Zusammenfassung
Das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) ist eine seltene hyperinflammatorische Immunreaktion ca. 2–6 Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2. Das klinische Bild ähnelt dem Kawasaki-Syndrom und toxischen Schocksyndromen und ist durch anhaltendes Fieber und die Beteiligung verschiedener Organsysteme (Herz, Lunge, Nieren, ZNS, Haut, Gastrointestinaltrakt) gekennzeichnet. Insb. die kardiale Beteiligung kann zu einer schweren Einschränkung der Herzfunktion führen und intensivmedizinische Maßnahmen erforderlich machen. Therapeutisch kommen je nach Krankheitsschwere primär Immunglobuline, Glucocorticoide und ASS zum Einsatz. Bei Therapieresistenz ist die Anwendung von Biologika sinnvoll. Die Prognose ist gut, jedoch sind auch tödliche Verläufe und Fälle mit dauerhaften Folgeschäden möglich.
Definition
Definitionskriterien des PIMS [1]
- Alle 5 Kriterien müssen erfüllt sein
- Alter <21 Jahre
-
Fieber >48 h und mind. 2 der folgenden Kriterien
- Exanthem, beidseitige nicht-purulente Konjunktivitis oder Entzündungsreaktion an Haut und/oder Schleimhaut
- Arterielle Hypotension oder Schock
- Myokardiale Dysfunktion, Perikarditis, Valvulitis oder Koronarpathologien
- Koagulopathie
- Akute gastrointestinale Symptomatik
- Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion (PCR oder Antigen-Schnelltest) innerhalb der letzten 3 Monate
- Erhöhte Entzündungsparameter
- Ohne gleichzeitiges Vorliegen anderer Diagnosen (abgesehen von toxischen Schocksyndromen)
In Deutschland werden alle PIMS-Fälle zentral von der DGPI erfasst (Erfassungsbogen unter Tipps & Links)!
Das Auftreten einer PIMS-Symptomatik nach einer COVID-19-Impfung gehört nicht zu den Definitionskriterien, entsprechende Fälle werden aber ebenfalls von der DGPI erfasst!
Einteilung nach Überschneidungen mit dem Kawasaki-Syndrom [2]
Das klinische Bild des PIMS ähnelt dem Kawasaki-Syndrom und kann je nach Erfüllung der Diagnosekriterien des Kawasaki-Syndroms in drei Formen eingeteilt werden:
- SARS-CoV-2-non-Kawasaki-PIMS (Non-KS-PIMS): Erfüllung der PIMS-Kriterien und ≤1 Hauptsymptom des Kawasaki-Syndroms
- SARS-CoV-2-PIMS + Kawasaki-Syndrom (KS-PIMS): Erfüllung der PIMS-Kriterien und ≥2 Hauptsymptome des Kawasaki-Syndroms
- SARS-CoV-2-Kawasaki-Syndrom (KS): Keine Erfüllung der PIMS-Kriterien, aber ≥2 Hauptsymptome des Kawasaki-Syndroms und SARS-CoV-2-Nachweis
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 1 von 4.000 SARS-CoV-2 infizierter Kinder [2][3]
- SARS-CoV-2-Variante: Wildtyp/Alpha-Variante > Delta-Variante > Omikron-Variante [4][5]
- Altersgipfel: 8–11 Jahre [3]
- Geschlecht: ♂ > ♀ [6]
- Ethnizität: Laut US-amerikanischer Studien insb. afroamerikanische oder lateinamerikanische Bevölkerungsgruppen [6]
- Vorerkrankungen [2][7]
- Insb. Adipositas
- Seltener: Chronische Lungenerkrankungen (bspw. Asthma bronchiale), kardiovaskuläre Erkrankungen, Immundefizienz
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Postinfektiöse hyperinflammatorische Immunreaktion nach
- Infektion mit SARS-CoV-2 [3][8]
- Ca. 2–6 Wochen nach der Infektion
- Häufiger nach asymptomatisch verlaufenden Infektionen mit SARS-CoV-2
- Siehe auch: Pathophysiologie von COVID-19
- COVID-19 Impfung bei Kindern und Jugendlichen [4]
- Infektion mit SARS-CoV-2 [3][8]
Das PIMS tritt meist 2–6 Wochen nach einer (oft asymptomatischen) Infektion mit SARS-CoV-2 auf!
