Zusammenfassung
Die Herzchirurgie umfasst Eingriffe am Herzen und an den herznahen Gefäßen. Klassischer Zugangsweg ist die mediane Sternotomie, im Bereich der koronaren Bypasschirurgie und der Herzklappenchirurgie ist jedoch grundsätzlich auch ein minimalinvasives Vorgehen möglich. Viele Eingriffe erfordern zudem den Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine (HLM). Einen Sonderfall stellt die Schrittmachertherapie als primär interventionelle Behandlung ohne Eröffnung des Thorax dar.
Bei herzchirurgischen Patient:innen liegen neben der kardialen Grunderkrankung häufig relevante Begleiterkrankungen vor, die in Bezug auf das anästhesiologische Management berücksichtigt werden müssen (bspw. Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankung, COPD oder OSAS). Für eine optimale perioperative Versorgung ist hier in besonderem Maße eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich.
Herzchirurgische Eingriffe werden typischerweise in Allgemeinanästhesie mit erweitertem hämodynamischen Monitoring durchgeführt. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die transösophageale Echokardiografie, die einen hohen Stellenwert in der Kardioanästhesie hat und insb. bei Herzklappenchirurgie und thorakaler Aortenchirurgie empfohlen wird. Postoperativ erfolgt in den meisten Fällen keine unmittelbare Narkoseausleitung, vielmehr werden die Patient:innen unter Fortführung der Narkose zur weiteren Betreuung auf die Intensivstation gebracht.
Durch den Einsatz der Herz-Lungen-Maschine kann es neben einer allgemeinen Blutungsneigung zu spezifischen Komplikationen wie bspw. einem vasoplegischen Syndrom oder einem Low-Cardiac-Output-Syndrom kommen. Daneben zählen Herzrhythmusstörungen zu den häufigsten Komplikationen herzchirurgischer Eingriffe.
Anatomische und physiologische Grundlagen
Anatomische Grundlagen
Aufbau des Herzens
- Vorhöfe (Atrien)
- Kammern (Ventrikel)
- Herzscheidewand
- Herzklappen
- Herzbeutel (Perikard)
- Pericardium serosum
- Lamina visceralis (Epikard)
- Lamina parietalis
- Pericardium fibrosum
- Pericardium serosum
- Für weitere anatomische Grundlagen siehe auch:
In der Frontalansicht ist das Herz um ca. 40° geneigt und leicht gedreht, sodass die Basis nach rechts oben hinten und die Spitze nach links unten vorn zeigt!
Ca. ⅔ des Herzens befinden sich in der linken und ca. ⅓ in der rechten Thoraxhälfte!
Gefäßversorgung des Herzens
- Arterielle Versorgung über rechte und linke Koronararterie
- Arteria coronaria dextra (RCA) u.a. mit folgenden Abgängen
- Arteria coronaria sinistra (LCA) mit zwei Hauptästen
- Für funktionelle Aspekte siehe auch: Koronardurchblutung
- Venöser Abfluss
- Zu etwa ¾ über epikardiale Venen und den Sinus coronarius in den rechten Vorhof
- Zu etwa ¼ über trans- und endomurale Venen direkt in die Kammern und Vorhöfe
Ausprägung und Versorgungsgebiet der Koronararterien unterliegen einer gewissen interindividuellen Variabilität!
