Zusammenfassung
Pathologische Serumnatriumkonzentrationen beruhen meist auf einer Veränderung des Wasserhaushaltes und sind somit Resultat einer Konzentrierung oder Verdünnung. Hierbei spielen vor allem Mechanismen der ADH-Resistenz (Wasserverlust) und ADH-Überaktivität (Wasserretention) eine entscheidende Rolle. Seltener liegen tatsächliche Natriumverluste (Diuretika, Diarrhö, Erbrechen) oder Natriumbelastungen (vermehrte Zufuhr) zugrunde. Die Hyponatriämie ist die häufigste Elektrolytstörung, weshalb das Verständnis ihrer Pathophysiologie und Therapie besonders wichtig ist. Neben der kausalen Therapie ist auf einen vorsichtigen Ausgleich zu achten, da es durch osmotische Effekte zum Zelluntergang kommen kann. Besonders gefürchtet ist die pontine Myelinolyse bei zu raschem Ausgleich einer Hyponatriämie.
Definition
- Hyponatriämie = Serumkonzentration <135 mmol/L
- Hypernatriämie = Serumkonzentration >145 mmol/L
(Durchschnittswerte für Erwachsene)
Weitere Definitionen der Hyponatriämie
- Nach Serumnatrium
- Mild: 135–130 mmol/L
- Moderat: 129–125 mmol/L
- Schwer: <125 mmol/L
- Nach zeitlicher Dynamik des Auftretens
- Akute Hyponatriämie: Innerhalb der letzten 48 h entstanden und entsprechend durch datierte Laborbefunde dokumentiert
- Chronische Hyponatriämie: Seit >48 h bestehend
- Nach Symptomen
- Moderat symptomatische Hyponatriämie: Übelkeit, Kopfschmerzen, leichte Verwirrtheit
- Schwer symptomatische Hyponatriämie: Vigilanzstörung, Koma, epileptischer Anfall
Ätiologie
Die Angaben zum Volumenstatus beziehen sich auf das Gesamtkörperwasser, nicht auf das intravasale Volumen.
Hyponatriämie
- Hypervolämische Formen (häufig) mit Verdünnungseffekt ohne Natriumverlust („Wasservergiftung“)
- Herzinsuffizienz, Leberzirrhose, nephrotisches Syndrom (Urin-Natrium-Konzentration <30 mmol/L)
- Chronischer Alkoholismus insb. bei Bevorzugung niedrigprozentiger Alkoholika , seltener Hypothyreose
- TUR-Syndrom
- Trinken von destilliertem Wasser
- Psychogene Polydipsie
- Akute symptomatische Hyponatriämie bei schwerster körperlicher Betätigung: Gesteigerte ADH-Ausschüttung nach körperlicher Extrembelastung (z.B. Marathonlauf) mit anschließender übermäßiger Wasserzufuhr
- Chronische Niereninsuffizienz mit Überwässerung (Urin-Na >30 mmol/L)
- Hypovolämische Formen mit (echtem) Natrium- und Wasserverlust
-
Renal (→ Urin-Natrium-Konzentration↑, >30 mmol/L)
- Diuretika, insb. Thiazide
- Nebennierenrindeninsuffizienz (Cortisonmangel , Aldosteronmangel)
- Zerebrales Salzverlust-Syndrom
- Renal-tubuläre Azidose
- Extrarenal (→ Urin-Natrium-Konzentration↓, <30 mmol/L)
- Erbrechen
- Diarrhö
- Pankreatitis
- Peritonitis
-
Renal (→ Urin-Natrium-Konzentration↑, >30 mmol/L)
- Normovolämische Formen bzw. Mischformen
-
ADH-vermittelt
- Schwartz-Bartter-Syndrom (SIADH, Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion)
- Nicht-osmolare Trigger einer ADH-Sekretion: Psychosen, erhebliche Angst- und Stressreaktionen, Schmerzen(!)