Pathophysiologie
Beim PIMS handelt es sich um eine postinfektiöse, hyperinflammatorische Immunreaktion, deren ursächliche Mechanismen noch nicht vollständig verstanden sind.
- Mögliche Erklärungsansätze
- Zelluläre Immunantwort
- Aktivierung von CD8+-T-Lymphozyten, die auf ihrer Oberfläche den Chemokin-Rezeptor CX3CR1 tragen [9]
- Aktivierung von Monozyten und Neutrophilen [10]
- Humorale Immunreaktion
- Überschießende Antikörperproduktion gegen SARS-CoV-2 [10]
- Möglicherweise Beteiligung von Autoantikörpern [11]
- Zytokinsturm
- SARS-CoV-2 blockiert antiinflammatorisch wirkende Zytokine [11][12]
- Erhöhte Spiegel proinflammatorischer Zytokine [13]
- Zelluläre Immunantwort
- Mögliche Mechanismen der Myokardschädigung [14]
- Direkte virale Zellschädigung (im Sinne einer akuten viralen Myokarditis)
- Ischämie aufgrund einer Beteiligung der Koronararterien
- Systemische Inflammation
Symptomatik
- Fieber (obligat!) [7]
- Beteiligung verschiedener Organsysteme [2][3][7][15][16]
- Gastrointestinal (ca. 80–90%)
- Bauchschmerzen, Pseudoappendizitis
- Erbrechen, Durchfall
- Kardiovaskulär (ca. 70–80%)
- Linksventrikuläre Dysfunktion, arterielle Hypotonie, Schock
- Veränderungen der Herzklappen und Koronarien
- Tachykardie
- Myokarditis
- Mukokutan (ca. 60–70%)
- Konjunktivitis
- Polymorphes Exanthem
- Palmares/plantares Erythem
- Enanthem, Lacklippen, Erdbeerzunge
- Hautschuppung
- Respiratorisch (ca. 30–50%)
- Husten, Dyspnoe, respiratorische Insuffizienz
- Halsschmerzen
- Neurologisch (ca. 20–40%)
- Kopfschmerzen
- Meningismus
- Lethargie
- Weitere
- Polyserositis mit Perikarderguss , Pleuraerguss und Aszites
- Ödeme
- Lymphknotenschwellung
- Myalgie
- Gastrointestinal (ca. 80–90%)
Die häufigsten Symptome des PIMS sind persistierendes Fieber und gastrointestinale Beschwerden 2–6 Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2!
Diagnostik
Vorgehen bei V.a. PIMS [17]
- Anamnese und körperliche Untersuchung (siehe: Symptomatik des PIMS)
- Stationäre Aufnahme und Basisdiagnostik bei V.a. PIMS
- Definitionskriterien des PIMS prüfen
- Kriterien erfüllt: Weiterführende Diagnostik bei PIMS erwägen
- Kriterien nicht erfüllt: Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen des PIMS
Basisdiagnostik bei V.a. PIMS
Die initiale Diagnostik dient der Sicherung der Diagnose und beinhaltet neben Definitionskriterien des PIMS u.a. Parameter zur Beurteilung der Krankheitsschwere und möglicher Organfunktionsstörungen.
Basisdiagnostik bei V.a. PIMS | ||
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Erregerdiagnostik |
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Labordiagnostik |
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Apparative Diagnostik |
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Da es sich beim PIMS um eine postinfektiöse Immunreaktion handelt, ist der Antikörpernachweis meist positiv, die PCR jedoch i.d.R. negativ!