Physiologische Grundlagen [1][2]
Herzerregung
- Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem: Ermöglicht eine koordinierte und bedarfsorientierte Kontraktion des Myokards
- Erzeugung von Schrittmacherpotenzialen durch spontane Depolarisation spezialisierter Herzmuskelzellen
- Primäre Erregungsbildung im Sinusknoten → Fortleitung über AV-Knoten, His-Bündel, Tawara-Schenkel und Purkinje-Fasern
- Bei Ausfall des Sinusknotens sekundäre Erregungsbildung in einem untergeordneten Teil des Systems
- Elektromechanische Kopplung: Übersetzung der fortgeleiteten Schrittmacherpotenziale in mechanische Muskelkontraktion
Herzmechanik
- Grundlegende Parameter der Herzaktion
- Phasen der Herzaktion
- Systole
- Diastole
- Arbeitsdiagramm des Herzens
- Anpassung an kurzfristige Änderungen über Frank-Starling-Mechanismus
- Längerfristige Anpassungen über vegetatives Nervensystem des Herzens
Koronardurchblutung [3][4]
- Koronarer Perfusionsdruck (CPP)
- Differenz des diastolischen Aortendrucks und des linksventrikulären enddiastolischen Drucks (CPP = APdia - LVEDP) [5]
- Bei Vorliegen von Stenosen der Koronararterien keine verlässliche Abschätzung des CPP möglich
- Unterschreiten eines kritischen CPP → Abnahme der Koronarperfusion → Myokardiale Ischämie [6]
- Koronarer Blutfluss (CBF)
- Quotient aus koronarem Perfusionsdruck und koronarem Gefäßwiderstand (CBF = CPP / CVR)
- Orientierender Normwert: 250 mL/min (entspricht ca. 5% des HZV)
- Wert bleibt in Ruhe und bei mittlerem arteriellen Druck von 60–140 mmHg konstant (Autoregulation)
- Bei Anstrengung Steigerung um das 5-fache des Ruhewertes möglich (Koronarreserve)
- Anstieg der Herzfrequenz führt zur Abnahme des CBF [7]
- Wesentliche Einflussfaktoren auf den myokardialen Sauerstoffverbrauch [8]
- Herzfrequenz [9]
- Myokardiale Kontraktilität (Inotropie)
- Myokardiale Wandspannung
Die Koronardurchblutung des linken Ventrikels findet hauptsächlich in der Diastole statt!
Eine intraoperative Tachykardie kann (insb. bei Vorliegen einer diastolischen Funktionsstörung oder einer Herzinsuffizienz) das Risiko für myokardiale Ischämien erhöhen! [9]
Typische Eingriffe
Koronare Bypasschirurgie [12][13][14]
- Beispielhafte Indikationen
- Höhergradige Hauptstammstenose
- Abgangsnahe RIVA-Stenose
- Dreigefäßerkrankung
- Besonderheiten
- Eingriffe können sowohl mit als auch ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden
- Eingriffe mit Herz-Lungen-Maschine („on-pump“) erfordern typischerweise eine Kardioplegie [15]
- Eingriffe ohne Herz-Lungen-Maschine („off-pump“) erfolgen am schlagenden Herzen („beating heart“) [16][17]
- Mediane Sternotomie als klassischer Zugangsweg, jedoch auch minimalinvasives Vorgehen möglich
- Patienteneigene Arterien und/oder Venen dienen als Bypassmaterial
- A. thoracica interna (LIMA bzw. RIMA)
- V. saphena magna (offene oder endoskopische Entnahme parallel zur Präparation des OP-Gebiets)
- A. radialis (bei geplanter Entnahme kontralaterale Seite für arteriellen Zugang benutzen)
- Eingriffe können sowohl mit als auch ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden
Übersicht verschiedener operativer Verfahren in der koronaren Bypasschirurgie | |
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Verfahren | Besonderheiten |
ACB/CABG |
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OPCAB |
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MIDCAB |
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Herzklappenchirurgie [18][19]
- Beispielhafte Indikationen
- Besonderheiten
- Eingriffe werden typischerweise mit Herz-Lungen-Maschine und unter Kardioplegie durchgeführt
- Mediane Sternotomie als klassischer Zugangsweg, jedoch auch minimalinvasives Vorgehen möglich
- Operatives Vorgehen richtet sich nach Art der Herzklappenerkrankung
- Bei einer Stenose erfolgt i.d.R. ein (biologischer oder mechanischer) Klappenersatz
- Bei einer Insuffizienz wird nach Möglichkeit eine Klappenrekonstruktion durchgeführt
- Sonderfall: Kathetergestützte Interventionen an der Aorten- und Mitralklappe
- Durchführung durch internistisches und/oder kardiochirurgisches Personal
- Anästhesiologische Begleitung erforderlich
Übersicht verschiedener operativer Verfahren in der Herzklappenchirurgie | |
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Verfahren | Besonderheiten |
Chirurgischer Aortenklappenersatz |
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Minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion |
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Transapikaler Aorten- bzw. Mitralklappenersatz [22][23] |
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Die häufigsten behandlungsbedürftigen Herzklappenerkrankungen bei Erwachsenen in Deutschland sind die Aortenklappenstenose und die Mitralklappeninsuffizienz!
