugeborenenanfällen [2][6][7]
Kategorie Anfallstyp Beschreibung Häufigste Ursachen
Motorisch Tonisch
  • Anhaltende Zunahme des Muskeltonus über mehrere Sekunden bis Minuten
Klonisch
  • Plötzliche rhythmische Zuckungen mit einer Frequenz <3/s
  • Schnelle Ausweich- mit langsamer Rückstellbewegung
Myoklonisch
  • Plötzliche einzelne oder multiple rhythmische Zuckungen mit einer Frequenz <3/s
  • Ausweich- und Rückstellbewegung annähernd gleich schnell
Spastisch
Automatismus
  • Repetitive, stereotype Bewegungen, die physiologischen Bewegungen ähneln
Nicht-motorisch Autonom
  • Deutliche Veränderung autonomer Funktionen
Arrest
  • Vorübergehende Regungslosigkeit mit plötzlicher Unterbrechung einer Bewegung (Einfrieren)
Sequenziell
  • Abfolge verschiedener Anfallstypen und EEG-Auffälligkeiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten an wechselnder Lokalisation
Nicht klassifiziert
  • Aufgrund unzureichender Informationen oder untypischer Symptome keiner anderen Kategorie zuordenbar

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Diagnostiktoggle arrow icon

Akutdiagnostik [4][7]

  1. Anfallsbeobachtung
  2. Körperliche Untersuchung
  3. Monitoring: Atemfrequenz, Herzfrequenz, spO2, , Blutdruck
  4. Labordiagnostik
  5. Apparative Diagnostik
Unterscheidungsmerkmale zwischen epileptischen und nicht-epileptischen Bewegungsmustern bei Neugeborenen [4][7]
Eher epileptisch Eher nicht-epileptisch
Augen
  • Geöffnet
  • Geschlossen
Semiologie
Einfluss äußerer Reize
  • Gering
  • Hoch
Herzfrequenz
  • ↔︎ / ↓

In der Akutdiagnostik müssen akute metabolische Störungen (Hypoglykämie, Elektrolytentgleisung) ausgeschlossen werden!

Da Neugeborenenanfälle klinisch nicht sicher diagnostiziert werden können, ist bei jedem Verdacht ein (a)EEG erforderlich!

Weiterführende Diagnostik [1][4][5]

  1. Ausführliche Anamnese
    • Familienanamnese
    • Schwangerschaftsverlauf
    • Geburtsverlauf und -komplikationen
    • Bisherige Entwicklung, Trinkverhalten
  2. Körperliche Untersuchung
  3. Labordiagnostik (inkl. Probenasservierung )
  4. Apparative Diagnostik
    • Konventionelles EEG (falls bislang nicht erfolgt)
    • cMRT
    • Ophthalmologische Untersuchung

Zum Ausschluss struktureller zerebraler Pathologien ist in den meisten Fällen ein cMRT indiziert!

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Amplitudenintegriertes Elektroenzephalogramm (aEEG)toggle arrow icon

  • Indikationen
  • Prinzip
    • Vereinfachte EEG-Ableitung als Bedside-Monitoring auf der (neonatologischen) Intensivstation
    • Gefilterte Amplitude des Roh-EEG
  • Darstellung
    • Semilogarithmische Skala (y-Achse )
    • Komprimiertes Zeitintervall (x-Achse )
  • Durchführung
    • Ableitungen
      • 2-Kanal-aEEG (Standard): 4 Ableitungselektroden und 1 Neutralelektrode
      • 1-Kanal-aEEG (veraltet )
    • Elektrodentypen
      • Hydrogelelektroden
      • Goldelektroden
      • Nadelelektroden
  • Beurteilung (siehe auch: Beurteilung eines aEEG )
    1. Impedanz: Beurteilung der Ableitungsqualität
    2. Hintergrundaktivität
      • Zuordnung zu einem der fünf typischen Hintergrundmuster
      • Angabe der absoluten Amplitudenwerte von Ober- und Unterrand
    3. Zyklizität (sog. Schlaf-Wach-Zyklen )
      • Definition: Regelmäßiger, sinusoidaler Wechsel von hoch- und niedrigamplitudiger Aktivität
      • Einteilung: Fehlende, unreife/unvollständige oder normale Zyklizität
    4. Hinweise auf epileptische Anfälle: Veränderungen der Hintergrundaktivität
      • Iktal: Einengung des Amplitudenbandes durch plötzlichen Anstieg des unteren Amplitudenrandes
      • Postiktal: Wechsel von kontinuierlichem zu diskontinuierlichem Muster
      • Zu beachten: Hinweise auf epileptische Anfälle immer im Roh-EEG bestätigen
  • Störfaktoren
  • Untersuchungsende: Frühestens 12–24 h nach letztem Anfall
Beurteilung eines aEEG [8]
Einteilung Muster Interpretation
Band Amplitude
Hintergrundaktivität Kontinuierlich
  • Schmal
  • Unterrand >5 μV
  • Oberrand >10–25 μV
Diskontinuierlich
  • Breit
  • Unterrand <5 μV
  • Oberrand >10 μV
Burst-Suppression (-/+)
  • Kamm-artig
  • Flacher Unterrand : 0–1 μV
  • Oberrand: Einzelne Zacken mit hoher Amplitude >25 μV (Bursts)
    • BS-: <100 Bursts/h
    • BS+: ≥100 Bursts/h
  • Schwer abnorm
Low Voltage
  • Schmal
  • Flacher Unterrand : ≤5 μV
  • Oberrand <10 μV
Flat Trace
  • Sehr schmal
  • Unterrand und Oberrand <5 μV
Zyklizität (sog. Schlaf-Wach-Zyklen )
  • Zyklusdauer mind. 1 h
  • Sinusoidaler Wechsel von
    • Hochamplitudiger Aktivität (Active Sleep ) und
    • Niedrigamplitudiger Aktivität (Quiet Sleep )
  • Einteilung in fehlend, unreif/unvollständig oder normal
Hinweise auf epileptische Anfälle
  • Iktal: Einengung des Amplitudenbandes durch plötzlichen Anstieg des unteren Randes
  • Postiktal: Wechsel von kontinuierlichem zu diskontinuierlichem Muster

Entscheidend für die Beurteilung eines aEEG ist die Mustererkennung und kein absoluter Amplitudenwert!

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Allgemeine Maßnahmen [4]

Akuttherapie

Bei bekannter Ursache: Kausaltherapie

Bei unbekannter Ursache: Stufenschema zur medikamentösen Anfallsunterbrechung bei Neugeborenen

Phenobarbital ist das Mittel der ersten Wahl zur Therapie von Neugeborenenanfällen!

Die Gabe von Phenobarbital kann dazu führen, dass klinische Anfälle subklinisch werden (sog. elektroklinische Entkopplung)!

Bei Therapieresistenz: Probatorischer Behandlungsversuch mit Stoffwechselmetaboliten

Dauertherapie

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Prognosetoggle arrow icon

Neugeborenenanfälle können je nach zugrunde liegender Ursache zu einer Epilepsie und/oder psychomotorischen Entwicklungsstörungen führen!

Subklinische und klinische Anfälle haben einen ähnlichen Effekt auf die Prognose, sodass das Risiko für neurologische Folgeschäden nicht vom klinischen Bild abhängt!

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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