Zusammenfassung
Akute Leukämien stellen die häufigste maligne Erkrankung im Kindes- und Jugendalter dar. Sie entstehen durch maligne Entartung und ungehemmte Proliferation unreifer hämatopoetischer Zellen (Blasten) im Knochenmark. Je nach betroffener Zellreihe kann zwischen einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL, ca. 80% der Fälle) und einer akuten myeloischen Leukämie (AML) unterschieden werden. In beiden Fällen wird die physiologische Hämatopoese innerhalb weniger Wochen verdrängt, wodurch typischerweise Symptome einer Anämie (z.B. Abgeschlagenheit, Blässe), Thrombozytopenie (Blutungsneigung) und Leukozytopenie (Infektanfälligkeit) entstehen. Zur Diagnosestellung und Klassifikation ist eine Knochenmarkpunktion mit morphologischer, immunphänotypischer und genetischer Charakterisierung der Leukämiezellen erforderlich.
Kinder und Jugendliche mit akuten Leukämien werden in Deutschland mittels Polychemotherapie im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien behandelt. Je nach Subtyp, Befall weiterer Organe (z.B. ZNS), individuellem Rezidivrisiko und Therapieansprechen sind ggf. weitere Maßnahmen notwendig (z.B. Strahlentherapie, allogene Stammzelltransplantation, Immuntherapie). In ca. 15% (ALL) bzw. 30% (AML) aller Fälle treten Rezidive auf, insg. ist die Prognose betroffener Kinder und Jugendlicher mit einer Überlebensrate von ca. 90% (ALL) bzw. 75–80% (AML) allerdings deutlich besser als bei Erwachsenen.
Für ergänzende Informationen zu akuten Leukämien im Erwachsenenalter siehe: Akute Leukämien.
Übersicht
Akute Leukämien im Kindes- und Jugendalter – Übersicht | ||
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ALL im Kindes- und Jugendalter | AML im Kindes- und Jugendalter | |
Unterschiede | ||
Altersgipfel |
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Neuerkrankungen |
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Knochenmarkbefall (Diagnosekriterium) |
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Nachweisbarer ZNS-Befall |
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Rezidivrate |
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Überlebensrate |
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Gemeinsamkeiten | ||
Blutbild | ||
Symptome |
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Therapie |
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Epidemiologie
Akute lymphoblastische Leukämie [1]
- Häufigkeit
- Ca. 550–600 Neuerkrankungen pro Jahr
- Ca. 20–30% aller Krebserkrankungen
- Ca. 80% aller Leukämien
- Altersgipfel: 1–5 Jahre
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀ (1,3:1)
Die ALL ist die häufigste maligne Erkrankung im Kindes- und Jugendalter!
Akute myeloische Leukämie [2]
- Häufigkeit
- Ca. 90 Neuerkrankungen pro Jahr
- Ca. 4% aller Krebserkrankungen
- Ca. 20% aller Leukämien
- Altersgipfel: <2 Jahre
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀ (1,1:1)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Mögliche Ursachen bzw. begünstigende Faktoren
- Genetische Veränderungen [5]
- Äußere Einflüsse
- Ionisierende Strahlung
- Chemische Substanzen (z.B. Benzole)
- Medikamente (z.B. Zytostatika, Immunsuppressiva)
- Alkohol- oder Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft
- Weitere vermutete Faktoren
- Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft oder des Vaters vor der Zeugung
- Bei ALL zusätzlich: Virusinfektionen (z.B. EBV-Infektion)
- Erkrankungen mit erhöhtem Risiko (Krebsprädispositionssyndrome)
Bei den meisten Kindern und Jugendlichen mit akuten Leukämien sind keine krankheitsbegünstigenden Faktoren bekannt!