Herzklappenerkrankungen können grundsätzlich auch interventionell behandelt werden – bei transapikalen Verfahren ist jedoch eine zusätzliche Minithorakotomie erforderlich!
Thorakale Aortenchirurgie [24][25][26]
- Beispielhafte Indikationen
- Aortendissektion Stanford A
- Thorakales Aortenaneurysma (insb. im Bereich der Aorta ascendens)
- Besonderheiten
- Narkoseeinleitung im Operationssaal erwägen (insb. bei hämodynamischer Instabilität)
- Neuromonitoring mittels prozessiertem EEG und NIRS empfohlen [27]
- Art und Umfang des Eingriffs von individuellem Befund abhängig
- Aorta-ascendens-Ersatz, ggf. mit Ersatz oder Rekonstruktion der Aortenklappe
- Partieller oder kompletter Aortenbogenersatz, ggf. unter Mitbehandlung der Aorta descendens [28]
- Kanülierung für die Herz-Lungen-Maschine kann vom Standardvorgehen abweichen
- Kompletter Aortenbogenersatz erfordert temporären Kreislaufstillstand [29][30]
Schrittmachertherapie
- Beispielhafte Indikationen
- Antibradykarde Schrittmachertherapie
- Höhergradiger AV-Block
- Sick-Sinus-Syndrom
- Bradyarrhythmia absoluta
- Antitachykarde Schrittmachertherapie
- Kardiale Resynchronisationstherapie
- CRT-P-Systeme: Resynchronisation- und Herzschrittmacherfunktion
- CRT-D-Systeme: Zusätzliche Defibrillatorfunktion
- Siehe auch: Herzinsuffizienz - Indikationsstellung CRT
- Antibradykarde Schrittmachertherapie
- Besonderheiten
- Typischerweise transvenöse Anlage über die V. subclavia
- Lokalanästhesie des OP-Gebiets i.d.R. durch chirurgisches Team [31]
- Anästhesiologisches Standby bzw. Analgosedierung bei Ersteingriffen bzw. reinem Aggregatwechsel häufig ausreichend [32]
- Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie bzw. eines erweiterten hämodynamischen Monitorings individuell prüfen
- Bei ICD-Implantation präoperativ Defibrillationselektroden aufkleben und anschließen
- Durchführung von Revisionseingriffen mit Sondenextraktion ggf. in HLM-Bereitschaft [33]
Bei einer ICD-Implantation wird intraoperativ eine ventrikuläre Tachykardie bzw. ein Kammerflimmern ausgelöst, um das Aggregat zu testen bzw. einzustellen!
Herztransplantation [34][35]
- Indikation: Fortgeschrittene Herzinsuffizienz unter Ausschöpfung aller konservativen und chirurgischen Therapieoptionen [36][37]
- Listung zur Herztransplantation bei Eurotransplant erforderlich
- Durchführung nur an spezialisierten Transplantationszentren
- Besonderheiten [37][38]
- Patient:innen meist in einem sehr schlechten körperlichen Zustand
- Präoperative Optimierung häufig nur eingeschränkt möglich
- Üblicherweise Verzicht auf medikamentöse Prämedikation
- Fragiler kardialer Status, typische Befunde
- Hochgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion
- Ventrikuläre Herzrhythmusstörungen oder Vorhofflimmern
- Pulmonale Hypertonie und rechtsventrikuläre Dysfunktion
- Narben bzw. Verwachsungen nach kardialen Voroperationen
- Thrombosierung zentraler Venen
- Häufig zusätzliches Vorliegen von Einschränkungen der Nieren- und Leberfunktion
- Erhöhtes Blutungsrisiko durch regelhaft vorbestehende Therapie mit Gerinnungshemmern
- Neuromonitoring mittels prozessiertem EEG und NIRS empfohlen [27]
- Enge Koordination mit dem chirurgischen Team zur Minimierung der Ischämiezeit des Spenderorgans erforderlich
