Zusammenfassung
Die Behandlung von Frakturen umfasst konservative und operative Verfahren, durch die die anatomischen Achsen- und Gelenkverhältnisse sowie die Funktion des verletzten Skelettabschnitts möglichst vollständig wiederhergestellt werden sollen. Eine operative Therapie ist insb. dann indiziert, wenn ein invasives Verfahren Vorteile hinsichtlich der Reposition der Fraktur, deren Stabilisierung (Retention) oder auch den Möglichkeiten einer Mobilisierung bietet. Das gewählte operative Vorgehen ist außerdem abhängig von der Art und Lokalisation der Fraktur, begleitenden Weichgewebeverletzungen sowie den patientenspezifischen Parametern. Mögliche Komplikationen (bspw. Pseudarthrose oder frakturassoziierte Infektion) müssen ebenfalls bei der Entscheidungsfindung bedacht werden.
Osteosynthese
Grundlagen [1]
- Definition: Operatives Verfahren zur Wiederherstellung der Kontinuität und Stabilität von Knochen durch Einbringen von Osteosynthesematerial
- Typische Indikationen
- Vorteile gegenüber einer konservativen Therapie
- Optimale Adaptierung der Knochenfragmente
- Absolute Stabilität → Direkte (primäre) Frakturheilung
- Relative Stabilität → Indirekte (sekundäre) Frakturheilung
- Frühzeitige Belastung und Mobilisierung möglich
- Optimale Adaptierung der Knochenfragmente
- Postoperative Stabilitätsgrade [2]
- Lagerungsstabil: Keine aktive oder passive Bewegung möglich, Umlagerung erlaubt
- Bewegungsstabil: Aktive oder passive Bewegung möglich, entsprechende Teilbelastung erlaubt
- Belastungsstabil: Innerhalb der individuellen Grenzen bewegungs- und belastungsfähig, Vollbelastung erlaubt
- Trainingsstabil: Voll bewegungs- und belastungsfähig, Belastung wie bei intakten Strukturen möglich
- Belastungsstufen des Gehens [2]
- Entlastender Gang: Vollständige Entlastung
- Minimal belastender Gang: Reduktion der Belastung, im Stand darf das Bein mit dem Eigengewicht abgestellt werden
- Teilbelastender Gang: Teilbelastung unter Einsatz von Hilfsmitteln, erlaubte Belastung wird in kgKG angegeben
- Vollbelastender Gang: Gehen unter Vollbelastung ohne Hilfsmittel möglich
- Nachbehandlung siehe: Nachsorge in der Orthopädie und Unfallchirurgie
Im Gegensatz zur konservativen Therapie ist mit einer Osteosynthese eine direkte (primäre) Frakturheilung möglich!
Osteosynthesematerial
Schrauben [1][3][4]
- Aufbau
- Kopf
- Verbindung zum Schraubendreher (individuelle Form des Schraubenkopfs beachten)
- Ggf. Verriegelungsmöglichkeit zum Erreichen einer Winkelstabilität
- Schaft
- Außendurchmesser (nominaler Durchmesser): Mindestgröße des Schraubenlochs
- Kerndurchmesser: Durchmesser des Bohrers für die Vorbohrung
- Effektive Gewindetiefe: Max. Tiefe der Gewindespirale
- Gewindesteigung: Strecke, die bei einer 360°-Drehung im Knochen zurückgelegt wird
- Spitze
- Abgerundet: Vorbohrung und Vorschneiden des Gewindes erforderlich
- Selbstschneidend: Vorbohrung erforderlich
- Selbstbohrend: Unmittelbar verwendbar
- Kopf
- Funktionsprinzip: Umwandlung von Drehmomenten in axiale Kraft
- Kompressionsschraube: Interfragmentäre Kompression
- Zugschraube: Interfragmentäre Kompression
- Proximaler Teil gleitet in der schraubenkopfnahen Kortikalis
- Distaler Teil greift in der schraubenspitzennahen Kortikalis
- Plattenschraube: Abhängig vom Schraubentyp
- Konventionelle Schraube: Kompression der Platte an den Knochen
- Winkelstabile Schraube: Fixierung der Schraube in der Platte
- Verriegelungsschraube: Verhindern der Rotation eines Nagels im Knochen
- Stellschraube: Fixierung zweier Knochen in einer Position
- Sonderform: Herbert-Schraube
- Kanülierte Doppelgewindeschraube ohne Schraubenkopf
- Versenkung unter das Knochenniveau mit einem speziellen Schraubendreher
Platten [3][4]
- Aufbau