- Medikamentöse Auslöser: ACE-Hemmer, Sulfonylharnstoffe, Haloperidol
- Hypothyreose
-
ADH-vermittelt
- Sonderfall: Hypertone Hyponatriämie (bei Coma diabeticum)
- Pathophysiologie: Durch eine Hyperosmolarität des Plasmas kommt es zu einer Flüssigkeitsverschiebung von extravasal nach intravasal, konsekutiv sinkt die Natriumkonzentration
- Pseudohyponatriämie
- Definition: Messartefakt durch Hyperlipidämie oder Hyperproteinämie (z.B. Paraproteinämie bei Plasmazytom oder i.v. Immunglobulingabe)
- Grund: Gemessener Natriumwert wird auf den prozentuellen Anteil der wässrigen Phase bezogen, der aufgrund des erhöhten Protein- oder Lipidanteils erniedrigt ist
- Klinische Relevanz: Gering, bei modernen Messungen wird dieser Fehler vermieden
Eine Hyponatriämie ist in den allermeisten Fällen auf einen Überschuss an Wasser im Körper zurückzuführen, nicht auf eine verminderte Natriummenge!
Akut einsetzende Hyponatriämie
- Risikokonstellationen: Für kurzfristig (binnen 48 h) einsetzende Formen der Hyponatriämie sind Risikokonstellationen identifiziert worden
- Patienten in der Postoperativ-Phase (umfasst auch TUR-Syndrom)
- Polydipsie und körperliche Anstrengung („Viel Schwitzen, viel Trinken“)
- Abführmaßnahmen zur Koloskopie
- Kürzlich begonnene Einnahme von bzw. Therapie mit
- Thiaziddiuretika
- Desmopressin (bspw. bei Diabetes insipidus oder bei perioperativen Patienten mit Von-Willebrand-Syndrom)
- Terlipressin (z.B. bei Ösophagusvarizenblutung)
- Oxytocin (z.B. bei postpartaler Blutung)
- Cyclophosphamid (z.B. bei der Behandlung von Malignomen)
- 3,4-MDMA-haltige Drogen (Ecstasy, MDMA und weitere Amphetamine)
In diesen Konstellationen wird eine Hyponatriämie als Notfall wesentlich wahrscheinlicher!
Hypernatriämie
- Häufig: Wasserverlust mit Konzentrierung, ohne Natriumüberschuss: Hypovolämisch
- Exsikkose jeglicher Ursache (extrarenal), bspw. bei Fieber/Schwitzen, Verbrennungen u.a. (siehe dazu auch: Dehydratation)
-
Renal
- Diabetes insipidus
- Osmotische Diurese (z.B. bei Hyperglykämie, Mannitoltherapie)
- Gastrointestinal: Wässrige Diarrhöen
- Iso- oder Hypervolämisch: Echter Natriumüberschuss
- Gesteigerte orale Natriumzufuhr (z.B. Trinken von Meerwasser)
- Iatrogen (Übermäßige Gabe von NaCl oder Natriumbicarbonat)
- Primärer Hyperaldosteronismus
- Funktionsstörungen des Hypothalamus jeglicher Ursache
Risikogruppen für Hypernatriämien sind insb. Patienten mit eingeschränkter Durstwahrnehmung (Ältere, Menschen mit Intelligenzminderung bzw. „geistiger Behinderung“) und/oder dem Unvermögen eigenständiger Wasseraufnahme (Pflegebedürftige, intubierte Patienten auf Intensivstation, Kinder)!
Pathophysiologie
Natrium und Osmolarität
-
Natrium ist mit seinen begleitenden Anionen (Chlorid und Bicarbonat) für die Osmolarität des Extrazellulärvolumens maßgeblich
- Das Serumnatrium ist ein indirektes Maß der Osmolarität
- Differenzen des Serumnatriums zur intrazellulären Natriumkonzentration bestimmen den osmotischen Gradienten
- Flüssigkeitsverschiebung zwischen intra- und extrazellulären Räumen wird durch diesen osmotischen Gradienten bestimmt
- Serumnatrium↑ → Flüssigkeitsverschiebung von intra- nach extrazellulär → Zellschrumpfung
- Serumnatrium↓ → Flüssigkeitsverschiebung von extra- nach intrazellulär → Zellschwellung
Das ZNS reagiert am empfindlichsten auf diese Formen der Flüssigkeitsverschiebung, insbesondere bei schnellen Veränderungen der Osmolarität durch pathologische oder therapeutische Ursachen!