- Patient:innen meist in einem sehr schlechten körperlichen Zustand
- Mögliche Alternative: Implantation eines mechanischen Kreislaufunterstützungssystems [39]
- Überbrückend bis zur Erholung der Herzfunktion („Bridge-to-Recovery“)
- Überbrückend bis zur endgültigen Therapieentscheidung („Bridge-to-Decision“)
- Überbrückend bis zur Herztransplantation („Bridge-to-Transplantation“)
- Langfristige bzw. definitive Therapie („Destination Therapy“)
Präoperative Anamnese und Diagnostik
Allgemeine präoperative Einschätzung
- Für allgemeine Grundlagen der präoperativen anästhesiologischen Einschätzung siehe: Prämedikation und Aufklärung in der Anästhesiologie
- Für allgemeine Empfehlungen zur (erweiterten) präoperativen Diagnostik sowie zum Umgang mit einer vorbestehenden Dauermedikation siehe:
Bei herzchirurgischen Patient:innen liegen häufig relevante Begleiterkrankungen wie bspw. Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankung, COPD oder OSAS vor, die in Bezug auf das anästhesiologische Management berücksichtigt werden müssen! [10]
Spezielle präoperative Einschätzung [10][11]
- Herzkatheteruntersuchung
- Meist routinemäßige Durchführung einer Linksherzkatheteruntersuchung
- Genaue Kenntnis des Befundes für optimale anästhesiologische Betreuung wünschenswert
- Echokardiografie
- Farbkodierte Duplexsonografie der A. carotis
- Bei hochgradigen bzw. symptomatischen Stenosen präoperative Korrektur erwägen
- Befundabhängig erweitertes Neuromonitoring erwägen [42]
- Weitere optionale Maßnahmen
- Arterielle Blutgasanalyse bzw. Lungenfunktionsuntersuchung
- Kontrolle der Schrittmacherfunktion
Scores zur Risikoklassifizierung
- EuroSCORE II (European System for cardiac operative Risk Evaluation)
- STS-Score (Society of Thoracic Surgeons Score)
- Cleveland Clinic Foundation Score: Beurteilung des Risikos für akute Nierenschädigung nach kardiochirurgischen Eingriffen
Der EuroSCORE II und der STS-Score dienen der Prognose des Mortalitätsrisikos im Krankenhaus nach einer größeren Herzoperation, nicht der Beurteilung des individuellen Narkoserisikos!
Anästhesiologische Besonderheiten
Allgemeine Hinweise
- Medikamentöse Prämedikation: Nur nach individueller Indikationsstellung [11]
- Typischerweise Verzicht bei schwerkranken Personen mit reduzierter Pumpfunktion
- Gabe bei sehr aufgeregten bzw. ängstlichen Personen jedoch ggf. sinnvoll
- Patient Blood Management [43][44]
- Erhöhtes Risiko für relevante perioperative Blutverluste bei herzchirurgischen Eingriffen
- Implementierung fremdblutsparender Maßnahmen sinnvoll und von der WHO empfohlen
- Enge interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich (Kardiologie, Kardiochirurgie, Kardiotechnik, Anästhesiologie, Intensivmedizin)
- Auswahl des Narkoseverfahrens
- In den allermeisten Fällen Allgemeinanästhesie als Verfahren der Wahl
- Thorakale Periduralanästhesie grundsätzlich jedoch ebenfalls möglich [45][46]
- Ärztliche Doppelbesetzung [47]
- Eingriffs- bzw. situationsabhängig zu erwägen
- Sollte mind. eine Person mit besonderer Erfahrung in der Kardioanästhesie umfassen
Die Implementierung fremdblutsparender Maßnahmen im Sinne des sog. Patient Blood Managements sollte gerade in Bereichen mit erhöhtem Risiko für einen relevanten perioperativen Blutverlust wie der Herzchirurgie erwogen werden!
