Grundlagen
Ziele der AMBOSS-SOP Hämorrhagischer Schock
- Finden und Beheben der Blutungsquelle
- Parallel: Kreislaufstabilisierung, Sicherung der Hämostase und Oxygenierung
- Wiederherstellung des Blutvolumens
Ein hämorrhagischer Schock hat eine hohe Letalität. Die Hälfte der Todesfälle tritt dabei in den ersten 2 Stunden auf!
Definition und Abgrenzung [1][2]
- Definition: Schock durch Blutverlust
- Kriterien
- Kreislauffunktionsstörung
- Organdysfunktion
- Oligurie bis Anurie (Urinproduktion <0,5 mL/kgKG/h)
- Verwirrung, Bewusstseinsstörungen
- Blutverlust als (wahrscheinliche) Ursache
Stabilisierung und Akutdiagnostik
Sofortmaßnahmen
- Monitoring: Herzfrequenz, EKG, Atmung, spO2 , Blutdruck, Urinproduktion
- Schocklagerung
- Bei bekannter Blutungsquelle: Blutstillende Maßnahmen einleiten
- Siehe auch: Blutstillung bei hämorrhagischem Schock
- Blutabnahme
- Venöse Blutgasanalyse (regelmäßig wiederholen)
- Blutgruppenbestimmung, „Kreuzblut“
- Gerinnung: Gerinnungsparameter, Fibrinogen und funktionelle Verfahren (bspw. Rotationsthrombelastometrie)
- Blutbild
- Kreatinin, Leberwerte
- Ggf. β-hCG
- Großlumige venöse Zugänge, ggf. zusätzlich
- Arterieller Zugang: Invasive Blutdruckmessung und Überwachung der Blutgase
- ZVK: Zur ZVD-Messung, als sicheren Zugang, zur einfacheren Katecholamintherapie
- Volumentherapie
- Initial ca. 500 mL Vollelektrolytlösung über weniger als 15 min infundieren, maximal 3 L innerhalb der ersten 6 h [1][2][3]
- Kolloidale Infusionslösungen erwägen [4][5][6][7]
- Ultima Ratio: Gabe von „ungekreuzten“ EK der Blutgruppe 0-
- Sauerstoffgabe
- Atmung: Optimale Strategie unklar [4]
- Sauerstoffgabe
- Ziel: spO2 ≈ 92%, starke Hyperoxie vermeiden
- Ggf. nicht-invasive Beatmung oder Intubation
- Gefahr: Kreislaufverschlechterung durch Hypnotika (im Rahmen einer Intubation) und Beatmungsdruck
- Für Details zur Durchführung siehe
- Sauerstoffgabe
- Massivtransfusionsprotokoll einleiten bei nicht beherrschbarer Situation
- Ggf. Transfusion von Universal-Blutprodukten (falls vorhanden Nutzung einer MTP-Box)
- Anwendung des TASH-Scores möglich, für einen Rechner siehe bspw. [8]
- Für Details siehe: Massivtransfusion - AMBOSS-SOP
- Ggf. Transfusion von Universal-Blutprodukten (falls vorhanden Nutzung einer MTP-Box)
Akutdiagnostik
- Ziel: Finden der Blutungsquelle und Erkennen möglicher Komplikationen und zusätzlicher Risiken
- (Fremd‑)Anamnese
- Anamnestische Hinweise auf Ursache abfragen
- Trauma
- OP-Anamnese, insb. kürzlich durchgeführte OP
- Bekanntes Aortenaneurysma
- Für das Notfallmanagement siehe ggf.: Rupturiertes Bauchaortenaneurysma - AMBOSS SOP
- GERD
- Schwangerschaft
- Medikamentenanamnese, Medikamentenpass
- Ggf. Gabe von entsprechenden Antidoten, siehe auch: Antagonisierung von Antikoagulantien
- Anamnestische Hinweise auf Ursache abfragen
- Untersuchung
- Suche nach Blutungsquelle
- Bodycheck, insb. bei vorangegangenem Trauma
- Körperöffnungen (Hämatemesis, Hämatochezie, vaginale Blutung)
- Innere Blutungen mitunter schwer zu erkennen
- Suche nach Blutungsquelle
- Sonografie
- E-FAST
- Orientierende Echokardiografie
Aufrechterhaltung des Kreislaufes und der Blutgerinnung
Parallel zur Kreislaufstabilisierung hat die Stillung einer anhaltenden Blutung oberste Priorität und sollte durch andere Maßnahmen nicht verzögert werden!