- Plattenloch
- Plattenkörper: Bestimmt die biomechanischen Eigenschaften (bspw. Steifigkeit oder Belastbarkeit)
- Funktionsprinzip: Abhängig von Wahl der Schraube und gewünschter Form der Osteosynthese
- Kompression: Exzentrisches Einbringen der Schraube in ein Fragment → Kompression des Frakturspalts
- Überbrückung: Befestigung der Platte proximal und distal der Fraktur → Überbrückung der Frakturzone
- Abstützung: Anbringen einer Platte am Hauptfragment → Ausüben von Druck gegen das instabile Fragment → Verhinderung einer Dislokation
- Neutralisation: Überbrückung der Fraktur durch eine Platte nach primärer Osteosynthese mit einer Zugschraube → Umleitung von Biege- und Rotationskräften
- Zuggurtung: Anbringen der Platte auf der Zugseite der Fraktur → Umwandlung von Zug- in Druckkraft → Kompression des Frakturspalts
- Varianten
- Dynamische Kompressionsplatte : Standardplattenloch
- Verriegelungsplatte : Kombiniertes Standard- und winkelstabiles Plattenloch
- Anatomische Platte: Vorgeformt für die entsprechende anatomische Lokalisation
- Rekonstruktionsplatte: Biegungsfähig zur Anpassung an individuelle anatomische Gegebenheiten
Die Funktion der Platte wird durch die Wahl der Schraube und der gewünschten Form der Osteosynthese bestimmt – eine Verriegelungsplatte kann bspw. zur Kompression oder Überbrückung dienen!
Drähte bzw. Nägel
- Kirschner-Draht (K-Draht)
- Funktionsprinzip: Extra- oder intramedulläre Stabilisierung
- Konkrete Anwendung abhängig von der Art der Fraktur
- Bei Verwendung von 2 sich kreuzenden Drähten Rotationsstabilität möglich
- Funktionsprinzip: Extra- oder intramedulläre Stabilisierung
- Marknagel
- Funktionsprinzip: Intramedulläre Schienung
- Verklemmung des Nagels in der Markhöhle → Achsstabilität
- Verblockung mit Verriegelungsschrauben → Längen- und Rotationsstabilität
- Sonderform: Marknagel mit Gelenkkomponente
- Funktionsprinzip: Intramedulläre Schienung
- Elastischer Titannagel
- Funktionsprinzip: Intramedulläre Dreipunktabstützung
- Umwandlung von Scherkräften in Kompressions- und Zugkräfte
- Anwendung im Rahmen einer ESIN
- Funktionsprinzip: Intramedulläre Dreipunktabstützung
Osteosynthetische Verfahren
Schraubenosteosynthese
- Definition: Operative Frakturversorgung unter Verwendung von Schrauben als Osteosynthesematerial
- Besonderheiten
- Geeignet insb. für Frakturen mit singulärem Fragment
- Geschlossene oder offene Reposition möglich
- Meist Verwendung als Kompressions- oder Zugschraube
- Anwendungsbeispiele
Plattenosteosynthese
- Definition: Operative Frakturversorgung unter Verwendung von Platten als Osteosynthesematerial
- Besonderheiten
- Geeignet insb. für mehrfragmentäre Frakturen der langen Röhrenknochen
- Häufig offene Reposition
- Anwendungsbeispiele
K-Draht-Osteosynthese
- Definition: Operative Frakturversorgung unter Verwendung von K-Drähten als Osteosynthesematerial
- Besonderheiten
- Geeignet insb. für Frakturen der kleinen Röhrenknochen oder epi- und metaphysäre Frakturen bei Kindern
- Direkte Fixierung der Frakturfragmente
- Anwendungsbeispiele
Marknagelung
- Definition: Operative Frakturversorgung unter Verwendung eines Marknagels als Osteosynthesematerial
- Besonderheiten
- Antero- und retrograde Einbringung möglich
- Dynamisierung möglich
- Anwendungsbeispiele
- Pertrochantäre Femurfraktur
- Subtrochantäre Femurfraktur
- Humerusschaftfraktur
- Femurschaftfraktur
- Tibiaschaftfraktur
Elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN)
- Definition: Operative Frakturversorgung unter Verwendung eines elastischen Titannagels als Osteosynthesematerial
- Besonderheiten
- Geeignet insb. für meta- und diaphysäre Frakturen bei Kindern
- Lediglich relative Stabilität erreichbar → Indirekte (sekundäre) Frakturheilung