Erweiterte Diagnostik bei PIMS
Die weiterführende Labordiagnostik dient zusätzlich zur Basisdiagnostik der Beurteilung von Krankheitsschwere und möglichen Organfunktionsstörungen.
Erweiterte Diagnostik bei PIMS | |
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Labordiagnostik |
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Apparative Diagnostik |
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Differenzialdiagnosen
- Gastroenterologisch
- Akute Appendizitis
- Gastroenteritis
- Infektiologisch
- Schweres akutes COVID-19 im Kindes- und Jugendalter und Long-COVID-Syndrom im Kindes- und Jugendalter
- Toxische Schocksyndrome
- Sepsis
- Fieberhafte Infekte (z.B. EBV, CMV, Influenza)
- Virale Myokarditis
- Immunologisch
- Hämato-onkologisch
Insb. die Abgrenzung des PIMS zum Kawasaki-Syndrom und zu toxischen Schocksyndromen kann schwierig sein!
Vergleich von Symptomen und Laborwerten bei PIMS, Kawasaki-Syndrom, Kawasaki-Schock-Syndrom und toxischen Schocksyndromen | ||||
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Symptom | PIMS | Kawasaki-Syndrom | Kawasaki-Schock-Syndrom | Toxische Schocksyndrome |
Alter (im Durchschnitt) | Schulkinder | Kleinkinder | Kleinkinder | Erwachsene |
Arterielle Hypotonie | (✓) | — | ✓✓ | ✓✓ |
Hautausschlag | ✓ | ✓ | ✓ | Typischerweise Erythrodermie |
Schuppung | ✓ | ✓ | ✓ | ✓ |
Schleimhautbeteiligung | (✓) | ✓ | ✓ | (✓) |
Veränderter mentaler Status oder Enzephalopathie | ✓ | Selten | ✓ | ✓ |
GI-Symptome | ✓✓ | Selten | ✓ | ✓ |
Dyspnoe | ✓ | Selten | ✓ | (✓) |
Myalgie | ✓ | — | — | ✓ |
Leukozyten | Neutrophilie, Lymphopenie | Neutrophilie | Neutrophilie | Neutrophilie |
Thrombozyten | ↓ | ↑ | ↓, ↔︎ oder ↑ | ↓ |
INR und PTT | ↑ | ↔︎ | ↔︎ oder ↑ | ↑ |
Fibrinogen | ↓, ↔︎ oder ↑ | ↔︎ | ↔︎ oder ↑ | ↓ |
D-Dimere | ↑ | ↔︎ | ↔︎ oder ↑ | ↑ |
ALT | ↔︎ oder ↑ | ↔︎ oder ↑ | ↔︎ oder ↑ | ↔︎ oder ↑ |
Kreatinin | ↑ | ↔︎ | ↑ | ↑ |
Troponin | ↑ | ↔︎ oder ↑ | ↑ | Unklar |
↑↑ | ↔︎ oder ↑ | ↑ | Unklar | |
Ferritin | ↑ | ↔︎ oder ↑ | ↔︎ oder ↑ | ↔︎ |
CRP | ↑↑ | ↑ | ↑↑ | ↑ |
Dilatation oder Aneurysmen der Koronararterien | ✓ | ✓ | ✓✓ | — |
Ventrikuläre Dysfunktion | ✓ | (✓) | ✓ | Selten |
Herzklappeninsuffizienzen | ✓ | ✓ | ✓✓ | Selten |
Legende: ✓✓ (Fast) immer vorkommend, ✓ Häufig vorkommend, (✓) Gelegentlich vorkommend, — Nicht typisch, ↑ Erhöht, ↑↑ Stark erhöht, ↓ Erniedrigt, ↔︎ Normal |
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Management [17]
- Stationäre Aufnahme
- Ggf. intensivmedizinische Behandlung
- Sauerstoffgabe/Beatmung je nach Oxygenierung
- Kreislaufmanagement je nach hämodynamischer Situation
- Frühzeitige interdisziplinäre Betreuung
Alle Kinder und Jugendlichen mit V.a. PIMS sollten stationär behandelt werden! [17]
Medikamentöse Therapie [5][17][20][21]
Antithrombotisch
- Indikation: Alle Kinder mit PIMS
- Durchführung
- Alle: Acetylsalicylsäure (ASS) [17]