- Ziele: Gewebeoxygenierung gewährleisten, weiteren Blutverlust minimieren
- Maßnahmen
- Massivtransfusionsprotokoll anwenden, balancierte Gabe von Blutprodukten
- Zurückhaltende Anwendung von Elektrolytlösungen (max. 3 L in den ersten 6 h)
- Regelmäßige Wiederholung von BGA und Gerinnungsdiagnostik
- Rahmenbedingungen der Blutgerinnung aufrechterhalten (siehe Gerinnungsmanagement bei Blutungen)
- Blutdruck restriktiv steigern, ggf. permissive Hypotonie (siehe Blutdruckmanagement bei Blutungen)
- Ggf. medikamentöse Kreislaufunterstützung, falls zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Perfusionsdruckes notwendig
- Vorrangig Noradrenalin, in Ausnahmefällen zusätzlich Dobutamin oder Adrenalin [4]
- Siehe auch: Medikamentöse Kreislaufunterstützung - AMBOSS-SOP
Diagnostisches Vorgehen bei unklarer Blutungsquelle
Grundlagen
- Prinzipien: Abhängig von Anamnese, vermutetem Ort der Blutung und Stabilität
- Optionen
- Radiologie: Sonografie, CT, Angiografie
- Endoskopie: ÖGD, Koloskopie
- Gynäkologische Diagnostik: Vaginale Untersuchung, Sonografie
- Explorative Chirurgie: Offen oder minimalinvasiv
Verfahren | Vorteile/Indikationen | Nachteile/Kontraindikationen |
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Sonografie |
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CT |
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Angiografie |
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ÖGD |
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Koloskopie |
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Gynäkologische Diagnostik |
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Offene Chirurgie |
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Minimalinvasive Chirurgie |
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Blutdruckmanagement
Prinzipien
- Restriktive Steigerung
- Bei anhaltender Blutung ggf. permissive Hypotension
- Ziel: Aufrechterhaltung eines ausreichenden Perfusionsdruckes, ohne den Blutverlust unnötig zu verstärken
- Maßnahmen zur Blutdruckkontrolle
- Steigerung des Blutdrucks: Vorrangig Noradrenalin, in Ausnahmefällen zusätzlich Dobutamin oder Adrenalin
- Senkung des Blutdrucks, bspw. kontinuierliche Gabe von Nitroglycerin
Permissive Hypotonie
- Definition: Geduldete bzw. induzierte Hypotonie bis zur operativen Versorgung einer Blutung
- Indikation: Massive, nicht-komprimierbare Blutung
- Kontraindikation: Schädelhirntrauma
- Zielwerte: Systolischer arterieller Blutdruck (SAP) um ca. 85–90 mmHg bzw. MAP ca. 65 mmHg
- Ziele
- Blutverlust nicht unnötig steigern
- Volumenüberladung und deren potenzielle Folgen vermeiden
- Dabei kritische Organperfusion gewährleisten
Gerinnungsmanagement
Rahmenbedingungen der Gerinnung aufrechterhalten bzw. wiederherstellen
- Normothermie (Zielwert der Körperkerntemperatur ca. 36–37,5 °C): Einsatz von erwärmten Infusionslösungen, Wärmematten und Heißluftgebläse
- Normalisierung des pH-Wertes: Ggf. Azidoseausgleich mit Natriumbicarbonat
- Normokalzämie: Calciumsubstitution bei Hypokalzämie [9]
- Calciumchlorid alternativ
- Calciumgluconat [10]
- Ggf. Ersatz von Gerinnungsfaktoren und Gabe von Antifibrinolytika
- Indikation: Verbrauchskoagulopathie bzw. Hyperfibrinolyse
- Insb. im Rahmen einer Massivtransfusion
- Für Details siehe: Massivtransfusionsprotokoll
- Indikation: Verbrauchskoagulopathie bzw. Hyperfibrinolyse
Nicht nur die Gabe kristalloider Lösungen zum Volumenersatz, sondern auch die Gabe von Erythrozyten- und Plasmakonzentraten (ohne Gabe von Thrombozytenkonzentraten) führt zu einer Verdünnung des Blutes hinsichtlich der Blutgerinnungsfaktoren (Verdünnungskoagulopathie)!