Pharmakologische Besonderheiten
- Injektionsanästhetika
- Meist entweder Verwendung von Propofol oder Etomidat zur Narkoseeinleitung
- Vor- und Nachteile beider Wirkstoffe werden kontrovers diskutiert [48][49]
- Insg. bessere hämodynamische Stabilität bei Etomidat [50]
- Aufrechterhaltung der Narkose mittels Propofol eher selten praktiziert, aber grundsätzlich möglich
- Meist entweder Verwendung von Propofol oder Etomidat zur Narkoseeinleitung
- Inhalationsanästhetika
- Typischerweise zur Aufrechterhaltung der Narkose verwendet [51][52]
- Gabe auch über die Herz-Lungen-Maschine möglich
- Flurane besitzen (theoretisch) eine kardioprotektive Wirkung [53]
Die Aufrechterhaltung der Narkose erfolgt in der Herzchirurgie üblicherweise als balancierte Anästhesie – ein relevanter Vorteil gegenüber einer TIVA ist jedoch nicht nachgewiesen!
Gefäßzugänge und Monitoring [10][27]
- Periphervenöse Katheter
- Mind. 1–2 großlumige PVK
- Dienen insb. der Volumentherapie
- Arterieller Katheter
- Bevorzugt Kanülierung der A. radialis der nicht-dominanten Hand
- Bei größeren Eingriffen ggf. zusätzliche Kanülierung weiterer Arterien
- Zentralvenöser Katheter
- Venöse Schleuse
- Obligat bei geplanter Anlage eines PAK
- Grundsätzlich auch gut zur Volumentherapie geeignet
- Transösophageale Echokardiografie
- Empfohlen insb. bei Herzklappenchirurgie und thorakaler Aortenchirurgie
- Durchführung nur durch entsprechend qualifizierte Personen bzw. unter Supervision
- Erhobene Befunde können das chirurgische Vorgehen relevant beeinflussen [54]
- Prozessiertes EEG
- Für nahezu alle größeren herzchirurgischen Eingriffe empfohlen
- Monitoring der Narkosetiefe insb. bei Risikofaktoren für Awareness sinnvoll
- Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)
- Sinnvoll insb. bei erhöhtem Risiko für eine zerebrale Minderperfusion
- Outcome-relevanter Vorteil bisher jedoch nicht nachgewiesen
Allgemeine Informationen zur Überwachung der Kreislaufparameter finden sich im Kapitel „Hämodynamisches Monitoring“!
Anästhesiologisches Management: Eingriffe mit Herz-Lungen-Maschine
Im Folgenden werden die grundlegenden Prinzipien des anästhesiologischen Managements bei Eingriffen mit Herz-Lungen-Maschine genannt. Bei der praktischen Umsetzung sind stets klinik- und patientenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen!
Allgemeine Hinweise
- Allgemeinanästhesie als Standardverfahren bei Eingriffen mit Herz-Lungen-Maschine
- Typischerweise in Rückenlage und Zugang über mediane Sternotomie
- Anlage des arteriellen Katheters standardmäßig vor der Narkoseeinleitung
- Präoperativ vorbestehende Hypovolämie vor der Narkoseeinleitung ausgleichen
- Bei Notfalleingriffen oder hämodynamischer Instabilität Narkoseeinleitung im Saal erwägen
- Eingriffsdauer (abhängig vom individuellen Befund) ca. 2–4 h
- Enge perioperative Absprache mit der behandelnden Fachabteilung wichtig
- Intraoperative Maßnahmen zusätzlich immer mit Kardiotechnik koordinieren
Narkoseeinleitung
- Atemwegssicherung: Endotracheale Intubation
- Einleitungsmedikamente nach Wirkung dosieren und langsam injizieren
- Blutdruckabfall je nach Ausmaß durch Trendelenburg-Lagerung oder vorsichtige Gabe von Noradrenalin behandeln
- Hypertonie und Tachykardie möglichst vermeiden
- Bei nicht-nüchternen Personen: RSI
- Bei bekanntem schwierigen Atemweg: FOI
- Für die Durchführung siehe:
- Weitere Maßnahmen nach erfolgreicher Atemwegssicherung
- Anlage der zentralvenösen Gefäßzugänge und Vervollständigung des Monitorings
- Anlage eines Blasenkatheters sowie ggf. Platzierung der TEE-Sonde
- Prophylaktische Gabe von Tranexamsäure
- Erneute Kontrolle der Tubusfixierung sowie sämtlicher Konnektionsstellen vor der sterilen Abdeckung
Bei herzchirurgischen Eingriffen sollte die Narkoseeinleitung nach Möglichkeit in ärztlicher Doppelbesetzung durchgeführt werden!