Klassifikation
Akute Leukämien können im Kindes- und Jugendalter anhand zytomorphologischer, immunphänotypischer und genetischer Merkmale in verschiedene Subtypen eingeteilt werden. Das Rezidivrisiko hängt u.a. von der Unterform ab, daher spielt die Klassifikation eine entscheidende Rolle bei der Therapieauswahl.
Klassifikation der ALL
Immunphänotypische Einteilung der ALL im Kindes- und Jugendalter [6][7]
- Untersuchung: Durchflusszytometrie
- Kriterien: Expression spezifischer intrazellulärer und/oder membranständiger Antigene
- Bedeutung: Therapieauswahl
Immunphänotypische Einteilung der ALL im Kindes- und Jugendalter [6] | ||
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Subtyp | Merkmale | |
B-Linien-ALL | ≥2 Marker stark positiv: CD10+, CD19+, (i)CD22+, iCD79a+ | |
Vorläufer-B-ALL | Pro-B-ALL |
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Common-B-ALL (cALL) |
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Prä-B-ALL |
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Reife B-ALL |
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T-Linien-ALL | Alle 3 Marker: (i)CD3+, CD7+, iMPO – / (+) | |
Vorläufer-T-ALL | Pro-T-ALL |
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Prä-T-ALL |
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Frühe T-Zell-Vorläufer-ALL |
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Intermediäre T-ALL |
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Reife T-ALL |
| |
Abkürzungen: CD = Cluster of Differentiation; i = intrazellulär; (i) = intrazellulär oder membranständig; Ig = Immunglobulin; MPO = Myeloperoxidase; s = surface (membranständig) Zeichen: + = positiv; (+) = schwach positiv; – = negativ |
Genetische Einteilung der ALL im Kindes- und Jugendalter [8]
- Untersuchung: Zytogenetik und Molekulargenetik
- Kriterien: Spezifische Chromosomenaberrationen und Genmutationen
- Bedeutung: Risikostratifizierung
- Einteilung
- B-Linien-ALL
- B-ALL mit wiederkehrenden genetischen Anomalien (Auswahl)
- t(9;22) mit BCR-ABL1-Fusionsgen
- t(1;19) mit TCF3-PBX1-Fusionsgen
- t(12;21) mit ETV6-RUNX1-Fusionsgen
- t(17;19) mit TCF3-HLF-Fusionsgen
- KMT2A-Rearrangements
- Hyper- oder Hypodiploidie
- B-ALL nicht anders spezifiziert (NOS = „not otherwise specified“)
- B-ALL mit wiederkehrenden genetischen Anomalien (Auswahl)
- T-Linien-ALL
- B-Linien-ALL
Morphologische Einteilung der ALL im Kindes- und Jugendalter [6][9]
- Untersuchung: Mikroskopie
- Kriterien: Zytomorphologische Charakteristika
- Einteilung: Nach FAB-Klassifikation der ALL (L1–3)
Klassifikation der AML
Morphologische Einteilung der AML im Kindes- und Jugendalter [4]
- Untersuchung: Mikroskopie
- Kriterien: Zytomorphologische und zytochemische Charakteristika
- Bedeutung: Risikostratifizierung
- Einteilung: Nach FAB-Klassifikation der AML im Kindes- und Jugendalter
FAB-Klassifikation der AML im Kindes- und Jugendalter [4] | |
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FAB-Typ | AML-Subtyp |
M0 |
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M1 |
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M2 |
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M3 |
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M4 |
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M5 |
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M6 |
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M7 |
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Genetische Einteilung der AML im Kindes- und Jugendalter [8][10]