- Anwendungsbeispiele
- Unterarmschaftfraktur
- Claviculafraktur
- Kindliche Femurfraktur
- Kindliche Unterschenkelschaftfraktur
Zuggurtungsosteosynthese
- Definition: Operative Frakturversorgung mittels Zuggurtung durch verschiedene Osteosynthesematerialien
- Funktionsprinzip: Umwandlung von Zug- in Druckkraft → Kompression des Frakturspalts
- Anbringen des Osteosynthesematerials auf der konvexen Seite eines Knochens (Zugseite) → Druckaufbau auf der gegenüberliegenden Seite
- Zuggurtung je nach Lokalisation der Fraktur statisch oder dynamisch
- Voraussetzungen
- Fraktur kann Kompression widerstehen
- Osteosynthesematerial kann Zugkräften widerstehen
- Anwendungsbeispiele
Fixateur externe
- Definition: Operative Frakturversorgung durch ein (teilweise) externes Haltesystem mit mehreren Komponenten
- Nägel oder Schrauben zur Knochenfixierung
- Steinmann-Nagel
- Schanz-Schraube
- Stangen als externe Längsträger
- Verbindungsbacken als Bindeglieder
- Nägel oder Schrauben zur Knochenfixierung
- Funktionsprinzip: Extramedulläre winkelstabile Stabilisierung
- Nägel bzw. Schrauben werden bikortikal proximal und distal der Fraktur eingebracht
- Winkelstabile Stabilisierung über die Verbindung mit den Längsträgern
- Steifigkeit und Stabilität abhängig von der Art der Montage
- Anwendungsbeispiele
- Temporäre Stabilisierung , bspw. bei
- Offener Fraktur
- Ausgeprägtem Weichgewebeschaden
- Frakturassoziierter Infektion
- Polytrauma
- Endgültige Stabilisierung, bspw. bei
- Kindlicher Fraktur
- Gelenkluxation
- Patient:innen, bei denen ein Verfahrenswechsel nicht sinnvoll oder möglich ist
- Segmenttransport: Verlängerung und Deformitätenkorrektur
- Temporäre Stabilisierung , bspw. bei
- Sonderformen
- Bewegungsfixateur
- Ringsystem
- Hybridfixateur
- Halofixateur
Die Steifigkeit und Stabilität des Fixateur externe hängt von der Art der Montage ab!
Fixateur interne
- Definition: Operative Frakturversorgung durch ein internes Haltesystem mit mehreren Komponenten
- Pedikelschrauben zur Knochenfixierung
- Stangen als interne Längsträger
- Verbindungsbacken als Bindeglieder
- Funktionsprinzip: Extramedulläre winkelstabile Stabilisierung
- Anwendungsbeispiele
- Siehe auch: Spondylodese
Endoprothetik
Grundlagen [5][6]
- Definition: Oberbegriff für operative Verfahren mit künstlichem Gelenkersatz
- Typische Indikationen
- Degenerative Gelenkveränderungen (Arthrose)
- Posttraumatische Gelenkveränderungen (Knorpeldefekte)
- Sekundäre Gelenkdestruktion
- Sonderfall: Tumorendoprothetik
Hemi-Endoprothese (HEP) [5][7]
- Definition: Oberflächenersatz eines Gelenkanteils
- Anwendungsbeispiele
- Kompletter Ersatz eines Gelenkpartners
- Teilweiser Ersatz beider Gelenkpartner
- Teilweiser Ersatz eines Gelenkpartners (sog. Miniprothesen)
Total-Endoprothese (TEP) [5][7]
- Definition: Kompletter Oberflächenersatz aller Gelenkpartner
- Anwendungsbeispiele
- Sonderfälle
- Gekoppelte TEP
- Inverse Prothese
Chirurgische Amputation
Grundlagen [8]
- Definition: Operative Abtrennung eines Körperteils
- In der Unfallchirurgie/Orthopädie insb. Abtrennung von Extremitäten
- Minor- bzw. Mikroamputation: Distal des Hand- oder Sprunggelenks
- Major- bzw. Makroamputation: Proximal des Hand- oder Sprunggelenks
- Grenzzonenamputation: Amputation an der Grenze zwischen vitalem und nekrotischem Gewebe
- In anderen chirurgischen Disziplinen auch Abtrennung von Weichgewebe
- In der Unfallchirurgie/Orthopädie insb. Abtrennung von Extremitäten
- Indikation: Ultima Ratio nach Ausschöpfen aller anderen Therapieoptionen bzw. bei vitaler Bedrohung
- Anwendungsbeispiele
- Ausgeprägter Diabetes mellitus oder schwere pAVK
- Schwere Traumatisierung oder Abrissverletzung
- Maligne Knochentumoren oder Weichgewebetumoren ohne extremitätenerhaltende Möglichkeiten