Serumosmolarität
- Gemessene Serumosmolarität: Normal bei 285–295 mosmol/L
- Berechnete Serumosmolarität (S-osm): Berechnung unter Zuhilfenahme der Serumkonzentrationen von Natrium, Harnstoff und Glucose
- Formel: S-osm = 2 × Serumnatrium + Serumharnstoff + Serumglucose (Konzentrationen in mmol/L)
- Rechenbeispiel: Patient mit Serumnatrium 115 mmol/L, Serumharnstoff 7 mmol/L und Serumglucose 5 mmol/L
- 2 × 115 + 7 + 5 = 242 mosmol/L
- Osmotische Lücke: Differenz zwischen berechneter (242 mosmol/L) und gemessener Serumosmolarität
- Rechenbeispiel: Bei gemessener Serumosmolarität von 235 mosmol/L
- 242 mosmol/L ‑ 235 mosmol/L = 7 mosmol/L
- Interpretation: Normal bis ≤10 mosmol/L, bei höheren Werten liegt eine hypertone Hyponatriämie vor!
- Rechenbeispiel: Bei gemessener Serumosmolarität von 235 mosmol/L
- Bei Hyperglykämie: Korrigiertes Serumnatrium berechnen!
Physiologische Stellgrößen für Volumen und Osmolarität
- Volumenregulation
- Karotissinus: Sympathikusaktivität↑ bei art. Blutdruck↓
- Vorhofmyokard: Natriuretische Peptide↑ bei Vorhofdehnung↑ → Natriuretische Peptide steigern die renale Natriumausscheidung
- Juxtaglomerulärer Apparat: Bei Abnahme des arteriellen Blutvolumens Aktivierung des RAAS → Renale Natriumrückresorption↑ und Wasserretention
- Osmoregulation
- Hypothalamus: ADH-Sekretion↑ bei Hypovolämie und/oder Serumosmolarität↑
Formeln und Größen zur Therapie von Störungen des Natriumhaushalts
- Gesamtkörperwasser (GKW): Näherungswert für die Summe des intra- und extrazellulären Wassers im Körper gemessen am Körpergewicht, geschlechts- und altersabhängig
- Männer mittleren Alters (bis ≈ 60–65 J.): 60% des KG
- Männer höheren Alters (>65–70 J.): 50% des KG
- Frauen mittleren Alters (bis ≈ 60–65 J.): 50% des KG
- Frauen höheren Alters (>65–70 J.): 45% des KG
- Kinder: 60–75% des KG
- Säuglinge: Bis zu 80% des KG
Natriumeffekt von Infusionslösungen
Nach dem Elektrolytgehalt von Infusionslösungen kann der zu erwartende Effekt auf das Serumnatrium abgeschätzt werden .
Infusionslösung | Elektrolytkonzentration in mmol/L | Verteilung der Infusionslösung im intra-/extrazellulären Raum |
---|---|---|
NaCl 0,9% |
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NaCl 0,45% |
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NaCl 3% |
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Glucose 5% (G-5) |
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Ringer-Lactat-Lösung |
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|
- Formel zur Berechnung des Natriumeffektes: ΔNa+Serum= (Na+Infusion + K+Infusion - Na+Serum) ÷ (GKW + 1)
- Aussagekraft: Erlaubt eine Abschätzung, um wieviel mmol/L das Serumnatrium ansteigt, wenn 1 L der zugrundegelegten Infusionslösung gegeben wird
- Rechenbeispiel: 40 Jahre alte Patientin mit 60 kg KG, Serumnatrium 115 mmol/L, Berechnung für die Infusionslösung NaCl 3%
- Gesamtkörperwasser: GKW = 60 × 0,5 = 30
- Einsetzen in die Formel: ΔNa+Serum = (513 + 0 - 115 ) ÷ (30 +1) → 398 ÷ 31 = 12,83 (mmol/L)
- Ergebnis: Die Infusion von 1 L NaCl 3% würde bei dieser Patientin das Serumnatrium um etwa 13 mmol/L anheben (zu schnell!)