- Untersuchung: Zytogenetik und Molekulargenetik
- Kriterien: Spezifische Chromosomenaberrationen und Genmutationen
- Bedeutung: Risikostratifizierung
- Einteilung
- AML mit definierenden genetischen Anomalien (Auswahl)
- t(15;17) mit PML-RARA-Fusionsgen (= APL)
- t(8;21) mit RUNX1-RUNX1T1-Fusionsgen
- inv(16) oder t(16;16) mit CBFB-MYH11-Fusionsgen
- t(9;11) mit MLLT3-KMT2A-Fusionsgen
- t(6;9) mit DEK-NUP214-Fusionsgen
- inv(3) oder t(3;3) mit GATA2-MECOM-Fusionsgen
- NPM1-Mutation
- CEBPA-Mutation
- t(9;22) mit BCR-ABL1-Fusionsgen
- AML mit anderen typischen Anomalien
- TP53-Mutation
- Andere Mutationen
- Myelodysplasie-assoziierte zytogenetische Veränderungen
- Nicht näher bezeichnet (not otherwise specified, NOS)
- Sonstige AML-Entitäten
-
Akute Leukämien mit unklarer Linienzugehörigkeit
- Akute undifferenzierte Leukämie
- Akute Leukämien mit gemischtem Phänotyp (MPAL)
- Myeloische Proliferationen bei Down-Syndrom
- Transientes myeloproliferatives Syndrom
- Myeloische Leukämie assoziiert mit Down-Syndrom (ML-DS)
- Myelosarkom
- Blastische plasmazytoide dendritische Neoplasie
-
Akute Leukämien mit unklarer Linienzugehörigkeit
- AML mit definierenden genetischen Anomalien (Auswahl)
- Mögliche diagnostische Zusätze
Immunphänotypische Einteilung der AML im Kindes- und Jugendalter [11]
- Untersuchung: Durchflusszytometrie
- Kriterien: Expression spezifischer intrazellulärer und/oder membranständiger Antigene
- Bedeutung: Ergänzend zur FAB-Klassifikation zur Abgrenzung verschiedener AML-Formen (insb. M0 und M7), einer ALL und MPAL
- M0-AML: MPO+ und/oder CD13+, CD33+, CD117+
- M7-AML: CD41+ und/oder CD61+
- MPAL: Merkmale >1 Zelllinie
- Myeloisch: MPO+, intrazelluläres Lysozym+, CD11c+, CD14+, CD64+
- B-lymphoblastisch: CD10+, CD19+, iCD22+, iCD79a+
- T-lymphoblastisch: iCD3+ und CD7+
Eine Mixed Phenotype Acute Leukaemia (MPAL) ist durch Coexpression spezifischer Antigene verschiedener Zelllinien gekennzeichnet!
Pathophysiologie
- Zusammenwirken mehrerer begünstigender Faktoren (siehe: Ätiologie der akuten Leukämien im Kindes- und Jugendalter) → Maligne Entartung und ungehemmte Proliferation hämatopoetischer Zellen (Blasten ) im Knochenmark
- Verdrängung des normalen Knochenmarks → Beeinträchtigung der Hämatopoese
- Anämie, Thrombopenie, funktionelle Leukopenie
- Extramedulläre Blutbildung
- Freisetzung der Blasten ins periphere Blut → Infiltration anderer Organe → Beeinträchtigung von Organfunktionen (z.B. ZNS, Lymphknoten, Leber, Milz, Hoden)
- Verdrängung des normalen Knochenmarks → Beeinträchtigung der Hämatopoese
Symptomatik
Erstmanifestation
- Beginn: Innerhalb weniger Wochen
- Klinisches Bild
- Symptome durch gestörte Hämatopoese
- Anämie: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Blässe
- Thrombozytopenie: Petechien , Hämatome, Epistaxis, Zahnfleischbluten
- Funktionelle Leukopenie : Fieber, Infektanfälligkeit
- Symptome durch Organinfiltration
- Knochenmark: Knochen- und Gelenkschmerzen
- ZNS (Meningeosis leucaemica): Kopfschmerzen, Hirnnervenausfälle, Sehstörungen, Erbrechen
- Lymphknotenvergrößerung
- Splenomegalie und Hepatomegalie : Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit
- Hoden: Schmerzlose Schwellung
- Thymus: Dyspnoe
- Haut: Infiltration (Leukaemia cutis), bei AML ggf. Chlorom
- Zahnfleisch: Gingivahyperplasie
- Symptome durch Komplikationen
- Symptome durch gestörte Hämatopoese
Die Symptome einer akuten Leukämie sind vielfältig und können sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein!