- Schwere therapierefraktäre Knochen- und/oder Weichgewebeinfektion
- Sehr selten: CRPS, angeborene Fehlbildungen, Kriegsverletzungen
- Eingriffsziele
- Gute vaskuläre Versorgung
- Ausreichende Weichgewebedeckung
- Spannungsfreier Wundverschluss
- Funktionsfähigkeit und ggf. Längenerhalt
- Mögliche Folgeeingriffe
- Verbesserung des Weichgewebemantels
- Nachamputation auf höherem Niveau
Operative Verfahren [9]
Obere Extremität
Übersicht chirurgischer Amputationen im Bereich der oberen Extremität | |
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Operatives Verfahren | Besonderheiten |
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Untere Extremität
Übersicht chirurgischer Amputationen im Bereich der unteren Extremität | |
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Operatives Verfahren | Besonderheiten |
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Sonderfall: Borggreve-Umkehrplastik [10]
- Synonym: Umkehrplastik nach Borggreve-Van-Ness-Winkelmann
- Typische Indikation: Maligner Knochentumor am distalen Femur ohne Möglichkeit zum Erhalt der Extremität (aufgrund der Tumorausdehnung)
- Durchführung eher im pädiatrischen Bereich
- Alternative zur Oberschenkelamputation
- Durchführung
- Resektion des Kniegelenks mit distalem Femur und proximalem Unterschenkel
- Osteosynthese des distalen Femurs an den um 180° in der Längsachse gedrehten Unterschenkel mit Fuß
- Versorgung mit Unterschenkelprothese
- Resultat
- Sprunggelenk wird funktionell zum Kniegelenk
- Meist gute Funktionalität und geringe Alltagseinschränkung
Spezielle operative Verfahren
Resektionsarthroplastik
- Definition: Operative Entfernung eines Gelenks bzw. von Gelenkanteilen
- Hemiarthroplastik: Resektion eines Gelenkanteils
- Arthroplastik: Resektions des gesamten Gelenks
- Resektions-Interpositions-Arthroplastik: Resektion des gesamten Gelenks und Interposition von Weichgewebe
- Typische Indikationen
- Schmerzreduktion
- Verbesserung der Bewegung und Funktion
- Chirurgische Infektsanierung
- Anwendungsbeispiele
- Epping-Plastik bei Rhizarthrose
- AC-Gelenkresektion bei ACG-Arthrose
- OP nach Hohmann bei Hammerzehe
- Resektionsarthroplastik des Schultergelenks bei periprothetischer Infektion
- Resektionsarthroplastik des Ellenbogengelenks bei Cubitalarthrose
- OP nach Darrach bei Arthrose des distalen Radioulnargelenks
- Girdlestone-OP bei periprothetischer Infektion des Hüftgelenks
Arthrodese
- Definition: Operative Versteifung eines Gelenks
- Typischerweise in Funktionsstellung
- Für die Anwendung im Bereich der Wirbelsäule siehe: Spondylodese
- Typische Indikationen
- Schmerzreduktion
- Verbesserung der Funktion
- Verbesserung der Belastbarkeit
- Durchführung
- Offene oder arthroskopische Resektion der Gelenkfläche
- Ggf. Anlagerung von Spongiosa
- Gelenküberbrückende Osteosynthese
- Anwendungsbeispiele
- SLAC bzw. SNAC
- Heberden-Arthrose
- Hallux rigidus
Komplikationen
Allgemeine Komplikationen
- Verletzung von Muskeln oder Nerven
- Hämatom- bzw. Serombildung
- Wundheilungsstörung bzw. Wundinfektion
- Hypertrophe Narbe, Keloid
- Heterotope Ossifikation
- Siehe auch: Allgemeine postoperative Komplikationen
Spezielle Komplikationen
Osteosynthese
- Frakturassoziierte Infektion
- Materialversagen
- Ausbleiben der Frakturausheilung mit Ausbildung einer Pseudarthrose
- Bewegungs- und/oder Funktionseinschränkung, Fehlstellung (Malunion)
- Arthrose bzw. Arthrofibrose
- Kompartmentsyndrom
- Chronische Schmerzen, CRPS
Endoprothetik
- Palacos-Embolie, Fettembolie
- Periprothetische Infektion
- Periprothetische Fraktur
- Prothesenlockerung
- Prothesenluxation
Eine häufige Ursache für die Lockerung einer Prothese ist eine periprothetische Infektion!