Die Einleitungsmedikamente sollten nach Wirkung dosiert und langsam injiziert werden!
Narkoseführung
- Aufrechterhaltung der Narkose: Typischerweise als balancierte Anästhesie (TIVA grundsätzlich ebenfalls möglich)
- Maschinelle Beatmung: Standardmäßig Normoventilation anstreben (regelmäßige BGA-Kontrolle)
- Ggf. Diskonnektion des Beatmungsgerätes während der Sternotomie zur Vermeidung einer Pleuraverletzung [57]
- Ggf. PEEP-Reduktion während Präparation der A. thoracica interna zur Erleichterung des chirurgischen Vorgehens
- Stand-by-Modus des Beatmungsgerätes während totalem Bypass an der Herz-Lungen-Maschine
- Wiederaufnahme der Beatmung in der Reperfusionsphase
- Siehe auch: Grundeinstellungen des Beatmungsgerätes und Intraoperative Zielwerte in der Neurochirurgie
- Blutdruckmanagement
- Medikamentöse Kreislaufunterstützung
- Aufrechterhaltung eines adäquaten arteriellen Mitteldrucks primär über Noradrenalin
- Bei erniedrigtem HZV bzw. zur Entwöhnung von der HLM Gabe inotroper Substanzen erwägen
- Extrakorporale Zirkulation an der HLM
- HZV wird bei totalem Bypass komplett durch die HLM generiert
- Zielwert für den arteriellen Mitteldruck muss individuell festgelegt werden
- Blutdruckschwankungen insb. zu Beginn der extrakorporalen Zirkulation sowie während der Kardioplegie zu erwarten
- Medikamentöse Kreislaufunterstützung
- Gerinnungsmanagement
- Extrakorporale Zirkulation an der HLM
- Komplette Antikoagulation erforderlich
- Typischerweise Verwendung von unfraktioniertem Heparin in hoher Dosierung
- Argatroban oder Bivalirudin als mögliche Alternativen bei HIT II
- Überwachung der Heparinwirkung
- Standardmäßig mittels Activated Clotting Time (ACT)
- Zunächst immer Bestimmung des Ausgangswertes
- Erste Kontrolle 5 min nach initialer Bolusgabe
- ACT >400 s als Zielwert für Beginn der extrakorporalen Zirkulation
- Regelmäßige Kontrollen, bspw. alle 30 min während der extrakorporalen Zirkulation
- Aufhebung der Heparinwirkung
- Gabe von Protamin nach Beendigung der extrakorporalen Zirkulation
- Dosierung nicht standardisiert
- Überdosierung kann zu einer Verschlechterung der Blutgerinnung führen
- In seltenen Fällen anaphylaktische Reaktionen möglich [58][59]
- Extrakorporale Zirkulation an der HLM
Kardiopulmonaler Bypass
- Entlüftung der Herz-Lungen-Maschine (sog. „Priming“): Durchführung durch die Kardiotechnik
- Klinikspezifische Menge und Zusammensetzung des Priming-Volumens
- Anschluss der Herz-Lungen-Maschine führt zu einer (erwünschten) Hämodilution
- Gefäßkanülierung für die Herz-Lungen-Maschine: Durchführung durch die Herzchirurgie
- Arterielle Kanülierung (= Rückgabekanüle) typischerweise über Aorta ascendens
- Venöse Kanülierung (= Entnahmekanüle) typischerweise über das rechte Vorhofohr
- Weitere Kanülierungen zur Entlastung bzw. Entlüftung des linken Herzens, bspw.