Rezidiv
- Zeitpunkt: Meist innerhalb der ersten 2 Jahre nach Therapieende (ALL) bzw. Diagnosestellung (AML)
- Manifestationsort
- Häufig: Knochenmark, ZNS, Hoden
- Selten: Haut, Lymphknoten, Ovar, Augen
- Klinisches Bild: Abhängig vom Manifestationsort
- Knochenmarkrezidiv: Zu Beginn oft asymptomatisch , im Verlauf wie bei Erstmanifestation
- ZNS-Rezidiv: Kopfschmerzen, Hirnnervenausfälle, Sehstörungen, (Nüchtern‑)Erbrechen, ggf. hypothalamisches Syndrom
- Haut-, Hoden-, Lymphknotenrezidiv: Je nach Organ spezifische Symptome wie bei Erstmanifestation
Rezidive akuter Leukämien manifestieren sich häufig im Knochenmark und/oder ZNS!
Diagnostik
Vorgehen bei V.a. akute Leukämie im Kindes- und Jugendalter (Erstdiagnose und Rezidiv)
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Inspektion (insb. Haut, Schleimhäute): Blutungszeichen , Hautinfiltrationen
- Auskultation (insb. Lunge): Atemwegsobstruktion
- Palpation (insb. Lymphknoten, Milz, Leber, Gelenke, ggf. Hoden): Organvergrößerungen, Schwellungen, Bewegungseinschränkungen
- Neurologische Untersuchung: Hirnnervenausfälle, andere neurologische Defizite
- Für typische Befunde bzw. klinisches Bild siehe: Symptome bei ALL im Kindes- und Jugendalter
Blutentnahme
- Blutbild: Anämie, Thrombozytopenie, Leukozytopenie oder Leukozytose
- Manuelles Differenzialblutbild: Nachweis von Blasten , Hiatus leucaemicus
- Zellzerfallsparameter: LDH, Harnsäure
- Leber- und Nierenwerte: Transaminasen, γGT, alkalische Phosphatase, Bilirubin, Cholinesterase, Kreatinin, Harnstoff
- Gerinnungsdiagnostik: Quick, PTT, Fibrinogen, D-Dimere
Knochenmarkpunktion
- Zytomorphologie und Zytochemie: Zelldichte und -verteilung inkl. Blastenanteil
- Typischer Befund
- Hyperzelluläres Knochenmark mit monomorphen Zellen (überwiegend Blasten)
- Ggf. spezifische Merkmale (z.B. Auerstäbchen bei AML )
- Siehe auch
- Typischer Befund
- Immunphänotypisierung : Nachweis Subtypen-spezifischer Antigen-Expressionsmuster
- Zytogenetik und Molekulargenetik: Nachweis spezifischer Chromosomenaberrationen und Genmutationen
- Beachte
- Evaluation auch aus peripherem Blut möglich
- Bei Punctio sicca: Knochenmarkbiopsie erforderlich
Die Immunphänotypisierung mittels Durchflusszytometrie ermöglicht eine genaue Bestimmung der Linienzugehörigkeit und des Reifestadiums!
Mithilfe zyto- und molekulargenetischer Untersuchungen kann anschließend der für die Therapieauswahl und Prognose bedeutsame genetische Subtyp differenziert werden!