Chirurgische Amputation
- Phantomschmerz
- Neurombildung
- Knöcherne Durchspießung
Sekundäre Komplikationen als Folge einer Immobilisierung [4]
- Pneumonie
- Dekubitus
- Harnwegsinfekt
- Phlebothrombose
- Osteoporose
- Sarkopenie
- Verlust der Selbständigkeit und reduzierte Lebensqualität
Pseudarthrose
Grundlagen [12][13][14]
- Klinische Definition: Ausbleiben der Frakturausheilung („non-union“) über einen Zeitraum von 6 Monaten
- Weitere Definitionen
- Ausbleiben der Frakturausheilung über einen Zeitraum von 9 Monaten (davon 3 Monate ohne weiteren Heilungsfortschritt)
- Alle Frakturen, bei denen eine Ausheilung ohne weitere Intervention nicht zu erwarten ist (unabhängig von der vergangenen Behandlungsdauer)
- Weitere Definitionen
- Epidemiologie
- Häufigste Lokalisationen
- Os scaphoideum (15,5%)
- Tibia, Fibula (14%)
- Femur (13,9%)
- Symptome / klinisches Bild
- Verminderte Belastbarkeit
- Schmerzhafte Funktionseinschränkung
- Abnorme Beweglichkeit
- Schwellung
Risikofaktoren für die Entstehung einer Pseudarthrose [12] | |
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Patientenabhängig | Patientenunabhängig |
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Im klinischen Alltag wird typischerweise von einer Pseudarthrose gesprochen, wenn die Frakturausheilung über 6 Monate ausbleibt – in der internationalen Literatur finden sich aber auch andere Definitionen!
Klassifikation [12][15][15][16]
- Nach Morphologie (Weber-Cech-Klassifikation)
- Hypertrophe Pseudarthrose
- Gewebe: Vitales Knochengewebe mit guter Perfusion und hohem osteoregenerativen Potenzial
- Ursache: Meist mechanische Instabilität
- Folge: Vermehrte Kallusbildung
- Röntgenbefund: „Elefantenfußartige“ Enden der Fragmente
- Atrophe Pseudarthrose
- Gewebe: Avitales Knochengewebe mit geringem osteoregenerativen Potenzial
- Ursache: Reduzierte Perfusion oder frakturassoziierte Infektion
- Folge: Reduzierte Kallusbildung
- Röntgenbefund: Zunehmende Sklerosierung an den Enden der Fragmente
- Mischbilder
- Oligotrophe Pseudarthrose: Unzureichende Kallusbildung bei intakter Durchblutung
- Defektpseudarthrose: Initial vitale Fragmente werden bei großer Defektzone avital
- Hypertrophe Pseudarthrose
- Nach Pathophysiologie
- Aseptische Pseudarthrose
- Infektpseudarthrose (ggf. mit klinischen Infektionszeichen )
- Nach Verlauf
- (Sub‑)Akut
- Chronisch
Zur Abschätzung der Knochenheilung und Ableitung einer Therapieempfehlung kann bei Pseudarthrosen auch das Non-Union Scoring System (NUSS) verwendet werden! [17]
Diagnostik [15]
- Bildgebung: Konventionelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen
- Erweiterte Diagnostik bei unklarem Befund oder zur korrekten Identifizierung der Ursache
- Labordiagnostik: Häufig unauffällig
- Ggf. Erhöhung der Entzündungsparameter, bspw. CRP, BSG
- Ggf. Hinweis auf Stoffwechselproblematik
- Mikrobiologische Diagnostik: Entnahme von mind. 3 Gewebeproben empfohlen
Radiologische Zeichen einer Pseudarthrose (Übersicht) | |
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Verfahren | Typische Befunde |
Konventionelles Röntgen |
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CT | |
MRT |
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Aufgrund der therapeutischen Relevanz ist es wichtig, die Ursache der Pseudarthrose korrekt zu diagnostizieren!