- Linksventrikuläre Entlastungskanüle („Links-Vent“)
- Aortale Entlastungskanüle („Root-Vent“)
- Extrakorporale Zirkulation
- Partieller Bypass
- Aorta ascendens ist nicht abgeklemmt
- Venöses Blut wird nur teilweise in die Herz-Lungen-Maschine gesaugt
- Lungenstrombahn wird bei schlagendem Herzen weiter durchblutet
- Maschinelle Beatmung muss fortgeführt werden
- Totaler Bypass
- Aorta ascendens ist abgeklemmt (siehe nächster Punkt)
- Gesamtes venöses Blut wird in die Herz-Lungen-Maschine gesaugt
- Herz und Lunge sind komplett von der normalen Zirkulation getrennt
- Maschinelle Beatmung kann pausiert bzw. minimiert werden
- Partieller Bypass
- Kardioplegie
- Vorbereitende Maßnahmen
- Induktion von Kammerflimmern über „Flimmerkabel“
- Abklemmen der Aorta ascendens proximal der Rückgabekanüle
- Infusion einer hyperkaliämen Lösung (eigentliche Kardioplegie)
- Antegrade Kardioplegie: Kanülierung der Aortenwurzel proximal der Aortenklemme
- Retrograde Kardioplegie: Kanülierung des Sinus coronarius
- Vorbereitende Maßnahmen
- Reperfusionsphase
- Beginn ab Wiedereröffnung der Aortenklemme
- Dauer abhängig von Zeit am totalen Bypass, verwendeter Kardioplegie-Lösung und myokardialer Pumpfunktion
- Wiederaufnahme der Herzaktion
- Optimalfall: Zügige Spontankonversion aus der Asystolie in einen Sinusrhythmus
- Bei Auftreten von Kammerflimmern: Interne Defibrillation mit speziellen Schocklöffeln
- Bei langsamem Grundrhythmus: Stimulation über den temporären Schrittmacher
- Wiederaufnahme der maschinellen Beatmung
- Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine
- Kontrolle der Pumpfunktion, ggf. Gabe inotroper Substanzen, siehe auch:
- Dobutamin - Klinische Anwendung (typischerweise Substanz der Wahl)
- Adrenalin - Klinische Anwendung (bei unzureichender Wirkung von Dobutamin)
- Milrinon - Klinische Anwendung (nach individueller Indikationsstellung)
- Optimierung der Bedingungen für die Beendigung der extrakorporalen Zirkulation
- Normothermie (35,5–36,5°C)
- Hämatokrit 20–25%
- Ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt
- Elektrolyte im Normbereich
- Kontrolle der Pumpfunktion, ggf. Gabe inotroper Substanzen, siehe auch:
- Beendigung der extrakorporalen Zirkulation
- Dekanülierung
Narkoseausleitung
- „Klassisches Konzept“
- Postoperativ Fortführung der Allgemeinanästhesie und Transport auf eine Intensivstation
- Dort zunächst Analgosedierung und Nachbeatmung sowie Extubation im Verlauf
- ERAS® und Fast-Track-Chirurgie
- Narkoseausleitung und Extubation bereits im OP-Saal
- Postoperativ Verlegung im wachen Zustand auf eine Intermediate-Care-Station
Spezielle Risiken und Komplikationen
Herzrhythmusstörungen [60][61]
- Prädisponierende Faktoren
- Vorbestehende strukturelle Herzerkrankungen
- Chirurgische Manipulation am Herzen bzw. am Reizleitungssystem
- Höheres Lebensalter, Vorliegen extrakardialer Komorbiditäten
- Prävention
- Sicherstellung eines adäquaten koronaren Perfusionsdrucks
- Vermeidung bzw. Korrektur von Störungen der Homöostase
- Besonderheiten in der Herzchirurgie
- Bei eröffnetem Thorax interne Defibrillation mit speziellen Schocklöffeln möglich
- Bei größeren Eingriffen standardmäßig Versorgung mit einem temporären Schrittmacher
- Für das allgemeine Vorgehen bei Herzrhythmusstörungen siehe:
Blutungsneigung [62][63]
- Epidemiologie
- Schwere Blutungen bei herzchirurgischen Eingriffen in bis zu 10% der Fälle
- Transfusionen selbst bei Routineeingriffen in 20–40% der Fälle erforderlich
- Ätiologie: Meist multifaktorielle Genese
- Häufig vorbestehende Therapie mit Gerinnungshemmern