Weiterführende Diagnostik
- Lumbalpunktion : Zellzahlbestimmung im Liquor
- Bildgebung
- Sonografie: Abdomen, Thorax, Lymphknoten, ggf. Hoden
- Röntgen-Thorax
- Ggf. MRT oder CT (Thorax/Abdomen , Schädel/Rückenmark , Skelett )
- EKG, Echokardiografie und EEG: I.d.R. Normalbefunde
- Weitere Labordiagnostik
- Infektionsstatus
- Blutgruppe
- Ggf. HLA-Typisierung
Diagnosekriterien
Diagnosekriterien der ALL im Kindes- und Jugendalter
- Nachweis von ≥25% lymphatischen Blasten im Knochenmark oder
- Hyperleukozytose mit Nachweis von lymphatischen Blasten im peripheren Blut
Bei einem Blastenanteil von <25% im Knochenmark liegt definitionsgemäß keine ALL, sondern ein lymphoblastisches Non-Hodgkin-Lymphom vor!
Diagnosekriterien der AML im Kindes- und Jugendalter
- Nachweis von myeloischen Blasten im Knochenmark
- Blastenanteil 10–19% plus Nachweis einer definierenden genetischen Anomalie
- Blastenanteil ≥20% (unabhängig von genetischen Anomalien)
Bei einem Blastenanteil von 20–30% muss ein fortgeschrittenes myelodysplastisches Syndrom ausgeschlossen werden!
Risikostratifizierung [6][12]
- Durchführung: Bestimmung klinischer und biologischer Prognosefaktoren → Beurteilung des individuellen Rezidivrisikos → Einteilung in Risikogruppen
- Ziel: Risikoadaptierte Therapie
- Prognosefaktoren: Abhängig von der Leukämieform und der Therapieoptimierungsstudie, für Beispiele siehe:
Prognosefaktoren der ALL im Kindes- und Jugendalter (Beispiele) [6][12] | |||
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Prognosefaktor | Günstige Prognose | Ungünstige Prognose | |
Alter |
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| |
Leukozytenzahl |
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ZNS-Befall |
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Immunphänotyp |
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Chromosomenveränderungen |
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Therapieansprechen |
|
|
Prognosefaktoren der AML im Kindes- und Jugendalter (Beispiele) [10][11] | |||
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Prognosefaktor | Günstige Prognose | Ungünstige Prognose | |
Chromosomenveränderungen |
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| |
Therapieansprechen |
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|
Therapie
Allgemeine Informationen
- Beginn: Schnellstmöglich
- Setting: Stationär in kinderonkologischem Zentrum, im Verlauf ggf. ambulant
- Therapie der Wahl: Polychemotherapie
- Applikation: Intravenös , z.T. intrathekal, im Verlauf ggf. oral
- Dauer und Ablauf: Risikoadaptiert nach Therapieoptimierungsstudien (oder Registern )
- Weitere Therapieoptionen
- ZNS-Bestrahlung
- Allogene Stammzelltransplantation
- Immuntherapie
Kinder und Jugendliche mit einer akuten Leukämie werden im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien oder Registern behandelt!
Beurteilung des Therapieansprechens
- Bedeutung: Bestimmt Prognose und weitere Therapie
- Zeitpunkte: Abhängig von der Leukämieform und der Studie
- Beurteilung
- Remission (mikroskopisch): <5% Blasten im Knochenmark (M1-Mark) und kein extramedullärer Befall und normale Hämatopoese
- Minimal residual disease (mittels Durchflusszytometrie oder PCR): Schwellenwert abhängig von der Leukämieform und der Studie
Da die Detektionsgrenze für leukämische Blasten bei der mikroskopischen Untersuchung lediglich ca. 1% beträgt, kann eine minimale Resterkrankung (MRD) dadurch nicht sicher ausgeschlossen werden!
Die Bestimmung der MRD mittels Durchflusszytometrie oder PCR ist die sensitivste Methode zur Beurteilung des Therapieansprechens!