Liegen klinische Infektionszeichen oder entsprechende Risikofaktoren (bspw. eine Immunsuppression) vor, ist bis zum Beweis des Gegenteils von einer Infektpseudoarthrose auszugehen!
Therapie [12][16]
- Konservativer Therapieversuch: Sollte grundsätzlich in Betracht gezogen werden, ist jedoch insg. eine Ausnahme [14]
- Voraussetzungen
- Mechanische Stabilität vorhanden
- Keine Fehlstellung
- Vitale Pseudarthrose
- Keine Infektion
- Mögliche Maßnahmen
- Belastungssteigerung
- Low-Intensity pulsed Ultrasound (LIPUS)
- Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT)
- Elektromagnetische Therapie
- Voraussetzungen
- Kombinierte chirurgische und antibiotische Therapie: Goldstandard [14]
- Primäreingriff
- Radikale Resektion pseudarthrotischen Gewebes
- Ggf. Rekonstruktion der Defektzone
- Ggf. Entfernung einliegenden Osteosynthesematerials
- Ggf. lokale Antibiotikagabe
- Ruhigstellung, bspw. mit Fixateur externe
- Ggf. Sekundäreingriff
- Mechanische Stabilisierung
- Ggf. regenerative Therapieverfahren
- Ggf. Knochenrekonstruktion
- Ggf. Weichgeweberekonstruktion
- Antibiotische Therapie: Typischerweise zunächst empirisch, dann ggf. Wechsel je nach Antibiogramm
- 2 Wochen bei aseptischer Pseudarthrose
- 12 Wochen bei Infektpseudarthrose
- Zur Auswahl des Wirkstoffs siehe: Frakturassoziierte Infektion
- Primäreingriff
Parallel zur eigentlichen Behandlung der Pseudarthrose sollten patientenspezifische Faktoren wie Begleiterkrankungen oder Dauermedikation möglichst optimiert werden!
Eine Infektpseudarthrose sollte in einem spezialisierten Zentrum behandelt werden! [12]
Frakturassoziierte Infektion
Grundlagen [18][19]
- Definition: Bakterielle Infektion der Frakturregion nach operativer Versorgung
- Frühinfektion: Auftreten innerhalb von 4 Wochen nach OP
- Spätinfektion: Auftreten ab der 5. postoperativen Woche
- Epidemiologie: 1–2% aller im stationären Bereich durchgeführten Osteosynthesen
- Klinische Einteilung
- Typische Erreger: Staphylococcus aureus und koagulasenegative Staphylokokken [20]
- Symptome / klinisches Bild
- Lokale Entzündungszeichen, Schmerzen
- Wundheilungsstörung, Fistelbildung
- Persistierende bzw. eitrige Wundsekretion
- Verzögerte bzw. fehlende knöcherne Konsolidierung der Fraktur (siehe auch: Pseudarthrose)
Eine frakturassoziierte Infektion kann zwar grundsätzlich auch bei konservativer Therapie auftreten, im klinischen Alltag ist mit dem Begriff jedoch typischerweise eine Infektion nach operativer Frakturversorgung gemeint!
Diagnostik [18][19]
- Bildgebung: Kein Beweis einer (Früh‑)Infektion möglich, aber wichtig für die OP-Planung
- Konventionelle Röntgenaufnahme insb. zur Beurteilung einer frühen Infektion kaum verwertbar
- Ggf. CT oder MRT mit Kontrastmittel zum Nachweis der begleitenden Weichgewebeinfektion
- Ggf. Szintigrafie zum Nachweis einer Osteomyelitis
- Labordiagnostik: Ggf. Entzündungsparameter↑
- Intraoperative Biopsie: Mikrobiologische und histopathologische Diagnostik
- Entnahme von 3–6 Proben aus makroskopisch infektverdächtigem Knochen- und Weichgewebe
- Kontamination durch Hautflora möglichst vermeiden
Konfirmatorische und suggestive Kriterien einer frakturassoziierten Infektion [19] | |
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Konfirmatorisch | Suggestiv |
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Je früher eine frakturassoziierte Infektion diagnostiziert und behandelt wird, desto besser ist typischerweise die Prognose!