- In Einzelfällen: Heparin in prophylaktischer oder therapeutischer Dosierung
- Prophylaktische Dosierung: Niedermolekulares Heparin (NMH) [17]
- Indikation
- Eingeschränkte Herzfunktion, EKG-Veränderungen, Koronaraneurysmen (Z-Score ≥2,5)
- D-Dimere ≥5× Norm
- Kontraindikation für ASS
- In Erwägung zu ziehen bei: Neugeborenen, Jugendlichen, Antikonzeption
- Indikation
- Therapeutisch: Unfraktioniertes Heparin (UFH) [17] oder Niedermolekulares Heparin (NMH) [17]
- Indikation
- Akute oder zurückliegende Thrombose
- Schwere linksventrikuläre Dysfunktion
- Große Koronararterienaneurysmen
- D-Dimer >10× Norm
- Indikation
- Prophylaktische Dosierung: Niedermolekulares Heparin (NMH) [17]
Antiinflammatorisch
- Indikation: Alle Kinder mit PIMS
- Durchführung
- Milde Symptomatik ohne kardiale Beteiligung: Intravenöse Immunglobuline (IVIG) [17]
- Bei schwerer Symptomatik und/oder kardialer Beteiligung: Zusätzlich Prednisolon [17] oder Methylprednisolon [17] oder Dexamethason [17]
Immunmodulatorisch (Biologika)
- Indikation: Verschlechterung oder unzureichendes Ansprechen der antiinflammatorischen Therapie
- Durchführung
- Anakinra (Off-Label Use) [17][22]
- Tocilizumab (Off-Label Use) [17][23]
- Infliximab (Off-Label Use) [17][24]
Antibiotisch
- Indikation: Klinische Zeichen einer Sepsis
Alle Kinder mit PIMS sollten mit ASS und IVIG behandelt werden!
Je nach Krankheitsschwere und -verlauf kann der Einsatz von Glucocorticoiden und Biologika sinnvoll sein!
Nachsorge
Die Nachbetreuung von Kindern mit PIMS sollte in spezialisierten Zentren und Praxen mit entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten erfolgen.
Insb. bei kardialer Mitbeteiligung sollte für mind. 3 Monate keine sportliche Aktivität betrieben werden und vor Wiederaufnahme ein Belastungstest erfolgen!
Nachsorge von Kindern mit PIMS in Abhängigkeit von der Akutsymptomatik | ||||
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Nach 1–2 Wochen | Nach 4–6 Wochen | Nach 3–4 Monaten | Nach 6, 12 und 24 Monaten | |
Alle | — | |||
Bei kardialer Beteiligung oder medikamentöser Immunsuppression |
| |||
Bei gastrointestinaler Beteiligung | — |
|
| — |
Bei Thrombose oder Thromboembolie | — |
|
| — |
Prävention
Die einzige präventive Maßnahme gegen das PIMS ist die Vermeidung einer SARS-CoV-2-Infektion – insb. durch COVID-19-Impfung im Kindes-und Jugendalter! [26]
Prognose
- Prognose: Insg. gut
- Letalität: <2% [2][7]
- Folgeschäden: <10% (insb. kardiovaskulär) [2]
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 220-2022-2/3: Fokus COVID-19: Häufigkeit von PIMS bei Kindern
- Studientelegramm 187-2021-2/3: Entwicklung der MIS-C-Fallzahlen während der Pandemie
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
U10.-: Multisystemisches Entzündungssyndrom in Verbindung mit COVID-19
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.