Symptomatik
- Hypo- und Hypernatriämie äußern sich beide(!) in zahlreichen neurologischen Symptomen, wobei leichte Formen durchaus asymptomatisch bzw. subklinisch verlaufen können
- Leichte Symptome
- Übelkeit, Cephalgien, kognitive Funktionsstörungen, Verwirrtheit
- Schwere Symptome
- (Wiederholtes) Erbrechen
- Koma bzw. schwere Vigilanzstörung (Muskeleigenreflexe meist↑)
- Auftreten von epileptischen Anfällen
- Kardiopulmonale Dekompensation (z.B. respiratorische Insuffizienz)
- Leichte Symptome
- Milde „asymptomatische“ Hyponatriämie [1]: Ab Werten um 125 mmol/L können insb. bei älteren Patienten mit chronischen Hyponatriämien häufig fehlgedeutete unspezifische Beschwerden auftreten
- Vermehrte Sturzneigung bei Gangunsicherheit
- Kognitive Defizite (z.B. Verschlechterung im MMST)
- Symptome der zugrundeliegenden Erkrankung
Schwere Hypernatriämien sind seltener als schwere Hyponatriämien, haben jedoch eine deutlich höhere Letalität (>50% bei Natriumkonzentrationen von >160 mmol/L)!
Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Berücksichtigung insb. folgender Aspekte in der Anamnese
- Körperliche Untersuchung: Erfassung des Volumenstatus
- Zeichen der Hypervolämie: Ödeme? Aszites? Pleuraerguss? Venöse Füllung?
- Zeichen der Hypovolämie: Reduzierter Hautturgor? Trockene Schleimhäute?
- Hinweise auf Flüssigkeitsverluste in den „dritten Raum“?
- Pankreatitis? Ileus? Große Wundflächen? Sepsis?
- Hinweise auf Flüssigkeitsverluste in den „dritten Raum“?
Blutuntersuchung
- Serumnatrium
- Hämatokrit
- Serumosmolalität
- Kreatinin, Harnstoff
- Serumkalium
- Blutzucker
- TSH
- Bei schweren Symptomen: BGA
- Bei Verdacht: Cortisol im Serum
Die Bestimmung des ADH bei Hyponatriämie ist in aller Regel nicht sinnvoll!
Urinuntersuchung
- Untersuchungsmaterial: Einmalurin ausreichend
- Urinosmolalität und Urin-Natriumkonzentration: Kann bei Elektrolytstörungen des Natriums die ätiologische Zuordnung erleichtern
- Urinuntersuchung bei Hyponatriämie
- Urinosmolalität ≤100 mosmol/kg: Am ehesten Polydipsie bzw. Aufnahme größerer Mengen elektrolytarmer Flüssigkeit (z.B. auch TUR-Syndrom)
- Urinosmolalität ≥100 mosmol/kg: Weitere Einordnung nach Bestimmung des Urin-Natriums
- Urin-Natrium ≤30 mmol/L: Hinweis auf erniedrigtes effektives arterielles Blutvolumen
- Bei Hypervolämie: Am ehesten bei Herzinsuffizienz, Leberzirrhose und nephrotischem Syndrom
- Bei Hypovolämie: Am ehesten bei gastrointestinalen Verlusten
- Urin-Natrium >30 mmol/L: Häufig bei Diuretikaeinnahme und bei chronischer Niereninsuffizienz, daher im Zweifel schlecht zu beurteilen