Therapie [18][19]
- Vorgehen: Kombinierte antibiotische und chirurgische Therapie
- Therapiestrategie
- Frühinfektion: Eradikation oder Suppression der Infektion
- Eradikation der Infektion → Frakturheilung und Erhalt eines Implantates
- Suppression der Infektion → Frakturheilung und dann Implantatentfernung
- Spätinfektion: Individuelle, multimodale Therapieplanung zur Eradikation der Infektion
- Frühinfektion: Eradikation oder Suppression der Infektion
Zentrale Frage bei der Planung des therapeutischen Vorgehens ist, ob bzw. wie weit die Fraktur bereits konsolidiert ist!
Antibiotische Therapie
- Durchführung: Typischerweise zunächst kalkuliert
- Standardmäßig mit Ampicillin/Sulbactam
- Bei offener Fraktur III° oder Fistelbildung mit Piperacillin/Tazobactam
- Im Verlauf ggf. gezielte Antibiotikatherapie gemäß Antibiogramm
- Therapiedauer: 12 Wochen
- Applikation: In den ersten 2 Wochen i.v., danach bei gutem Ansprechen Wechsel auf p.o. möglich
Chirurgische Therapie
- Durchführung
- Radikales Débridement und ausgiebige Spülung
- Hämatomausräumung
- Radikale Resektion nekrotischen Weichgewebes oder knöcherner Sequester
- Fistelexzision bzw. Resektion einer Abszessmembran
- Entfernung von Fremdmaterial
- Entfernung des Osteosynthesematerials [20]
- Ggf. lokale Antibiotikatherapie
- Temporäre Stabilisierung
- Temporärer Wundverschluss, bspw. mit Vakuumversiegelung
- Radikales Débridement und ausgiebige Spülung
- Reosteosynthese im Verlauf
Häufig sind mehrere Revisionseingriffe notwendig, um das Infektionsgeschehen beherrschen zu können!
Periprothetische Infektion
Grundlagen [21][22]
- Definition: Bakterielle Infektion nach Versorgung mit einer Gelenkendoprothese
- Typischerweise durch intraoperative Kontamination
- Seltener durch hämatogene Streuung anderer Infektionsherde oder nach Eingriffen mit hohem Kontaminationsgrad
- Epidemiologie
- Ca. 0,2–1,1% bei elektiver Primärimplantation
- Bis zu 5% bei Revisionsoperationen
- Bis zu 9% bei nicht-elektiven Operationen [23]
- Klinische Einteilung
Typische Merkmale periprothetischer Infektionen [21][24] | ||
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Merkmal | Akute Infektion | Chronische (low-grade) Infektion |
Erreger |
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Auslöser |
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Symptome / klinisches Bild |
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Diagnostik [21][25][26]
- Bildgebung
- Konventionelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen
- Beurteilung des einliegenden Fremdmaterials
- Suche nach Hinweisen auf eine mögliche Prothesenlockerung oder periartikuläre Ossifikationen
- Ggf. MRT zur Diagnostik einer Weichgewebeinfektion oder zur Darstellung intraossärer Veränderungen bei chronischer (low-grade) Infektion
- Ggf. Szintigrafie
- Konventionelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen
- Labordiagnostik: Ggf. Entzündungsparameter↑
- Synovialanalyse: Ggf. Zellzahl↑, Leukozytenzahl↑
- Intraoperative Biopsie: Mikrobiologische und histopathologische Diagnostik
- Probenentnahme in unmittelbarer Nähe der Gelenkendoprothese
- Fistelabstriche sind aufgrund der obligaten Kontamination obsolet
- Sonikation des Implantats: Aufgrund der hohen Sensitivität insb. bei chronischer (low-grade) Infektion hilfreich
Sichere Zeichen einer periprothetischen Infektion [26][27] | |
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Diagnostik | Kriterium |
Untersuchungsbefund |
|
Synovialanalyse |
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Histopathologie |
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Mikrobiologische Diagnostik |
|
Ziel der Diagnostik ist der sichere Ausschluss bzw. die Bestätigung einer Infektion sowie der Ausschluss anderer Pathologien (bspw. Arthrofibrose, Verschleiß der Gelenkpartner, Materialabrieb)!
