Grundlagen und Geltungsbereich der SOP
Hitzschlag [1]
- Definition: Schwerer Hitzeschaden mit einem lebensbedrohlichen Anstieg der Körperkerntemperatur auf ca. >40,5 °C aufgrund eines Versagens der peripheren Thermoregulation [2][3][4]
- Formen: Einteilung nach Ätiologie [2][5]
- Klassischer Hitzschlag („Classic heat Stroke“): Verursacht durch hohe Umgebungstemperaturen (unabhängig von körperlicher Anstrengung), betrifft insb. ältere Menschen mit Risikofaktoren oder Kinder mit unvollständig ausgebildeter Thermoregulation
- „Anstrengungshitzschlag“ („Exertional heat Stroke“): Verursacht durch übermäßige körperliche Anstrengung (ggf. in heißer Umgebung), betrifft insb. junge, gesunde Menschen
- Pathophysiologie: Körperliche Anstrengung und/oder längerer Aufenthalt in heißer Umgebung → Akute Überhitzung des Körpers (innerhalb von Tagen oder innerhalb kurzer Zeit) → Folgeschäden (kardiovaskuläre Belastung, Organversagen, hypertone Dehydratation oder hypotone Dehydratation mit Hirnödem )
Sonnenstich [6]
- Definition: Isolierter leichter Hitzeschaden des Kopfes
- Pathophysiologie: Irritation von Hirnhaut/Hirngewebe durch Hitze → Entzündungsreaktion → Übergang zum Hirnödem (in schweren Fällen)
Der Sonnenstich ist in den allermeisten Fällen kein lebensbedrohliches Krankheitsbild, kann jedoch einem Hitzschlag ähneln und in ihn übergehen!
Gegenüberstellung der Symptomkonstellationen bei Sonnenstich und Hitzschlag | ||
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Sonnenstich [4][6] | Hitzschlag [5][7] | |
Körperkerntemperatur |
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ZNS |
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Haut |
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Kreislauf |
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Atmung |
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Gastrointestinal |
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Präklinisches Management
Basisdiagnostik und -maßnahmen [1][9]
- Bewusstsein prüfen
- Bei Bewusstsein: Vorgehen nach cABCDE-Schema
- Bei Bewusstlosigkeit bzw. Bewusstseinsstörung mit spontaner Atmung: Vorgehen nach cABCDE-Schema, Intubation oder stabile Seitenlage
- Bei Bewusstlosigkeit ohne Atmung: Reanimation, siehe auch Reanimation - AMBOSS-SOP
- (Fremd‑)Anamnese
- Bspw. nach dem SAMPLE-Schema, insb. Hitzeexposition bzw. intensive körperliche Betätigung erfragen
- Umfeldinspektion: Hinweise auf weitere Ursachen für Bewusstseinsstörung (bspw. Drogen-/Alkoholkonsum, siehe auch: Akute Alkoholintoxikation, Differenzialdiagnose Drogenintoxikation)
- Erhebung der Vitalparameter: Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, evtl. Sauerstoffsättigung, Glasgow Coma Scale
- Erhebung der Körperkerntemperatur (tympanisch oder alternativ rektal, bei Intubierten ösophageal)
- Vitalfunktionen sichern: Bei respiratorischer Insuffizienz oder Koma
- Endotracheale Intubation als Rapid Sequence Induction (siehe auch: Rapid Sequence Induction - AMBOSS-SOP)
- Maschinelle Beatmung mit FiO2 >0,5
- Sofortige Kühlung
- Wichtigste Maßnahme (neben Sichern der Vitalfunktionen)!
- Ziel: Körperkerntemperatur schnellstmöglich auf <40 °C senken (aber nicht niedriger als 38–39 °C, andernfalls droht Unterkühlung)!
- Durchführung
- Betroffene umgehend in schattige/kühle Umgebung bringen, körperliche Anstrengung vermeiden und entkleiden
- Feuchte Tücher bzw. kühlende Umschläge auflegen, Luft zufächeln (Kühlung durch Evaporation)
- Bei Sonnenstich v.a. Kopf und Nacken kühlen, keine kalte Dusche oder Ganzkörperbad!
- Bei erhaltenem Bewusstsein: Kühle Getränke verabreichen
- Intravenöse Volumengabe
- Anlage eines peripheren Venenverweilkatheters
- Substitution von Elektrolyten und Flüssigkeit durch kristalloide Infusionslösungen, bspw. Ringer-Lösung [4]
- Ziele: Hypovolämischen Schock verhindern, Kühlung
- Lagerung
- Möglichst Oberkörperhochlagerung
- Bei arterieller Hypotonie: Flach- oder Schocklagerung
- Bei Bewusstlosigkeit: Stabile Seitenlage
Der sofortige Beginn einer aggressiven Kühlung ist die wichtigste Sofortmaßnahme bei V.a. Hitzschlag!