Blutstillung
Sobald die Blutungsquelle identifiziert ist, sollte die Blutung schnellstmöglich gestoppt werden. Die dazu geeigneten Maßnahmen hängen von der Art der Blutung ab.
- Traumatische externe Blutungen
- Hämostyptika, Tourniquets, chirurgischer Wundverschluss
- Details siehe: Notfallmanagement - Critical Bleeding
- Interne Blutungen
- Isolierte Gefäßverletzungen: Angiografie oder chirurgische Verfahren
- Ausgedehnte Verletzungen: Im Allgemeinen chirurgisches Vorgehen
- Bei Ruptur eines Bauchaortenaneurysmas siehe: Chirurgische Therapie des rupturierten Bauchaortenaneurysmas
- Gastrointestinale Blutungen
- Ösophagusvarizenblutung: Primär endoskopische Therapie, bei Versagen ggf. chirurgisch
- Siehe auch: Therapie der Ösophagusvarizenblutung
- Obere nicht-variköse GI-Blutung und untere GI-Blutung: Endoskopische Therapie, in Ausnahmefällen auch angiografische oder chirurgische Blutstillung
- Siehe auch: Therapie gastrointestinaler Blutungen
- Ösophagusvarizenblutung: Primär endoskopische Therapie, bei Versagen ggf. chirurgisch
- Gynäkologische Blutungen
- Peripartal: Maßnahmen abhängig von genauer Ätiologie, siehe: Klinisches Management von Blutungen unter der Geburt
- Extrauteringravidität: Je nach Situation Laparoskopie oder -tomie, siehe: Therapie der EUG
Wiederherstellung des Blutvolumens
- Ziele
- Aufrechterhaltung der Blutgerinnung
- Oxygenierung gewährleisten
- Vorgehen: Primär über sog. balancierte Transfusionen mit Kombination aus Erythrozytenkonzentrat (EK) + Fresh Frozen Plasma (FFP) + Thrombozytenkonzentrat (TK)
- Indikationsstellung für eine Massivtransfusion, bspw. über den TASH-Score [8]
- Dann ggf. Anwendung eines Massivtransfusionsprotokolls
- Indikationsstellung für eine Massivtransfusion, bspw. über den TASH-Score [8]
Der Ersatz von Blutvolumen soll als balancierte Transfusion mit einer Kombination aus Erythrozytenkonzentrat (EK) + Fresh Frozen Plasma (FFP) + Thrombozytenkonzentrat erfolgen (sog. „Haemostatic Resuscitation Bundles“)!
Übersicht Blutprodukte bei hämorrhagischem Schock
Indikation | Therapiehinweise | |
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Erythrozyten-Transfusion |
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Plasmakonzentrat-Transfusion (FFP, GFP) |
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Thrombozyten-Transfusion |
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Fibrinogen und Antifibrinolytika |
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Gerinnungsfaktoren |
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Die rechtzeitige Erythrozyten-Transfusion ist im hämorrhagischen Schock lebenserhaltend! [11]
Differenzialdiagnostik atraumatischer Blutungen
Differenzialdiagnostik bei atraumatischem hämorrhagischen Schock | ||
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Ort der Blutung | Diagnostische Hinweise | |
Ösophagusvarizenblutung |
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Epistaxis |
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Ösophagus-Einrisse (Mallory-Weiss-Syndrom, Boerhaave-Syndrom) |
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Maligne Tumoren |
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Rektale Blutung | Obere(!) GI-Blutung |
|
Blutender Tumor |
| |
Angiodysplasien |
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Entzündliche Darmerkrankungen | ||
Weibliche Geschlechtsorgane | Schwangerschafts-/Geburtskomplikationen |
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