- Bei Hypovolämie: Am ehesten bei gastrointestinalen Verlusten, primärer Nebennierenrindeninsuffizienz, Salzverlustsyndromen (renal-tubuläre Azidose, zerebrales Salzverlustsyndrom)
- Ohne Hypovolämie: Am ehesten bei SIADH, sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz, Hypothyreose
- Urin-Natrium ≤30 mmol/L: Hinweis auf erniedrigtes effektives arterielles Blutvolumen
- Urinosmolalität > Plasmaosmolalität: Am ehesten Ausdruck eines SIADH
- Urinuntersuchung bei Hypernatriämie
- Urinosmolalität ≥800 mosmol/kg: I.d.R. extrarenaler Wasserverlust
- Urin-Natrium <30 mmol/L: Wasserverlust bspw. über Perspiratio insensibilis oder gastrointestinal
- Urin-Natrium >60 mmol/L: Echte Salzüberladung
- Urinosmolalität ≥1000 mosmol/kg: I.d.R. nach Gabe osmotischer Diuretika
- Urinosmolalität ≤800 mosmol/kg: I.d.R. renaler Wasserverlust
- Urinosmolalität ≥800 mosmol/kg: I.d.R. extrarenaler Wasserverlust
- Urinuntersuchung bei Hyponatriämie
Zur Untersuchung des Urins sollte nach Möglichkeit der initiale Urin bei Vorstellung des Patienten in der Notaufnahme verwendet werden, bevor therapeutische Maßnahmen erfolgt sind!
Therapie
Allgemeine Hinweise
- Serumnatriumwerte <120 mmol/L oder >160 mmol/L bzw. jede schwer symptomatische Form einer natriumbezogenen Elektrolytstörung bedürfen einer intensivmedizinischen Behandlung!
- Vorsichtiger Ausgleich
- In den ersten Stunden: Steigerung/Senkung des Serumnatriums um maximal 1 mmol/L stündlich – in den allermeisten Fällen besteht keine Dringlichkeit zu einer derart schnellen Korrektur (siehe: Hyponatriämie als Notfall)
- In den folgenden Tagen: Bis zum Erreichen eines Serumnatriums von 130 mmol/L (Hyponatriämie) bzw. 150 mmol/L (Hypernatriämie) sehr vorsichtige Steigerung/Senkung des Serumnatriums um max. 6–8 mmol/L je 24 Stunden
- Hohes Komplikationspotenzial
- Durch zu raschen Natriumanstieg kann eine zentrale pontine Myelinolyse entstehen (siehe: Osmotische Myelinolyse)
- Eine zu schnelle Senkung des Natriumwertes kann ein Hirnödem auslösen (siehe: Hirnödem bei Ausgleich einer Hypernatriämie)
- Ausschließlich bei dokumentiert kurzfristig eingetretenen Abweichungen des Serumnatriums (<48 h) bzw. bei schwerer neurologischer Symptomatik (Epileptischer Anfall, Koma, Erbrechen, kardiopulmonale Dekompensation) ist ein Abrücken vom langsamen Vorgehen zulässig bzw. notwendig
- Kausale Therapie anstreben: Ätiologische Zuordnung der vorliegenden Elektrolytstörung und Einleitung entsprechender Gegenmaßnahmen, z.B. Absetzen der auslösenden Medikation (siehe auch: Elektrolytstörungen Natrium - Ätiologie)
- Vorsichtiger Ausgleich
Überkorrekturen des Serumnatriums sind insb. bei Hyponatriämie zu fürchten und unbedingt zu limitieren!