Hyperthermie gehört zu den reversiblen Ursachen eines Kreislaufstillstands! [9]
Weitere präklinische Maßnahmen [1]
- Sauerstoffgabe über Sauerstoff-Nasenbrille oder Sauerstoffmaske, Sauerstofffluss bspw. 6 L/min
- Siehe auch: Hinweise zur Sauerstoffgabe im Notfall
- Blutzucker-Messung
- Transport ins Krankenhaus, Kühlung dabei fortsetzen
- Kontinuierliches Monitoring der Vitalparameter
- Bei epileptischen Anfällen: Betroffene vor Verletzungen schützen, anfallssuppressive Therapie bei nicht-selbstlimitierendem Verlauf mit Benzodiazepinen, bspw. Lorazepam [4][10]
- Zum Notfallmanagement bei Anfallsdauer >5 min siehe: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
Ein Hitzschlag gilt als Notfall und erfordert eine sofortige Behandlung zur Absenkung der Körperkerntemperatur sowie einen unverzüglichen Transport ins Krankenhaus!
Ein Sonnenstich ohne Komplikationen kann auch ambulant therapiert werden (unter engmaschiger Beobachtung der Vigilanz, Herzfrequenz und Körperkerntemperatur)!
Klinisches Management
Maßnahmen zur Kühlung [1][7]
- Klinikstandards beachten!
- Kühlung von außen
- Kaltes Wasserbad (Eiswasser, Eisbad)
- Prinzip: Immersion
- Durchführung: Ganzen Körper in kaltes Bad eintauchen
- Vorteil: Effektivste Methode zur wirksamen Senkung der Körperkerntemperatur
- Nachteile: Wird als unangenehm empfunden, Schüttelfrost („Shivering“) möglich, periphere Vasokonstriktion vermindert weitere Wärmeabgabe, ungünstig bei plötzlicher Reanimationspflichtigkeit o.a. therapeutischen Maßnahmen (schwer zugänglich)
- Eis- oder Kühlbeutel
- Prinzip: Konduktion
- Durchführung: Eisbeutel in Tücher wickeln, direkten Hautkontakt vermeiden, Platzierung inguinal, axillär, auf dem Kopf (insb. bei Sonnenstich)
- Nachteile: Wird als unangenehm empfunden, Schüttelfrost möglich, langsamer wirksam als kaltes Wasserbad
- Ventilatoren und Benetzen der Haut mit Flüssigkeit
- Prinzip: Konvektion und Evaporation
- Durchführung: Gleichzeitig die Haut anfeuchten und feucht halten und über Ventilatoren einen Luftzug erzeugen
- Vorteil: Gut verträglich, kann bereits präklinisch erfolgen
- Kaltes Wasserbad (Eiswasser, Eisbad)
- Keine(!) Gabe fiebersenkender Medikamente (Antipyretika) wie bspw. Paracetamol oder ASS [2]
- Wirkungslos bei Hitzschlag (Hyperthermie ≠ Fieber [7])
- Verstärkung hitzschlagbedingter Komplikationen (Leberfunktionsstörung und Gerinnungsstörung↑)
- Kühlung von innen: Kalte Spülflüssigkeiten (Magen, Darm oder Blase)
- Ultima Ratio: Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine, veno-venöse Hämofiltration (insb. bei akuter Nierenschädigung)
- Zielgeschwindigkeit
- Körperkerntemperatur alle 10–15 min um 1 °C senken
- Bei Erreichen von <38 °C: Aktive Kühlung einstellen, andernfalls droht Unterkühlung
Bei Hyperthermie sollte die Körperkerntemperatur möglichst schnell auf <39 °C (möglichst <38,5–38,0 °C) gesenkt werden! [9]
Fiebersenkende Medikamente (Antipyretika) sind bei Hitzschlag wirkungslos und führen stattdessen eher zu einer Verstärkung hitzschlagbedingter Komplikationen! [2]
Weiterführende Diagnostik und Maßnahmen [1]
- Arterielle BGA
- Arterielle Blutentnahme oder Blutentnahme aus arteriellem Katheter
- Möglicher Befund: Respiratorische Alkalose oder metabolische Azidose, Anionenlücke
- Labor [7][10]
- Obligatorisch: Großes Blutbild , Elektrolyte , Nierenwerte (Kreatinin, Harnstoff), Leberwerte (AST, ALT), CK, LDH, Myoglobin, Gerinnungsparameter , Blutzucker, Serumosmolalität, Urinstatus