Nebenwirkungen und Supportivtherapie
- Akute Nebenwirkungen
- Erhöhtes Risiko für schwere Infektionen (durch Leukozytopenie)
- Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Blässe (durch Anämie)
- Petechien, Hämatome, Epistaxis, Zahnfleischbluten (durch Thrombozytopenie)
- Mukositis
- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
- Haarausfall, Exanthem, Pruritus, Nagelveränderungen
- Siehe auch: Nebenwirkungen von Zytostatika
- Supportivtherapie nach Bedarf
- Analgetika nach WHO-Stufenschema
- Antiemetika
- Antiinfektiva
- Flüssigkeit und Elektrolyte
- Blutprodukte, ggf. G-CSF
- Sondennahrung oder parenterale Ernährung
- Psychoonkologische Betreuung
- Physio-, Ergo-, Kunst-, Musiktherapie
- Siehe auch: Supportive Therapie bei onkologischen Erkrankungen
- Infektionsprophylaxe
- Nicht-medikamentös: Allgemeine Hygienemaßnahmen
- Medikamentös: Antimykotika, ggf. Antibiotika
Kinder und Jugendliche mit Fieber in Neutropenie müssen umgehend antibiotisch behandelt werden! [13]
Mögliche Spätfolgen
- Polychemotherapie
- Erhöhtes Risiko für sekundäre maligne Neoplasie
- Fertilitätsstörung (meist vorübergehend)
- Herzinsuffizienz , Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz
- Gelenkschäden
- Strahlentherapie
- Wachstums- und Entwicklungsstörungen
- Schilddrüsenfunktionsstörung
- Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten (z.B. Konzentration, Aufmerksamkeit, Merk- und Lernfähigkeit)
- Allogene Stammzelltransplantation
- Chronische Graft-versus-Host-Disease (GvHD)
- Erhöhtes Risiko für sekundäre maligne Neoplasie
- Schilddrüsenfunktionsstörung
- Fertilitätsstörung (oft bleibende Sub- oder Infertilität)
- Katarakt
- Schädigungen von Lunge, Herz, Nieren, Nervensystem, Knochenmark und Muskulatur
Bei Jugendlichen im fortpflanzungsfähigen Alter sollte vor Beginn einer fertilitätsschädigenden Therapie (insb. vor Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation) eine Kryokonservierung von Eizellen bzw. Spermien empfohlen werden!
Therapie der ALL
Therapie bei Erstmanifestation
Polychemotherapie
Polychemotherapie der ALL im Kindes- und Jugendalter [3][12][14] | ||||
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Phase | Zytostatika | Dauer | Ziel | Zu beachten |
Zytoreduktive Vorphase |
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| |
Induktionsphase |
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Konsolidierungsphase |
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| |
Intensivierungsphase (Extrakompartmenttherapie ) |
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Reintensivierungsphase |
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Erhaltungstherapie |
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Die Polychemotherapie zur Behandlung einer ALL im Kindes- und Jugendalter dauert i.D.R. ca. 2 Jahre!
Reife B-Zell-Leukämien werden nicht wie andere akute Leukämien, sondern wie Non-Hodgkin-Lymphome behandelt!
Weitere Therapieoptionen
- ZNS-Bestrahlung
- Allogene Stammzelltransplantation
- Immuntherapie, z.B. Antikörper oder CAR-T-Zell-Therapie
Rezidivtherapie
- Intensivierte Polychemotherapie
- Ggf. Strahlentherapie
- Ggf. allogene Stammzelltransplantation
- Ggf. Immuntherapie, z.B. Antikörper oder CAR-T-Zell-Therapie
Für weiterführende Informationen zur Rezidivtherapie siehe aktuelle Studien und Register unter Tipps & Links!
Therapie der AML
Therapie bei Erstmanifestation
Polychemotherapie
Polychemotherapie der AML im Kindes- und Jugendalter | ||||
---|---|---|---|---|
Phase | Zytostatika | Dauer | Ziel | Besonderheiten |
Zytoreduktive Vorphase |
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| |
Induktionsphase |
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Konsolidierungs- und Intensivierungsphase |
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ZNS-Therapie (intrathekal) |
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Die Polychemotherapie zur Behandlung einer AML im Kindes- und Jugendalter dauert i.d.R. ca. 6 Monate!