Therapie [24][25][27]
- Vorgehen: Kombinierte antibiotische und chirurgische Therapie
- Ziel: Infektionskontrolle bei bestmöglicher Funktion
Antibiotische Therapie [28]
- Durchführung: Typischerweise zunächst kalkuliert
- Standardmäßig mit Ampicillin/Sulbactam oder Amoxicillin/Clavulansäure
- Bei kompliziertem Verlauf mit Piperacillin/Tazobactam
- Bei bekannter MRSA-Besiedelung zusätzliche Gabe eines weiteren Antibiotikums erforderlich
- Im Verlauf ggf. gezielte Antibiotikatherapie gemäß Antibiogramm
- Therapiedauer: 12 Wochen
- Applikation: In den ersten 2 Wochen i.v., danach bei gutem Ansprechen Wechsel auf p.o. möglich
Chirurgische Therapie
- Durchführung
- Radikales Débridement und ausgiebige Spülung
- Zweizeitiger Prothesenwechsel (Goldstandard)
- Explantation der alten Gelenkendoprothese
- Implantation einer neuen Gelenkendoprothese im Verlauf (meist nach 6 Wochen)
- Alternativen zum zweizeitigen Prothesenwechsel
Der zweizeitige Prothesenwechsel ist das Standardverfahren für periprothetische Infektionen!
Periimplantäre Fraktur
Grundlagen [4][29]
- Definition: Fraktur in der Nähe eines Implantats oder einer Prothese (dann auch als periprothetische Fraktur bezeichnet)
- Typische Ursache: Häufig Niedrigenergie- bzw. Bagatelltrauma in Kombination mit Risikofaktoren
- Osteoporose, Diabetes mellitus, rheumatoide Erkrankungen
- Präoperativ vorhandene Fehlstellung
- Zementfreie Fixation, Implantation mittels Press-Fit-Technik
- Fehlimplantation bzw. Malalignment
- Ungeeignetes Implantatdesign
- Materialabrieb, Prothesenlockerung
- Typische Lokalisation: Untere Extremität nach endoprothetischer Versorgung von Hüft- und Kniegelenk
Eine periimplantäre Fraktur kann sowohl intraoperativ als auch im Verlauf auftreten!
Klassifikation
Allgemeine Klassifikation periimplantärer Frakturen (2014) [30] | |
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Typ | Beschreibung |
A (Apophyseal) |
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B (Bed) |
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C (Clear) |
|
D (Dividing) |
|
E (Each) |
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F (Facing) |
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Neben der allgemeinen Klassifikation gibt es auch lokalisationsbezogene Klassifikationen mit zugeordnetem Behandlungsalgorithmus (bspw. Vancouver-Klassifikation für periprothetische Femurfrakturen bei Hüftendoprothese)!
Materialversagen
Grundlagen [31]
- Definition: Lockerung bzw. Bruch eines Materials mit Stabilitätsverlust
- Typischerweise durch Überschreiten der Dauerfestigkeit bzw. der Bruchfestigkeit des Materials
- Klinische Unterscheidung nach aseptischer und septischer Genese
- Risikofaktoren [32][33]
- Fehlende Osteointegration
- Pseudarthrose
- Materialabrieb
- Konstrukt der Osteosynthese
- Symptome / klinisches Bild: Meist belastungsabhängige Schmerzen
Eine Pseudarthrose kann sowohl Ursache als auch Folge eines Materialversagens sein!
Diagnostik [34]
- Konventionelles Röntgen und/oder CT (niedrige Sensitivität und Spezifität)
- Lockerungssaum (periimplantäre Osteolyse)
- Sinterung der Prothese
- Periostale Reaktion
- Periprothetische Fraktur
- Heterotope Ossifikationen
- Skelettszintigrafie (höchste Sensitivität) [35][36]
Therapie
- Durchführung: Abhängig von der Ursache
- Aseptisches Materialversagen: Operative Revision
- Nach Osteosynthese: Materialentfernung, ggf. Reosteosynthese
- Nach Endoprothetik: Prothesenwechsel
- Septisches Materialversagen: Kombinierte antibiotische und chirurgische Therapie, siehe auch:
- Aseptisches Materialversagen: Operative Revision
Bei septischer Genese ist meist eine ausführliche Diagnostik und ein zweizeitiges Vorgehen notwendig!
Studientelegramme zum Thema
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 28-2021-2/3: How long should be the treatment of prosthetic joint infections?
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