- Fakultativ: Toxikologisches Screening (Alkohol und Drogen gelten als Risikofaktoren)
- 12-Kanal-EKG
- Möglicher Befund: Herzrhythmusstörungen (wahrscheinlich durch Elektrolytstörungen) [7]
- Ggf. cCT: Indiziert bei anhaltender Bewusstseinsstörung [10]
- Intensivmedizinische Überwachung
- Pulsoxymetrie
- Kontinuierliches EKG-Monitoring
- Nicht-invasive oder invasive Blutdruckmessung
- Ggf. ZVD-Messung (ZVK-Anlage)
- Wiederholte Bestimmung der arteriellen BGA
- Körperkerntemperatur
- Volumensubstitution
- Frühzeitige, aggressive Volumentherapie bei Zeichen einer Hypovolämie (bspw. Oligurie)
- Zur Bilanzierung: Anlage eines Blasenkatheters
- Supportive Maßnahmen bei Multiorganversagen und intensivmedizinische Therapie, bspw. [7]
- Medikamentöse Hirndrucksenkung (bspw. mit Mannitol)
- Nierenersatzverfahren
- Maschinelle Beatmung
- Medikamentöse Kreislaufunterstützung bei kritischer Hypotension trotz Volumengabe
- Korrektur von Elektrolytentgleisungen: Insb. Hypernatriämie, siehe auch
- Korrektur von Störungen des Säure-Basen-Haushalts
- Metabolische Azidose: Ausreichende Volumengabe, ab pH ≤7,2 Pufferung mit Natriumhydrogencarbonat oder TRIS-Puffer
- Bei Myoglobinurie: Forcierte Diurese
- Gabe von Dantrolen: Nutzen unklar [2][7]
Differenzialdiagnostik
- Insb. leichtere Formen eines Hitzeschadens mit intakter Thermoregulation [3]
- Hitzesynkope (Hitzekollaps): Vorübergehende, kurze Bewusstlosigkeit aufgrund einer orthostatischen Dysregulation bei wärmebedingter Vasodilatation
- Hitzeerschöpfung: Kreislaufdysregulation durch wärmebedingten Flüssigkeits- und Elektrolytverlust mit Hypotonie, Tachykardie, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörung bis zur Bewusstlosigkeit
- Durch Flüssigkeitsverlust
- Durch Flüssigkeits- und Elektrolytverlust
- Hitzekrampf: Muskelkrämpfe (und -zuckungen) durch Elektrolytstörungen (insb. Hyponatriämie und Hypochlorämie)
- Dermatitis solaris („Sonnenbrand“): Lokale Schädigung der Epidermis durch übermäßige Exposition gegenüber UVB-Strahlen
- Weitere Ursachen bei unklarer quantitativer Bewusstseinsstörung mit erhöhter Körpertemperatur [5]
- Meningitis, Enzephalitis
- Sepsis
- Anticholinerges Syndrom, bspw. durch akzidentelle Vergiftung mit der Schwarzen Tollkirsche
- Serotoninerges Syndrom
- Malignes neuroleptisches Syndrom
- Intoxikation (siehe auch: Differenzialdiagnose Drogenintoxikation)
- Perniziöse Katatonie
- Fieberkrampf
- Maligne Hyperthermie
- Fever of unknown origin
- Thyreotoxische Krise
- Addison-Krise
Leichtere Formen des Hitzeschadens (Hitzesynkope, Hitzeerschöpfung, Hitzekrampf, Sonnenstich) können überlappend auftreten und (insb. Hitzeerschöpfung) in die schwere Form (Hitzschlag) übergehen! [1]
Komplikationen
- Hirnödem, Koma
- Irreversible neurologische Schäden (selten)
- Rhabdomyolyse
-
Multiorganversagen
- Insb. (reversible) Funktionsstörungen der Leber bis hin zum akuten Leberversagen
- Akute Nierenschädigung
- ARDS
- DIC, zerebrale und gastrointestinale Blutungskomplikationen
- Perikarderguss
- Hitzetod
Ein Hitzschlag kann die Funktion aller Organsysteme beeinträchtigen. Die Mortalität bei Krankenhauseinweisung beträgt 21–63%! [5][7]
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
AMBOSS-Podcast zum Thema
Klimawandel und Gesundheit (2) – Hitze (August 2021)
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