Therapie der Hyponatriämie [2]
Verfolgen kausaler Therapieansätze
- Hypovolämische Formen: Infusion isotoner Kochsalzlösung, ggf. unter Nutzung der Formeln und Größen zur Therapie von Störungen des Natriumhaushalts
- Normovolämische Formen: Trinkmengenbeschränkung auf 500–800 mL/24 h, Beseitigung der auslösenden Ursache, bei symptomatischem Leidensdruck Gabe von isotonischer Kochsalzlösung wie bei hypovolämischen Formen möglich
- Ggf. kleine Volumina hypertoner Kochsalzlösung (NaCl 3%) erwägen, wenn Hyponatriämie als Notfall bzw. Therapieresistenz
- Angestrebten Anstieg unter Nutzung der Formeln und Größen zur Therapie von Störungen des Natriumhaushalts ermitteln
- Hälfte des berechneten Volumens der hypertonen Kochsalzlösung über 12 h verabreichen – dieses vorsichtige Vorgehen beugt einer Überkorrektur und ihren Komplikationen vor
- Kontrollen des Serumnatriums vierstündlich, Reevaluation des weiteren therapeutischen Vorgehens bei jeder Laborkontrolle
- Insb. bei SIADH: Proteinreiche Kost (≥30 g Proteinzufuhr täglich), bei chronischen Formen Tolvaptan erwägen
- Ggf. kleine Volumina hypertoner Kochsalzlösung (NaCl 3%) erwägen, wenn Hyponatriämie als Notfall bzw. Therapieresistenz
- Hypervolämische Formen: Trinkmengenbeschränkung auf 500 mL/24 h, Furosemid zur Erzielung einer Wasserausscheidung erwägen, dabei Hypokaliämie-Risiko beachten
Hyponatriämie als Notfall
- Hyponatriämie mit schwerer Symptomatik: (Sehr) vorsichtige Gabe von hypertoner Kochsalzlösung (NaCl 3%) unter sehr engmaschigen Kontrollen
- Indikation: Niemals leichtfertig geben, nur bei akut aufgetretenen und schwer symptomatischen Patienten (z.B. bei nicht sistierenden Serien von epileptischen Anfällen), i.d.R. sind dies Fälle mit Serumnatriumwerten ≤110 mmol/L
- NaCl 3%: Herstellung von 100 mL NaCl 3% durch Mischung von 30 mL NaCl 10% und 70 mL Aqua dest.; eine Vorratslagerung kann sinnvoll sein
- Dosierung: Als kleinvolumige Standardinfusion bzw. in mL/kgKG
- Ziele
- Anhebung des Serumnatriums um max. 5 mmol/L in den ersten 1–5 h (1 mmol/L stündlich)
- Serumnatrium nur so wenig anheben wie nötig, um die schwere Symptomatik zu bessern; bei ausbleibender Besserung nicht weiter in diesem Tempo anheben
- Serumnatrium-Kontrollen: Halbstündlich in Stunde 1, im Verlauf mind. stündliche Kontrollen solange hypertone Kochsalzlösung gegeben wird
- Weiterbehandlung
- Verzicht auf hypertone Kochsalzlösung
- Ätiologisch orientierter Ansatz, wenn verfügbar
- Gaben isotonischer Kochsalzlösung mit einem maximalen Anstiegsziel von 6–8 mmol/L je 24 h
Hypertone Kochsalzlösung ist selten notwendig und sollte nur nach Rücksprache und ggf. persönlicher Anleitung eines in der Intensivmedizin erfahrenen Arztes gegeben werden. Die therapeutische Breite ist sehr gering!
Therapie der Hypernatriämie
- Unklare Hypernatriämie: Differenzierte Volumentherapie, bspw. Ausgleich mit Glucoselösung 5%, halbisotonen oder isotonen Infusionslösungen [3][4]
- Hypo- oder normovolämisch: Ausgleich des Volumendefizits bzw. Dilution einer Hypernatriämie mit halbisotonen Lösungen (z.B. NaCl 0,45%)
- Bei schwerer Dehydratation von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen: Initial balancierte isotone Vollelektrolytlösung, alternativ auch NaCl 0,9% möglich [4]
- Glucoselösung 5% (= natriumfreie Flüssigkeit) zur Hälfte mit einer isotonen Vollelektrolytlösung mischen
- NaCl 0,45%
- Hypervolämisch: Furosemid mit Glucoselösung 5% als natriumfreier Träger , außerdem:
- Zufuhr von hypertonen Lösungen stoppen!
