Zusammenfassung
Operative Eingriffe bei schwangeren Patientinnen sind nicht selten. Neben geburtshilflich indizierten Eingriffen sind auch andere, meist abdominalchirurgische Operationen nicht immer aufschiebbar und erfordern die Expertise aller beteiligten Fachabteilungen. Gerade in der Anästhesie stellen die physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft, das Nebenwirkungsprofil vieler anästhesierelevanter Medikamente und die drohende Gefährdung des ungeborenen Kindes eine Herausforderung dar und machen eine sorgfältige Risikoevaluation, Planung und Durchführung jeder OP unabdingbar. Für allgemeine Informationen zur Prämedikationsvisite siehe auch: Präoperative Evaluation und Aufklärung in der Anästhesiologie.
Dieses Kapitel behandelt das anästhesiologische Management für nicht-geburtshilfliche Eingriffe bei Schwangeren. Für geburtshilfliche Eingriffe siehe:
Anästhesierelevante, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft
Anästhesierelevante, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft | ||
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Organsystem [1] | Physiologische Veränderung | Anästhesiologische Relevanz |
Respiratorisches System |
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Kardiovaskuläres System |
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Blut und Gerinnungssystem |
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Gastrointestinales System |
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Renales System |
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Für weitere Informationen siehe auch: Physiologische Anpassung an die Schwangerschaft
Anästhesierelevante Medikamente in der Schwangerschaft
Anästhesierelevante Medikamente in der Schwangerschaft | ||
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Wirkstoffgruppe [1][4][5] | Substanz (Teratogenität: o = Keine bekannt, ? = Fraglich, X = Bekannt) | Besonderheiten |
Opioide |
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Hypnotika |
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Inhalationsanästhetika |
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Glucocorticoide |
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Muskelrelaxantien |
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Sympathomimetika |
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Antihypertensiva |
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Nicht-Opioid-Analgetika |
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Antiemetika |
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Lokalanästhetika |
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Für weitere Informationen siehe auch: Pharmakotherapie in der Schwangerschaft
Jedes Medikament sollte aufgrund seiner potenziellen Nebenwirkungen auf den Fötus nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung angewendet werden, ohne jedoch die adäquate Behandlung der Mutter zu gefährden!
Präoperatives Management
Neben den geburtshilflich indizierten Eingriffen während der Schwangerschaft sind nicht-geburtshilfliche Operationen bei 0,75–2% aller Schwangeren gar nicht so selten. Meist handelt es sich um dringliche abdominalchirurgische Eingriffe [1].
OP-Zeitpunkt
- Strenge Indikationsstellung im 1. Trimenon
- Dringliche Eingriffe nach Möglichkeit im 2. Trimenon durchführen
- Elektive Eingriffe verschieben
Präoperative Evaluation
- Allgemeine Evaluation siehe auch: Elektive OP-Vorbereitung
- Mutterpass
- Schwangerschaftsassoziierte Besonderheiten (siehe auch: Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Gestationsdiabetes)
- Internistische Vorerkrankungen (siehe auch: Präoperative Diagnostik und Laboruntersuchungen)
- Atemwegsverhältnisse (siehe auch: Erschwerte Intubationsverhältnisse)
- Auswahl des Narkoseverfahrens
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Regionalanästhesie bevorzugen
- Kombinationsanästhesie mit Katheterverfahren bei großen Eingriffen zur postoperativen Schmerztherapie
- Allgemeinanästhesie unter erhöhtem perioperativem Aspirationsrisiko: RSI ab 20. SSW bis 24 h postpartum empfohlen
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Regionalanästhesie bevorzugen
- Aufklärung
- Siehe auch: Anästhesiologische Aufklärung
- Spezifische Risiken der Regionalanästhesie bzw. Rapid Sequence Induction
Präoperative Vorbereitung und Optimierung [1][4][8]
- Allgemeine Vorbereitungen siehe auch: Unmittelbar perioperatives Management
- Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft: Bei Bedarf
- Für Informationen zur Indikationsstellung siehe auch: Thromboseprophylaxe - Operative Eingriffe
- Vorzugsweise mit niedermolekularem Heparin, bspw. Enoxaparin oder Dalteparin
- Intervalle für Pausierung einer Gabe
- Labordiagnostik bei geringerem bis mittlerem Thromboserisiko: Kontrolle der Thrombozytenzahl 2×/Woche in den ersten 3 Therapiewochen
- Labordiagnostik bei hohem Thromboserisiko: Kontrolle des Anti-Xa-Spiegels 3 h post injectionem (Zielwert: 0,35–0,7 Einheiten/mL)
- Gabe von DOAK: Kontraindiziert
- Für weitere Informationen siehe auch:
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe in der Schwangerschaft mit Penicillinen oder Cephalosporinen
- Prämedikation
- Benzodiazepine nach Möglichkeit vermeiden
- Ab dem 3. Trimenon (27. SSW): Natriumcitrat
- Siehe auch: Medikamentöse Prophylaxe bei hohem Aspirationsrisiko
- Radiologische Bildgebung in der Schwangerschaft [1]
Intraoperatives Management
Grundsätze der Narkoseführung bei Schwangeren
- Aufrechterhaltung der Homöostase der Mutter
- Vermeidung fetaler Hypoxie oder Azidose
- Normaler weiterer Schwangerschaftsverlauf
Vorgehen bei Allgemeinanästhesie [1][9]
Vorbereitung im Einleitungsraum
- Vorbereitung der Mutter
- Atemwegsverhältnisse prüfen
- Atemwegshilfen für erschwerte Intubationsbedingungen bereitlegen
- Sicheren Venenverweilkatheter anlegen
- Lagerung ab der 16.–20. SSW in Linksseitenlage (wenn möglich)
- Überwachung der Mutter
- Standardmonitoring: EKG, Pulsoxymetrie und nicht-invasive Blutdruckmessung
- Kapnometrie
- Relaxometrie obligat
- Überwachung des Fötus nach Entwicklungsstand
- <23. SSW: Doppler-sonografische Überwachung der kindlichen Herzfrequenz vor und nach dem Eingriff
- >23. SSW: Plus Kardiotokografie (CTG) prä- und postoperativ und insb. bei potenzieller Indikation zur operativen Entbindung auch intraoperativ
Narkoseeinleitung
- Besonderheiten bei Schwangeren
- Einleitung als RSI ab 20. SSW bis 24 h postpartum
- Geringe Apnoetoleranz
- Ausreichende Präoxygenierung (3–5 min)
- Zwischenbeatmung erwägen (Inspirationsdruck <15–20 mbar) [10]
- Wirkverlängerung von Succinylcholin im letzten Trimenon beachten
- Durchführung siehe: Rapid Sequence Induction - AMBOSS-SOP
Narkoseführung
- Aufrechterhaltung der Narkose
- Als balancierte Anästhesie mit Inhalationsanästhetika und einem Opioid
- Hohe Dosierungen vermeiden
- MAC-Wert ist bei Schwangeren vermindert
- Als TIVA mit Propofol und Remifentanil
- Als balancierte Anästhesie mit Inhalationsanästhetika und einem Opioid
- Intraoperative Aufrechterhaltung der Homöostase
- Normokapnie anstreben (exspiratorisches CO2 30 mmHg ) zur Vermeidung einer fetalen Azidose
- Hypotonie vermeiden: Primär Volumentherapie, ggf. medikamentöse Vasokonstriktion bspw. mit Theodrenalin/Cafedrin (Akrinor®)
- Hypoxie vermeiden (FiO2 0,5 )
Narkoseausleitung
- Oberkörperhochlagerung und Linksseitenlage
- Extubation nach Ausschluss einer Restrelaxierung
Vorgehen bei Regionalanästhesie
- Durchführung siehe auch: Regionalanästhesie
- Lagerung intraoperativ in Linksseitenlage
- Besonderheiten bei erforderlicher Analgosedierung
- Hypoventilation vermeiden
- Aspirationsrisiko beachten
Für die ausreichende Versorgung des Fötus sind der mütterliche Blutdruck, das HZV sowie Oxygenierung und Normokapnie der Mutter entscheidend!
Postoperatives Management
Überwachung
- Mutter: Siehe auch: Postoperatives Management
- Fötus: Konsiliarisch durch die Geburtshilfe
Analgesie
- Regionalanästhesie über Katheterverfahren weiterführen
- Nicht-Opioid-Analgetika: Bei leichten bis mäßigen Schmerzen
- Mittel der Wahl: Paracetamol
- Mögliche Alternative bis zum 3. Trimenon: Ibuprofen [7]
- Ungeeignet: Metamizol [11]
- Opioid-Analgetika: Bei mäßigen bis starken Schmerzen
- Bedarfsorientiert einsetzen
- Mäßige Schmerzen (VAS 4–6): Niedrigpotentes Opioid, bspw. Tramadol
- Postoperative Schmerzspitzen (VAS 7–10): Hochpotente Opioide, bspw. Piritramid oder Morphin
- Engmaschige Überwachung nach i.v. Applikation: Hypoventilation dringend vermeiden
- Anwendungsdauer nach Möglichkeit beschränken
- Bedarfsorientiert einsetzen
- Informationen zu Teratogenität und Nebenwirkungen auf den Fötus siehe auch: Anästhesierelevante Medikamente in der Schwangerschaft
Die postoperative Versorgung von Mutter und Kind erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der klinikinternen Standards!
Bei postoperativen Schmerzen sollte stets eine geburtshilfliche Ursache (Wehen) ausgeschlossen werden!