Weitere Therapieoptionen
Therapieabweichungen
- Bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom
- Besonderheiten
- Sehr hohes Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen (insb. Infektionen)
- Gleichzeitig i.d.R. gutes Therapieansprechen und gute Heilungschancen
- Maßnahmen
- Geringere Zytostatikadosierung
- Seltenere intrathekale Applikation
- Keine Strahlentherapie des ZNS
- Besonderheiten
- Bei Kindern und Jugendlichen mit akuter Promyelozytenleukämie (APL)
- Besonderheiten
- Sehr hohes Risiko für schwere Blutungen (z.B. Hirnblutungen)
- Gleichzeitig i.d.R. gutes Therapieansprechen und gute Heilungschancen
- Maßnahme: Sofortige Gabe von All-trans-Retinsäure und Arsentrioxid (ggf. zusätzlich Cytarabin und Idarubicin )
- Besonderheiten
Rezidivtherapie
- Intensivierte Polychemotherapie
- Bei Therapieansprechen (Remission): Allogene Stammzelltransplantation
- Bei fehlendem Therapieansprechen: Experimentelle Behandlung , ggf. Palliativtherapie
Für weiterführende Informationen zur Rezidivtherapie siehe aktuelle Studien und Register unter Tipps & Links!
Komplikationen
- Leukämie-assoziiert
- Leukostase-Syndrom
- Bei akuter Promyelozytenleukämie: Disseminierte intravasale Koagulopathie mit schweren Hämorrhagien
- Therapie-assoziiert
- Tumorlyse-Syndrom
- Fieber in Neutropenie
- Bei All-trans-Retinsäure- und Arsentrioxid-Therapie: APL-Differenzierungssyndrom
- Bei allogener Stammzelltransplantation: Akute und chronische Abstoßungsreaktionen (siehe: Akute GvHD, Chronische GvHD, Host-versus-Graft-Reaktion)
- Akute Nebenwirkungen und mögliche Spätfolgen: Siehe Therapie der akuten Leukämien im Kindes- und Jugendalter
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
Ziele
- Rezidive und Spätfolgen frühzeitig erkennen
- Körperliche Rehabilitation unterstützen
- Psychosoziale Probleme behandeln
Untersuchungen
- Körperliche Untersuchung
- Labordiagnostik
- Blutbild + Differenzialblutbild
- Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte
- Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV)
- Impftiterbestimmung
- Urinstatus
- Endokrinologische Diagnostik
- EKG und Echokardiografie
- Hörtest (insb. nach ZNS-Bestrahlung)
- Neuropädiatrische Diagnostik (ggf. inkl. EEG)
- Ophthalmologische Diagnostik
Die Zeitpunkte und Abstände der Untersuchungen hängen von der jeweiligen Studie bzw. deren Nachbehandlungsplan ab! Für weitere Informationen siehe Tipps & Links!
Prognose
Akute lymphoblastische Leukämie
- Überlebensrate (10–15 Jahre): Ca. 90%
- Rezidive
- Häufigkeit: Ca. 15% aller Kinder und Jugendlichen mit ALL
- Überlebensrate (5 Jahre): Ca. 50–60%
Akute myeloische Leukämie
- Überlebensrate (5 Jahre): Ca. 75–80%
- Rezidive
- Häufigkeit: Ca. 30% aller Kinder und Jugendlichen mit AML
- Überlebensrate (5 Jahre): Ca. 40%
Je länger die krankheitsfreie Zeit, desto geringer die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv!