- Koagulopathie durch Gewebetrauma und Herz-Lungen-Maschine
- Inadäquate chirurgische Blutungskontrolle
- Intraoperative Diagnostik: Hoher Stellenwert von Point-of-Care-Untersuchungen [64]
- Therapie: Möglichst gezielt nach Ergebnis der Gerinnungsdiagnostik [65]
- Standardmäßige Gabe von Tranexamsäure bei Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine
- Maschinelle Autotransfusion zur Vermeidung allogener Bluttransfusionen erwägen
Vasoplegisches Syndrom [66][67]
- Definition: Distributiver Schock ≤24 h nach Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine
- Mittlerer arterieller Blutdruck <65 mmHg trotz adäquater Volumentherapie
- Systemischer Gefäßwiderstand <800 dyn×s×cm-5
- Herzindex >2,2 L/min/m2
- Inzidenz: Sehr variabel (5–44%)
- Ätiologie: Vasodilatation durch Gewebetrauma und Herz-Lungen-Maschine
- Pathophysiologie: Multifaktoriell
- Freisetzung von Zytokinen mit gefäßerweiternder Wirkung
- Verminderte Plasmakonzentration von Vasopressin
- Desensibilisierung adrenerger Rezeptoren
- Aktivierung ATP-abhängiger Kaliumkanäle
- Therapie: Medikamentöse Kreislaufunterstützung mit Noradrenalin
- Bei unzureichender Wirkung zusätzliche Gabe von Vasopressin erwägen
- Bei weiterhin unzureichender Wirkung zusätzliche Gabe von Methylthioniniumchlorid („Methylenblau“) erwägen [66][68]
Low-Cardiac-Output-Syndrom (LCOS) [69][70]
- Definition: Akute Herzinsuffizienz nach herzchirurgischen Eingriffen
- Uneinheitliche Verwendung des Begriffs in der Literatur
- Auftreten sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern möglich
- Inzidenz: Sehr variabel
- 2–27% bei Erwachsenen
- 17–67% bei Kindern
- Ätiologie: Meist multifaktorielle Genese [71][72]
- Systemische Inflammationsreaktion durch Gewebetrauma und Herz-Lungen-Maschine
- Hoher Blutverlust bzw. Volumenumsatz
- Herzrhythmusstörungen, Perikardtamponade
- Intraoperative Myokardischämie
- Pathophysiologie: Herzindex↓ → Sauerstofftransportkapazität↓ → Gewebehypoxie
- Symptome/Klinik
- Mittlerer arterieller Blutdruck↓
- Zentralvenöse Sauerstoffsättigung↓
- Urinausscheidung↓
- Lactatazidose
- Kreislaufzentralisation
- Therapie: Individualisiertes Vorgehen nach klinischem Befund
- Optimierung von Vorlast und Nachlast
- Medikamentöse Kreislaufunterstützung (Inotropie↑) [73]
- Ggf. mechanische Kreislaufunterstützung (IABP, ECLS)
Pulmonale Hypertonie [74][75]
- Definition: Im Rahmen herzchirurgischer Eingriffe typischerweise postkapilläre pulmonale Hypertonie
- Pulmonalarterieller Mitteldruck >20 mmHg
- Pulmonaler Kapillarverschlussdruck >15 mmHg
- Inzidenz: Keine verlässlichen Daten für herzchirurgische Patient:innen vorhanden
- Ätiologie: Verschiedene Faktoren können alleine oder in Kombination zur Entstehung bzw. Verstärkung beitragen
- Systemische Inflammationsreaktion durch Gewebetrauma und Herz-Lungen-Maschine
- Perioperative linksventrikuläre Dysfunktion bzw. Herzklappenerkrankung
- Ischämie/Reperfusionsschaden der Lunge nach extrakorporaler Zirkulation
- Gabe von Protamin zur Antagonisierung der Heparinwirkung
- Pathophysiologie: Multifaktoriell
- Pulmonaler Gefäßwiderstand↑ durch Ungleichgewicht zwischen gefäßverengenden und gefäßerweiternden Substanzen
- Pulmonale Vasokonstriktion↑
- Pulmonale Vasodilatation↓
- Pulmonale vasomotorische Dysfunktion
- Pulmonaler Gefäßwiderstand↑ durch Ungleichgewicht zwischen gefäßverengenden und gefäßerweiternden Substanzen
- Komplikation: Akute rechtsventrikuläre Dekompensation
- Therapie: Senkung des pulmonalen Gefäßwiderstands
- Inhalative Gabe von NO oder Iloprost
- Intravenöse Gabe von Milrinon oder Sildenafil [5]