- Bei Nierenversagen Hämodialyse
- Therapieziele: Die Infusionsvolumina können annäherungsweise unter Nutzung der Formeln und Größen zur Therapie von Störungen des Natriumhaushalts berechnet werden; es gilt hierbei die Komplikation eines Hirnödems zu vermeiden
- Maximale Absenkung des Serumnatriums um 1 mmol/h bei akut entstandenen Hypernatriämien zulässig
- Maximale Absenkung des Serumnatriums um 0,5 mmol/h bei zeitlich unklaren oder langsam entstandenen Hypernatriämien
- Im Therapieverlauf ist eine Absenkung des Serumnatriums um 6–10 mmol/L je 24 h anzustreben
Grundsätzlich sollte eine Hypernatriämie langsam ausgeglichen werden, da durch osmotische Effekte ein Zelluntergang droht!
Komplikationen
Osmotische Myelinolyse
- Definition: Zerstörung der Myelinscheiden bei zu schneller Korrektur einer Hyponatriämie, insb. in der zentralen Region des Pons (sog. „zentrale pontine Myelinolyse“) oder auch deutlich weniger häufig z.B. im Thalamus, Putamen oder Marklager (sog. „extrapontine osmotische Myelinolyse“)
- Pathophysiologie
- Der parenterale Ausgleich der Hyponatriämie erhöht die Osmolarität des Blutes → Es kommt zum Ausstrom von Wasser aus dem Gewebe (hier speziell aus den Myelinscheiden) → Dehydratation führt zum Untergang der Myelinscheiden (= osmotische Demyelinisierung)
- Stadienhafter Verlauf
-
Bewusstseinseintrübung und Koma
- Ggf. kurzfristige Erholung
- Nach einigen Tagen: Zunehmende Tetraparese
- Störung der Hirnstammfunktion mit Ausfall der Hirnnerven
-
Bewusstseinseintrübung und Koma
- Risikofaktoren
- Leberzirrhose
- Malnutrition
- Kaliummangel
- Diagnostik: Veränderungen im MRT häufig erst nach Wochen nachweisbar, daher klinische Diagnosestellung
- Prävention: Maximaler Anstieg der Natriumkonzentration im Serum um 6–8 mmol/L je 24 h
Die Symptomatik der pontinen Myelinolyse beginnt erst Tage nach Ausgleich der Hyponatriämie!
Hirnödem bei Ausgleich einer Hypernatriämie
- Pathophysiologie
- Intrazellulär gleicht sich die Osmolarität langsamer an
- Bei zu schneller Senkung der extrazellulären Osmolarität bei einer Hypernatriämie kommt es zum Wassereinstrom in die Zellen
- Im ZNS ist dies aufgrund der räumlichen Enge gefährlich → Gefahr des Hirnödems!
- Prävention
- Langsame Korrektur des Serumnatriums bei langsam entwickelter Hypernatriämie (max. 0,5 mmol/L stündlich)
- Initial stündliche Kontrollen der Natriumkonzentration im Serum
- Ausnahme: Die hochakute Entstehung einer Natriumwert-Entgleisung erfordert einen schnellen Ausgleich, da sonst die genannten Komplikationen drohen
Eine plötzlich auftretende neurologische Symptomatik muss dann an ein Hirnödem denken lassen!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 296-2024-1/3: Salt 'n' Weather: Hyponatriämien und globale Erwärmung
- Studientelegramm 257-2023-2/3: Osmotisches Demyelinisierungssyndrom bei Hyponatriämie
- Studientelegramm 146-2020-3/3: Therapie der schweren Hyponatriämie – Bolus besser als kontinuierliche Infusion
- Studientelegramm 126-2020-2/3: Notfalltherapie bei hyponatriämischer Enzephalopathie
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 13-2020-3/3: Push it fast or push it slow: for hyponatremia, which is the best way to go?
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Störungen im Salz- und Wasserhaushalt (November 2022)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E87.-: Sonstige Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes sowie des Säure- Basen-Gleichgewichts
- P74.-: Sonstige transitorische Störungen des Elektrolythaushaltes und des Stoffwechsels beim Neugeborenen
- P74.2: Störungen des Natriumgleichgewichtes beim Neugeborenen
- Komplikationen
- G37.2: Zentrale pontine Myelinolyse
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.