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Meditricks
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Akute lymphatische Leukämie (ALL)
Akute myeloische Leukämie (AML)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Erkrankung (wird in Form der ersten vier Stellen angegeben)
Akute lymphatische Leukämie
- C91.-: Lymphatische Leukämie
- C91.0-: Akute lymphatische Leukämie [ALL]
- C91.3-: Prolymphozytäre Leukämie vom B-Zell-Typ
- C91.6-: Prolymphozyten-Leukämie vom T-Zell-Typ
- C91.7-: Sonstige lymphatische Leukämie
- Inkl.: Leukämie grob-granulierter Lymphozyten vom T-Zell-Typ; assoziiert mit rheumatoider Arthritis
- C91.8-: Reifzellige B-ALL vom Burkitt-Typ
- Exkl.: Burkitt-Lymphom mit geringer oder ohne Knochenmarkinfiltration; C83.7
- C91.9-: Lymphatische Leukämie, nicht näher bezeichnet
Akute myeloische Leukämie
- C92.-: Myeloische Leukämie
- Inkl.: Leukämie myelogen, Leukämie granulozytär
- C92.0-: Akute myeloblastische Leukämie [AML]
- Inkl.
- Akute myeloische Leukämie, minimal differenziert
- Akute myeloische Leukämie (mit Ausreifung)
- AML1/ETO
- AML M0
- AML M1
- AML M2
- AML mit t(8;21)
- AML (ohne eine FAB-Klassifizierung) o.n.A.
- Refraktäre Anämie mit Blastenkrise in Transformation
- Exkl.: Akute Exazerbation einer chronischen myeloischen Leukämie (C92.1‑)
- Inkl.
- C92.3-: Myelosarkom
- Inkl.: Chlorom, granulozytäres Sarkom
- C92.4-: Akute Promyelozyten-Leukämie [PCL]
- C92.5-: Akute myelomonozytäre Leukämie
- C92.6-: Akute myeloische Leukämie mit 11q23-Abnormität
- Inkl.: Akute myeloische Leukämie mit Veränderungen des MLL-Gens
- C92.7-: Sonstige myeloische Leukämie
- Exkl.: Chronische Eosinophilen-Leukämie [hypereosinophiles Syndrom] (D47.5)
- C92.8-: Akute myeloische Leukämie mit multilineärer Dysplasie
- C92.9-: Myeloische Leukämie, nicht näher bezeichnet
- C93.-: Monozytenleukämie
- C94.-: Sonstige Leukämien näher bezeichneten Zelltyps
- Exkl.
- Leukämische Retikuloendotheliose (C91.4‑)
- Plasmazellenleukämie (C90.1‑)
- C94.0-: Akute Erythroleukämie
- Inkl.
- Akute myeloische Leukämie, M6
- Erythroleukämie
- Inkl.
- C94.2-: Akute Megakaryoblastenleukämie
- Inkl.
- Akute megakaryozytäre Leukämie
- Akute myeloische Leukämie, M7
- Inkl.
- C94.3-: Mastzellenleukämie
- C94.7-: Sonstige näher bezeichnete Leukämien
- Inkl.
- Aggressive NK-Zell-Leukämie
- Akute Basophilenleukämie
- Inkl.
- Exkl.
Nicht näher bezeichnete akute Leukämie
- C95.-: Leukämie nicht näher bezeichneten Zelltyps
- C95.0-: Akute Leukämie nicht näher bezeichneten Zelltyps
- Inkl.
- Akute biliniäre Leukämie
- Akute gemischt-liniäre Leukämie
- Biphänotypische akute Leukämie
- Stammzellenleukämie mit unklarer Linienzuordnung
- Exkl.: Akute Exazerbation einer nicht näher bezeichneten chronischen Leukämie (C95.1‑)
- Inkl.
- C95.8!: Leukämie, refraktär auf Standard-Induktionstherapie
- C95.0-: Akute Leukämie nicht näher bezeichneten Zelltyps
Remissionsstatus (wird in Form der fünften Stelle angegeben)
- 0: Ohne Angabe einer kompletten Remission
- Inkl.
- Ohne Angabe einer Remission
- In partieller Remission
- Inkl.
- 1: In kompletter Remission
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.